1.800 Menschen erkämpfen unangemeldete Demo
Provokativer und respektloser Polizeieinsatz an der Todesstelle. Kein Vergeben, kein Vergessen!
Demonstration zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny am 14. November 2009 in Göttingen
Am 14. November 2009 haben in Göttingen 1.800 Menschen eine unangemeldete Demonstration zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny erkämpft. Die Polizei provozierte mit einem massiven Einsatz, Gipfel der Respektlosigkeit waren Festnahmen und Polizeispaliere direkt an der Todesstelle unserer Genossin und Freundin.Am 14. November 2009 haben in Göttingen 1.800 Menschen eine unangemeldete Demonstration zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny erkämpft. Große Teile der Demonstration liefen von Anfang an vermummt. Vorausgegangen war der Demonstration eine öffentliche Diskussion um den Stellenwert antifaschistischen Widerstandes in der jüngeren Göttinger Stadtgeschichte, sowie um die eskalierenden Einsatzkonzepte des Polizeipräsidenten Hans Wargel. In einem Stadtratsbeschluss vom 6. November 2009 wurde der Statthalter des CDU-Innenministers Schünemann aufgefordert, ein "zeitgemäßes Deeskalationskonzept zu entwickeln". Mehr dazu findet ihr hier. Dieser starke öffentliche Druck war einerseits eine Voraussetzung, dass die Polizeiführung überhaupt zu Zugeständnissen bereit war und die Demonstration dann unangemeldet durchgesetzt werden konnte. Zugleich zeigte Hans Wargel, der persönlich am Rande der Demo anwesend war, der Göttinger Öffentlichkeit aber den Stinkefinger und ließ erneut ein riesiges Polizeiaufgebot auf die Stadt los.
Die Polizei provozierte mit Vorkontrollen, einem massiven Spalier und ständiger Videofilmerei. Gipfel der Respektlosigkeit waren 3 Festnahmen und Polizeispaliere direkt an der Todesstelle unserer Genossin und Freundin. So zwang ein mehrreihiges Spalier die Demospitze am Weender Tor zunächst auf eine von der Polzei "gewünschte" Straßenseite. Anschließend nahe der Todesstelle der Antifaschistin stürmten mehrfach Beweis- und Festnahmeeinheiten brüllend und prügeln in die Demo und nahmen hier mindestens 3 Menschen fest. Schließlich stellten sich Polizeiketten direkt vor den Gedenkstein und die Skulptur, an denen zuvor bereits Kerzen entzündet und Blumen niedergelegt worden waren. "Die Polizei wollte hier eine Eskalation und zeigte keinerlei Respekt vor den Gefühlen von Trauer und Betroffenheit. Was bleibt ist die Wut!", kommentierte eine A.L.I.-Sprecherin nach den Vorgängen an der Todesstelle.
"Dieses Vorgehen von Polizeichef Hans Wargel muss politische und praktische Konsequenzen haben", erklärte die A.L.I. Sprecherin in einer Presseerklärung vom 14.11.2009. Am Dienstag, den 17.11.2009, dem 20. Todestag der Antifaschistin Conny, wird es nach einer Veranstaltung in der Alten Mensa am Wilhelmsplatz einen gemeinsamen Gang zur Mahnwache geben. Mehr dazu hier. Der Polizeieinsatz vom Samstag, den 14.11.2009 werden dort erneut thematisiert und die offenen Fragen weiter diskutiert werden, so die Sprecherin der Göttinger Antifagruppe.
Betroffene oder ZeugInnen von Polizeirepressionen bitten wir, sich bei der Roten Hilfe Ortsgruppe Göttingen zu melden. Kontakt per Mail: goettingen (at) rote-hilfe (dot) de Oder per Post: Rote Hilfe Ortsgruppe Göttingen, c/o Buchladen, Nikolaikirchhof 7, 37073 Göttingen.
Wir danken allen Genossinnen und Genossen, die uns durch Verbreitung von Plakaten oder Aufrufen, der Organisierung von Veranstaltungen oder koordinierter Anreise und durch eine Beteiligung an der Demo unterstützt haben!
Presserklärung vom 14.11.2009 | Medienberichte | Fotos vom 14.11.2009 | 20. Todestag 17.11.2009 | Hintergrundinfos | Solikonzert
Fotos von der Demonstration am 14.11.2009
Weitere Fotos findet ihr bei der HNA oder beispielsweise auch hier.Presseinformation vom 14. November 2009 | 22.30 Uhr
1.800 Menschen erkämpfen unangemeldete Demo zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny in Göttingen.
Provokativer und respektloser Polizeieinsatz an der Todesstelle
am heutigen Samstag beteiligten sich 1.800 Menschen an einer kämpferischen Demonstration unter dem Motto "Kein Vergeben, kein Vergessen. Gegen Polizeistaat und Kapital!" in Göttingen. Mit einem provokativen und respektlosen Polizeieinsatz selbst an der Todesstelle der Antifaschistin Conny Wessmann setzte die Polizeiführung ihre Eskalationsstrategie der letzten Jahre fort.
Anlass der Demonstration ist der 20. Todestag der Antifaschistin Conny Wessmann am kommenden Dienstag. Am 17. November 1989 wurde die junge Frau während eines Polizeieinsatzes in Göttingen in den fließenden Straßenverkehr der Weender Landstraße gejagt und starb daraufhin. Dem Tod der Antifaschistin vorausgegangen waren Auseinandersetzungen zwischen Neonazis und autonomen Antifas in der Göttinger Innenstadt. Mit dem Funkspruch "Wenn wir genung sind, sollten wir sie platt machen" eröffneten Polizisten des berüchtigten Zivilen Streifenkommandos ZSK die Jagd auf eine Gruppe AntifaschistInnen, zu der auch Conny Wessmann gehörte. FreundInnen und GenossInnen der Antifaschistin erinnern in diesen Tagen mit verschiedenen Veranstaltungen, einem Konzert, der heutigen Demonstration und einer Mahnwache an diesen politischen Mord.
"Wir können und wollen die Polizei zu einem solchen Anlass nicht um Erlaubnis fragen, auf die Strasse gehen zu dürfen. Mit denen, die am Tod unserer Freundin und Genossin Verantwortung tragen, gibt es nichts zu diskutieren", begründete eine Sprecherin der Antifaschistischen Linken International A.L.I. die Nicht-Anmeldung und begrüßte zugleich den kämpferischen Charakter der Demonstration. Die große Resonanz auf den Demonstrationsaufruf in Göttingen und darüber hinaus zeigt, dass die Ereignisse vor 20 Jahren noch immer vielen unter die Haut gehen. "Umso kaltschnäuziger war der provozierende Polizeieinsatz, den wir heute erlebt haben. Polizeipräsident Hans Wargel hat damit der Göttinger Öffentlichkeit den Stinkefinger gezeigt", kommentierte die Sprecherin der A.L.I. das Polizeikonzept.
Als besonderen Tabubruch bezeichnete die A.L.I. das Polizeiverhalten an der Todesstelle der Antifaschistin Conny: Die fortdauernde einschließende Spalier an der Demo, die Festnahme von mindestens 3 Menschen und Verletzungen zahlreicher Personen durch Schläge, Tränengas und Tritte, sowie dieVersperrung des Gedenksteines an Conny durch eine Polizeikette waren kalkuliert. "Die Polizei wollte hier eine Eskalation und zeigte keinerlei Respekt vor den Gefühlen von Trauer und Betroffenheit. Was bleibt ist die Wut!", so die Sprecherin der Göttinger Antifagruppe. Und weiter: "Dieses Vorgehen von Polizeichef von Polizeichef Hans Wargel muss politische und praktische Konsequenzen haben".
Während einer Podiumsdiskussion am 20. Todestag der Antifaschistin am 17.11.2009 wird der heutige Polizeieinsatz weiter thematisiert. Die Antifaschistische Linke International A.L.I. ruft dazu auf, sich an der anschließenden Mahnwache an der Todesstelle auf der Weender Landstraße in Höhe des Idunazentrums zu beteiligen.
Wir bitten Sie, diese Termine anzukündigen:
17.11.2009 | Dienstag | Göttingen | Ausstellung "Wandgemälde, Plakate, Streetart - Antifaschistische Geschichte sichtbar machen" | Alte Mensa | Wilhelmsplatz | 18 Uhr
17.11.2009 | Dienstag | Göttingen | Veranstaltung zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny mit Zeitbeteiligten: Bernd Langer (Autonome Antifa M), Christa Schwalbe und Karin Kuckuk (BürgerInnen gegen Rechtsextremismus und Gewalt), Norbert Hasselmann (Kreistagsabgeordneter Bündnis90/Grüne), Patrick Humke-Focks (Landtagsabgeordnter Die Linke) | Alte Mensa | Wilhelmsplatz | 19 Uhr
17.11.2009 | Dienstag | Göttingen | Gemeinsamer Gang zur Todesstelle | nach der Veranstaltung ab 21:30 Uhr
Diese Presseinformation gibt es hier auch als pdf-Datei.
Presse
Extra Tip, 15.11.2009
Etwa 1400 Demonstranten beim Gedenkmarsch. Gedenken an Conny
Wieder einmal ein Großaufgebot der Polizei in Göttingen. Der Anlass war ein trauriger. Am kommenden Dienstag jährt sich der Todestag von Conny W.. Etwa 1400 Demonstranten der linken Szene aus dem gesamten Bundesgebiet waren zum Gedenkmarsch nach Göttingen gekommen.
Zur Erinnerung:
Am Abend des 17. November 1989 kam es vor einer Kneipe in der Göttinger Innenstadt zu Auseinandersetzungen zwischen Antifaschisten und rechtsextremen Skinheads. Dieser Vorfall rief sowohl die Polizei als auch weitere Angehörige der linken Szene auf den Plan. Die 24-jährige Studentin Conny W. lief auf der Flucht vor einem zivilen Streifenkommando der Polizei auf die viel befahrene Weender Landstraße in Höhe des Idunazentrums. Dort wurde sie von einem Auto erfasst, sie starb noch an der Unfallstelle. Für reichlich Diskussionsstoff sorgte damals nicht nur der Polizeieinsatz, sondern auch der aufgefangene Funkspruch eines Einsatzleiters: „Wenn genug Leute da sind, sollten wir sie ruhig mal plattmachen.” Am 25. November 1989 demonstrierten 18.000 Menschen in Göttingen gegen den Polizeieinsatz und seine Folgen, am Abend kam es in der Bürgerstraße zu gewalttätigen Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei.
Schon am Samstag gegen 14.30 Uhr hatten sich beim Roten Kreuz in der Zimmermannstraße Retter und ihre Fahrzeuge versammelt – Bereitschaft für die Demonstration. Die sollte um 15 Uhr beginnen, doch es verzögerte sich etwas. „Wir haben Marktbeschickern empfohlen, ihre Stände vorher abzubauen“, so Stadtrat Ludwig Hecke, der für die Stadt Göttingen im Einsatz war. Er beobachtete, ebenso wie SPD-Ratsherr Tom Wedrins und Ordnungsamtschef Manfred Kuhlmann den Aufmarsch – sowohl von Polizei als auch der vorwiegend in schwarz gekleideten Demonstranten.
In der Weender Straße stehen Bereitschaftspolizisten – und in allen anderen Straßen auch. Um 15.25 Uhr versucht der Zug in Richtung Rote Straße zu laufen. Durchgang verboten! Diskussion im Polizeiteam, Polizeidirektor Gerd Hujahn ist vor Ort Auge und Ohr für Einsatzleiter Thomas Rath. Mehrere Hundertschaften aus ganz Niedersachsen waren im Einsatz. „Die Versammlung wurde nicht genehmigt, die Polizei erlaubt einen Weitermarsch in Richtung Mahnmal“, ist aus dem Lautsprecherwagen der Polizei zu hören. Um 15.28 Uhr wird ein Leuchtkörper abgeschossen, wenig später fliegt eine Toilettenpapierrolle. Die Göttinger sind demonstrationserprobt, lassen sich beim Shopping nicht aufhalten. „Ein unangemeldeter, legitimer Protest, die Demo bleibt unangemeldet“, hört man aus dem Lautsprecherwagen des Zuges. Doch es kommt zu keiner Eskalation, weil endlich der Weg in Richtung Iduna Zentrum frei ist. „Ich wünsche Ihnen einen guten Weg“, tönt es aus dem Polizeilautsprecherwagen. Flankiert von Bereitschaftspolizei geht’s durch das Nadelöhr Weender Straße. Zu Rangeleien kommt es nicht, dafür zu Problemen mit dem Lautsprecherfahrzeug in Zug. Die werden gelöst, auf der Höhe des Carré gibt’s eine kurze Kundgebung. 16 Uhr: Überraschung – von hinten kommt eine schwarz gekleidete Nachhut, gefolgt von Bereitschaftspolizei. Polizeipräsident Hans Wargel beobachtet das Geschehen vom Ende der Demonstration, tigert unruhig auf und ab. 16.05 Uhr geht es weiter Richtung Iduna-Zentrum. „Bitte gehen sie auf der linken Straßenseite“, lautet die Anordnung der Polizei. Vor dem Mahnmal bleibt der Zug um 16.23 Uhr stehen, es kommt zu Rangeleien, ein höchstens 16-Jähriger wird von Spezialkräften aus dem Zug herausgeholt und abgeführt. Auch Oberbürgermeister Wolfgang Meyer ist nun vor Ort und vom Bahnhof kommen zwei Wasserwerfer und ein gepanzertes Fahrzeug. Die Wasserwerfer positionieren sich so, dass der Weg in die Innenstadt verstellt ist. Nach kurzem Aufenthalt zieht der Zug in Richtung Bahnhof, die Wasserwerfer ziehen nach. Der Universitätsvizepräsident Joachim Münch und Gebäudemanagementleiter Rainer Bolli geben um 17.05 Uhr Entwarnung für die Unigebäude. Eine Alumni-Veranstaltung im ZHG kann ungestört weitergehen. Am Groner Tor gibt’s für den Zug nur eine Richtung, geradeaus zum Juzi, in der Kasseler Landstraße wartet eine Hundestaffel, Richtung Innenstadt zwei Reihen Bereitschaftspolizei. Noch nie hat man in Göttingen so viele korrekt beleuchtete Radfahrer gesehen! Gegen 17.40 Uhr nähert sich der Zug dem Juzi, passen da die etwa 1400 Demonstranten rein? Im nebenan liegenden Haus der Sozialdemokraten gibt’s im Forum eine Privatparty. Ob das gut geht? Für 19 Uhr war Essen im Juzi geplant, das gibt es jetzt früher. 17.48 Uhr: Die Demonstranten werden freundlich aber bestimmt auf den Juzi-Parkplatz geleitet. „Wir werden uns die Straße zurückholen“, so der letzte Aufruf aus dem Lautsprecherwagen. Die Polizei hat das Gebiet abgeriegelt. Und Wolfgang Meyer ist fürs erste beruhigt. „Dann kann ich ja jetzt nach Hause gehen!“ Er schon, doch für die Polizei wurde es eine ziemlich lange Nacht…
Gedenken. Kein Heldentod
taz, 14.11.2009
Vor 20 Jahren starb die Aktivistin Conny Wessmann in Göttingen auf der Flucht vor der Polizei. Ihr Tod hatte weitreichende Auswirkungen auf die linke Szene - ausgerechnet in Göttingen aber kam es zu einer Allianz mit bürgerlichen Kräften, die bis heute hält. VON CHRISTIAN JAKOB
Man bekommt keine Fotos von Kornelia Wessman. Nicht nur ihre Familie hält sie zurück, auch ihre ehemaligen Genossen. Die Studentin, die vor 20 Jahren in Folge eines Polizeieinsatz in Göttingen starb, soll nicht zur Ikone werden. Der Umgang mit ihren Tod soll "politisch" sein, keine Inszenierung persönlicher Trauer.
Und trotzdem ziert Wessmanns Name immer wieder die großen Front-Transparente auf den Demonstrationen, die zu ihrem Gedenken veranstaltet werden. So wird es auch heute sein. Denn der Tod der jungen Antifaschistin hat die linksradikale Szene wohl stärker geprägt als der aller anderen, die in Deutschland bei Polizeieinsätzen zu Tode kamen.
Wessmann zog Mitte der Achtziger Jahre aus dem Emsland nach Göttingen. Dort eskalierte zu jener Zeit die Auseinandersetzung zwischen der Hausbesetzerszene und Neonazis, die im Südharz ein Schulungszentrum aufgebaut hatten immer wieder in der Universitätsstadt einfielen. "Die sind damals losgezogen und haben Ernst gemacht," sagt Johannes Roth von der Antifaschistischen Linken International (ALI). Immer wieder habe es Angriffe mit Messern und Baseballschlägern gegeben. "Sich zu wehren war eine unmittelbare Notwendigkeit," sagt Roth.
So auch am 17. November, als eine Gruppe von Neonazis in der Stadt unterwegs war. Bei einer der Gruppen, die sich aufmachten, um die Neonazis zu vertreiben, war Wessmann dabei. Als ihre Gruppe in der Innenstadt eintraf, waren die Nazis schon weg, die Polizei aber noch da. Beamte des "Zivilen Streifenkommandos" (ZSK) setzten der Gruppe um Wessmann nach. Später wurde ein Funkspruch bekannt, in dem der Einsatzleiter die Frage bejaht haben soll, ob die ZSK-ler die Antifas "plattmachen" sollen. Ein Polizeisprecher erklärte danach, mit "plattmachen" sei eine Personenkontrolle gemeint. Die Antifas flüchteten über eine stark befahrene Straße. Dabei wurde Wessmann von einem Auto erfasst. Sie war sofort tot. Für die linke Szene war die Sache klar: "Conny" wurde von der Polizei in den Tod gehetzt.
Der Tag des Unfalls fiel in eine besondere Zeit. Acht Tage zuvor war die Mauer gefallen. Später schrieben Göttinger Antifas, dass sie dieses Ereignis vor allem so interpretiert hätten, dass es "die Herrschenden von der Verpflichtung enthob, sich als die bessere Hälfte der Welt zu präsentieren". Wie viele Linke fürchteten sie eine Zunahme der Repression. Wessmanns Tod interpretierten viele als die unmittelbare und radikale Bestätigung dieser Befürchtung.
Neun Tage später marschierten 20.000 Menschen schweigend zur Unfallstelle, hinterher gab es schwere Verwüstungen in der Stadt. Wenige Monate später schlossen sich die Göttinger Antifas zur "Autonomen Antifa (M)" zusammen, die in den folgenden Jahren "große Orientierungskraft" für die Antifa in ganz Deutschland erlangte, wie Roth es formuliert. "Die Stimmung war so, dass man dachte, man wird jetzt hier umgebracht." Göttingen wurde zum Anziehungspunkt für viele Linke und die "M" war lange Zeit bundesweit tonangebend für die linke Szene.
Erstaunlicherweise führte dies in Göttingen aber nicht zu der radikalen Abgrenzung zum bürgerlichen Spektrum, die für das Selbstverständnis Linker andernorts so entscheidend ist. Ausgerechnet dort, wo das polizeiliches Vorgehen gegen sie drastischsten Folgen hatte, schmiedete die militante Szene nach Wessmanns Tod ein Bündnis mit dem liberalen Bürgertum. Und trotz der Krawalle nach der ersten "Conny"-Demo und weiterer folgender hielt die Allianz gegen Rechtsextremismus .
"Das hat natürlich mit der Struktur der Bevölkerung zu tun," sagt Roth. In der Universitätsstadt lebten viele Menschen, die im Bildungsbereich tätig waren, ihre Kinder waren in der linken Szene aktiv - "da gab es einen gemeinsamen Erfahrungsraum". Auch Patrick Humke-Focks, der für die Linke im Göttinger Stadtrat und im niedersächsischen Landtag sitzt, sieht das so. "Hier hat sich eine andere Bündniskultur entwickelt. Antifa, Kirchengemeinden und Kneippverein machen was zusammen und man distanziert und verurteilt sich nicht gegenseitig." Das sei "ein guter Unterschied" zu anderen Städten
Während die politische Allianz auf lokaler Ebene funktionierte, eskalierte der Konflikt mit den Behörden. Wegen einer Reihe von Anschlägen leitete Staatsanwaltschaft ein Verfahren wegen der "Bildung einer kriminellen Vereinigung" ein. Der "Antifaschismus" im Namen der Organisation sei dabei "nur ein griffiges Mittel zum Zweck, um mit anderen Gruppierungen und Politikern bündnisfähig zu werden". Insgesamt 13.929 Telefonate wurden abgehört, doch zu einer Verurteilung kam es nie.
Was der Staat nicht vermochte, das erledigte die Antifa in den folgenden Jahren ein Stück weit selbst. Letztlich war es wohl der Riss zwischen der internationalistischen und der antideutschen Strömung, der 2004 zur Auflösung der "M" führte. In einer Erklärung sprach die Gruppe knapp von "Differenzen".
Wie in Göttingen üblich, hat die nunmehr gespaltene Göttinger Antifa heute darauf verzichtet, ihre Gedenkdemo anzumelden. "700 Autonome" erwartet die Polizei. Solange alles friedlich verlaufe, würden die Beamten nicht einschreiten, heißt es. Ähnlich äußert sich die Stadt. "Es muss ja nichts passieren und dann wird das auch ganz würdig ablaufen," sagt ihr Sprecher Detlef Johansson." Und wenn nicht? "Dann ist die Polizei gefragt und fühlt sich auch gefragt."
Der Linke Humke-Focks hat einen Antrag in den Rat der Stadt eingebracht, in dem sich Göttingen bei allen Antifas für ihren Kampf gegen den Faschismus bedankt und die Polizei zur Mäßigung aufruft. Der Vorstoß ging letzte Woche durch - mit der Mehrheit von SPD, Grünen und Linkspartei.
Tod am Rande eines Polizeieinsatzes
Ein Marsch durch Göttingen erinnert an die Studentin Conny Weßmann, die 1989 starb
Neues Deutschland, 14.11.2009
Von Reimar Paul, Göttingen
Vor 20 Jahren starb in Göttingen die Studentin Conny Weßmann am Rande eines massiven Polizeieinsatzes. An ihren Tod wollen am heutigen Samstag zahlreiche Menschen mit einer Demonstration erinnern.
Am 17. November 1989 hatten Antifaschisten in Göttingen gegen Neonazis demonstriert, die Linken wurden daraufhin von Polizisten verfolgt. »Sollen wir sie jetzt platt machen?«, fragte einer von ihnen im Polizeifunk. Die 24-jährige Studentin Conny Weßmann floh auf die viel befahrene Weender Landstraße. Sie wurde dort von einem Auto erfasst und starb an ihren Verletzungen.
An ihren Tod wollen am heutigen Samstag zahlreiche Menschen mit einer Demonstration erinnern. Zur Teilnahme haben Initiativen und autonome Gruppen aus ganz Deutschland aufgerufen. Die Kundgebung wurde nicht angemeldet. »Wir lassen uns unser Recht auf Versammlung und Demonstration nicht nehmen und wollen es selbstbestimmt gestalten"«, schreibt eine antifaschistische Initiative im Internet. Auflagen zur Kleidung, zu Höhe und Breite von Transparenten sowie Stangendurchmesser und Lautstärkebegrenzungen seien damit nicht vereinbar". Dasselbe gelte für Vorkontrollen, Personalienfeststellungen oder Videodokumentation.
Konzept zur Deeskalation verlangt
Auf Plakaten, die im Stadtgebiet geklebt wurden, steht: Vor 20 Jahren wurde Conny von der Polizei in den Tod gejagt." Die Göttinger Antifaschistische Linke International (A.L.I.) nannte in einer Presseerklärung »den Tod unserer Genossin Conny einen politischen Mord, weil das Einsatzkonzept der Polizei Verletzte und Tote billigend in Kauf genommen hat«. Die Gruppe Redical M" schreibt, Conny Weßmann sei von der Polizei in den Tod gejagt" worden.
Eine Sprecherin der A.L.I. forderte die Polizei auf, sich angesichts des Anlasses der bevorstehenden Demonstration und Mahnwache deutlich zurückzuhalten. Alles andere wäre eine unerträgliche Provokation." Die Grüne Jugend in Göttingen forderten die Polizei in einem Brief ebenfalls zur Deeskalation auf. Trotz einer fehlenden Demonstrationsanmeldung solle die Göttinger Polizei das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit nicht einschränken. Um Ausschreitungen zu vermeiden, bedürfe es der Mitwirkung aller beteiligten Gruppen.
Der Göttinger Rat bat Polizei und Demonstranten um einen friedlichen Verlauf der Demonstration. In einem mit den Stimmen von Sozialdemokraten, Grünen und Linkspartei mehrheitlich verabschiedeten Antrag wird Göttingens Polizeipräsident Hans Wargel zudem aufgefordert, für künftige Einsätze ein zeitgemäßes Deeskalationskonzept zu entwickeln. Dieses solle sich an Konzepten orientieren, die noch vor wenigen Jahren zum vergleichsweise friedlichen Verlauf vieler großer Demonstrationen beigetragen hätten. Zuletzt hatten behelmte Polizisten Demonstrationen in Göttingen vielfach eng begleitet oder sogar eingekesselt.
Kontrollen bei der Anreise erwartet
Der leitende Göttinger Polizeidirektor Thomas Rath sagte, der Anlass der Demonstration mache alle Seiten betroffen. Er hoffe auf einen friedlichen Demonstrationsverlauf, in dessen Mittelpunkt die Trauer stehe. Rath geht von einem größeren und sensiblen" Einsatz der Polizei aus. Eine friedliche Demonstration werde die Polizei zulassen, bei drohender Gewalt aber einschreiten. Beobachter rechnen damit, dass auswärtige Demonstranten bei der Anreise von der Polizei kontrolliert werden.
Die Demonstration beginnt heute um 15 Uhr auf dem Göttinger Marktplatz. Für den Vorabend war im Jugendzentrum Innenstadt ein Solidaritätskonzert geplant. Auch für die kommenden Tage sind Veranstaltungen zum 20. Todestag von Conny Weßmann angekündigt. Am 17. November wird in der Alten Mensa eine Plakat- und Bilderausstellung zur Geschichte des antifaschistischen Protestes in Göttingen eröffnet. Abends soll es schließlich eine Mahnwache an der Stelle geben, wo die Studentin vor 20 Jahren starb.
Konzert "Kein Vergeben, kein Vergessen! Weg mit (Polizei)Staat und Kapital!"
Freitag, 13.11.2009 | JuzI | Göttingen
Brigada Flores Magón | Anarchist Streetpunk from Paris
Feine Sahne Fisch Filet | Antifa Ska-Punk aus Rostock
Radical Hype | Polit HipHop aus Bremen
Solikonzert für die Aktionen zum 20. Todestag der Antifaschistin Conny. 400 Leute im JuzI bei Konzert mit Brigada Flores Magón, Feine Sahne Fischfilet und Radical Hype!
Das linke Label Fire&Flames und die A.L.I. organisierten dieses Konzert im Rahmen der Aktionen und Veranstaltungen rund um den 20. Todestag der Antifaschistin Conny. Conny wurde vor 20 Jahren in Göttingen nach einer Auseinandersetzung mit Neonazis von der Polizei in den fließenden Straßenverkehr getrieben und starb. Das war ein politischer Mord! Genaue Informationen zu den Hintergründen sowie zum Veranstaltungsprogramm findet Ihr hier.
Um 21:30 Uhr führte das Politcafé Azzoncao Bochum im Rahmen des Solikonzerts den Film "uno di noi - eine/r von uns" vor.
Ende letzten Jahres fertigten die GenossInnen gemeinsam mit Profisprayern Murales in Bochum an, das an sieben ermordete antifaschistische Jugendliche in Europa erinnern soll. Damals schon wurde das Murales international in diversen Sprachen bekannt gemacht. Im letzten halben Jahr wurde die Dokumentation „uno di noi“ über die Erstellung des Graffitis und die Morde an unseren antifaschistischen Genossen produziert. Mehr Infos zum Film findet ihr hier.