Antifa heißt: Weitermachen!
Von der Notwendigkeit des Antifa-Ansatzes
2014 feierte unsere Gruppe ihr 10-jähriges Bestehen mit der Perspektive, kämpferische Politik auch in den nächsten Jahren mit unserem politischen Ansatz und damit auch unter unserem Gruppennamen weiterzuführen. Dies ist innerhalb der gegenwärtigen Entwicklungen im bundesdeutschen Antifaspektrum keine Selbstverständlichkeit. In diesem Jahr haben sich verschiedenste Antifagruppen aufgelöst, ein Kongress in Berlin wurde zweideutig mit "Antifa in der Krise" übertitelt und in verschiedenen linken Zeitungen werden die Auflösungen der Antifagruppen und die gleichzeitige Neuformierung der Interventionistischen Linken (iL) diskutiert. Mit unserem Statement wollen wir uns in der Debatte, die derzeit über linksradikale Ansätze geführt wird, positionieren.
In der Ausgabe 37 von Kritisch lesen wurden wir interviewt, das Interview„Wir müssen zeigen, dass es eine praktische Alternative zu Staat und Polizei gibt“ könnt ihr hier lesen
Berichterstattung und Diskussionen dazu: Radikale Linke Berlin | neues deutschland | junge WeltIm Dezember 2014 veröffentlichte die A.L.I. das Positionspapier "Antifa heißt: Weitermachen! Von der Notwendigkeit des Antifa-Ansatzes". Darin plädieren wir für eine Fortführung und Weiterentwiclung des Antifa-Ansatzes. Die Selbstauflösungen von Antifa-Gruppen im zurückliegenden Jahr und Neuorganisierungen z.T. in bundesweiten Strukturen nehmen wir vielfach eher als Ratlosigkeit der AktivistInnen denn als Schritt der Stärke war. Angesichts der drängenden Herausforderungen durch rassistische Mobilisierungen und einem weiteren gesellschaftlichen Rechtsruck hofft die A.L.I. auf eine lebendige bundesweite Debatte über die Zukunft des Antifaschismus.
Ihr könnt unser Statement zum Antifaschismus hier lesen und hier als pdf runterladen.Radikale Linke Berlin: Back to the roots, forward to victory. Über Antifaschismus und die soziale Frage
Die Tageszeitung neues deutschland (nd) hat im Januar 2015 auf ihrem Internetblog In Bewegung die Diskussion "Antifa in der Krise? Debatte um die Neuausrichtung einer Bewegung" eröffnet. Unseren Beitrag findet Ihr hier.
Am 24. Dezember 2014 erschien ein Artikel in der Tageszeitung junge Welt.
„Wir müssen zeigen, dass es eine praktische Alternative zu Staat und Polizei gibt“
Interview mit der Antifaschistischen Linken International (A.L.I.) aus Göttingen
Die Debatte um Antifa zeigt, wie wichtig eine internationalistische Organisierung ist und dass globale und ökonomische Zusammenhänge stets mitgedacht werden müssen.
kritisch-lesen.de: Ihr seid eine Gruppe, die sich entschieden mit einer internationalistischen Ausrichtung auf antifaschistischen Kampf konzentriert. Was bedeutet das für Euch? Warum findet ihr das nötig und wie wirkt sich das auf eure Praxis – auch bezogen auf die Frage gemeinsamer Organisierungen – aus?
Antifaschistischen Linke International: Die aktuellen Ereignisse rund um die Welt zeigen wieder einmal, wie wichtig und notwendig eine internationalistische Ausrichtung ist. Wir finden, dass man bei allen lokalen Politiken auch immer das große Ganze mitdenken muss, um nicht nur in im eigenen Sumpf zu bleiben, sondern globale Zusammenhänge zu begreifen und sich damit auch als Teil dieser globalen Kämpfe zu verstehen. Die hegemoniale Stellung Deutschlands in der EU als Akteurin und Profiteurin im Ranking der westlichen Industrienationen macht damit die Bedeutung des Internationalismus deutlich. Für uns ist der Internationalismus aber leider oft zu wenig realisierte Praxis, sondern vor allem ein Bekenntnis und eine Perspektive – es ist für uns ein Ziel vor Augen, das wir mal mehr mal weniger erreichen, das „Mehr“ klappt dann zum Beispiel zum Thema Kurdistan. Genauso wie eine internationalistische Haltung halten wir den Antifa-Ansatz immer noch für notwendig, auch wenn viele Diskussionen in der radikalen Linken gezeigt haben, dass es sicherlich keine Selbstverständlichkeit ist, sich so zu organisieren und so zu verstehen. Antifa ist für uns kein isoliertes Politikfeld neben anderen, sondern ein Standpunkt aus der sich die Arbeitsfelder und die Praxis ergeben. In Deutschland zu leben heißt aus einem historischen Blickwinkel heraus, im Land der Täter des deutschen Faschismus zu leben und bedeutet auch heute noch eine Verpflichtung und Verantwortung aktiv gegen Faschismus vorzugehen. Denn wie die Förderung und Vertuschung des NSU oder die rassistischen Angriffe auf Geflüchtete in Heidenau gezeigt haben, ist dabei kein Verlass auf Staat und Polizei: Antifa heißt Selbstschutz. Aus den Erfahrungen mit dem NSU halten wir vor allem die Zusammenarbeit mit migrantischen Initiativen für wichtig, um uns auszutauschen und uns in Bündnissen gemeinsam zu organisieren. Um auch eine bundesweit starke radikale Linke aufzubauen, organisieren wir uns in der Interventionistischen Linken (IL).
Ein Beispiel für eine Verknüpfung wären die antirassistischen Kämpfe gemeinsam mit Refugees und der antifaschistische Selbstschutz gegen Nazis, die eine internationale Perspektive nicht vollständig zu verstehen wären. Denn gerade in Regionen aus denen momentan die meisten Menschen fliehen, mischen seit Jahrzehnten westliche Staaten mit, die gemeinsame Sache mit reaktionären Kräften wie den Regierungen von Katar oder Saudi-Arabien machen, um einen starken geopolitischen Einfluss in einer der ölreichsten Regionen der Welt zu erhalten. Die Türkei bombardiert derweil kurdische Gebiete, um die Revolution in Rojava zu verhindern, nachdem sie hofften, dass dies bereits der sogenannte Islamische Staat (IS) erledigen würde. So fördert die Türkei den IS durch Nachschub und Rückzugsmöglichkeiten und erhält dabei Rückendeckung, Waffen und militärische Unterstützung durch die deutsche Regierung. Hier beziehen wir im Sinne unserer internationalistischen Haltung Stellung und solidarisieren uns mit der kurdischen Freiheitsbewegung. Wirmachen beispielweise mit dem Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) gemeinsam Politik.KL: Derzeit finden in der BRD vermehrt Anschläge auf Geflüchtete und Flüchtlingsunterkünfte statt. Gleichzeitig debattieren die Medien, wie mit dem „Problem Flüchtlinge“ umgegangen werden soll und die Politik verschärft gesetzliche Bedingungen. Wiederholen sich die 90er?
A.L.I.: Geschichte wiederholt sich nicht einfach. Allerdings gibt es Kontinuitäten und Bezüge, die sich fortsetzen. Es ist der institutionelle Rassismus, die neoliberale Einteilung in „gute“ und „schlechte“ Flüchtlinge, die Beschleunigung von Asylverfahren, die Erklärung von Balkanstaaten als sichere Herkunftsländer, die momentan eine Grundstimmung prägen. Die derzeitige Politik müssen wir auch unter der Frage der langfristigen Interessen der deutschen Hegemoniepolitik in Europa verstehen. Vieles wird wieder sagbar und die große Zustimmung zur Alternative für Deutschland (AfD) und Pegida ist erschreckend. Rassistische Mobilisierungen aufgrund rassistischer Politik ermöglichten jedoch auch schon in den 1990ern Rostock-Lichtenhagen, Mölln, Hoyerswerda und Solingen. In den 1990ern wurde das Ziel der faktischen Abschaffung des Asylrechts durchgesetzt, nachdem es vorbereitend in den Medien und der Politik rassistische Stimmungsmache und Kampagnen gab. Heute gibt es im Vergleich zu den 1990ern eine breite zivilgesellschaftliche Masse für die „Refugees welcome“ zu einem bekannten Slogan und zu einer Grundhaltung geworden ist.
Im Vergleich zu den 1990ern ist auch die radikale Linke anders aufgestellt, die derzeitigen Entwicklungen sind die Probe aufs Exempel. Daran werden wir uns als AntifaschistInnen messen müssen.
KL: Welche Handlungsoptionen und -notwendigkeiten ergeben sich aus dem Rechtsruck weiter Teile der Gesellschaft und Europas?
A.L.I.: Für uns ist die zentrale Handlungsnotwendigkeit, nicht nur zu reden, sondern offensiv die Auseinandersetzung auf eine neue Ebene zu bringen. Durch antifaschistische Politik konnte über viele Jahre eine gute Bündnisarbeit aufgebaut werden. Zum Beispiel zeigte Dresden zwischen 2010 und 2012, wie breit wir aufgestellt sind. Der derzeitige Rechtsruck macht jedoch deutlich, dass es höchste Zeit ist, an die Arbeit der letzten Jahre anzuknüpfen und zu zeigen, wie notwendig auch eine militante Antwort auf Nazis und „Ich-bin-ja-kein-Rassist, aber“-RassistInnen ist. Auch die lange Zeit entpolitisierte Jugendkultur kommt kaum umhin, in diesen umkämpften Zeiten Stellung zu beziehen. Wir müssen dabei zeigen, dass es eine praktische Alternative zu Staat und Polizei gibt, die tatsächlich eingreift und hilft. Wir müssen wahrnehmbar und wirkmächtig sein, um Antworten von links zu geben. Sowohl Ereignisse auf lokalpolitischer Ebene, wie Abschiebungen, Repression und Verarmungspolitik, als auch globale Zusammenhänge, wie Rüstungsexporte, Krieg und Ausbeutung zeigen, wer die Feinde sind. Vor allem der Chauvinismus nach außen und die aktuelle Krise des Kapitalismus seit 2008 machten rechte Kräfte und nationalistische Parteien europaweit zu Profiteuren dieser Politik. Die europäische Linke muss vor Ort Handlungsoptionen schaffen und als gesamte globale Linke Alternativen jenseits des neoliberalen Sachzwanges aufzeigen.
KL: Es ist bei der Beobachtung von Protesten gegen Geflüchtete und Einwanderung oft vom „pöbelnden Mob“ die Rede. Rassismus wird hier der ungebildeten Unterschicht angehängt. Was sagt ihr dazu, welche Rolle spielt Klassenpolitik in eurer Arbeit?
A.L.I.: Prinzipiell gibt es bei uns einen gesunden Klassenhass (lacht). Wir finden die Aussage des „pöbelnden Mobs“ sehr gefährlich, da sie übersieht, dass es gesellschaftliche Eliten, wie die Mittelstandspartei der AfD oder die CDU sind, die als geistige Brandstifter den institutionellen Rahmen stellen und Rassismus salonfähig machen. Dabei ist auch die Rolle von Massenmedien nicht zu unterschätzen, die immer wieder zeigt: Die herrschende Meinung ist die Meinung der Herrschenden. Rassismus zieht sich quer durch die Gesellschaft. Die pauschale Zuschreibung auf „die Unterschicht“ zielt darauf ab von dem Rassismus der herrschenden Politik abzulenken. Die Verantwortung für rassistische Gewalt soll als Problem der „Anderen“ von sich weggeschoben werden. Gerade die SPD, die mit ihrer Hartz IV-Politik viele Menschen arm gemacht hat, stellt sich heute hin und tut so als gäbe es einen natürlichen Zusammenhang zwischen Armut, Dummheit und Rassismus. Diese Arroganz über die Folgen der eigenen Politik ist gelinde gesagt zum Kotzen. Allerdings zeigen sich auch in den Interessen der Kapitalfraktionen Brüche, sie sind nicht einheitlich. Gerade die Diskussion um den Fachkräftemangel, in dem wirtschaftspolitische Akteure für mehr Einwanderung plädieren, offenbart die neoliberale Argumentation für die Einteilung in die gewollten und die ungewollten Flüchtlinge, die den Rassismus um eine ökonomische Variante erweitert. Die deutsche Staatspolitik derzeit ist ein nationalistischer Wohlfahrtstaats-Chauvinismus, in dem sich Rassismus und ökonomische Verwertungslogiken kombinieren, so dass sich niemand mehr wundert, warum vor allem nicht-Weiße Menschen die Arbeiten machen sollen, die gemeinhin wortwörtlich als „Drecksarbeit“ bezeichnet werden. Vor allem die jetzige Sozialdemokratie zeichnet sich durch ihren Neoliberalismus und Nationalismus aus, der Menschen gegeneinander ausspielt und Konkurrenzdenken schürt. Gewerkschaften sind für uns oft schwierige Partner, da sie im internationalen Vergleich derart angepasst und opportunistisch sind, dass wirkungsvolle und starke Arbeitskämpfe mehr als selten sind. Allerdings haben wir auf lokaler Ebene viele gute Erfahrungen in einem solidarischen Zusammenarbeiten gemacht.
Wenn man die Frage auf uns bezieht, muss man sicherlich feststellen, dass wir in einer Universitätsstadt leben. Zwar besitzt niemand von uns Produktionsmittel (lacht), aber wir sind schon eher urbane und an Wissen interessierte Menschen – allerdings geht es da nicht nur um irgendwelche formalen Bildungsabschlüsse, sondern darum sich und andere weiter bilden zu wollen. Viele stecken in Lohnarbeitszwängen und sind prekär beschäftigt. Vor allem fällt uns in unseren antirassistischen Kämpfen immer wieder auf, dass wir leider, wie viele linksradikale Gruppen, ein ziemlich weißer Haufen sind. Klassenmäßig sind wir da eigentlich schon besser aufgestellt. Das fiel uns vor allem auf, als wir eine erfolgreiche Intervention in den Arbeitskampf von care workern starteten. Diese war vor allem so erfolgreich, weil wir es geschafft haben an diesen Kämpfen teilzuhaben, sie zu supporten, überheblich zu sein.
KL: Nach Blockupy und Demos in Leipzig wird die Gewaltfrage wieder stark diskutiert. Inwiefern spielt die Frage nach der Delegitimierung eigenen Handelns durch Gewalt bei euch eine Rolle? Wie wird Militanz bei euch verhandelt?
A.L.I.: Wir finden die erste Frage schwierig, da dabei nicht die Frage nach Gewalt sondern das antistaatliche Politische im Vordergrund stehen müsste. Gerade in Frankfurt hat Blockupy mit den Gegenaktionen zur Eröffnung der EZB Kritik zusammenfassen können, denn die Rauchsäulen über der Stadt sind europaweit erkannt worden. Sie sind verständlich und erklären sich symbolisch von selbst. Militanz ist für uns ein politisches Konzept, es geht dabei um ein entschlossenes und zielgerichtetes Handeln, das viel zu oft als bloße Gewalt denunziert wird. Grundsätzlich sind wir aber eine legal agierende Gruppe, die ihr politisches Handlungsfeld in erster Linie an politischen Kategorien ausrichtet. Bei Kampagnen geht es uns vor allem darum Menschen zu ermächtigen, Grenzen zu überschreiten. Ein gutes Beispiel dafür ist eine der erfolgreich verhinderten Abschiebungen in Göttingen. Diese Aktion war notwendig und vollkommen legitim, aber die Polizei rechtfertigte ihren Gewaltausbruch gegenüber den AntirassistInnen damit, dass die BlockiererInnen gewalttätig und die Aktion illegal sei. Am Ende konnte aber der Geflüchtete in Deutschland bleiben und der polizeiliche Gewaltexzess erntete viel Kritik in Medien und Politik.
KL: Zum Thema Selbstschutz: Was sagt ihr zu der Debatte, dass Antifa nur „Nazis-Kloppen“ ist und nicht mehr? Welchen Stellenwert nimmt Selbstschutz ein?
A.L.I.: Nicht selten kloppen wir uns auch mit der Polizei (lacht). Nein, Spaß beiseite. Wir haben ja schon in derersten Antwort klar gemacht, dass für uns Antifa viel mehr ist. Allerdings ist das „Nazis kloppen“ leider auch ein notwendiger Bestandteil von antifaschistischer Politik, wenn man sich die Ereignisse in Heidenau, aber auch anderen Orten, ansieht. Da war eben kein Verlass auf die Polizei oder den Staat. Da reicht eben nicht bloße Symbolpolitik, vor Ort braucht es vor allem Leute, die sich in den Weg stellen und gemeinsam mit den Refugees gegen Nazis und „Aslygegner“ agieren. Selbstschutz ist dabei ein politisches Konzept, das mehr ist, als sich mit „Nazis kloppen“, es geht dabei ja auch darum, dass wir kollektiv handlungsfähig sind. Gerade fällt uns aber auf, dass nicht mal dieser Selbstschutz als Mindestmaß erfüllt ist. Wir würden uns wünschen, dass daran gearbeitet wird und die verschiedenen Ebenen von Demos, Festen und praktischer Gegenwehr nicht gegeneinander diskutiert werden, sondern alle ihre Anwendung im richtigen Moment finden. Auch wenn man mal einen Blick in die Geschichte wirft, war der Kampf um die Straße immer ein wichtiger Punkt. Wir wissen alle, Nazis sind bewaffnet, oft über den VS finanziert und ausgerüstet und arbeiten in heiklen Kombinationen mit Rockern. Unter diesen Umständen finden wir es immer ärgerlich, wenn dieser Militanz-Punkt so banal als ein „Nazis kloppen“-Spaß dargestellt wird.
KL: Immer wieder wird kritisch angemerkt, dass patriarchale Strukturen in der Antifa selbst bislang zu wenig beleuchtet wurden. Was hat sich eurer Meinung nach in Gender-Fragen innerhalb der Antifa seit den 90ern verändert?
A.L.I.: Für uns ein mega wichtiges Thema, allerdings ist das beschriebene Problem nicht nur eins „der Antifa“, sondern ein gesamtgesellschaftliches. Bereits bei unserer Gruppengründung ging es darum, Feminismus aus einer antifaschistischen Perspektive zu pushen. Uns geht es neben einem Empowerment auch darum, offensive feministische Antifa-Politik zu machen. Dazu gehört es feministische Themen zu behandeln, Frauen sichtbar zu machen und zu organisieren. Gerade das Gerede von Militanz als Mackertum ärgert uns, da wir, wie gesagt, Militanz als politisches Konzept jenseits von Geschlechteridentitäten denken und finden, dass Frauen erste Reihen und Aktionen genauso gut machen, wie männliche Genossen: Feminismus heißt Militanz. Auch wenn wir feministische Rückzugsräume total wichtig finden, denken wir, dass es genauso wichtig ist, feministische Kämpfe in öffentlichen Räumen, auf Partys, bei Aktionen oder eben in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe auszutragen. Allerdings haben wir das Gefühl, dass der feministische Ansatz in vielen linksradikalen Zusammenhängen oft zu einer Phrasendrescherei und reinen Identitätspolitik verkommt und es viel zu wenig eigene und gruppeninterne Reflektion gibt.
KL: Abschließend: Mittlerweile liegt über ein Jahr „Antifa-Debatte“ hinter uns, an der auch ihr euch mit verschiedenen Beiträgen beteiligt habt. Wie beurteilt ihr den Stand der Debatte bisher: gut dass wir mal darüber geredet haben - oder kam tatsächlich etwas dabei rum?
A.L.I.: Leider ersteres und leider wurde seltener miteinander, sondern vor allem in einem Lagerdenken Eingehen auf Argumente diskutiert. Wenn sowas kommt, wie „die waren ja schon immer so und so“ fragt man sich warum so wenig zugehört und argumentiert wird. Ein Problem ist bestimmt auch, dass es kein verbindliches Medium gibt, über das solche Diskussionen laufen können. Gerade ordnen sich einfach viele Gruppen neu, ob in Organisationen oder Neugründungen von Antifa-Gruppen, es ist viel im Umbruch. So oder so, es wird sicherlich weiterhin Diskussionen und Weiterentwicklungen geben. Eins ist klar: Wir machen weiter!
KL: Vielen Dank für das Interview!
Antifa heißt: Weitermachen!
Von der Notwendigkeit des Antifa-Ansatzes
2014 feierte unsere Gruppe ihr 10-jähriges Bestehen mit der Perspektive, kämpferische Politik auch in den nächsten Jahren mit unserem politischen Ansatz und damit auch unter unserem Gruppennamen weiterzuführen. Dies ist innerhalb der gelgenwärtigen Entwicklungen im bundesdeutschen Antifaspektrum keine Selbstverständlichkeit. In diesem Jahr haben sich mehrere Antifagruppen aufgelöst. Von der Antifaschistischen Aktion Hannover [AAH], über die Antifa [f] (Frankfurt), die Antifaschistische Revolutionäre Aktion Berlin (arab) hin zur Antifaschistischen Linken Berlin (ALB). Die vielen Auflösungen von Antifagruppen in diesem Jahr sehen wir nicht als einen zufälligen Prozess an, sondern haben den Eindruck dass er unter anderem für eine verbreitete Ratlosigkeit über den Antifa-Ansatz steht. Mit diesem Text wollen wir ein klares und bewusstes Statement für den Antifaschismus als Hauptansatzpunkt linksradikaler Politik leisten.
Wie der Begriff schon sagt, gründet sich antifaschistische Politik auf einem historischen Bezug zum Antifaschismus der 1920er und 1930er Jahre, der sich gegen den aufkommenden Faschismus in Deutschland und Europa entwickelt hat. Als Gruppe mit dem Label "Antifa" kommen wir zudem ganz konkret aus einer Tradition, die ihre Anfänge in labden 1980er Jahren bei den Autonomen hat und in den 1990er Jahren mit dem Organisierungsansatz der Autonomen Antifa [M] weiterentwickelt wurde. Ab Mitte/Ende der 1990er Jahre fing der Antifa-Ansatz an, an Stärke zu verlieren. Ein wichtiger Einschnitt dafür begann 1998, als die rot-grüne Bundesregierung an die Macht kam. Sie führte Krieg gegen Serbien und ging gleichzeitig an der Heimatfront gegen Neonazis vor, was 2000 im staatlichem "Antifa-Sommer" kulminierte. Spätestens nach 9/11 wurde "Antifa" inhaltlich uneindeutig und verlor weiterhin an Schlagkraft, wurde aber im Zusammenhang mit der internationalen Anti-Globalisierungsbewegung der 2000er als militanter Ausdruck noch einmal wichtig und wahrnehmbar. Heute verbinden viele "das Konzept Antifa" mit der Ausrichtung auf eine strategische Bündnisorientierung, einen Aktionskonsens und Massenblockaden. In Dresden ist es ab 2010 so gelungen, die größten Neonaziaufmärsche Europas aus dem Gleichschritt zu bringen. Doch Dresden lässt uns nicht los: An die Stelle der faschistischen Ewig-Gestrigen sind tausende rassistische Wutbürger getreten, die heute ihr fantasiertes Abendland retten wollen. Antifa, was jetzt?
Aus dem Prozess des Schwächer Werdens und einer Stimmung, in der es mehr Fragen als Antworten zu geben scheint, zogen viele Antifa-AktivistInnen in den letzten Monaten den Schluss, dass das Konzept der Antifa ausgedient habe, da es "antiquiert "sei und damit "in der Krise" stecke. Die AktivistInnen dieser Gruppen haben sich damit von einem bestimmten politischen Herangehen verabschiedet und organisieren sich stattdessen in anderen Strukturen wie Ums Ganze! (UG), der Neuen antikapitalistischen Organisation (NaO) oder der Interventionistischen Linken (iL) neu. Durch überregionale oder bundesweite Organisierung sollte das eigene politische Spektrum oder gar die Bewegung gestärkt werden, sie ist aber leider oft auch eine Reaktion auf die eigene Schwäche. Bundesweite Organisierung sollte kein Selbstzweck sein, sondern bedarf der Diskussion um strategische Fragen, anhand derer die bundesweite wie auch die lokale Politik neu ausgerichtet werden sollten.
Auch wir sind in der iL organisiert, da wir gesellschaftliche Veränderungen nur in Zusammenarbeit mit möglichst vielen Kräften erreichen können. Um unsere politischen Überlegungen und Aktionen vor Ort in Göttingen weiterentwickeln zu können, bedarf es Innovation, die wir in der bundesweiten Organisierung der iL finden können. Wir treten dem Gedanken, der diese Politikansätze gegeneinander verhandelt, mit der Sichtweise gegenüber, beides zusammenzuhalten und gleichzeitig zu transformieren. Bundesweite Organisationszusammenhänge können nur stark sein, wenn auch die lokalen Basisgruppen stark, das heißt lokal verankert und schlagkräftig, sind.
Wir sind nicht der Meinung, dass "Antifa" ein Konzept aus der Vergangenheit ist, sondern sehen die Notwendigkeit, es weiterzuentwickeln. Seit einigen Jahren ist uns bewusst, dass sich die Identität von der Antifa in den nächsten Jahren wesentlich verändern wird. Parallel zu den angedeuteten Veränderungen der aktuellen gesellschaftlichen Umstände wird auch der historische Bezug des Ansatzes durch die immer weniger werdenden ZeitzeugInnen des deutschen Faschismus nicht mehr greifbar. Durch Begegnungen mit damaligen WiderstandskämpferInnen dienen sie uns nach wie vor als Vorbilder oder geben uns zumindest Orientierung. An damaligen Tätern in unserer Großelterngeneration rieben wir uns auf und stellten teilweise die eigenen Familienkonstellationen in Frage. Eine nachhaltige antifaschistische Politisierung basierte hier unter anderem auf starken emotionalen Erfahrungen in den eigenen sozialen Beziehungen. Auf der gesellschaftlichen Ebene sind die damaligen WiderstandskämpferInnen und Opfer des Faschismus moralische Instanzen, um beispielsweise gegen Neonaziaufmärsche zu mobilisieren. Diese Menschen weilen nur noch vereinzelt unter uns. Durch den Wegfall dieser historischen Tiefe ändert sich auch die gegenwärtige antifaschistische Politisierung und Politik "der Antifa".
Es ist an uns, Antifa als starken antagonistischen Ansatz dem Staat und den Herrschaftsverhältnissen gegenüber weiterzudenken und nicht aus Ratlosigkeit über die eigene Politik in lokal kleinteiligen oder in bundesweiten Organisierungsansätzen als mehr oder weniger aktive oder passive Zusammenhänge aufzugehen.
Antifa als Brennglas
Wir sehen das Handlungsfeld antifaschistischer Politik nicht nur additiv als eins neben anderen wie Feminismus, Antikapitalismus oder Antirassismus. Vielmehr verstehen wir Antifa als Ansatz, mit dem wir unsere weiter gefasste politische Haltung bearbeiten - quasi als Brennglas, durch das wir aus einer Minderheitenposition in unserer Gesellschaft aus gezielt schauen, um zu anderen, sich auffächernden, Ansätzen oder Handlungsfeldern zu gelangen: Unser Ziel ist es, Herrschaft von Menschen über Menschen aufgrund von ihnen zugewiesenen und selbst reproduzierten Identifizierungen zu überwinden. Wir kämpfen gegen miteinander verwobene Herrschaftssysteme wie den Kapitalismus, das Patriarchat, Rassismus, innerhalb dessen Nazis als Akteure einen bedrohlichen Teil ausmachen. Für diesen Kampf wählen wir in der bundesdeutschen Gesellschaft den Antifaschismus als Hauptansatzpunkt.
Für uns bedeutet Antifa somit nicht nur, gegen Nazis zu sein. Mit dem Label "Antifa" leisten wir ein viel grundlegenderes inhaltliches und historisch begründetes Statement in der Gesellschaft der Täter des deutschen Faschismus. Uns "Antifa" zu nennen bedeutet, Lehren aus der deutschen Geschichte zu ziehen und daraus resultierende Verpflichtungen einzugehen. "Antifa" ist damit eine moralische Instanz, die die Geschichte lebendig hält.
Während in der analyse&kritik (Ausgabe 598) unter der Überschrift "Wie der Superheld in die Antifa kam" dargestellt wird, "Antifaschismus taugt (..) wenn überhaupt nur als strategisches, aber (..) nicht als politisches Konzept, weil man sich über ihn allein kein kritisches Bild der Gesellschaft machen kann", sind wir davon überzeugt, dass es uns mit der historischen Tiefe und dem historischen Bezug unseres Ansatzes ganz besonders gelingt, gegenwärtige gesellschaftliche Prozesse wie ein deutschnationales Revival, Nationalismus und Nationalchauvinismus, zu verstehen und anzugehen. Die Gegenwart baut immer auf der Vergangenheit als der eigenen Vorgeschichte auf, so dass die Geschichte niemals abgeschlossen ist. Wenn wir heute gegen Nationalismus und nationalen Chauvinismus kämpfen, müssen wir uns auch mit den Kontinuitäten der Nazis in der BRD nach 1945 und den Werten und Strukturen, die sie aufgebaut und erhalten haben, auseinandersetzen. Die gegenwärtige nationalistische Politik basiert auf dieser Geschichte, so dass wir nach wie vor gegen die (transformierten) Erbschaften des Faschismus kämpfen. den historischen Bogen würde eine Kritik am deutschnationalen Revival also nicht sehr fundiert sein und würde in einem "luftleeren Raum" stattfinden. Als "Antifa" stehen wir bei solch einer Kritik automatisch als verbindendes Glied zwischen Geschichte, Gegenwart und Zukunft für eine fundamentaloppositionelle Gegenhaltung. In diesem Sinne verstehen wir unseren Ansatz nicht (nur) als die Abkürzung "Antifa", die für autonome Politik seit den 1980er Jahren steht, sondern auch für die viel weiter reichende "Antifaschistische Aktion" mit ihrem historischen Bezug.
Antifa als sich wandelnde Kontinuität gegen Staat & Neonazis
Mit dem Bewusstsein für den historischen Bogen steht Antifa gleichzeitig für Kontinuität und Wandel. Vor dem Hintergrund der Verortung in unserer eigenen Geschichte stellt "Antifa" für uns erst einmal Tradition und Verbindlichkeit dar. Diese Verbindlichkeit macht sich nicht nur in einer Kontinuität von Antifagruppen fest, die aktuell seit über 10 Jahren bestehen, sondern auch in der Kontinuität des gesamten Antifaspektrums, das nunmehr seit den 1980er Jahren existiert. In dieser etwa 35-jährigen Kontinuität bedeutet "Antifa-Sein", sich einem Spektrum zugehörig zu fühlen, das den Antifaschismus in der eigenen Politik nach vorne stellt und dabei ideologisch oder anderweitig verortend nicht festgelegt ist. Das bedeutet, obwohl eine revolutionäre Perspektive immer mitgedacht wird, muss diese nicht zwangsläufig ausschließlich kommunistisch oder anarchistisch sein, sondern es sammeln sich verschiedene Ansätze in der Antifa. Genauso wenig ist die Antifa ausschließlich an der Uni oder in der Fabrik verortet, sondern vereint Menschen aus verschiedenen Umfeldern. Diese Zugehörigkeit zur organisierten Antifa oder zum weiteren Antifaspektrum drückt sich auf der Ebene der praktischen Sichtbarkeit letztendlich in der Benutzung des Antifa-Logos aus.
Mit dieser Kontinuität ist die Antifa seit den letzten gut 30 Jahren selbstverständlich auch im Wandel begriffen. Wir müssen uns immer wieder fragen, unter welchen Bedingungen wir Antifa-Politik machen und wie wir sie gestalten sollten. Wir entwickeln unsere Politik weiter weil sich die gesellschaftlichen Vorzeichen wandeln. Während Stiefel-Nazis Anfang der 1990er Jahre eine einfach auszumachende Gegnerschaft darstellten, kam es 1998 mit der rot-grünen Bundesregierung zu einer Zäsur für antifaschistische Politik. Vor 1998 waren SPD und Grüne in antifaschistischen Bündnissen noch vielfach Partnerinnen von lokalen Antifagruppen. 1999 führte aber gerade diese Bundesregierung zugleich den ersten deutschen Angriffskrieg nach 1945 gegen das ehemalige Jugoslawien "nicht trotz, sondern wegen Auschwitz" (damaliger Außenminister Joseph Fischer, Grüne). Der Staat stellte sich mit seinen Akteuren, die sich in der Vergangenheit auf der Straße gegen Nazis wiedergefunden hatten, trotz der Widersprüche relativ glaubwürdig als antifaschistisch dar. Die neue Staatsräson stellte Ende der 1990er Jahre die Antifa vor eine Krise, weil sie das damalige Konzept des "Revolutionären Antifaschismus" obsolet werden ließ. Die bedrohlichen Geschichtsverdrehungen spitzen sich seitdem zu, so dass wir uns gegenwärtig einem durchgesetzten nationalchauvinistischen Bewusstsein in der deutschen Gesellschaft gegenüber sehen. Rechtspopulisten der "Alternative für Deutschland" (AfD) tarnen sich als harmlose Euro-Gegner. Es hat sich zur Normalität entwickelt, vom deutschen Faschismus und der DDR als den "2 Diktaturen" zu sprechen, die nichts wirklich unterscheiden würde. Unsere Feindbilder sind in den letzten Jahren (scheinbar) komplexer geworden, so dass es manchmal auf den ersten Blick schwieriger aussehen mag, zwischen "schwarz" und "braun" zu unterscheiden. Regierungspolitiken haben sich verändert, sie lernen aus den sozialen Bewegungen, vereinnahmen sie zum Teil, auch um sich weniger angreifbar zu machen.
Die Stärke der Antifa ist dabei, mit den diskursiven und gesellschaftspolitischen Veränderungen die eigene Politik zwar inhaltlich und strategisch neu auszurichten, aber dem Staat gegenüber immer antagonistisch zu bleiben anstatt im uneindeutigen Verschwimmen von Standpunkten zu zerfließen. So steht für uns heute auf der Agenda, eindeutig gegen Neoliberalismus, Nationalismus, geschichtsrevisionistische und imperialistische Kriegspolitik und (antiarabischen) Rassismus vorzugehen. Dies ist allerdings erst im Zuge der Transformationen von staatlichen Politiken mehr noch als vielleicht vor 10 Jahren in unseren Fokus gerückt. Der Neoliberalismus vereinzelt die Menschen immer mehr und als Form des Kapitalismus nimmt er in Zeiten der sogenannten "Krise" in Europa unzähligen Menschen die Lebensgrundlage. Imperialistische Kriege wie gegen Serbien, den Irak, Afghanistan, Libyen oder Mali häufen sich in den letzten Jahren und stellen unter anderem eine Konsequenz aus postkolonialen Verhältnissen dar, die ganze Regionen der Erde destabilisieren. Ganz aktuell berührt uns die Situation in der Region Rojava, in der die kurdische Freiheitsbewegung um den Aufbau und Erhalt basisdemokratischer Organisationsmodelle kämpfen muss, weil fundamentalistische Muslime des sogenannten "Islamischen Staates" (IS) ihre kollektiven Organisationsformen zerstören. Gleichzeitig flammen der seit 2001 vermehrte Islamhass und antiarabische Rassismus wieder auf und werden benutzt, um geopolitische Kriege der NATO medial zu rechtfertigen. Diese Kriege bewirken auch einen Anstieg an Flüchtenden aus Afrika und Westasien. Die Politik der Festung Europa lässt die Flüchtlinge im Mittelmeer gezielt sterben, seit dem Jahr 2000 werden mindestens 25.000 Tote im Mittelmeer gezählt, in diesem Jahr waren es allein schon erschreckende 3.000. Gegen diese Verhältnisse gilt es, eindeutig Position zu beziehen. Umso problematischer ist es, dass sich Linke, teilweise aus dem Antifa-Spektrum, mit den Herrschenden und ihren Politiken identifizieren, zum Beispiel mit einer Vielzahl ihrer militärischen Angriffe. Auch wenn sich gesellschaftspolitische Verhältnisse auf der Welt ändern und wir die Themenfelder unserer Politik daran anpassen, so sollte Antifa-Politik internationalistisch bleiben und im Bewusstsein der (deutschen) Geschichte eine eindeutige Anti-Kriegs-Haltung einnehmen.
Neben den diskursiven und gesellschaftspolitischen Transformationen unserer Gegnerschaft bleiben Neonazis im Konkreten eine relevante Größe. Die Sichtweise, die seit einiger Zeit fast schon Konsens in der bundesdeutschen radikalen Linken ist, nämlich dass "Antifa als Politikfeld nicht mehr relevant sein wird", ist für uns absolut nicht nachvollziehbar, wenn wir uns die diesbezüglichen besorgniserregenden Entwicklungen anschauen: Wir sehen uns immer stärker werdenden Neonazis und faschistischen Strukturen gegenüber. In ganz Europa formieren sich faschistische und rechtspopulistische Bewegungen wie die Swoboda-Partei und rechte Milizen in der Ukraine, die "Goldene Morgenröte" in Griechenland, die Jobbik-Partei in Ungarn, die Freiheitliche Partei Österreichs (FPÖ), der Vlaams Belang in Belgien oder der Front National in Frankreich, die teilweise in verschiedenen Parlamenten oder gar Regierungen vertreten sind. In Deutschland hat der sogenannte "Nationalsozialistische Untergrund" (NSU) mit Hilfe des Staates innerhalb der letzten 10-15 Jahre mindestens 10 Menschen ermordet, davon 9 Migranten. Bemerkenswerterweise haben Teile des Staatsapparates genau zu jenem Zeitpunkt dem NSU den Weg gebahnt, als Rot-Grün den "Aufstand der Anständigen" gegen Neonazis ausrief. Aktuell marschieren rechte Fußball-Hooligans gemeinsam mit Neonazis unter dem Stichwort "HoGeSa" ("Hooligans gegen Salafisten") zu mehreren tausend in bundesdeutschen Großstädten auf. Durch die Ausschreitungen bei HoGeSa im Oktober 2014 in Köln ist deutlich geworden, wie gefährlich ihr hasserfülltes rassistisches Potential ist. Weniger brachial aber genauso rechts im Auftreten formieren sich seit Wochen ebenfalls zu tausenden die "Patriotischen Europäer gegen die Islamisierung des Abendlandes" ("PEGIDA"). Bürgerinitiativen agitieren in derselben Stoßrichtung gegen Geflüchtete und ihre Unterbringung. In der Region Göttingen überschneiden sich seit diesem Jahr Hells Angels und Neonazis mit der Konsequenz, dass für Februar nächsten Jahres ein Neonaziaufmarsch angemeldet wurde. Da Neonazis vom Staat unterstützt werden, anstatt von ihm bekämpft zu werden, und da Auseinandersetzungen um und mit Neonazis auf der Straße weiterhin stattfinden, sollte es das Mindeste für eine radikale Linke sein, antifaschistische Politik selbst stark zu machen. Mit diesen unterschiedlichen Bedrohungen in der BRD und Europa ist es für uns unfassbar, dem Antifa-Ansatz seine Aktualität abzusprechen!
Bereits vor 10 Jahren haben wir in unserer Gründungserklärung die Themenfelder Antifa, (anti-arabischer) Rassismus, Anti-Kriegspolitik und Internationalismus als Handlungsfelder ausgemacht. Selbstkritisch müssen wir feststellen, dass wir die Tragweite und Bedeutungen dessen nicht immer von Anfang an erfasst haben, so dass den damaligen Formulierungen auf dem Papier erst seit einiger Zeit das Bewusstsein dafür und die praktischen Handlungsansätze folgen. Erst seit kurzem wird uns das Ausmaß richtig bewusst, wenn wir uns die faschistische Mordserie durch den NSU oder die Mobilisierungen von Menschen aus Deutschland und anderen europäischen Staaten durch den IS anschauen, die nach Syrien gehen um dort für diese Organisation zu kämpfen. Aber nur, weil auch wir nicht immer sofort auf Alles eine Antwort parat haben oder angemessen reagieren können, bedeutet es für uns noch lange nicht, das eigene politische Herangehen fallen zu lassen. Denn auch wenn sich "die Antifa" zurzeit in einer prekären Lage befindet, bleibt sie mit den aktuellen gesellschaftspolitischen Entwicklungen doch eine Notwendigkeit.
Antifa ist Widerstand
Vor dem Hintergrund der beschriebenen gegenwärtigen Verhältnisse und Regierungspolitiken ist es für uns eine Selbstverständlichkeit, uns autonom, das heißt Vorgaben vorstehender Institutionen, zu organisieren. In diesem Zusammenhang bedeutet "Antifa" für uns immer auch eine anti-staatliche Haltung.
In diesem fundamental-oppositionellen Sinne wird mit "Antifa" immer auch militante, oder zumindest aktionistische, Politik assoziiert. Das Einsetzen von Militanz oder zumindest die Nutzung von militanter Symbolik und damit verbundener kultureller Ausdrucksformen hat eine gewisse Notwendigkeit. In Bündniskonstellation besteht die Gefahr, in der Masse des bunten Protests unterzugehen, von staatstragendem bürgerlichen Antifaschismus aufgesogen zu werden und letztendlich nicht mehr wahrnehmbar zu sein. So halten wir den Ausdruck von Antifa besonders auf Demonstrationen weiterhin für wichtig, um radikale gesellschaftliche Positionen und die Bereitschaft zum Handeln erkennbar zu machen. Militantes Agieren sollte keine Selbstinszenierung sein, sondern ist mitunter Mittel zum Zweck, um beispielsweise Nazis ernsthaft zu blockieren oder zurückzudrängen - in Dresden ist dies 2010 und 2011 nur durch die Kombination aus Menschen-Massenblockaden und den vielen (brennenden) Materialblockaden gelungen. Das Auftreten "der Antifa" ist somit kein Selbstzweck, sondern eine Notwendigkeit sowohl ihrer inhaltlichen Ausrichtung, als auch der Mittel, derer sie sich in Aktionen bedient.
Auf diese Notwendigkeit konsequenter antifaschistischer Betätigung antwortet der Staat früher oder später immer mit Repression. Diese ist zermürbend und nervenaufreibend, kann zumindest aber zu einer anti-staatlichen Haltung auf Grund dieser Erfahrungen führen. Im Konkreten ist bereits auf Antifa-Demos die Auseinandersetzung mit der Polizei vorprogrammiert, so dass die Konfrontation mit dem Staat unmittelbar hergestellt wird. So wird immer wieder deutlich, wer auf welcher Seite steht. Die körperliche Bedrohung durch Neonazis oder Rassisten ist für viele Menschen hierzulande weiterhin eine gefährliche Realität. Vor allem junge Leute können in diesen Situationen erleben, dass der Staat nicht unser Adressat von Forderungen sein kann. Die Rolle des Polizeistaats bei der Durchsetzung von Neonaziaufmärschen und der VS-Agenten beim Aufbau faschistischer Strukturen bleibt als Angriffsziel nicht nur abstrakt, sondern berührt die Identität vor allem junger Antifas.
Fernab dieser konkreten Erlebnisse steht "Antifa" in einem weiter gefassten Sinne für eine Widerstandskultur, die sich nicht nur aus Demonstrationen, sondern genauso aus vielfältiger Kulturarbeit wie beispielsweise Konzert- oder Kunstaktionen zur Aneignung des öffentlichen Raums speist. Der Mut zur Grenzüberschreitung, zur direkten Konfrontation oder zum Widerstand im Allgemeinen ist mit unserem historischen Hintergrund besonders bemerkenswert: Während in den 1920ern und 1930er Jahren europaweit gesehen im damaligen Deutschen Reich noch die größte und stärkste ArbeiterInnenbewegung existierte, hat der deutsche Faschismus diese Bewegung so weit vernichtet, dass auch die Kontinuität der Widerstandskultur nach 1945 weitestgehend abgerissen ist. Insofern bedeutet Antifa auch, sich nicht in den Konformismus und die Passivität der Mehrheitsgesellschaft einzureihen, sondern zu versuchen, eine Kultur der Selbstermächtigung und des Widerstands zu pflegen.
Somit legitimiert sich der Antifa-Ansatz nicht nur wegen der spezifischen Aktionsformen auf Demonstrationen, sondern auf Grund seiner grundsätzlich widerständigen und antagonistischen, kompromisslosen Haltung. Der Gesamtansatz der Antifa begreift die aktuellen Bedrohungen durch imperialistische Regierungspolitiken sowie durch Neonazis mit der Brille des (historischen) Antifaschismus. Dies erlaubt es, die Gegner auf den verschiedensten gesellschaftlichen und thematischen Ebenen zu identifizieren, fundiert zu analysieren und eigenverantwortlich anzugreifen.
In diesem Sinne: der antifaschistische Kampf geht weiter!
Organisiert in der Interventionistischen Linken (iL)