Ein globaler Rechtsruck in Richtung Autoritarismus ist in aller Munde – nicht nur in Staaten wie den USA, Brasilien, der Türkei und Indien, sondern auch in Europa und Deutschland. In der Überlegung, wie man diesem Rechtsruck und seinen Ursachen am besten entgegenstehen kann, wird vermehrt die soziale Frage auch in linksradikalen Kreisen gestellt.
Tatsächlich ist die Anzahl sozialer Kämpfe in den letzten Jahren stark gestiegen. Immer mehr Menschen nehmen die alltäglichen Widersprüche ihres Lebens nicht mehr nur als gegeben hin, sondern kämpfen für bessere Arbeits– und Lebensbedingungen. Klassische Arbeitskämpfe sind wieder angesagt, die Streikrate steigt gerade in Bereichen mit prekären Lohnarbeitsverhältnissen.
„… alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist.“
Wenn wir als Radikale Linke weiterhin davon ausgehen, dass „die Menschen […] ihre eigene Geschichte“ unter den „unmittelbar vorhandenen, gegebenen und überlieferten Umständen“ machen, dann besteht hierin das Potential für eine bessere Gesellschaft. Ihre Möglichkeit besteht — wenn wir für sie kämpfen. Daher müssen soziale Kämpfe verstärkt in unsere Analysen und in unser Handeln eingebunden werden. Sind sie es doch, in denen wir unsere subjektiven Handlungsfähigkeiten erkennen und feststellen: So wie es ist, bleibt es nicht.
Doch alte Gewissheiten zählen nicht mehr. Nach dem historischen Scheitern des Staatssozialismus herrscht 100 Jahre nach der russischen Oktoberrevolution Unsicherheit. Wo in der Vergangenheit über die Rolle der „Massen“ oder der „Arbeiterklasse“ und die eigene Positionierung als Avantgarde (oft unhinterfragte) Selbstverständlichkeit herrschte, ist seither Unsicherheit spürbar – selbst bei jenen Fraktionen der Radikalen Linken, die den dogmatischen Leninismus ablehnten, mit ihm brachen oder ihn nur noch aus den Geschichtsbüchern kennen. Die Frage nach einem emanzipatorischen Potential sozialer Kämpfe und der eigenen politischen Rolle als linksradikale Organisierungen in ihnen wird seither zu wenig oder aber oft zu abstrakt gestellt, trotz seiner weiterhin hohen Bedeutung für jene, die es ernst meinen mit der sozialen Revolution.
Auch wir selbst haben für uns diese Fragen noch längst nicht hinreichend beantwortet. Wir wollen nun mit euch aktuelle und konkrete Kämpfe diskutieren. Wir hoffen, gemeinsam mit euch Antworten auf für uns wie vielleicht auch für euch brennende Fragen zu finden. Es wird sich um Fragen handeln wie: Unter welchen Umständen werden welche sozialen Kämpfe heute geführt? Welche Rolle spielen heutige neoliberale Arbeitsbedingungen und postfordistische Produktionsweisen? Wie werden Ängste überwunden, gemeinsam für ein besseres Leben einzustehen? Wie ist das Verhältnis von Gewerkschaften und politischen Gruppen zu den Aktiven am Ort der Auseinandersetzung? Kann eine gemeinsame Klammer zwischen vermeintlich vereinzelten Kämpfen (Arbeitskämpfe, feministische Kämpfe oder andere) hergestellt werden? Was für Utopien können heute noch für eine bessere Gesellschaft jenseits des Bestehenden Sympathien gewinnen? Oder aber natürlich auch: Was bedeuten Begriffe wie „postfordistisch“ und „neoliberal“, ohne die auch dieser Text nicht auskommt?
Um uns gemeinsam diesen Fragen zu nähern, versuchen wir uns an einer Gegenwartsanalyse, wagen einen Blick auf Kämpfe in anderen Ländern und bieten Aktiven aus prekären Beschäftigungsverhältnissen wie dem Pflegebereich oder an der Universität eine Plattform. Fragend wollen wir voranschreiten, um gemeinsam in unserer emanzipatorischen Praxis voranzukommen. Seid mit dabei!
„Politik besteht letztlich darin, was heute außerhalb der Parteien geschieht.“ Kämpfe gegen Hypothekenschulden und Zwangsräumungen in Spanien
→ Workshop mit Nikolai Huke, 23. Mai, Autonomicum, 18 Uhr
Der Workshop mit Nikolai Huke gibt einen Einblick in soziale Protestbewegungen in Spanien im Kontext der Eurokrise. Er zeigt am Beispiel der Plattform der Hypothekenbetroffenen und ihres Kampfs gegen Zwangsräumungen, wie in Spanien im Zuge der Krise neue Formen der radikaldemokratischen Selbstorganisation, des (zivilen) Ungehorsams und der Selbstvollstreckung sozialer Grundrechte entstehen. Ziel ist es, Erfahrungen mit politischer Organisierung sichtbar zu machen, die für soziale Bewegungen in Deutschland das Potential bieten, eigene Strategien konstruktiv weiterzuentwickeln.
Der Workshop hat zunächst eine begrenzte Teilnehmer*innenzahl von 30 Personen. Die ersten 20 erhalten eine Ausgabe seines Buches „Krisenproteste in Spanien“ (https://www.edition-https/), auf dem die Arbeit im Workshop beruhen wird. Für alle weiteren stehen Kopien bereit. Sollte das Interesse die Zahl von 30 Teilnehmer*innen deutlich übersteigen, werden wir eine Umstrukturierung des Workshops vornehmen, damit alle etwas davon haben.
Für eine bessere Vorbereitung würden wir uns freuen, wenn ihr uns eine Mail an bl-AT-systemausfall.org (Betreff: VA Krisenproteste) schreibt, wenn ihr kommt.
“Die endlich entdeckte politische Form”?: Fabrikbesetzungen und Arbeiterkontrolle in Südfrankreich am Beispiel von ScopTI (Société Coopérative Ouvrière Provençale de Thés et Infusions)
Filmvorführung und Diskussionsrunde mit Laura Coppens und Olivier Leberquier, 31. Mai, OM10, 18 Uhr
Der Film “Demain l’usine” (50 min) und die anschließende Diskussion mit dem Kooperateur Olivier Leberquier der selbstverwalteten Tee-Fabrik ScopTI bei Marseille, deren ArbeiterInnen nach 1336 Tagen Kampf gegen den Großkonzern Unilever im Jahr 2014 eine Kooperative gründeten, geben einen Einblick in die heutige Praxis der Arbeiterselbstverwaltung. Am Beispiel von ScopTI möchten wir sowohl die emanzipatorischen Möglichkeiten als auch die Grenzen von Arbeiterkontrolle im kapitalistischen System erörtern. Dabei sollen die alltäglichen Erfahrungen von Mitbestimmung und wirtschaftlicher Konkurrenz, die Rolle von Gewerkschaften in den französischen Fabrikkämpfen und die Frage der Macht im Staat ausgelotet werden. Wie kann eine gesellschaftliche Alternative auf Basis von Betriebskollektiven aussehen?8
Für die Diskussion stehen Dolmetscher*innen bereit.
Hinweis: Die Veranstaltung wird im Rahmen von Dreharbeiten gefilmt. Wenn ihr nicht gefilmt werden wollt, sagt uns gerne vor Beginn der Veranstaltung Bescheid!
Arbeit, die krank macht – Arbeitskämpfe im Gesundheitswesen – Diskussion mit Kaffee & Kuchen mit Kalle Kunkel und einer VertreterIn
der Betriebsgruppe der Charité (angefragt)
am 3. Juni um 15 Uhr in der ver.di-Geschäftsstelle
eine Veranstaltung der Basisdemokratischen Linken (BL) Göttingen und dem ver.di-Ortsverein Göttingen
Nicht erst mit den bundesweiten Arbeitskämpfen an Kliniken in diesem Jahr ist deutlich erkennbar, wie schlecht die Arbeitsbedingungen im Gesundheitswesen sind. Auch in diesem Bereich der öffentlichen Versorgung hat sich die Idee der Verwertbarkeit durchgesetzt, so dass nicht nur die Arbeitsbedingungen selbst, sondern auch eine gute Verpflegung der Patient*innen zu Gunsten einer „schwarzen Null“ geopfert werden. Obwohl hier die Widersprüchlichkeit einer kapitalistischen Produktionsweise offen zu Trage tritt, finden die Arbeitskämpfe an den Kliniken nur wenig Unterstützung von Akteuren sozialer Bewegungen.
Mit Kalle Kunkel, ver.di-Gewerkschaftssekretär, und einem/r VertreterIn der Charité-Betriebsgruppe wollen wir bei Kaffee und Kuchen, nach einem Input zu den Entwicklungen an den Kliniken in den letzten Jahren darüber diskutieren, inwieweit gewerkschaftliche Kämpfe von solchen außerparlamentarischen Akteuren Unterstützung erhalten können, und wie diese zusammen mit den Beschäftigten auch eigene Akzente setzen können.
Was ist Klassenkampf heute? Vortrag und Diskussion mit antifa kritik und klassenkampf (Frankfurt/Main)
am 07. Juni, Autonomicum, 19 Uhr
In den letzten Jahren hat die radikale Linke ein verstärktes Interesse an der sozialen Frage und auch an der Unterstützung der Kämpfe von Lohnabhängigen entwickelt. Außerdem wurde die Frage der eigenen Stellung diskutiert: Erst, wenn sich auch linksradikale Polit-Gruppen selbst als Teil der Klasse begreifen, führen sie nicht mehr einen äußerlichen Kampf, sondern setzen als Teil der kämpfenden Klasse an ihrer eigenen Proletarisierung an. Dabei sind es besonders Kämpfe in den sogenannten „prekären“ Bereichen wie der sozialen Arbeit, in der Pflege oder in Krankenhäusern, in denen die DGB Gewerkschaften kaum vertreten sind, wo die Linke eigene Akzente setzen konnte. Gleichzeitig handelt es sich dabei aber auch um Bereiche, in denen die Lohnabhängigen über wenig Produktionsmacht verfügen. Mit dem Text „Der kommende Aufprall. Auf der Suche nach der Reißleine in Zeiten der Krise“ lieferte die Gruppe Antifa Kritik & Klassenkampf (Frankfurt a.M.) einen Beitrag zu dieser in den letzten Jahren in der (radikalen) Linken verstärkt geführten Strategiedebatte über die Einmischung der radikalen Linken in die alltäglichen Kämpfe der Klasse. Zudem wird danach gefragt, welchen organisatorischen Ausdruck solche selbstorganisierten Kämpfe bekommen könnten.
Bei der Veranstaltung sollen diese Überlegungen vorgestellt werden und mit Euch zusammen diskutiert werden, was dies für unsere alltägliche Praxis bedeuten könnte.
Alltag und Arbeitskämpfe am „Fließband der Welt“
–> Veranstaltung mit Pun Ngai (Universität Hongkong), 14. Juni, OM10, 19 Uhr
Mit
Chinas rasanter Entwicklung zum »Fließband der Welt« haben auch
Arbeitskämpfe zugenommen. Die Soziologin Pun Nagi, zurzeit an der
Universität Hongkong beschäftigt, untersucht seit vielen Jahren
soziale Kämpfe in den schnell wachsenden Megastädten Chinas. Im
Mittelpunkt stehen dabei immer die Arbeitenden selbst: Pun Ngai
befragte junge Frauen, die in die Städte migrieren, um dort in den
Weltmarktfabriken zu arbeiten und die einige Jahre später, von der
Arbeit ausgelaugt, aufs Land zurückkehren. Gemeinsam mit
Kolleginnen und Kollegen untersuchte sie den Widerstand von
Arbeitenden auf Baustellen. Auf der Grundlage von
lebensgeschichtlichen Interviews hat sie Einblicke in Schicksale und
kollektive Organisationsformen der Millionen
Wanderarbeiter/innen ermöglicht, die den ökonomischen Boom Chinas
erst ermöglichten. Dabei fragt Pun Ngai nicht zuletzt nach der
„moralischen Ökonomie“, die in den Kämpfen um individuelles
Überleben wie in kollektiven Aktionen produziert wird, in einer
Situation, in der Klasseninteressen eher durch lokale Komitees
und NGOs ausgesprochen werden, weil Gewerkschaften mehr oder weniger
mit dem Staatsapparat identisch sind. In den vergangenen Jahren
hat sich Pun Ngai der Selbstorganisation von Arbeitenden in der
Elektronikindustrie zugewandt, so unter anderem den
Verhältnissen bei Foxconn in Shenzen, eine Fabrik, in der
Zehntausende arbeiten und die zu Beginn des Jahrzehnts unter anderem
durch eine Serie von Selbstmorden auffiel, während seit 2012
unzählige kleine Streiks und andere Formen des Widerstands in den
Wohnheimen der Arbeitenden zu Verbesserungen der Arbeits– und
Entlohnungssituation beigetragen haben. Diskutiert werden
können mit Pun Ngai Fragen wie die nach der Bedeutung migrantischer
Arbeit und sozialer Absicherung in den chinesischen
Weltmarktfabriken, aber auch die Frage nach Erfahrungen mit
kollektiver Organisierung und mit Streiks. Bemerkenswert ist
schließlich die Form, in der „Forschung“ durch Pun Ngai und andere
kritische Wissenschaftler/innen in China und Hongkong organisiert
wird: Es ist eher ein Prozess der Mit-Untersuchung, in dem die
Forschenden sowohl eigene Erfahrungen in den Fabriken sammeln als
auch vorrangig die Arbeitenden selbst und ihre Lebensgeschichten zu
Wort kommen lassen.
Zwischen Beruf und Berufung – Perspektiven betrieblicher Organisierung an der Universität
Diskussionsveranstaltung mit der Göttinger Lehrbeauftragten-Initiative und Vertreter*innen der Basisgewerkschaft unter_bau am 19. Juni um 19 Uhr im Autonomicum, gemeinsam organisiert mit der Anarchosyndikalistischen Jugend (ASJ) Göttingen
Die neoliberale Umgestaltung verschiedener Formen von Lohnarbeit ging auch in Deutschland nicht spurlos an den Universitäten vorbei. Vielmehr stieg in den letzten Jahren die Zahl der prekären Arbeitsverhältnisse. Dies betraf insbesondere den akademischen Mittelbau, zu dem unter anderem Doktorant*innen und Lehrbeauftragte zählen. Laut der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) sind unfassbare 90 Prozent aller wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen befristet beschäftigt (in der Regel nicht einmal ein Jahr), inklusive niedriger Löhne und einer hohen Anzahl unbezahlter Überstunden. Auch andere Beschäftigte der Universitäten, die etwa in der Verwaltung, im Hausmeisterdienst oder in der Sicherheit arbeiten, werden mehr und mehr mit schlechten Arbeitsverträgen abgespeist.
Nach dem der Widerstand gegen diese Zumutungen nur vereinzelt stattfand, organisieren sich gegenwärtig Gruppen von Beschäftigten selbst, um für bessere Arbeitsbedingungen zu kämpfen – bundesweit und auch in Göttingen: etwa in der Göttinger Lehrbeauftragten-Initiative, in der hauptsächlich Sprachlehrer*innen der Zentralen Einrichtung für Sprachen und Schlüsselqualifikationen (ZESS) aktiv sind. Gemeinsam mit ihr und der Frankfurter Basisgewerkschaft unter_bau wollen wir diskutieren, warum wir eine betriebliche Organisierung auch an der Universität brauchen und was notwendig ist, um Erfolge in Arbeitskämpfen zu erreichen.
Depression und studentisches Klassenbewusstsein
Vortrag und Diskussion mit David Doell (studiert Philosophie, aktiv in der Interventionistische Linke) am 23. Juni um 19 Uhr in der OM10
Was ist das Politische an einer depressive Erkrankung? Oftmals werden Depressionen in der Mehrheitsgesellschaft (sowohl theoretisch als auch diagnostisch/therapheutisch) individuell betrachtet. In der radikalen Linken wissen wir aber, dass subjektives Leiden auch durch gesellschaftliche Verhältnisse produziert wird. Der Vortrag wird depressive Erkrankungen vor dem Hintergrund des neoliberalen Kapitalismus als eine zentrale gesellschaftliche Krankheit unserer Zeit deuten und versuchen, eine Diskussion über Möglichkeiten der kollektiven Umgangsweisen in Perspektive eines Klassenantagonismus zu öffnen. Der Fokus wird dabei auf den Subjektivierungsweisen an den Massenuniversitäten des Spätkapitalismus liegen, die in vielleicht neuer Weise Arbeitskraft für den ‚kreativen‘ Kapitalismus herstellen.
Organisieren – Aber wie? Perspektiven des gewerkschaftlichen Organizing
Vortrag und Diskussion mit Peter Birke und einer ver.di-Gewerkschafterin am 28. Juni um 19 Uhr in der OM10
Einige Gewerkschaften des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) haben bereits vor einigen Jahren mit den Techniken des gewerkschaftlichen „Organizing“ versucht, ihre Dauerkrise und den damit verbundenen Mitgliederverlusts zu beenden. Der linke Gewerkschaftsflügel sah und sieht in den weiterhin geförderten Organizing-Projekten aber auch einen Weg, in den unterschiedlichsten Betrieben Gewerkschaftsaktive zu fördern, welche ihre Arbeitskämpfe weitestgehend selbst führen. In ihnen wird die Möglichkeit gesehen, gewerkschaftliche Arbeit nicht nur auf Stellvertreter*innenpolitik und Sozialpartnerschaft zu beschränken. Doch vergangene Arbeitskämpfe, in denen Organizing-Techniken angewendet worden sind, zeigen auch die Grenzen des gewerkschaftlichen Organizing innerhalb der DGB-Gewerkschaften auf.
Nach einem Input zu Organizing wollen wir gemeinsam mit Peter Birke, Autor des Buches „Die große Wut und die kleinen Schritte“ (http://bit.ly/2qWxsuj) und organisiert in der Basisdemokratische Linke Göttingen, und einer ver.di-Gewerkschafterin mit praktischer Organizing-Erfahrung über seine Chancen und Grenzen diskutieren. Ferner steht zur Debatte, ob und inwieweit Organizing-Techniken auch für Akteure sozialer Bewegungen von Interesse sind.