Solidarität mit den Streikenden im Sozial– und Erziehungsdienst
Samstag, 30. Mai 2015: 15 Uhr Demonstration | Gänseliesel (Kornmarkt)
Seit zwei Wochen befinden sich die Beschäftigten im öffentlichen Sozial– und Erziehungsdienst im Streik. Sie fordern zu Recht eine höhere Eingruppierung ihrer Tätigkeit in den Tarifgruppen und damit eine Aufwertung und Gleichstellung mit anderen Berufen.
Die Anforderungen an ErzieherInnen in ihrem Beruf sind durch zusätzliche Aufgaben stark gestiegen: frühkindliche Bildung, Inklusion und Prävention. SozialarbeiterInnen müssen seit Langem und immer weiter die Scherben zusammenkehren, die die soziale Ungleichheit und Kälte hinterlassen. Die Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände (VKA) verschleppt die Verhandlungen und hat bis jetzt immer noch kein ernstgemeintes Angebot vorgelegt. Damit sind sie verantwortlich für den anhaltenden Streik, dessen Auswirkungen die Eltern, Kinder und KlientInnen der Sozialen Arbeit zu spüren bekommen.
Wir sagen: es reicht! Wir solidarisieren uns mit den Streikenden und machen so lange mit ihnen zusammen Rabatz, bis die ArbeitgeberInnen endlich auf die Forderungen der Gewerkschaft ver.di eingehen! Denn dieser Konflikt betrifft nicht alleine die TarifpartnerInnen, sondern geht als gesellschaftliche Auseinandersetzung darüber hinaus.
Für Geschlechtergerechtigkeit!
Ein feministischer Konflikt 95 % der Beschäftigten im betroffenen Bereich des Streiks sind Frauen. Das ist kein Zufall, sondern gesellschaftlich so hergestellt, dass sorgende Tätigkeiten an Frauen delegiert und schlecht bezahlt werden. Damit setzt sich in der Lohnarbeit eine Tradition der gesellschaftlichen Arbeitsteilung entlang der Geschlechtergrenzen fort. Was früher kostenlos im Privaten, in der Familie ohne Geld von Frauen erledigt werden sollte, wird heute in der Berufswelt so schlecht bezahlt, dass Frauen im Durchschnitt immer noch 23 % weniger verdienen. Die Streikenden im Sozial– und Erziehungsdienst bekommen bislang deswegen so wenig Geld, weil sie in einem traditionellen Frauenberuf arbeiten. Dass es heute Kindertagesstätten gibt und Frauen die Möglichkeit haben die Sorge um ihre Kinder an professionelle PädagogInnen abzugeben, ist das Ergebnis gesellschaftlicher Auseinandersetzungen. Die ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen führen jetzt den Kampf, den Frauen im privaten Haushalt verlassen konnten, weil sie sich ein Stück weit von der Verpflichtung zur Kinderbetreuung emanzipieren konnten. Dieser Konflikt geht deswegen alle etwas an, die sich für Geschlechtergerechtigkeit in dieser Gesellschaft einsetzen und fordert ihre Solidarität mit den Streikenden!
Care-Workers unite!
Dabei sind Erziehung und Soziales nicht die einzigen Bereiche, in denen dieser gesellschaftliche Konflikt um das Geschlechterverhältnis brandaktuell ist: Gesundheit, Pflege, Haushalt und Versorgung sind sozial notwendige Aufgaben, deren Erledigung von der profitorientierten Wirtschaft einfach immer vorausgesetzt wird und weiterhin an Frauen übertragen wird, die sie im Zweifel der Krise doch wieder unbezahlt im Privaten erledigen müssen. Unbezahlte und schlecht bezahlte Care-Arbeit machen dabei in der BRD zusammen 69 % der gesamten geleisteten Arbeitszeit aus. Diejenigen, die sie leisten, werden aber nicht am gesellschaftlich produzierten Reichtum beteiligt. Stattdessen wird das Geld in absurden Großprojekten wie dem Berliner Flughafen, der Hamburger Elbphilharmonie oder in Göttingen im Kunstquartier im Nikolaiviertel verbrannt. Es braucht die Räume, in denen die lebensnotwendigen, gesellschaftlich wichtigen Sorgetätigkeiten jenseits des privaten Haushaltes oder der Präkarisierung organisiert werden können. Der jetzige Streik ist dabei ein Präzedenzfall. Er betrifft deswegen nicht nur ErzieherInnen und SozialarbeiterInnen, sondern alle Sorgearbeitenden, ob zu Hause oder im schlecht zahlenden Betrieb!
Kohle her! Umverteilung statt neoliberales Dogma!
Die VKA beharrt auf dem einfachen Argument, dass die Kommunen sowieso pleite sind und die Forderungen von ver.di 1,2 Milliarden € kosten würden. Wieso sie pleite sind, wird aber nicht dazu gesagt. Spätestens seit der Schröder-Regierung und jetzt in der Krisen-Austeritätspolitik noch einmal verschärft wird die öffentliche Versorgung durch neoliberale Sparprogramme und Privatisierungen kaputt gemacht. Der Kapitalismus entzieht immer weiter dem sozialen und lebenserhaltenden Alltagsbereich die Existenzgrundlage zu Gunsten der profitorientierten, krisenanfälligen Produktion. Gleichzeitig kündigt der Finanzminister der großen Koalition, Wolfgang Schäuble an, durch den Abbau der „kalten Progression“ guten Einkommen Steuergeschenke von 1,5 Milliarden € machen zu wollen. Das Geld ist also da! Die Verantwortlichen müssen nur endlich anfangen, in die richtige Richtung um zu verteilen.
Rabatz statt Sozialpartnerschaft!
Wenn der SPD-Oberbürgermeister Rolf-Georg Köhler und der SPD-Landrat Bernhardt Reuter jetzt die Streikenden umarmen, aber mit einem Verweis auf Sachzwänge und klamme Kassen der Kommune abtut, dann ist das nichts anderes, als Teil einer technokratischen Befriedungsstrategie. Die gesellschaftlichen Verhältnisse mit ihren angeblichen Sachzwängen sind politisch hergestellt und veränderbar. Es liegt auch an den konkreten Entscheidungen von Verantwortlichen, welche Bereiche in dieser Gesellschaft unterstützt und finanziert werden. Eine andere, emanzipatorische Organisation von Sorgearbeit bedarf auch einer Vorstellung von anderen gesellschaftlichen Bedingungen, in denen die Logik der alternativlosen Sachzwänge aufgehoben wird. Ob Schritte dahin möglich sind, ist auch eine Frage, ob sie von konkreten Akteuren verhindert werden. Der Partei-Kollege von Herrn Köhler und Herrn Reuter, der Göttinger SPD-Bundestagsfraktionsvorsitzende Thomas Oppermann, trifft die Entscheidungen des Finanzministers in der Großen Koalition mit. Vielleicht unterhalten sich Herr Köhler, Herr Reuter und Herr Oppermann mal darüber?!
Den rechten Rollback stoppen! Gegen Antifeminismus und Homofeindlichkeit
Gegen eine solche emanzipatorische Bewegung regt sich zunehmend eine reaktionäre Stimmung von elitären, rechten AntifeministInnen. Die CSU setzt die Herdprämie durch, AfD und andere RechtspopulistInnen hetzen auf der Straße gegen Feministinnen und Homosexuelle und fundamentalistische ChristInnen wollen das Frauenrecht auf Abtreibung zurück drehen. Männerbündlerisches, elitäres und homofeindliches Gedankengut sind in einer rechten und rückwärtsgewandten Strömung zu einem identitären Minimalkonsens geworden, der eine zersplitterte Rechte in einem Schmelztiegel zusammen schweißt. Die wütenden, weißen Männer von Pegida und co. bekommen Angst um ihre gesellschaftlichen Privilegien. Von uns bekommen sie diese aber nicht zurück! Wir kämpfen weiter zusammen für unsere Emanzipation und gegen den rechten Rollback!
Care-Workers unite, gegen rechte Männerbünde! Die SozialarbeiterInnen und ErzieherInnen sind nur einige, die gerade im Streik unseren Konflikt führen. Denn die Ursachen für ihre Misere betreffen viele und gehen noch mehr etwas an: Sorgearbeitende und Umsorgte, FeministInnen und Linke. Lassen wir uns in dieser Auseinandersetzung nicht vereinzeln und spalten! Stehen wir jetzt gemeinsam mit den streikenden Care-Workern des Sozial– und Erziehungsdienstes für ihre Forderungen auf und damit auch für unsere Gleichstellung! Machen wir Rabatz gegen die VKA, bis die Streikforderungen erfüllt sind – und danach noch mehr, bis wir Geschlechtergerechtigkeit erreicht haben!