Was bleibt vom „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“?

Seit einem Jahr ist der „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ der umtriebigste Akteur der Extremen Rechten in der Region. Auch dank diverser antifaschistischer Aktivitäten ist er aber zugleich der erfolgloseste. Nachdem wir den „Freundeskreis“ bereits im Sommer mit einer Broschüre umfangreich analysiert haben, möchten wir nun erstens zu seinem jetzigen Zustand berichten, zweitens einen Ausblick auf die weitere Entwicklung wagen und drittens Handlungsvorschläge für Antifaschist*innnen1 darlegen. Dabei ist für uns die Grundüberlegung wichtig, dass in einer zunehmenden Wirkmächtigkeit der politischen Rechten – ob regional, national oder international – es nicht gesellschaftlich isolierte Neonazis sind, die in unserem Hauptfokus stehen sollten.

Zunächst das Offensichtlichste: Der „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ ist als politischer Akteur gescheitert. Das gesetzte Ziel, sich in der Region als „nationale Kraft“ zu etablieren, wurde nicht erreicht. Jens Wilkes letzte Versuche, größere politische Aktionen durchzuführen, ähneln dem aufbäumendem Monster, dass sich mit letzten Reserven vor dem Untergang zu bewahren versucht. Letzte Aktivitäten wie die Kundgebung in Duderstadt am 12.11.2016, zu der nur etwa 18 MitstreiterInnen anreisten, zeugen von einem nachlassenden Mobilisierungspotential, ob in der bürgerlichen Rechten, ob in der Neonaziszene. Der fehlende Rückhalt und die nicht vorhandene gesellschaftliche Anbindung sind ein eindeutiges Armutszeugnis.

Gleichzeitig zeigt der Vorfall an der Göttinger Stadthalle am gleichen Tag der oben genannten Duderstädter Kundgebung, dass die Gewaltbereitschaft signifikant ansteigt. Zur Erinnerung: Jens Wilke und vier Kumpanen hatten eine antifaschistisch aktive Familie vor ihrem Haus bedroht und zwei Antifaschist*innen verletzt. Dabei waren sie unter anderem mit Messern und Eisenstangen bewaffnet. Dies ist insofern nicht verwunderlich, als dass Wilke und Co. als nun fester Bestandteil der neonazistischen Rechten zu einer politischen Fraktion gehören, für welche die physische Verletzung oder Vernichtung des politischen „Feindes“ zu den Grundelementen politischen Handelns gehört. Sie ist zwangsläufig Folge autoritären Denkens, welches keine Aushandlungsprozesse mit politischen Gegner*innen erlaubt, sondern immer nur einen im Kampfe errungenen Sieg und die hoffnungsvoll erwartete Erniedrigungsmöglichkeit im Blick hat.

Statt Debatten zählt die starke, richtende Hand. Kommt hierzu noch eine völkische Ideologie, deren tatsächliche Umsetzung (sofern diese überhaupt reell möglich ist) die Vertreibung und Vernichtung von Millionen von Menschen bedeuten würde, dürfte jedem klaren Kopf die aus jeder politischen Äußerungheraus hörbare Menschenverachtung eines Wilke und eines Messerschmidt eindeutig erkenntlich sein.

Die überregionale Vernetzung und Neuausrichtung

Nach der scheppernden Wahlniederlage bei den Kommunalwahlen im September war endgültig ersichtlich, dass der Glanz des neuen „Freundeskreis“-Labels endgültig verflogen war. Für die NPD um ihre regionalen Führungsperson Thorsten Heise bedeutete Jens Wilke als frisches Gesicht keinen Aufschwung, trotz des intensiven Wahlkampfs. Zumindest in der Öffentlichkeit verzichtet Heise seither auf ein gemeinsames Auftreten unter dem „Freundeskreis“-Label.Auch jenseits des klassischen Neonazi-Milieus war unter anderem für den völkisch-neurechten AfD-Politiker Lars Steinke die anfängliche politische Zusammenarbeit eher schädlich für die eigene Karriere; Ausdruck dessen war nicht nur das zwischenzeitliche Besuchsverbot für Veranstaltungen der AfD-Northeim, sondern auch die Nominierung für einen schlechten Listenplatz bei den Kommunalwahlen, der den Einzug von Steinke in den Kreistag letztendlich verhinderte.

Im Ringen um politische Bedeutsamkeit suchen vor allem Jens Wilke und Mario Messerschmidt die Nähe zu zwei Wahlkampfhelfern aus den neuen Bundesländern: Der „Freundeskreis“ und die mit ihm assoziierte „Bürgerinitiative Adelebsen“ (hauptsächlich das Paar Mario Messerschmidt und Sabine Heinemeier) schlossen sich „Thügida“ an, die sie als kommende bundesweite „nationale Kraft“ ansehen. Dies hat auch seine Gründe. Zwar mag „Thügida“ auf ihren zahlreichen Kundgebungen kaum mehr solche TeilnehmerInnenzahlen wie zu Beginn aufzeigen (eine Parallele zum „Freundeskreis“), aber David Köckert und Alexander Kurth schaffen es als ahrelang gut vernetzte Protagonisten der Neonazi-Szene derweil tatsächlich, die nun als Verein gegründete Gruppierung zu einem Sammelbecken der zahlenmäßig großen, aber doch zerstrittenen neonazistischen Rechten Thüringens auszurichten. AkteurInnen aus extrem rechten Bürgerinitiativen, aus der NPD-Basis, aus „Die Rechte“ und „Der Dritte Weg“ finden sich hier zusammen. Nur Nordthüringen mit dem nahen Eichsfeld und Westthüringen rund um einige höhere NPD-Mitglieder finden sich in dem Verein nicht. Eine regionale Relevanz hat er dennoch für die neonazistische Extreme Rechte.

Dabei setzen die Nazis von „Thügida“ neben einem militanteren Vorgehen wie in Göttingen, aber auch andernorts vor allem auf „Grass-Roots“-Arbeit. In einigen Stadtteilen Erfurts sind zum Beispiel militante „Die Rechte“-Mitglieder über Vereine mit Namen wie „Volksgemeinschaft“ als politischer Akteur durch ihr soziales Engagement durchaus etabliert. Mit der Kampagne „Ein Volk hilft sich selbst“ versucht „Thügida“ nun, an solche Teilerfolge anzuknüpfen. Armen Menschen aus der „Volksgemeinschaft“ soll mit karitativen Spenden geholfen werden, Obdachlosen wird ein Dach über dem Kopf angeboten. Dies mag zwar widersprüchlich zu einer extrem rechten Ideologie sein, zu deren Bestandteilen immer auch die Abwertung eines sozialen Andersseins und jener, die vermeintlich keinen „Nutzen“ für eine Gesellschaft haben, gehört (Sozialdarwinismus; man denke an die Internierung sogenannter „Asozialer“ im Nationalsozialismus oder an die mehr als 30 durch Neonazis ermordeten Sozialhilfeempfänger und Obdachlosen seit 1990). Angesichts einer vermeintlichen Bedrohung durch Geflüchtete scheinen Köckert, Kurth und MitstreiterInnen die Linie der sozialen Spaltung nur noch an „blutlichen“ Kriterien zu ziehen und spenden öffentlichkeitswirksam Spielzeug, Schulhefte und Kleidungsstücke den Verarmten – aber nicht den verarmten Klassen, sondern den verarmten „Deutschen“. Dies kommt unter den Ärmeren der Gesellschaft, die zwar keine rassistische Ausgrenzung erleben, aber im Alltag durch neoliberale Gesetzgebungen wie Hartz IV immer wieder Demütigungserfahrungen durchmachen müssen, nicht immer nur schlecht an.Nun stellt sich die Frage, wie erfolgreich „Ein Volk hilft sich selbst“ generell und in der Region Südniedersachsen sein wird, wo sich vor allem die „Bürgerinitiative Adelebsen“ um die Koordinierung bemüht. Dies bleibt abzuwarten; in Göttingen und Umgebung wird sich aber wohl kein Erfolg einstellen, da es hier an einer unktionierenden neonazistischen Infrastruktur mangelt, die für solch eine Kampagne wichtig ist.

Wilke selbst tut sich in Sachen Solidarität mit „Volksgenossen“ nicht gerade hervor. Er arbeitet sich seit längerem am politischen Gegner ab, wobei nach allerlei Niederlagen die politischen Aktivitäten in Südniedersachsen stetig abnehmen. Dies mag einerseits mit privaten Problemen zu tun haben, andererseits ist sein „verrückter“ Zustand auch an der Selbstpräsentation, wie beispielsweise bei Facebook, erkennbar. Dort fällt er in letzter Zeit eher mit geschmacklosen Provokationen auf. Aktionen wie das gemeinsame Posieren mit Messerschmidt am Denkmal der in den Tod getriebenen Antifaschistin Conny Wessmann (mit dem Kommentar: „die Natur wird es richten“) zeigen solch eine zwischenmenschliche Niederträchtigkeit auf, dass Wilke damit nur in den eigenen Reihen punkten kann. Die narzisstische Abarbeitung an Göttinger Antifaschist*innen ist der kümmerliche Rest seines politischen Tuns. In diesem Kontext ist auch der angekündigte Aufmarsch in Göttingen am 1. April zu sehen. Wilke mobilisiert alle seine im letzten Jahr geknüpften Kontakte in der neonazistischen Szene, um endlich ein erfolgreiches politisches Symbol in der „Frontstadt“ Göttingen zu setzen. Dies gilt es natürlich zu verhindern; der 1. April ist daher auch eine Chance, Wilke in die politische Bedeutungslosigkeit zu verdammen.

Was heißt das für uns als Antifaschist*innen?

Dennoch sollte sich die Frage stellen, inwieweit es sich noch lohnt, das Agieren von Wilke und Co. weiter zu verfolgen und zu bekämpfen? In Teilen ist es notwendig, in Teilen nicht mehr. Dies wollen wir mit einem Blick auf die derzeitige tatsächliche gesellschaftspolitische Relevanz von Neonazis darlegen.Denn trotz des Erstarkens rechter Kräfte haben – bis auf wenige Ausnahmen wie der „Freundeskreis“, der allerdings mehr AktivistInnen politisch verbrannte als dazugewinnen konnte – neonazistische Organisationen im Speziellen bundesweit kaum Zuwachs erfahren. Ihre überall gesteigerten politischen Aktivitäten dürfen nicht über ihre seit Jahren bestehende politische Krise hinwegtäuschen. Die „Mutterpartei“ NPD schwächelt, Neugründungen wie „Die Rechte“ oder „Der Dritte Weg“ verbleiben auf Kleinstparteigröße. Auch neue Labels wie jenes des „Freundeskreises“, welches zum Beispiel auch für die kleine, aber äußerst gewalttätige Nienburger Neonaziszene fungiert, verlieren in ihrer allzu neonazistischen Agitation schnell an Glanz – wenn sie diesen überhaupt jemals versprüht haben.

Stattdessen sind es völkische, lokal stark verankerte Bewegungen wie PEgIdA oder die AfD, die ohne ihre direkte Bezugnahme auf den Nationalsozialismus mit der Verbreitung menschenfeindlicher Inhalte Erfolg haben. Natürlich ist der Übergang zum neonazistischen Milieu fließend, aber Akteure wie Wilke sind eher Trittbrettfahrer als gestaltende Vorreiter. Allerdings besteht eine Gefahr, die – wie zu Beginn auch dargestellt – auch in Göttingen erfahrbar war: In ihrem Glauben, angesichts der gegenwärtigen gesellschaftlichen Verhältnisse sei genau jetzt ihre Zeit gekommen, besteht die Möglichkeit, dass trotz oder gerade wegen der politischen Irrelevanz Neonazis noch gewalttätiger in Erscheinung treten, als sie es ohnehin schon tun. Alleine aus Gründen des antifaschistischen Selbstschutzes und all jener, die die neonazistische Extreme Rechte als „unnütz“ oder als einem „Volkskörper schädlich“ betrachtet, gilt es weiterhin, die weiteren Entwicklungen der „Freundeskreis“-Überreste zu verfolgen.

Es ist viel zu tun…

Doch dies ist längst nicht alles, hierauf sollten sich antifaschistische Aktivitäten nicht beschränken. Schließlich ist Antifa mehr, als nur bestimmte FaschistInnen zu bekämpfen. Antifaschistische Politik heißt, gegen den Faschismus zu kämpfen. Das heißt auch, die gesellschaftlichen Zustände zu verändern, die ursächlich für das Entstehen faschistischer und anderer extrem rechter Ideologien und Bewegungen sind – Ganz nach dem Credo Max Horkheimers: „Wer aber vom Kapitalismus nicht reden will, sollte auch vom Faschismus schweigen.“

Noch vor drei Jahren haben wir über „Antifa in der Krise“ diskutiert. Auf einem gleichnamigen Kongress und in mehreren Debatten wurde darüber verhandelt, wie eine erfolgreiche Antifa-Politik aussehen könnte. Aus heutiger Perspektive können wir für Göttingen und Umgebung sagen: Antifa als altbekannte Praxis hat gezeigt, was sie kann. Im vergangenen Jahr wurde mit klassischen politischen Praktiken, wie einer breiten Bündnispolitik, Recherche über Neonazi-Strukturen und militantem Selbstschutz gegen den „Freundeskreis“ effektiv und gut vorgegangen. Aber das allein genügt noch nicht für eine emanzipatorische Praxis. Zum einen müssen verbindende Perspektiven weiter im Blick gehalten werden: den Zusammenhang der antifaschistischen Kämpfe gegen den „Freundeskreis“ mit Antikapitalismus, Antirassismus und Feminismus. Zum anderen ist der „Freundeskreis“ regional zwar sehr präsent gewesen und antifaschistischer Selbstschutz war auf jeden Fall nötig – aber darüber dürfen AfD, CDU/CSU und Neue Rechte nicht aus dem Blick geraten. Diese Gefahr besteht aber, wenn wir als Antifaschist*innen bei jeder Gelegenheit alle Kapazitäten darauf verwenden, einen längst gescheiterten Wilke zu stoppen. Es gilt, die richtigen Prioritäten zu setzen. Das heißt, jene Kräfte der politischen Rechten anzugehen, die in ihrem Bemühen, einen gesellschaftlichen Rechtsruck durchzusetzen, gerade zu großen Erfolg haben und damit zu einer weiteren Gefahr für feministische, antirassistische und antikapitalistische Bewegungen werden können.

Kurz, „klassische“ Antifapolitik machen wir nicht, weil sie besonders revolutionär ist, sondern weil sie in Zeiten wie diesen notwendig ist, ob wegen Akteuren wie dem „Freundeskreis“ oder noch eher wegen der AfD. Einen emanzipatorischen Charakter erhält sie erst, wenn sie mit anderen, mit sozialen Kämpfen in Verbindung steht, in denen kollektive wie individuelle Selbstermächtigung genauso erfahrbar gemacht werden wie Solidarität. In Kämpfen, die die gegenwärtigen Verhältnisse nicht als übermächtigen, erdrückenden Status Quo erscheinen lassen, sondern als veränderbar – veränderbar durch uns als ermächtigte Menschen. In Kämpfen, in denen Hoffnung für eine Gesellschaft der Solidarität und der freien Individuen entfacht werden und bestehen kann.

Dabei stellt sich natürlich die Frage, wie das ganz konkret aussehen sollte. Wie wir das als Basisdemokratische Linke angehen wollen, erfahrt ihr in Kürze.


1 Was unter anderem darin deutlich wird, dass Wilke in seinen eher emotional denn rational herbeigeführten Entscheidungen wieder die Nähe zur AfD verkündete, nachdem er der eindeutig faschistischen Rede von Björn Höcke am 17. Januar in Dresden beiwohnte. Höcke hatte in dieser Rede das Holocaust-Mahnmal in Berlin als „Denkmal der Schande“ bezeichnet und den „vollständigen Sieg der AfD“ gefordert.


Stand Februar 2017.

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