Sol­i­dar­ität mit dem Streik der Erzieher*innen

Seit Fre­itag, den 8.5., streiken Erzieher*innen in Kindertagesstät­ten und weit­eren sozialen Ein­rich­tun­gen bun­desweit und unbe­fris­tet für eine Aufw­er­tung sozialer Berufe. Um die gesellschaftliche Rel­e­vanz dieses Kon­flikts deut­lich zu machen, hat sich auch in Göt­tin­gen ein Unter­stützungs­bünd­nis für gute Sorgear­beit und Geschlechterg­erechtigkeit gebildet.

Im Fol­gen­den doku­men­tieren wir den Brief des Bünd­nisses, der sich direkt an von dem Streik betrof­fene Eltern wen­det und diese zur Sol­i­dar­ität mit den Streik­enden aufruft.

Care work­ers – unite!
Rabatz! Gemein­sam für gute Sorgear­beit und Geschlechterg­erechtigkeit !
Offener Brief an die KiTa-​Eltern

Liebe Eltern,

vielle­icht haben Sie es auch schon in Ihrem All­tag zu spüren bekom­men: in den kom­mu­nalen Kindergärten fällt die Kinder­be­treu­ung aus, weil die ErzieherIn­nen streiken. Im Tar­ifkon­flikt zwis­chen ver.di und den kom­mu­nalen Arbeit­ge­berver­bän­den findet ein unbe­fris­teter Erzwingungsstreik statt. Das bedeutet für Sie, dass Sie auf unab­se­hbare Zeit die Betreu­ung ihrer Kinder wieder jen­seits der KiTa organ­isieren müssen. Das kann stres­sig sein. Viele Eltern in Göt­tin­gen haben sich bere­its dafür entsch­ieden, das Anliegen der ErzieherIn­nen zu unter­stützen. In einer Sit­u­a­tion, in der Druck durch die Organ­i­sa­tion der Kinder­be­treu­ung jen­seits der KiTa entsteht, ver­di­ent das hohen Respekt!

Viele Eltern erken­nen, dass es bei diesem Kon­flikt nicht alleine um die Forderung nach mehr Geld geht, son­dern dass dieser Kon­flikt auch eine gesellschaftliche Auseinan­der­set­zung um die Organ­isierung von Sorgear­beit ist. Dabei geht es let­z­tendlich auch um Anerken­nung der Arbeit von ErzieherIn­nen, BetreuerIn­nen und Sozialpäd­a­gogIn­nen und ihre Gle­ich­stel­lung mit anderen Tätigkeiten.

96 % der streik­enden ErzieherIn­nen sind Frauen. Damit setzt sich in der Lohnar­beit eine Tra­di­tion der geschlechtlichen Arbeit­steilung fort. Spätestens seit der Indus­tri­al­isierung wur­den Sorgear­beiten wie Kinder­erziehung an Frauen delegiert, während die Män­ner Autos und Maschi­nen bauten – und damit das Geld ver­di­en­ten. Diese Sorgear­beit soll­ten sie unbezahlt und im Pri­vaten zu Hause ver­richten. Dass es heute Kindertagesstät­ten gibt und Frauen die Möglichkeit haben die Sorge um ihre Kinder an pro­fes­sionelle Päd­a­gogIn­nen abzugeben, ist das Ergeb­nis gesellschaftlicher Auseinan­der­set­zun­gen. Sorgear­beit wird allerd­ings immer noch zu einem Großteil von Frauen erledigt und sie wird schlecht bezahlt. Diesem Umstand ist auch mit geschuldet, dass Frauen im Durch­schnitt 23 % weniger als Män­ner ver­di­enen. Aber auch weit­er­hin sor­gen Frauen unbezahlt für die Kinder­erziehung zu Hause, was durch Steuer­vorteile für das Gehalt des Mannes („Ehe­gat­ten­split­ting“) oder die „Herd­prämie“, die ger­ade vom Bun­desver­fas­sungs­gericht auf ihre Vere­in­barkeit mit dem Gle­ich­stel­lungs­grund­satz geprüft wird, begün­stigt wird.

KiTa-​Betreuung ist ein Schritt und eine Möglichkeit, solche Tätigkeiten der Sorge um andere gesellschaftlich anders zu organ­isieren. Alle päd­a­gogis­chen Exper­tisen der let­zten Jahre beto­nen, wie wertvoll es für Kinder und ihre Entwick­lung ist, wenn sie in ihren frühen Phasen zusam­men in Grup­pen mit Gle­ichal­tri­gen päd­a­gogisch pro­fes­sionell betreut wer­den. Wir alle wis­sen doch, wie die Real­ität aussieht: wenn die KiTa zu bleibt, wer küm­mert sich dann zu Hause um die Kinder? Ohne diese gesellschaftliche Organ­i­sa­tion der Sor­getätigkeit, die Organ­i­sa­tion von gesellschaftlich notwendi­ger Arbeit, fällt deren Organ­i­sa­tion auf alte Geschlechter­stereo­typen zurück. Ohne pro­fes­sionelle Päd­a­gogIn­nen kommt die Wirk­lichkeit der Geschlechtertren­nung im All­tag zum Vorschein, die immer noch Män­ner in ihrer Leben­sre­al­ität priv­i­legiert und Frauen die Sorge um das Leben­snotwendige überträgt. Selb­stver­ständlich gibt es auch Gegen­beispiele, die aber eher die Aus­nahme bilden.

Damit es nicht nur bei manchen anders ist, son­dern soziale Ver­hält­nisse der Gle­ich­heit und der Emanzi­pa­tion gesellschaftliche Real­ität wer­den, braucht es Räume, in denen Sor­getätigkeiten jen­seits von pri­vater Hausar­beit organ­isiert wer­den kön­nen. Poli­tis­cher Druck hat dem Staat das Ver­sprechen an die Eltern abgerun­gen, dass alle einen Anspruch auf einen Kinder­garten­platz haben. Dass dem nicht so ist, wis­sen Sie als Eltern wohl nur zu gut, wenn Sie sich auf die Suche nach einer guten KiTa für Ihr Kind begeben. Diejeni­gen, die den Bere­ich gesellschaftlich notwendi­ger Arbeit als pro­fes­sionelle Päd­a­gogIn­nen organ­isieren, die sich täglich um Ihre Kinder küm­mern und garantieren, dass bei Ihnen im All­tag nicht automa­tisch die Frau ihre Zeit auf die Kinder­erziehung verpflichten muss, die ErzieherIn­nen die jetzt streiken, haben ein legit­imes Recht auf die gesellschaftliche Etablierung ihrer Tätigkeit. Sie führen jetzt den Kampf, den Frauen im pri­vaten Haushalt ver­lassen kon­nten, weil sie sich ein Stück weit von der Verpflich­tung zur Kinder­be­treu­ung emanzip­ieren kon­nten. Diese Betreu­ung wird jetzt in der Regel von schlecht bezahlten Frauen als ErzieherIn­nen erledigt. Sie sind als Frauen beson­ders betrof­fen von sozialer Prekarisierung und fol­gen­der Alter­sar­mut. Deswe­gen taucht in dieser Auseinan­der­set­zung nicht nur ein Geschlechterkon­flikt auf, son­dern ein Kon­flikt zwis­chen unten und oben. Ökonomis­cher und Geschlechterkon­flikt lassen sich in dieser konkreten Auseinan­der­set­zung nicht tren­nen, sie bedin­gen sich gegen­seitig. In der Anerken­nungs­forderung der ErzieherIn­nen tre­f­fen sich die Forderung nach sozialer Gle­ich­stel­lung und geschlechtlicher Emanzipation.

Auch wenn die Zeit des Streiks anstren­gend wird, die streik­enden ErzieherIn­nen sind nicht unsere Geg­ner­In­nen! Sie sind unsere Ver­bün­de­ten in einem Kon­flikt um gesellschaftliche Emanzi­pa­tion! Sie tra­gen den Kon­flikt mit dem Staat aus, der zwar KiTa-​Plätze für alle ver­spricht, dieses Ver­sprechen aber nicht ein­löst und damit seine gesellschaftliche Auf­gabe nicht erfüllt! Deswe­gen bleibt die KiTa zu, nicht weil die ErzieherIn­nen nicht arbeiten wollen würden.

Wir, die wir Ihnen schreiben, die Unterze­ich­ner­In­nen dieses Briefes, sind Frauen­grup­pen und fem­i­nis­tis­che Ini­tia­tiven. Wir kom­men aus zivilge­sellschaftlichen, sozialen, poli­tis­chen und akademis­chen Zusam­men­hän­gen. Und wir sind auch selbst in Ihrer Sit­u­a­tion, wir sind Eltern, die während des Streiks die Sorge um unsere Kinder organ­isieren müssen und die um die Belas­tun­gen des All­t­ags wis­sen. Uns alle eint, dass wir in dem Kon­flikt zwis­chen ErzieherIn­nen und kom­mu­nalen Trägern mehr sehen als einen ein­fachen Kampf ums schnöde Geld – vielle­icht auch mehr, als die Gew­erkschaften the­ma­tisieren. Wir sehen darin einen fem­i­nis­tis­chen Kampf um Emanzi­pa­tion. Wir sehen darin einen poli­tis­chen Kon­flikt um die gesellschaftliche Organ­isierung von notwendi­gen Auf­gaben, um die Sorge um unser All­t­agsleben sozial jen­seits der Ver­w­er­tungslogik des freien Mark­tes auf­brin­gen zu kön­nen. Wir sol­i­darisieren uns mit den streik­enden ErzieherIn­nen und wir rufen Sie auf, das auch zu tun! Zeigen Sie den Streik­enden ihre Sol­i­dar­ität und unter­stützen Sie Ihre ErzieherIn­nen. Tra­gen Sie den Kon­flikt zu denen, die die gesellschaftliche Emanzi­pa­tion blockieren.

Beschw­eren Sie sich bei der Kom­mune und ver­lan­gen Sie, dass die Poli­tik Ihre Ver­sprechen hält! Der aktuelle Kon­flikt bet­rifft die gesamte Gesellschaft. Er braucht daher die Ein­mis­chung von betrof­fe­nen Grup­pen jen­seits der klas­sis­chen Tarifpartner.

Um unsere Sol­i­dar­ität mit den ErzieherIn­nen gemein­sam zu besprechen und zu disku­tieren, laden wir Sie und alle Inter­essierten deshalb her­zlich zu einem offe­nen Unter­stützungstr­e­f­fen ein:

Dien­stag | 12. Mai. 2015 | 19 Uhr | Arbeit & Leben | Lange-​Geismar-​Str. 72 | Göttingen

Vorher am gle­ichen Tag gibt es bere­its eine inhaltliche Infover­anstal­tung des Sozi­ol­o­gis­chen Forschungsinstituts:

17:30 Uhr | Arbeit & Leben | Soziale Dien­stleis­tun­gen sind mehr wert! Infover­anstal­tung zu den Streiks im Sozial– und Erziehungs­di­enst

Und wir rufen Sie auf, diesen Brief mit Ihrer Unter­schrift zu unter­stützen. Schreiben Sie dazu ein­fach eine E-​Mail an: care-streik-soli@web.de

Bünd­nis für gute Sorgear­beit und Geschlechtergerechtigkeit

Erstun­terze­ich­ner­In­nen: Frauen­notruf e.V. Göt­tin­gen | Fach­gruppe Geschlechter­forschung | DGB-​Jugend AK Gerda-​Gender | Net­zw­erk Care-​Revolution | Basis­demokratis­che Linke | Grüne Jugend Göt­tin­gen | Schöner Leben Göt­tin­gen | YXK Göt­tin­gen – Ver­band der Studieren­den aus Kur­dis­tan | Antifa Jugend (AJ) | Antifaschis­tis­che Linke Inter­na­tional A.L.I. | queer-​feministische Gruppe Femko | Partei DIE LINKE Orts– und Kreisver­band | Partei DIE LINKE Kreistags­frak­tion | Rats­frak­tion Göt­tinger Linke | Wäh­lerIn­nenge­mein­schaft Göt­tinger Linke | ver.di U35-​Gruppe Göt­tin­gen | Jusos Göttingen

Prof. Sabine Hess, Kul­tur­an­thro­polo­gin Uni Göt­tin­gen | Dr. Kon­stanze Han­itsch, wis­senschaftliche Mitar­bei­t­erin der Geschlechter­forschung Uni Göt­tin­gen | Rein­hard Neubauer, ehe­mal. Rat­sherr Göt­tinger Linke | | Julia Kellner-​Evers | Magda Zynda-​Elst, Gle­ich­stel­lungs­beauf­tragte Gemeinde Ros­dorf | Patrick Humke, Rat­sherr Göt­tinger Linke | Katha­rina Jacobi