Anfang des Jahres machte die Polizei in Hamburg von sich reden durch Einrichtung großzügiger Kontrollbereiche und kleinlicher Schikanierung aller, die sich dort bewegten. Die Unschuldsvermutung galt plötzlich nicht mehr, Proteste wurden illegalisiert. Das sächsische Polizeigesetz hält ähnliche Instrumente bereit – und der Erfahrung nach werden sie auch eingesetzt, insbesondere im Leipziger Süden.
Das Innenministerium des Freistaates, immerhin Dienstherr der Polizei, will davon aber nichts wissen, wie kürzlich eine Anfrage der Landtagsabgeordneten Juliane Nagel (DIE LINKE) ergab. Mit ihr unterhielt sich Enrico Auerbach für leipzig.antifa.de über die Kontrollpraxis der Polizei, Folgen für Betroffene und Grenzen demokratischer Kontrolle.
Den ersten Teil des Interviews gibts hier zum Nachlesen.
„Widerstand gegen die Logik des Präventionsstaates muss täglich
organisiert werden“
Derzeit stehen Einheiten der Bundespolizei in der Kritik: Beamte sollen willkürlich Leute kontrolliert und ansatzlos Strafanzeigen gegen Unschuldige gefertigt haben, um eine Art „Verfolgungsquote“ zu erfüllen – wohl in der Hoffnung, durch die möglichst vielzählige Verfolgung Unschuldiger, was eine Straftat ist, eher befördert zu werden. Könnte so ein Verhalten eine Erklärung der polizeilichen Vorliebe für Massenkontrollen sein?
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Ja, die vom Spiegel aufgedeckten Vorgänge sind brisant und leider viel zu wenig bekannt. Hier wurden in einem konkreten Fall in Berlin massenweise Menschen kontrolliert, um die „Quote“ zu erfüllen. Die „Treffer“ wurden dabei vor allem durch Kontrollen von Wohnungslosen und MigrantInnen erhöht, zum Teil wurden willkürlich Anzeigen wegen angeblichen Hausfriedensbruchs geschrieben.
Dass es bei der Bundespolizei eine Zielvorgabe gibt, möglichst viele „Aufgriffe“ von Verdächtigen vorzuweisen, ist ein Skandal. Dass BeamtInnen weiter nach diesem Muster agiert haben, auch nachdem dieser Praxis Anfang 2013 ein Ende gesetzt wurde, macht die Sache noch schlimmer.
Das Beispiel der drei BeamtInnen aus Berlin zeigt, dass es eine Tendenz zur Verselbstständigung gibt. Diese BeamtInnen haben ihre Machtposition genüsslich ausgekostet, indem sie Menschen rassistisch beleidigt, erniedrigt und wohl auch Gewalt angewendet haben. Das stand sicherlich in keiner „Zielvorgabe“, sondern ist ein strukturelles Problem des Polizeiapparates. Der muss sich nämlich, gerade vor dem Hintergrund objektiv abnehmender Kriminalität, permanent selbst legitimieren. Zudem ist der Polizeidienst, insbesondere in den Bereichen der Bundes- und Bereitschaftspolizei, besonders anziehend für autoritäre, kontroll- und machtorientierte Menschen.
Das sächsische Innenministerium behauptete neulich auch, die sächsische Polizei sei an der europaweiten Kontrollaktion „Mos Maiorum“ im vergangenen Oktober nicht beteiligt gewesen – und dass die Praxis des „racial profiling“ im Freistaat sowieso abgelehnt werde. Deckt sich das mit deinen Informationen?
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Ob sächsische BeamtInnen beteiligt waren, lässt sich nicht klären. Ich kenne kein konkretes Beispiel aus Sachsen im „Mos Maiorum“-Zeitraum im Oktober. Ich kann mir aber gut vorstellen, dass es vor allem die Bundespolizei war, die sich an definierten Kontrollorten, also Verkehrsknoten wie Bahnhöfen, Flughäfen und Autobahnen, MigrantInnen und Geflüchtete herausgepickt hat.
Diese EU-weite Polizeiaktion macht damit ein alltägliches Problem sichtbar: rassistische Kontrollen durch Behörden. Dieses alltägliche „racial profiling“ kennen wirklich alle, die nicht bio-deutsch aussehen. Man hört ihnen nur meist nicht zu. Anders war das neulich bei der Veranstaltung „Leipziger Rede“, als einschlägige Erfahrungen endlich mal zur Sprache kamen. Und erst vergangene Woche habe ich am Dresdner Hauptbahnhof flächenhafte Kontrollen von MigrantInnen beobachtet.
Siehst du Anzeichen, dass sich das ändern wird?
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Ich kann mir derzeit nicht vorstellen, dass die Polizei in Sachsen hinreichend sensibilisiert wäre, diese rechtswidrige Praxis zu unterlassen. Denken wir nur daran, dass es BeamtInnen der Polizei waren, die bei dem Mord an Kamal durch zwei eindeutige Nazis ein rassistisches Tatmotiv ausgeschlossen haben.
Das Problem ist auch hier: Es gibt keine Dokumentation, es fehlen belastbare Zahlen. Das ist ja eben der Punkt, an dem sich die Sächsische Regierung herauszureden versucht. Dabei gäbe es durchaus Möglichkeiten, die Kontrollpraxis nachvollziehbar und auch kritisierbar zu machen. Gewollt ist das offenbar nicht. Ein echtes Vorbild, wie es anders geht, ist Großbritannien, wo nach rassistischen Vorfällen bei der Polizei bis hin zu Morden durch PolizistInnen an MigrantInnen endlich demokratische Mechanismen wie unabhängige Beschwerdestellen und Dokumentationsverfahren eingeführt wurden.
Denkst du, dass sich durch die SPD-Beteiligung an der Landesregierung und mit dem kommenden Wechsel an der Spitze der sächsischen Polizei etwas an deren Vorgehen und Auftreten ändern wird? Über den neuen Spitzenbeamten Georgie sagt man, dass er kein Haudrauf ist, sondern als überlegt gilt.
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Ich bin ein optimistischer Mensch, aber ich bin ebenso skeptisch. Nach den jahrelangen Erfahrungen mit der Polizei – egal welche Regierungsfarbe das Schwarz ergänzt hat oder ob der Polizeipräsident Merbitz oder Kann hieß – bleibe ich auch skeptisch. Das Problem liegt in der Struktur und Organisationsweise der Polizei, insbesondere in so genannten geschlossenen Einheiten. Solang die „cop culture“ mit ihrem machtaffinen, patriarchalen, hierarchischen Selbstverständnis munter gedeihen kann, sehe ich kaum Veränderungschancen.
Es gibt zwar die verschiedensten Vorschläge für eine strukturelle Reform der Polizei, angefangen bei der Abschaffung geschlossener Einheiten, über verstärkte Menschenrechtsbildung als Bestandteil der Polizeiausbildung, Kennzeichnungspflicht bis hin zu unabhängigen Beschwerdestellen. Das hängt aber nicht an Namen oder Parteifarben, sondern daran, grundsätzliche Strukturreformen auch angehen zu wollen. Diesen Willen sehe ich derzeit nicht.
Du forderst die Einrichtung einer Polizeibeschwerdestelle und selbst der schwarz-rote Koalitionsvertrag sieht die Schaffung so einer Stelle im Freistaat vor. Angesiedelt werden soll sie allerdings beim Innenministerium. Was versprichst du dir von so einer Instanz, die weder unabhängig sein kann, noch über Kontrollbefugnisse verfügen wird?
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Der Knackpunkt einer Beschwerdestelle ist in der Tat ihre Unabhängigkeit. Der Datenschutz- und der Ausländerbeauftragte des Freistaates sind nicht aus Spaß unabhängig und dem Landtag „unterstellt“ und nicht etwa einem Ministerium. Sie sollen den Apparat hinsichtlich seiner Rechtskonformität überwachen und, wo es nötig ist, extern beraten. Der Idee einer weitgehenden Unabhängigkeit folgt die Polizeibeschwerdestelle, die wir als Linksfraktion in unserem Wahlprogramm fordern und zu der wir in der letzten Landtagsperiode bereits einen Gesetzesentwurf eingebracht haben. Schon damals hat sich die SPD mit unseren Vorstellungen schwer getan.
Es liegt allerdings auf der Hand: Eine Beschwerdestelle, die nicht den Landtag bei der demokratischen Kontrolle des Polizeiwesens unterstützt, sondern dem Innenministerium angegliedert ist, wird zum Handlanger. Der Beklagte wird zum Richter über die Beschwerden gegen ihn selbst. Welcher Mensch, der von polizeilichem Fehlverhalten betroffen ist und sich gerade daher nicht zur Polizei traut, wird denn zum Vorgesetzten der Polizei gehen? Nur zur Erinnerung: Etwa 90 Prozent der Anzeigen wegen Körperverletzung im Amt werden mit Gegenanzeigen beantwortet, in der Regel wegen angeblichen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte.
Im Koalitionsvertrag steht zur CDU-SPD-Beschwerdestelle wörtlich: „Wir wollen das Vertrauensverhältnis zwischen der sächsischen Polizei und den Bürgerinnen und Bürgern weiter stärken und Hinweise, Anregungen und Beschwerden ernst nehmen.“ Das klingt alles nicht nach einer verbindlichen und wirksamen Instanz zur Wahrung von Grund- und Freiheitsrechten. Das klingt viel eher nach einem Instrument, das zum Schönreden von Polizeiverhalten dienen soll. Wir brauchen aber mehr als ein Feigenblatt und werden versuchen, das auf Landtagsebene anzugehen.
Es gibt JuristInnen, die ausdrücklich beanstanden, dass „verdeckte“ Bereiche der Polizeiarbeit noch schlechter kontrolliert werden als die Tätigkeit der „Verfassungsschutz“-Behörden. Wäre daher nicht ein vollwertiges parlamentarisches Gremium, das öffentlich tagt, den Aufgaben einer demokratischen Kontrolle der Polizei in Sachsen am besten gewachsen?
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Ein Parlamentarisches Kontrollgremium gibt es schon. Das kontrolliert bis dato hinter verschlossenen Türen und unter strikter Geheimhaltung die polizeilichen Maßnahmen etwa bei der akustischen Wohnraumüberwachung und beim Einsatz so genannter „besonderer Mittel“. Das Gremium befasst sich nur mit besonders schwerwiegenden Eingriffen in die Privatsphäre. Den Ansprüchen einer demokratischen Kontrolle der Polizei wird man so nicht gerecht, es fehlt die Transparenz.
Eigentlich müsste der Innenausschuss des Landtages genau diese Transparenz herstellen. Als Organ des Landtages macht er die Vor- und Feinarbeit für den Landtag. Dazu gehören auch Aufgaben der Kontrolle und der Leitliniengebung für die Polizei. Wir haben auch in dieser Legislatur schon gefordert, die Öffentlichkeit der Ausschusssitzungen herzustellen. Aber damit scheitern wird am verstaubten, manchmal vordemokratischen Politikverständnis von CDU und SPD. Gerade diese Ausschusssitzungen öffentlich abzuhalten wäre ein wichtiger Schritt zur demokratischen Kontrolle.
Der Vorschlag für eine Polizeibeschwerdestelle, den die Fraktion DIE LINKE eingebracht hatte, sah natürlich eine regelmäßige Berichtspflicht gegenüber dem Landtag und damit auch der Öffentlichkeit vor. Das wäre das Mindeste.
Der Chemikalien-Angriff durch Polizisten auf AntirassistInnen in Leipzig-Schönefeld hat gezeigt, dass eine Klärung selbst schwerwiegender Vorfälle nicht möglich scheint, solange Willkür durch Korpsgeist und Anonymität gedeckt wird. Daran würden auch noch so gute Kontrollinstanzen scheitern. Siehst du Perspektiven, noch einmal die Initiative für die Einführung einer allgemeinen Kennzeichnungspflicht sächsischer Polizeibeamter zu ergreifen?
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Klar, immer wieder! Diese Forderung ist nicht nur Kernbestand einer kritischen BürgerInnenrechtsbewegung, die im Osten leider völlig unterentwickelt ist, sondern auch der LINKEN. Vor Jahren hab ich das Problem am eigenen Leib gespürt. Nach einem krassen Pfeffersprayeinsatz am Connewitzer Kreuz habe ich Anzeige erstattet, die eingestellt wurde, weil angeblich die Verantwortlichen nicht ermittelt werden konnten. In Sachsen wurden in den vergangenen Jahren sage und schreibe 98 Prozent der Ermittlungsverfahren wegen Körperverletzung im Amt eingestellt.
Die Kennzeichnungspflicht gehört daher untrennbar zur der von uns geforderten Beschwerdestelle. Denn was nutzen engagierte Aufklärungsversuche, wenn von Anbeginn gewettet werden darf, dass die TäterInnen nicht ermittelt werden können? Es ist aber zu einfach, eine Initiative für eine Gesetzesänderung zu versprechen. Solche Änderungen müssen politisch erkämpft werden. Genau so, wie der Widerstand gegen die Logik des Präventionsstaates mit seinen unsäglichen Kontrollexzessen täglich organisiert werden muss.
Mehr zum Thema steht in der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift CILIP – Bürgerrechte & Polizei mit dem Schwerpunkt „Polizei und Krise“. Neben einem Überblick über die Situation in mehreren europäischen Ländern geht es auch um Kontrollbereiche und verdachtsunabhängige Kontrollen im Lichte der Hamburger Erfahrungen.
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