Das Weisse Haus im Hagenweg 2T wird zu Beginn des neuen Jahres nach bloß einem halben Jahr geschlossen und abgewickelt. Galt das Haus zuvor als Vorzeigeeinrichtung zur Versorgung und Unterbringung geflüchteter Frauen und alternativlos, mag diese schnellere Rückkehr zu anderen Unterbringungsformen überraschen.
Anhand der städtischen Unterbringungspolitik wird immer wieder sichtbar, wie wenig es den Behörden tatsächlich um die Bedürfnisse der Betroffenen geht. Vielmehr werden Geflohene als technisches Problem und administrative Verschiebemasse behandelt, deren Bedürfnisse zur kurzfristigen Durchsetzung von Projekten gerne zitiert werden, die aber in der tatsächlichen Ausführung wo es nur geht mit Füßen getreten werden. An dem konkreten Beispiel des Weißen Hauses wird zudem die lokale Wirkung bundesweit ablaufender „Debatten“ und ihre politische Instrumentalisierung durch die Verwaltung deutlich.
1. Sommer 2015: Krise der Verwaltung und ziviles Engagement
Um das Ausmaß der behördlichen Fehlentscheidungen im Zusammenhang mit dem Weißen Haus im Hagenweg erfassen zu können, ist es nötig, sich die Entstehungsumstände der dortigen Unterkunft für Geflüchtete vor Augen zu führen. Sie wurde als unmittelbare Reaktion der Stadt Göttingen auf den mittlerweile schon fast mystifizierend „Sommer der Migration“ genannten Herbst 2015 eingerichtet, als auch hier die Zahl von Asylbewerber*innen stieg. An dieser und anderen dezentralen Unterbringungen im Stadtgebiet entstanden parallel, analog zur bundeweiten Entwicklung, Willkommens– und Hilfsinitiativen, die das staatliche Versagen bei der grundlegenden (Erst-)Versorgung auffangen mussten. Angesprochen auf die besondere Lage von allein– oder mit Kindern reisenden Frauen in Sammelunterkünften reagieren Vertreter*innen der Stadt mit Unverständnis, dies sei gerade nicht wichtig. Auch in diesem Bereich wird sich auf etablierte zivilgesellschaftliche Institutionen wie Frauenhaus und Frauennotruf verlassen und nicht die eigene Politik von Beginn an den Bedürfnissen der Menschen orientiert. Bei der ehrenamtlichen Unterstützung für (neu angekommene) Geflüchtete zeichnete sich die Situation im Hagenweg durch die schnelle Anbindung an im Stadtteil bereits existierende sozialpolitische Projekte aus. Dies mag zum Teil durch die soziale Struktur erklärbar sein, wohnten in Grone doch für das Göttinger Stadtgebiet bereits vor der „Flüchtlingskrise“ überdurchschnittlich viele Migrant*innen. Es gab also in der zivilgesellschaftlichen Arbeit bereits einige Erfahrungen, an die angeknüpft werden konnte. Durch die räumliche Nähe zur musa und dem Haus der Kulturen war beispielsweise eine Teilnahme an dort stattfindenden Deutschkursen problemlos möglich. Zu Beginn des Jahres 2016 hielt die Stadt Göttingen ihr „Konzept“ der dezentralisierten Sammelunterkünfte noch hoch: So entstanden im Stadtgebiet, abgesehen von der bereits zuvor fertiggestellten Unterkunft auf den Zietenterrassen und der wieder geöffneten ehemaligen Voigtschule, kaum größere Massenunterkünfte, während im Landkreis in den umliegenden Orten eine Turnhalle nach der nächsten zu einer solchen umfunktioniert wurde.
2. Zentralisierung und rhetorische Feigenblätter
Doch im Mai 2016 begann der Wind aus einer anderen Richtung zu wehen. Die „große Politik“ hatte die europäischen Außengrenzen und immer mehr auch die EU-Binnengrenzen geschlossen. Der Zustrom an Geflüchteten in die BRD nahm ab.1 Für die Stadt Göttingen war dies zunächst keine gute Nachricht, hatte man doch gerade im Groner Industriegebiet in hübscher Autobahnrandlage eine Lagerhalle zu einem hohen Quadratmeterpreis gemietet und für die Unterbringung Geflüchteter nutzbar gemacht. Für die Parzellierung des Innenraumes bis zu einer Höhe von 2,5 Metern und die „unerlässliche“ Umzäunung wurden 2,5 Millionen Euro von der Stadt bezahlt.2 Auch für den Betreiber, das Deutsche Rote Kreuz, wäre die Nichtnutzung der Halle eine ökonomische Katastrophe gewesen. Denn je höher die Personendichte je Quadratmeter, desto mehr zahlt die Stadt, an den Betreiber, für den das „gemeinnützige Engagement“ somit umso rentabler ist. Um die Nicht-Nutzung zu verhindern, wurde der zwangsweise Umzug in die Unterkunft in der Siekhöhe aus mehreren dezentralen Einrichtungen, darunter das Weiße Haus im Hagenweg, betrieben. Im Falle des Hagenwegs griff die Stadt dabei zu einer besonders perfiden Argumentationskrücke: Nun wolle man dort „traumatisierten, von Gewalt bedrohten oder schwangeren Frauen und Mütter mit Kindern“ (Siegfried Lieske, damaliger Ordnungsdezernent, Grüner) eine sichere Unterbringung ermöglichen,.Dazu müssten die dort lebenden Männer aber in die Siekhöhe verlegt werden.
Hinter diesem Anliegen stand die Absicht, zwei Gruppen mit dem gleichen Interesse, nämlich dem an einer menschenwürdigen Unterbringung, gegeneinander auszuspielen. Gegen dieses Vorhaben regte sich Protest. In offenen Briefen, Pressemitteilungen, und letztlich mit einer Blockade beim „Umzugstermin“3 wurde der städtischen Politik klar gemacht, dass sie weder bei direkt Betroffenen noch ihren Freunden und Unterstützer*innen auf Zustimmung stieß. Die Stadt in Person ihres Ordnungsdezernenten und seiner Partei hielt dagegen. Denn auch für die Delegitimierung des Protests mussten die Frauen und Kinder herhalten. Grüne und SPD gaben in einer Pressemitteilung bekannt: „Es ist nicht an Zynismus zu überbieten, einer von Gewalt betroffenen Frau zu sagen, sie muss noch weitere Monate diesen unhaltbaren Zustand ertragen, nur weil Initiativen zur Unterstützung von Geflüchteten Menschen glauben, dass es die Bewohnern in ihrer derzeitigen Unterkunft schöner finden als in einer Gemeinschaftseinrichtung“ [sic!]. Dass eben jene Initiativen bereits monatelang mit eben diesem Anliegen am Verwaltungshandeln (s.o.) scheiterten, wird gekonnt verschwiegen. Auch die aufgestellten Listen anmietbarer Wohnungen und Leerstandes führte nicht zu einem Abweichen der Stadt von ihrer Linie: Im Juni mussten die letzten der ursprünglichen (männlichen) Bewohner des Hagenwegs 2 ausziehen.
3. Ein halbes Jahr Frauenunterkunft
Und dann passierte etwas Erstaunliches: Trotz des immer wieder von Seiten der Verwaltung beteuerten Bedarfes… stand die Unterkunft erstmal leer. In den Monaten der städtischen Untätigkeit haben Frauen in den Göttinger Unterkünften eigene Netzwerke aufbauen und auf dort (ehrenamtlich) angebotene Beratungsangebote und Unterstützung zurückgreifen können. Die später gefundenen Erstbewohnerinnen fanden sich entsprechend aus dem gesamten Bundesland zusammen. Auch im weiteren Verlauf des Jahres wurden hauptsächlich Neuzugänge nach Göttingen im Hagenweg untergebracht. Daran zeigt sich, dass es nie Ziel war, bestehende Missstände in Göttinger Unterkünften zu beseitigen, wie von Lieske, Grünen und SPD behauptet. Man könnte sagen, alles halb so schlimm, immerhin kamen so enigstens einige Frauen in den Genuss einer auf sie zugeschnittener Sozialarbeit. Nur: Eine solche Betreuung fand im gesamten restlichen Existenzzeitraum des Weißen Hauses als Unterkunft für geflüchtete Frauen nicht statt. Weder Bonveno als Betreiberin der Unterkunft, noch die Stadt als politische Verantwortliche, schafften es, ein solches Angebot bereit zu stellen, obwohl der Bedarf ja offensichtlich erkannt wurde. Übrig blieben drei für alle ca. 1200 Geflüchteten im Stadtgebiet verantwortliche Sozialarbeiterinnen der Stadt und die meist männlichen Security-Mitarbeiter, die der Beaufsichtigung der Bewohner*innen dienen. Während erstere logischerweise strukturell überfordert waren, verhinderten letztere grundsätzlich jegliche Kontaktaufnahmen mit den Frauen im Weißen Haus. So waren für die Bewohner*innen auch persönliche Besuche auf den Zimmern untersagt. Männliche Besuche waren gänzlich verboten, Frauen nur mit Anmeldung. Ob eine solche rigorose und kategorische soziale Isolation im Interesse der Betroffenen geschah, lässt sich bezweifeln.
Zum Ende des Jahres 2016 wurde die erste Frauenunterkunft Göttingens nun nach einer halbjährigen Nutzung wieder geschlossen. Mittlerweile war ein auf dem Nachbargrundstück errichteter Neubau fertig gestellt, in dem die Verwaltung zunächst geflüchtete Frauen mit Kindern, auch aus dem Hagenweg, sowie später auch andere Empfänger*innen von Sozialleistungen unterbringen möchte. Dies stellt für viele sicherlich eine Verbesserung der Wohnsituation dar und auch der Ansatz, durch die Vermeidung von „Quartieren nur für Flüchtlinge“ zu einer besseren Integration beizutragen, ist begrüßenswert. Angesicht der als alternativlos verkauften Einrichtung der Unterkunft auf der Siekhöhe zeugt diese Aussage aber von einem gehörigen Maß Doppelmoral.4 Weiterhin deckt die Aufgabe der geschlechtergetrennten Unterbringung für die „traumatisierten, von Gewalt bedrohten oder schwangeren Frauen“ (Lieske, again) die dieser (vorgeschobenen) Sorge zu Grunde liegende rassistische Einstellung zu Sexismus und sexualisierter Gewalt auf: Während aufgrund der vorgeblichen Gefährdung eine Unterbringung mit Männern ohne deutschen Pass undenkbar, nachgerade zynisch (Grüne), ist, ist es kein Problem, die gleichen Betroffenen mit deutschen Passinhabern zusammen wohnen oder sie bereits zuvor von männlichen Securities „bewachen“ zu lassen. Das ist genau jener feministisch verbrämte Rassismus, wie er nach der Silvesternacht in Köln 2015/16 benutzt wurde, um a) repressiv gegen Asylbewerber*innen vorzugehen und b) die weiße, deutsche Gesellschaft vom eigenen Sexismus reinzuwaschen.
4. Politischer Ausblick
Folgende Erkenntnisse lassen sich aus dem Ablauf der Geschehnisse ziehen: Zum einen haben gesamtgesellschaftliche Diskurse erheblichen Einfluss auf den Argumentationsraum lokaler Politik und Verwaltung. Während im Sommer 2015 die allgemeine Rede von einer „Überforderung“ und „Krise“ war, konnten berechtigte Anliegen geflüchteter Frauen beiseite gewischt werden. Als nach den massenhaften Übergriffen von Köln 2015/16 über Sexismus und seine Bekämpfung gesprochen wurde,5 konnte dies verwendet werden, um repressive Maßnahmen gegen Geflüchtete zu legitimieren. Dass geflüchtete Frauen diverse Bedürfnisse haben, einige auch das nach einer geschützten Unterbringung, wird also je nach politischer Wetterlage mal ignoriert, mal für die Durchsetzung anderer Interessen instrumentalisiert. Damit
einher geht in erstem Fall eine fehlende Unterstützung von Frauen, die tatsächlich von Gewalt betroffen und/oder bedroht sind, während im zweiten Fall eine vollständige Reduktion aller Frauen auf eine Opferrolle erfolgt, unabhängig von ihren individuellen Erfahrungen und Bedürfnissen. Die Konsequenz ist eine paternalistische Bevormundung anstatt der Förderung eines selbstbestimmten Lebens – denn komischerweise taucht der Umzug in eine eigene Wohnung als Option gar nicht erst auf.. Zum anderen zeigt sich der instrumentelle Umgang mit Ehrenamt und sozialem Engagement von Seiten der Stadt. Die dort involvierten Personen sind keine gleichberechtigten Partner*innen, sondern günstige Arbeitskräfte um eigenes Unvermögen zu kaschieren. Sobald sie die vorgefundenen Bedingungen nicht klaglos hinnehmen und gegen eine Verschlechterung kämpfen, wird ihnen von Seiten der (im Rathaus am Schreibtisch sitzenden) Ver-waltung Expertise, Legitimation und Legitimität abgesprochen; es geht ihr nicht um Kooperation, sondern um Kooptation um eigene Interessen umsetzen zu können. So war die Stadt bei der Verlegung im Mai auf die vermittelnde Wirkung der Ehrenamtlichen angewiesen und musste, als diese sich weigerten, die eigene Autorität und Deutungshoheit behaupten. Diese Taktik gilt es zu erkennen und entsprechend kritisch mit (mündlichen) Aussagen städtischerseits zu verfahren. Das kann unter anderem heißen, nicht auf die öffentliche Hand bei der Ausgestaltung des eigenen Engagements zu vertrauen, sondern vielmehr gegen diese den eigenen Handlungsspielraum zu behaupten und auszubauen.
1 Das nun aber nicht etwa, weil Menschen aufhörten zu fliehen. Sie ertranken einfach wieder häufiger in Mittelmeer und Agäis oder wurden auf dem Weg eingesperrt.
2 Das sind im Übrigen 5.555 Monatsmieten von 450€.
3 In wenig sind deutsche Verwaltungen besser, als im (Er)Finden von Euphemismen
4 In diesem Zusammenhang interessant: Dort sind mittlerweile ungefähr 200 Menschen untergebracht, die Stadt betrachtet die Unterkunft als „voll belegt“. Zu Beginn war noch von einer Maximalbelegung von 600 Menschen die Rede. Der Protest hat also zumindest dies erreicht.
5 Aus freilich meist zweifelhafter Motivation und mit fragwürdigen Methoden
Die gesamte Demontage #7 gibt es hier zum Download.