#stayathome – darüber scheinen sich gerade alle einig zu sein. Auf soziale Kontakte weitgehend zu verzichten, so sagen es die Expert*innen, ist das wirksamste Mittel zur Eindämmung der Corona-Pandemie. Die Medien beschäftigen sich täglich mit Gruppen feiernder Jugendlicher und auf Social Media überbietet man sich mit Rufen nach Ausgangssperren oder härteren staatlichen Maßnahmen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass unser Leben nur daraus besteht, unsere Freizeit zu genießen.
Grundrechte wie die Versammlungsfreiheit wurden ohne mit der Wimper zu zucken aufgehoben. Gleichzeitig hat sich der Staat, bis auf die reichlich späten Ladenschließungen, wenig um Betriebe und Firmen als Orte sozialer Kontakte und möglicher Infizierung gekümmert und greift bisher kaum in wirtschaftliche Abläufe ein. Auch weit jenseits des Gesundheitssektors und der Herstellung und Verteilung lebenswichtiger Produkte wie Nudeln und Klopapier, läuft die Produktion ungehindert weiter. In Italien brauchte es erst 800 Tote pro Tag, bevor der Staat große Produktionsstätten stillgelegt hat. Wo wird die Grenze in der Bundesrepublik liegen?
Natürlich gibt es auch die Fälle, in denen die Chef*innen ihre Angestellten ins Homeoffice schicken, aber das funktioniert eben nur für eine Minderheit. Die meisten Beschäftigten müssen sich auf dem Weg zur Arbeit in öffentliche Verkehrsmittel quetschen oder im Betrieb im engen Kontakt mit ihren Kolleg*innen arbeiten. Auf den ersten Blick krempelt die Pandemie alles um. Für jene Angestellte geht es jedoch eigentlich nur unter verschärften Bedingungen weiter wie bisher: Für den Profit der Unternehmen müssen sie ihre körperliche Unversehrtheit opfern und im Zweifelsfall sogar ihr Leben riskieren.
Diese Verschärfung und der Kontrast zu den in anderen Lebensbereichen eingeführten Beschränkungen kann allerdings auch dazu führen, dass die generelle Unmenschlichkeit kapitalistischer Produktionsprozesse noch deutlicher hervortritt. In Kombination mit der gesteigerten Angst um die eigene Gesundheit rufen diese Bedingungen mancherorts verstärkten Widerspruch der Arbeitenden hervor: In zahlreichen Ländern – auch in Europa, z.B. in Italien, Spanien, Frankreich, Großbritannien, Österreich – und in verschiedenen Branchen sind Beschäftigte in den vergangenen Wochen in den Streik getreten, um gegen den Zwang zur Fortführung der Arbeit und die Ignoranz der Unternehmen gegenüber ihrer Gesundheit zu protestieren.
Diese Streiks haben teilweise ein erhebliches Ausmaß angenommen und Werkschließungen nach sich gezogen. Derartige Aktionen sind ein wichtiges Vorbild und finden hoffentlich noch viele Nachahmer*innen. Denn sie schützen uns alle und können ein weit wirksameres Mittel zur Senkung des Infektionsrisikos sein als das Auseinandertreiben von spazierenden Gruppen oder die Unterbindung von sogenannten „Corona-Partys“. (In größeren Betrieben kommen tagtäglich mehrere tausend Menschen zusammen, von den zusätzlichen Kontakten durch Arbeitswege ganz zu schweigen.) Zugleich sind sie auch in der gegenwärtigen Krise ein unverzichtbares Signal: Sie zeigen, dass die Gesellschaft nach wie vor von gegensätzlichen Interessen durchzogen ist. Und sie verkünden sehr klar: Unsere Leben und die unserer Angehörigen sind wichtiger als eure Kapitalinteressen!
Damit sind sie Teil einer – momentan noch sehr schwachen – Gegenbewegung zu der bereits eingeleiteten Krisenbewältigung, die bruchlos an frühere Muster anknüpft: Die Profite aus wirtschaftlichen Boomphasen fließen in die privaten Taschen der Kapitalbesitzer*innen und bleiben dort auch, wenn es hart auf hart kommt. Die Kosten und Belastungen der jetzigen Krise werden auf die Allgemeinheit – und das heißt im Kern auf die Lohnabhängigen – abgewälzt. Während unter Verweis auf die „schwarze Null“ jahrelang öffentliche Einrichtungen kaputt gespart und privatisiert, sowie Leistungen für Bedürftige zusammengestrichen wurden, war die erste Krisenmaßnahme der Bundesregierung, den Unternehmen quasi unbegrenzte Gelder zuzusichern.
Wir können nicht früh genug damit anfangen, dieser Dynamik unseren Widerstand entgegen zu setzen. In der gegenwärtigen Lage heißt das: gemeinsam mit den Kolleg*innen dafür zu kämpfen, dass #stayathome auch und gerade dann konsequent umgesetzt werden muss, wenn Unternehmen zur Maximierung ihrer Profite ihren Wirtschaftsbetrieb normal fortführen wollen.
Alle gemeinsam?! Ausblicke
Schon während dieser Pandemie dient der Verweis auf die Notwendigkeit von Zusammenhalt und gemeinschaftlicher Verantwortung zur Disziplinierung der Bevölkerung. Und auch danach wird man versuchen, sie dafür zu nutzen. Man muss kein*e Prophet*in sein, um vorherzusagen, dass es, in Folge der Krise, bald zu weiteren massiven Verschlechterungen für Beschäftigte und Transferleistungsempfänger*innen kommen wird. Die Unternehmen werden die Krise als Legitimation für Umstrukturierungen und Verschärfungen bzw. Verschlechterung der Arbeitsbedingungen nutzen.
Und obwohl die dramatischen und in der gegenwärtigen Lage womöglich tödlichen Auswirkungen der immensen Sparpolitik gerade überall zu sehen sind – insbesondere übrigens in den Ländern, deren Sozial- und Gesundheitssysteme in den letzten Jahren unter maßgeblicher Mitwirkung der Bundesrepublik zerstört worden sind -, wird es bei der sozialen Infrastruktur weitere Kürzungen geben. (Man darf gespannt sein, ob es zumindest im Gesundheitssektor zeitweise positive Anpassungen geben wird.) Bereits jetzt haben Menschen nicht nur Furcht vor der Pandemie, sondern auch existentielle Angst vor dem was danach kommen könnte. Umfangreiche Entlassungen werden jetzt schon vorausgesagt und es kann als sicher gelten, dass es diejenigen, die bisher schon prekär beschäftigt waren es am härtesten treffen wird.
Markt und kapitalistischer Wettbewerb folgen nicht den Regeln von Solidarität und Gemeinschaftlichkeit. Die aktuelle Anrufung dessen vor allem „von oben“ ist primär ein Vorwand für autoritäre Verschiebungen, wie die Einschränkung von Grundrechten. Wir brauchen eine gesellschaftliche Ordnung, in der nicht-exklusive Kollektivität und Solidarität die tatsächliche Grundlage des Zusammenlebens bilden können. Das geht nicht ohne einen grundlegenden Bruch mit den bestehenden Verhältnissen. Der Kampf dafür wird unter den Bedingungen der Krise nicht einfacher. In den Stadtvierteln und entstehenden Unterstützungsstrukturen können wir aber Ansätze davon sehen, wie eine solidarische Gesellschaft sein könnte. Dies und die Tatsache, dass Menschen sich auch in der jetzigen Situation zur Wehr setzen, sorgt dafür, dass zumindest unsere Hoffnung der Pandemie nicht zum Opfer fällt.