Für leipzig.antifa.de
sprach Enrico Auerbach mit der jetzigen Stadträtin und engagierten Antifaschistin über Ziele und Chancen ihrer Kandidatur zur Landtagswahl.
Du sitzt seit 1999 mit kurzer Unterbrechung im Leipziger Stadtrat. Nun willst du bei der Landtagswahl im Sommer für Die LINKE als Direktkandidatin im Leipziger Süden antreten. Warum ein Wechsel von der Kommunal- zur Landespolitik, und warum gerade jetzt?
- Nur zur Klarstellung, meine Präsenz im Stadtrat beschränkt sich auf acht Jahre. Ich saß von 1999 bis 2001 und dann wieder ab 2009 bis jetzt im Stadtrat. Die „kurze Unterbrechung“ dauerte mehr als acht Jahre an. Einen konkreten Anlass für den Zeitpunkt gibt es nicht wirklich, es ist eher eine ziemlich schnelle Dynamik, in der ich mich befunden habe. Vielleicht ist es einfach Zeit, auf Landesebene ein bisschen lauter auch für radikale linke Ansätze zu trommeln und Ressourcen für Projekte freizuschießen.
Ich will aber auch betonen, dass ich mich und meine politische Tätigkeit niemals an ein Mandat gekoppelt habe und das auch nie tun werde. Im Gegenteil, Politik findet nicht vorrangig im Neuen Rathaus oder im Landtag in Dresden statt. Die Gesellschaft ist der politische Raum und genau das ist auch seit jeher der Raum, in dem ich wirke.
Deine Kandidatur ist neulich vom Stadtverband mit fast 89 Prozent bestätigt worden. Das kam eher überraschend, oder?
- Ja. Allerdings muss gesagt werden, dass ich konkurrenzlos angetreten bin, wie die KandidatInnen für die übrigen sechs Wahlkreise auch. Aber das drittbeste von sieben Ergebnissen zu haben, das ist trotzdem nicht übel. Gerade nach meiner doch steinigen Geschichte und großen Widerständen gegen mich und die anderen Menschen, die das linXXnet betreiben. Vielleicht ist es ein gutes Zeichen für eine weitere Pluralisierung der Linkspartei in Leipzig.
Der Zeitschrift „Kreuzer“ hast du neulich ein Interview gegeben und gesagt, dass du dich künftig „nicht in einem Berufsparlament“, also nicht im Landtag siehst. Wie passt das mit deiner geplanten Kandidatur zusammen?
- Gut beobachtet. Ich habe den Weg in die parlamentarische Berufspolitik tatsächlich seit jeher ziemlich konsequent ausgeschlossen. Das hatte und hat mit den Beschränkungen und den festgefügten institutionellen Bahnen zu tun, mit denen ich mich nicht anfreunden kann. Doch es gibt immer Ereignisse im Leben, die Einstellungen ändern. Auf der explizit politischen Ebene sind das vor allem Themen, die gerade heftigst diskutiert werden, zum Beispiel Asylpolitik und Rassismus.
Wenn sich der sächsische Ministerpräsident und sein Innenminister vor dem Hintergrund von rassistischen Mobilisierungen wie in Schneeberg hinstellen und die schnelle „Rückführung krimineller Ausländer“ fordern oder den Freistaat als bundesweiten Abschiebe-Spitzenreiter rühmen, dann zuckt es in mir.
Es ist auch das virulente Problem von polizeilicher Willkür zum Beispiel gegen Fußballfans und Stadtviertel, die politisch motiviert zu Problemen stilisiert werden, und damit verbunden der generelle Umgang mit kritischen Meinungen. Das bietet genug Anlass, auch auf institutioneller Ebene stärker Kontra zu geben.
Bei der Landtagswahl 2009 hat die CDU mit lediglich zwei Ausnahmen sämtliche Direktmandate in Sachsen abgeräumt. Nach der jüngsten Umfrage kann die Union hier sogar mit der absoluten Mehrheit rechnen. Wie soll es da machbar sein, ein Direktmandat zu ergattern?
- Die Umfrage, die die LVZ da Anfang Januar veröffentlicht hat, ziehe ich ja doch in Zweifel. Aber wir wollen nicht über Statistiken diskutieren.
Ich denke, dass ich den Ansatz einer „neuen“ LINKEN repräsentiere, die gerade in Ballungsräumen, in Großstädten Zuspruch finden könnte. Dort, wo doch weniger konservative, sondern an gesellschaftspolitischen Debatten und Veränderungen interessierte Menschen leben. Damit will ich natürlich nicht sagen, dass es nicht auch auf dem „flachen Land“ Veränderungsoptionen gibt.
Zudem gehöre ich zu jenen LINKEN, die einen klareren Bruch mit dem real existierenden Sozialismus vertreten, ohne linke Grundwerte aufzugeben. Und ich zähle zu denen, die im Dreiklang Freiheit, Gleichheit und Solidarität die Freiheit hochhalten, ohne dem liberalen Individualismus das Wort zu reden.
Und schließlich bin ich in den vergangenen Jahren nicht unbekannter geworden. Gerade der Shitstorm, den ich immer wieder in den Kommentarspalten erfahre, wirkt möglicherweise auch gegenläufig. In dem Sinne, dass ich auch kämpfe und straight für Anliegen und Ziele einstehe. Das ist anders als bei den CDUlerInnen, die ihre Wahlerfolge aus Nichts-Tun, aus dem Konservieren des Status quo generieren. Ich hoffe, dass der Leipziger Süden, der ein tendenziell lebendiges, aber trotzdem heterogenes Wahlgebiet ist, mutig ist und mit mir das Bestehende antasten wird.
Mit welchen Themen willst du die Menschen im Leipziger Süden im Wahlkampf überzeugen?
- Für mich ist Politik nichts Partikulares, Fachspezifisches. Für mich geht’s in erster Linie darum, eine gesellschaftliche Vision zu realisieren. Wie ich schon sagte, ist der fälschlicherweise von der SPD in Anspruch genommene Dreiklang von Freiheit, Gleichheit und Solidarität dabei für mich ein wichtiger Leitspruch.
Konkret würde ich das zum Beispiel am Thema Wohnen und Mieten durchdeklinieren: Eine Gesellschaft darf nicht zulassen, dass Menschen aufgrund mangelnder ökonomischer Potenz ohne ein Dach über dem Kopf leben. Auch die derzeit vonstatten gehende Aufwertung von Stadtvierteln, vor allem im Leipziger Süden und Südwesten, führt zur Verdrängung von Menschen, die sich das Wohnen dort nicht mehr leisten können. Das ist Ausdruck des Primats der Ökonomie über die Politik, die sich einer Regulierung verweigert. Wohnungspolitik hat nicht nur „Gleichheitsimplikationen“, sondern auch die der Freiheit. Wenn ich rausgeworfen oder verdrängt werde, kann ich nicht mehr frei wählen. Solidarisches Handeln findet dann statt, wenn sich Leute zusammenschließen, sich unterstützen und für diese Belange eintreten.
Daran schließt sich ein weiteres Thema an, das des öffentlichen Raumes. Wer darf über diesen Raum verfügen, wie wird er reglementiert und wie eignen sich Menschen ihn wieder an? Wir erleben da gerade in Bezug auf Connewitz seit Jahren einen recht müde gewordenen Abwehrkampf gegen den repressiven Umgang mit dem öffentlichen Raum. Zwei sehr konkrete Ziele in diesem Zusammenhang wären: Kamera am Kreuz deinstallieren und der sichtbaren und spürbaren Kriminalisierung des Stadtteils ein Ende setzen. Dabei geht es nicht um Einzelprobleme, sondern darum, wie die „sächsische Demokratie“ mit oppositionellen Gruppen umgeht.
Aber fernab dessen ist ja bekannt, dass ich ein akutes Problem mit Nazis habe, mich mit rechts motivierten Morden beschäftige und für deren Anerkennung engagiere, und vor allem auch mit den gesellschaftlichen und politischen Ursachen für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit befasse.
In den vergangenen Jahren habe ich zudem als kinder- und jugendpolitische Sprecherin der Stadtratsfraktion der LINKEN fungiert. Jugendhilfepolitik kann durchaus spannend sein. Sie ist immer das fünfte Rad am Wagen, denn Jugendhilfe ist oft der Reparaturapparat für politisches und gesellschaftliches Versagen. Sie kann aber durchaus ein Hort für Emanzipatorisches sein, denn sie orientiert in vielen Fällen darauf, jungen Menschen Räume und Entfaltungsmöglichkeiten jenseits von Zwängen zu bieten.
Du arbeitest mit vielen Menschen in außerparlamentarischen und gesellschaftskritischen Spektren zusammen, also denen, die ein eher distanziertes Verhältnis zum herrschenden Politikbetrieb haben und oftmals nicht wählen gehen. Mit welchen Argumenten willst du die motivieren, eine Ausnahme zu machen?
- Nun, ich werde niemanden agitieren, insbesondere nicht meine PartnerInnen und GenossInnen im politischen Umfeld. Ich hänge ja sehr stark dem Politikwissenschaftler Johannes Agnoli an, der dem Parlamentarismus und Parteien im „Staat des Kapitals“ eine recht grundsätzliche Absage erteilt hat. Er hat total recht und ich mache mir auch keine Illusionen über die Möglichkeiten des Parlaments. Agnoli hat trotzdem in seinen letzten Jahren der damaligen PDS dann doch etwas abgewinnen können, wegen grundsätzlicher politischer Positionen, aber auch aufgrund des starken antikommunistischen Abwehrreflexes, den sie bei den etablierten Parteien hervorgerufen hat. Das hat sich ja gerade in Sachsen keineswegs erledigt.
Ich setze vor allem auf die bekannten Vorzüge des Parlaments, die durchaus auch einer außerparlamentarischen und gesellschaftskritischen Linken zugute kommen können: Informationen, die sich auf diesem Wege besser beschaffen lassen, Öffentlichkeit für kritische Positionen und natürlich auch Ressourcen. Ich denke, dass gerade das linXXnet in den vergangenen mehr als zehn Jahren gezeigt hat, welchen Mehrwert das Vertreten-Sein im Parlament für außerparlamentarische Gruppen und Bewegungen haben kann. Ein Mandat ist ganz klar kein „Privatbesitz“. Sprich, es geht nicht um mich als Person, sondern darum, was mir WählerInnen und insbesondere politische PartnerInnen auf den Weg geben und vor allem selbst stark machen wollen.
Jetzt gibt es neben Die LINKE noch andere Parteien, die um die Gunst kritischer WählerInnen werben, seien es die „Piraten“, Teile der Grünen oder die Satiregruppe „DIE PARTEI“. Warum soll man sich da für Die LINKE und deren KandidatInnen entscheiden?
- Weil die LINKE die einzige Partei ist, die sich nicht mit dem Kapitalismus als „Ende der Geschichte“ abfindet. Ich halte diese Frage weiterhin für zentral. Der Kapitalismus bringt immer weiter Ungleichheit und Unfreiheit hervor und basiert in seiner neoliberalen Variante auf Entsolidarisierung und Individualisierung.
Die Grünen mit ihrem Hauptfokus auf die „Politik der Lebensführung“ können und wollen grundlegende gesellschaftliche Widersprüche weder aufdecken noch auflösen. Sie tragen zur Verkleisterung der eigentlichen Fragen bei, wenn sie zum Beispiel ökologische Belange nicht mit ökonomischen und sozialen verkoppeln oder Burgerking nur deswegen doof finden, weil Fastfood ungesund ist, aber nicht nach den Arbeitsbedingungen fragen. Genauso ist es meines Erachtens bei den Piraten. Der gebetsmühlenartigen Verweis auf Mitbestimmung und Transparenz vermag nicht gesellschaftliche Probleme wirklich zu benennen und zuzuspitzen.
Die Bezeichnung als „postpolitisch“ kann in meinen Augen auf beide Parteien angewendet werden. Es geht zentral um Lebensweisenfragen und Methoden, aber nicht um das Gesamtgesellschaftliche. Es geht ihnen um Freiheit, die aber nicht mit Gleichheit zusammengedacht wird. In konkreten Fragen sind beide auch lokal wichtige PartnerInnen, das steht außer Frage. Im grundsätzlichen Anspruch an Politik und Gesellschaft trennen sich die Perspektiven aber.
Bei der PARTEI muss ich kurz überlegen. Ich finde in den 13 Punkten ihres Parteiprogrammes schon große Schnittmengen (lacht). Sie war auch die Partei, die mir vom „Wahlomaten“ nach der LINKEN als zweite Option empfohlen wurde. Vielleicht sollte ich mich in Bezug auf den Süd-Wahlkreis mal abstimmen oder zumindest eine gemeinsame Wahlparty planen.
Angenommen, du schaffst es in den Landtag: Was wären dort die wichtigsten Themen, die du anpacken willst – und liebäugelst du da schon mit einem SprecherInnen-Posten?
- Hmm… (überlegt) Ernsthaft habe ich noch nicht darüber nachgedacht. Interessant wären vielleicht MigrantInnen- und Innenpolitik. Vor allem aber ist es mir wichtig, als Schnittstelle zu Initiativen, Organisationen und Bündnissen zu fungieren.
Ein Dauerthema in deiner Partei betrifft ihr Selbstverständnis: Will man ewige Opposition bleiben oder bei Gelegenheit die Regierungsbeteiligung wagen? Eine Option für den Regierungswechsel in Sachsen wäre ein rot-rot-grünes Bündnis. Für wie sinnvoll und realistisch hälst du das?
- Diese Frage ist nicht schwarz-weiß zu diskutieren und zu beantworten. Fakt ist, dass es Zeit wäre, die nun fast ein Vierteljahrhundert andauernde Hegemonie der CDU zu brechen. Erst so lassen sich ja die verkrusteten, stagnierenden Verhältnisse in diesem Land ändern. Wenn sich so eine Option tatsächlich ergibt, müssen inhaltliche Knackpunkte entscheiden, ob LINKE, SPD und Grüne zusammengehen können. Aber nicht nur die! Es bedarf gesellschaftlicher Kräfte, die so einen Wechsel tragen und gemeinsame Antworten finden auf Fragen einer zukünftigen ganzheitlichen Landesentwicklung, auf das Problem einer hohen Armutsrate und Niedriglöhne. Die fragen, wie eine Reform im Sinne von Demokratisierung der Polizei aussehen kann oder wie sich die Situation Asylsuchender und anderer marginalisierter Gruppen strukturell verändert lässt.
Ich halte es daher für wichtig, Rot-Rot-Grün als Option zu kommunizieren. Grüne und SPD in Sachsen verweigern sich dem und tragen damit dazu bei, dass eine Alternative zu einer Regierung unter der CDU keine Chance in den Köpfen bekommt. Das folgt aber natürlich bei beiden dem Kalkül, sich bereits jetzt der CDU als Partnerin anzudienen und zeigt auch, dass beide nicht zu einem Paradigmenwechsel bereit sind. Natürlich müssen wir aber auch sehen, dass wir in Sachsen in einem ultra-schwarzen Land mit Ausläufern ins Braune leben. Es wird also schwierig, aber nicht unmöglich.
Du hast dem „Kreuzer“ gesagt, dass du „radikal“ bist. Würdest du aber, wenn es gelingen sollte, Bestandteil einer rot-rot-grünen Koalition sein wollen, oder kandidierst du ausdrücklich für einen Sitz auf der Oppositionsbank?
- Auch im Falle von Rot-Rot-Grün und einer Wahl in den Landtag werde ich nicht auf einer Regierungsbank sitzen. Das ist Fakt. Denn auch dann würde es ja eine Linksfraktion geben, die nicht dazu verpflichtet ist, mit der Regierung zu stimmen. Klar ist der Druck dann höher, Initiativen der Regierung mitzutragen, aber es ist kein Muss. Hier würde ich unter Garantie nicht die Einzige sein, die Kante zeigt, wenn untragbare Entscheidungen anstehen, oder im Äußersten auf einen Ausstieg drängen. Da ist die sächsische LINKE schon bissig genug, wie zum Beispiel die Debatte um die Schuldenbremse gezeigt hat.
Und hier muss sich auch die Partei stärker gegen die Fraktion durchsetzen, die in Teilen auch verlernt hat, auf Augenhöhe mit den eigenen GenossInnen und PartnerInnen zu diskutieren und Entscheidungen gemeinsam zu reflektieren. Wie eben schon erwähnt, mag ich das Thema nicht schwarz-weiß diskutieren, sondern inhaltliche Haltelinien formulieren und darauf drängen, sich an solche Linien zu halten.
Plump gefragt: Kann der Landtag überhaupt Ort radikaler, gesellschaftskritischer Politik sein? Die Erfahrung seit bald zweieinhalb Jahrzehnten zeigt doch eher, dass trotz Sachsensumpf, Verfassungsschutz-Skandal und alledem die CDU als unangefochtene Staatspartei dasteht, egal, wie gründlich man sie vorführt…
- Nein. Da bin ich wieder bei Johannes Agnoli und der sächsischen Spezifik. Ein Parlament, noch dazu ein Landesparlament, kann kein Ort radikaler gesellschaftskritischer Veränderungen sein. Es kann unterstützend wirken durch Selbstauflösung, wenn die Verhältnisse sich tatsächlich ändern. Eine solche Umwälzungsbewegung muss aber von der Straße kommen, nicht aus dem Parlamentssaal. Und da sieht es gerade in Sachsen trüb aus. Grund genug, weiterzumachen und sich als politische Linke auch stärker der Gesellschaft zu öffnen, statt fast ausschließlich Politik für die eigene Szene zu machen.
Was deinen künftigen Weg in der Zeit nach der Landtagswahl betrifft: Welche Zukunft hat das linXXnet?
- Wenn ich gewählt werden sollte, dann ist das linXXnet sicherer, als wenn nicht. Wir haben ja seit fünf Jahren eine recht abenteuerliche Finanzierung, die immer wieder verhandelt und gesichert werden muss.
Das linXXnet muss aus meiner Sicht unbedingt fortbestehen. Es hat seit seiner Eröffnung im Jahr 2000 nicht nur für die außerparlamentarische Linke in Leipzig und darüber hinaus, für den Kiez und die gesamte Stadt, aber auch für die Veränderung der Linkspartei in Leipzig eine wichtige Rolle gespielt. Und ich persönlich würde so oft wie möglich den Weg ins linXXnet suchen. Ich kann nicht mehr ohne.