Feministische Kämpfe gegen Abtreibungsverbote und gegen die Kriminalisierung von Frauen, die abtreiben, haben eine lange Tradition in Deutschland. Bereits 1871 wurde mit dem Paragraf 218 des Strafgesetzbuches der Schwangerschaftsabbruch unter Strafe gestellt. Bis in die 1970er Jahre hinein wurden Abbrüche lediglich bei Gefahr für die Schwangere vorgenommen, alle anderen Fälle von Schwangerschaftsabbrüchen waren strafbar und konnten mit Gefängnis oder Zuchthaus bestraft werden. Eine Praxis, wie sie vor allem im Nationalsozialismus regelmäßig angewandt wurde.
Aktivistinnen traten in den 70er Jahren im Zuge der stärker werdenden feministischen Bewegung für die Abschaffung des Paragrafen ein, sie forderten wenigstens die Straffreiheit bei Abbruch innerhalb der ersten 3 Monate der Schwangerschaft; dieser Kompromiss wurde 1974 von der SPD und der FDP als Reform des Paragrafen 218 vorgeschlagen, mit der wesentlichen Einschränkung, dass Frauen sich vor dem Abbruch zu gesundheitlichen und sozialen Folgen beraten lassen müssen. Gegen diese Reform klagten die CDU und CSU und gewannen. Als Begründung musste die Unversehrtheit des ungeborenen Kindes herhalten, welches über das Selbstbestimmungsrecht und wiederum die körperliche Unversehrtheit der Frau zu stellen sei. Ein Jahr später konnte das Gesetz insofern verändert werden, dass zumindest nach ärztlichem Attest Abtreibungen straffrei blieben. Für Frauen bedeutete das jedoch nicht unbedingt viel mehr Möglichkeiten. Besonders in katholisch geprägten Gegenden waren sie häufig Ärzt*innen ausgeliefert, die sich weigerten, eine Abtreibung vorzunehmen, obwohl offensichtlich gesundheitliche, kriminologische, ethische oder soziale Gründe vorlagen.
Nach langem hin und her und etlichen Debatten auf Bundestagsebene ist 1995 das Schwangeren– und Familienhilfeänderungsgesetz in Kraft getreten, das bis heute gilt: So ist seitdem ein Schwangerschaftsabbruch ohne Strafverfolgung in den ersten 12 Wochen der Schwangerschaft möglich nach einer schriftlich dokumentierten Zwangsberatung, grundsätzlich bleibt der Abbruch als solcher jedoch rechtswidrig. Gerade in ländlichen Regionen wird die Beratung jedoch häufig von kirchlichen Einrichtungen angeboten, die die Schwangere unter Druck setzen, ihre Schwangerschaft fortzusetzen. Nach der Beratung gilt auch nach wie vor eine 3-tägige Frist bis der medizinische Eingriff durchgeführt werden darf. Nur unter bestimmten Voraussetzungen übernehmen die Krankenkassen den Abbruch, was für finanziell schwächer gestellte Personen also eine weitere Hürde darstellt. Hinzu kommt die mangelnde Infrastruktur von Praxen und Kliniken, in denen überhaupt Schwangerschaftsabbrüche durchgeführt werden. Selbst die wenigen Ärzt*innen, die Abbrüche durchführen wollen und können, werden durch den Paragraphen §219a daran gehindert, nötige Informationen über ihre Tätigkeit und den medizinischen Eingriff als solchen bereitzustellen. Diese schlechte Informationslage um überhaupt eine geeignete Praxis zu finden, die enge Frist in der sowohl Beratungs– als auch Abbruchtermine gemacht werden müssen, und die hohen Kosten erschweren den Abbruch und schränken dadurch die freie Entscheidung von Frauen und ihr Recht auf körperliche Selbstbestimmung ein.
Christliche Fundamentalist*innen wollen das sowieso schon regressive Gesetz noch weiter einschränken und im Idealfall komplett verbieten lassen. Doch Schwangerschaftsabbrüche finden auch dann statt, wenn sie gesetzlich verboten sind, die betroffenen Schwangeren kriminalisiert werden oder sich keine Ärzt*innen bereiterklären, sie durchzuführen. Dies kann auch passieren, wenn Abtreibungen zwar laut Gesetz erlaubt, gesellschaftlich aber verrufen sind. In vielen Fällen versuchen die Betroffenen dann selbst abzutreiben oder gehen zu Jemandem, der oder die die Abtreibung illegal vornimmt — oft unter riskanten Bedingungen und ohne ausreichende medizinische Fachkenntnisse. Diese unprofessionellen Schwangerschaftsabbrüche haben oftmals nachhaltige gesundheitliche Folgen und enden nicht selten auch tödlich für die betroffene Person. Im Jahr sterben weltweit rund 68.000 Frauen bei Schwangerschaftsabbrüchen unter medizinisch prekären Bedingungen. In Anbetracht der starken Stigmatisierung und Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen lässt sich nur erahnen, wie hoch die Dunkelziffer ist!
Heute findet in den Räumen der Heilsarmee eine Veranstaltung von Abtreibungsgegner*innen statt. Die Veranstaltung trägt den Namen „Warum man Kinder – auch vor der Geburt – nicht töten darf“ und wird organisiert von der Hochschulgruppe R21 Göttingen.
Doch nicht nur der Name der Veranstaltung zeigt, welchen Geistes Kind diese Veranstaltung ist. Eingeladen ist Gerhard Steier, ein bekannter Abtreibungsgegner und angeblicher Lebensschützer.
Gerhard Steier ist Geschäftsführer von KALEB (der Kooperative Arbeit Leben Ehrfürchtig Bewahren) und im Vorstand des Bundesverbandes Lebensrecht. Beide Gruppierungen nehmen regelmäßig am frauenfeindlichen und antifeministischen Marsch für das Leben teil. Die KALEB sprechen in internen Newslettern von Schwangerschaftsabbrüchen als „tägliche Massentötungen“ und „Mord“. Trotz ihrer hilfsbereiten Außendarstellung reihen sie sich dadurch ein in ein Gemisch aus antisemitischen, frauenfeindlichen, religiös-fundamentalistischen und teils völkischen Gruppierungen, die gemeinsam im Marsch für das Leben auf die Straße gehen. KALEB und der Bundesvorstand Lebensrecht unterscheiden sich von radikaleren Gruppierungen lediglich in ihrer hilfsbereiten und unterstützenden Außendarstellung. Die Ideologie und Sprache ähnelt jedoch solchen Internetseiten wie Babycaust.de, die Schwangerschaftsabbrüche mit dem Holocaust vergleichen und von einem „durch die Regierung gewollten „Völkermord am eigenen Volk“ faseln. Der Betreiber der Babycaust.de-Seite führt desweiteren öffentliche Listen von Ärzt*innen, die Schwangerschaftsabbrüche durchführen. So können christliche FundamentalistInnen wie Gerhard Steier nach alphabetischer Reihenfolge sich die Ärzt*innen aussuchen, die sie anzeigen wollen. Hier entlarvt sich die sogenannte LebensschützerInnen-Szene als Bindeglied zwischen den verschiedenen menschenfeindlichen Strömungen. Dieses Gemisch an regressiven Gruppierungen lässt sich überall auf der Welt finden, z.B. in Polen, wo die Regierung seit einem Jahr, das sowieso schon strenge Abtreibungsgesetz noch verschärfen möchte.
Überall finden wir unterschiedliche Gesetze, unterschiedliche Moralkodizes und politischen Programme vor – doch eins haben sie alle gemeinsam: sie haben die gleichen Konsequenzen für Frauen. Überall werden ihre Körper zugerichtet, ihnen das Selbstbestimmungsrecht genommen und ihnen enorme körperliche und psychische Schäden zugefügt. Den Frauen auf der ganzen Welt wird durch solche Einschränkungen der körperlichen Selbstbestimmung gezeigt, dass ihr Wert als Mensch untrennbar mit ihrer angeblichen Funktion als potentielle Mutter zusammenhängt.
Das lassen wir uns nicht gefallen! Alle Menschen haben ein Recht darauf, über den eigenen Körper zu bestimmen, für diesen Verantwortung zu übernehmen und selbst entscheiden zu dürfen! Egal ob dieser Körper potentiell gebären kann oder nicht. Egal wie jemand persönlich zu Schwangerschaftsabbrüchen steht – Niemand hat das Recht darüber vorzuschreiben, was andere Menschen mit ihren Körpern machen sollen!
Doch es gibt noch Beispiele, die Mut machen! In Irland war bis zu diesem Jahr eins der restriktivsten Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen in Europa in Kraft, selbst bei Vergewaltigungen oder wenn der Fötus nicht lebensfähig ist, waren Abbrüche verboten. Die ProChoice– und andere feministische Bewegungen in Irland kämpften Jahrzehnte lang gegen diese restriktiven Gesetze – bis ein Referendum in diesem Jahr, 2018, endlich feststellte, dass sich die Mehrheit der Bevölkerung für eine Lockerung der Gesetze ausspricht! Nun hat das Parlament angekündigt, bis zum Ende des Jahres die Gesetze zu lockern und den Forderungen der Mehrheit der Bevölkerung nachzukommen.
Dieser Erfolg macht uns und allen anderen Frauen auf der Welt Mut, sich weiter für körperliche Selbstbestimmung einzusetzen, auf die Straße zu gehen und den regressiven Kräften in der Gesellschaft zu zeigen, dass sie eins nie schaffen werden: Uns die Fähigkeit zu nehmen, für unsere Freiheit und Würde auf die Straße zu gehen!
Statt frauenfeindlicher Veranstaltungen fordern wir legale und sichere Möglichkeiten für Schwangerschaftsabbrüche.
Mein Körper – Meine Verantwortung – Meine Entscheidung!