„Die Menschheit ist die Krankheit – Corona ist die Heilung!“ Mit solchen und ähnlichen Aussagen werden wir seit Ausbruch der Pandemie immer wieder konfrontiert – hauptsächlich im Internet, woanders trifft man ja keine Leute mehr. Es ist leicht, Sprüche dieser Art als Ausdruck eines krisenzeitbedingten Pessimismus abzutun; tatsächlich sind solche Äußerungen aber noch weniger harmlos, als sie klingen. Das gilt insbesondere dann, wenn sie verbunden sind mit der Behauptung, die Umwelt würde sich durch Wegsterben der Menschen erholen können. Das ist nämlich nicht mehr weit entfernt von Positionen, die in der extremen Rechten schon seit langem vertreten werden und vor dem Hintergrund des Klimawandels eine neue Wirkmächtigkeit entfalten könnten. Im folgenden Text sollen diese Tendenzen erklärt werden, um deutlich zu machen, welche Gefahr von ihnen ausgeht. Denn die extreme Rechte liegt zwar in ihrem Einfluss auf klimapolitische Entwicklungen bisher zurück (soweit es nicht darum geht, Klimapolitik überhaupt zu verhindern) – aber dass sie aufholt, wird mit zunehmenden globalen Katastrophen nur immer wahrscheinlicher. Wir als Linke können uns weder darauf verlassen, dass die Bedrohung durch den Klimawandel in emanzipatorische Politik münden wird, noch darauf, dass die furchtbare Möglichkeit einer Politik der aktiven Bevölkerungsreduzierung nicht zur Realität wird. Irgendwann wird der Klimawandel radikale Maßnahmen unausweichlich machen, und wir müssen jetzt schon dafür kämpfen, dass es linksradikale Maßnahmen sein werden!
Grüne Misanthropie
In dieser Zeit des notwendigen Stillstands scheint so manche Person in der Stimmung zu sein, sich Gedanken über das vermeintlich große Ganze zu machen. Es fällt auf, dass unter den Bedingungen der sozialen Isolation vermeintlich eine gewisse Erholung der Umwelt stattfindet. In den sozialen Medien wird dies nun vielfach zum Anlass genommen, um die abgeschmackte These aufzuwärmen, “der Mensch” sei grundsätzlich schädlich für die Natur. Die in vielfachen Variationen herumgereichte Behauptung lautet von ihrer Grundform her: Der Mensch ist eine Krankheit; mit Corona heilt sich die Erde von dieser Krankheit. In der plattesten Form äußert sich das als ein naturromantisches ‘Hach, wie schön’ angesichts der Aussicht, dass beispielsweise in Venedig mit dem Rückzug der Menschen wieder Schwäne und Delfine in den Kanälen schwimmen (Was übrigens nicht mal stimmt). Ansichten dieser Art sind leider nicht auf Esoterik-Kreise begrenzt, sondern finden auch in Teilen der Linken Anklang. Besonders beunruhigend ist, dass diese Ansichten das Potential zu haben scheinen, Einfluss auf die erstarkende Klimabewegung zu gewinnen – schließlich ist der Klimawandel der weitreichendste und zurzeit meistdiskutierte Fall, in dem menschliches Handeln einen zerstörerischen Einfluss auf Ökosysteme hat, und damit derjenige, auf den die misanthropische Rhetorik nach Corona am ehesten überspringen wird.
Auf der einen Seite ist es nicht wirklich überraschend, dass der Gedanke an das Ende der Menschheit bei einigen positiv besetzt ist. Die letzten Jahrzehnte waren geprägt von der scheinbaren Unveränderlichkeit der zunehmend unerträglichen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse, kombiniert mit der immer deutlicher werdenden Gewissheit, dass durch die globale Erwärmung eine gewaltige Katastrophe näherrückt. Ohnmächtig auf den eigentlich vermeidbaren Untergang zuzusteuern und von der Zukunft nur Schlechtes zu erwarten zu haben, ist die fundamentale Lebenserfahrung der meisten Menschen in den neoliberalen Metropolen. Eigentlich nicht verwunderlich, wenn da der Wunsch entsteht, das sprichwörtliche Ende mit Schrecken möge sich doch endlich mal herbeibequemen. Doch für emanzipatorische Projekte sind solche apokalyptischen Sehnsüchte nicht nur deshalb ein Problem, weil sie davon ablenken, dass die Ursache der ökologischen Misere das auf Profitmaximierung basierende kapitalistische Wirtschaftssystem ist und nicht die bloße Existenz der Spezies Mensch. Ein anderer Faktor ist noch bedenklicher: Insbesondere wenn die Vorstellung menschlichen Massensterbens an die Aussicht auf eine Erholung der Natur geknüpft wird, ergibt sich eine gefährliche Nähe zu extrem rechten Positionen, die als Eco-Faschismus bezeichnet werden können. Wir verwenden hier den Begriff ‘Eco-Faschismus’ statt der deutschen Version ‘Ökofaschismus’; Letztere wurde von Rechten zur Diffamierung der Klimabewegung gekapert und führt daher regelmäßig zu Missverständnissen, wenn damit versucht wird, rechte Ideologien zu beschreiben. Im englischsprachigen Raum hingegen ist ‘eco-fascism’ ein etablierter und weitverbreiteter Begriff für ökologische Argumentationen der extremen Rechten, insbesondere wenn es um den Umgang mit den Folgen des Klimawandels geht.
Der Rhetorik vom Virus Mensch entspricht im Bereich der Klimapolitik die verbreitete Auffassung, dass man den Klimawandel nicht verhindern könne, weil die Menschen in ihrem Egoismus nicht bereit seien, zu verzichten. Man kann dies als grüne Misanthropie bezeichnen. Es ist der gleiche träge Pessimismus, dem angesichts von gigantischer ökonomischer Ungleichheit und erstarkendem Rassismus nichts anderes einfällt, als einen tiefen Seufzer auszustoßen über die ewige Schlechtigkeit des Menschen (und sich dabei komfortabel darin bestätigt zu fühlen, dass man ja eh nichts ändern könnte). Die Ideologie vom grundsätzlich schlechten Menschen ist traditionell sehr beliebt bei Leuten, die sich gerne als abgebrühte Realist*innen sehen möchten, ohne die Mühe aufzuwenden, sich tatsächlich Gedanken über die Realität zu machen. Diese Haltung ist so verbreitet, dass leicht übersehen wird, wie tendenziell menschenfeindlich es ist, die bloße Existenz von Menschen als ein Problem für die Natur zu behandeln. Mit Recht verachten wir es, wenn Neoliberale den Tod von Menschen in Kauf nehmen wollen, um die Wirtschaft am Laufen zu halten – den Tod von Menschen in Kauf zu nehmen, um die Natur am Laufen zu halten, ist schlussendlich dasselbe in grün. Beidem liegt die Unfähigkeit zugrunde, sich eine bessere Gesellschaft vorzustellen, in der eine solche Abwägung nicht mehr nötig wäre; und bei beidem wird daraus die mehr oder weniger explizite Konsequenz gezogen, dass Menschenleben doch eigentlich gar nicht so viel wert seien. Mit dieser Konsequenz macht sich die grüne Misanthropie zum Düngemittel für gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit aller Art. Denn was sind die politischen Konsequenzen einer Sichtweise, die die Existenz von Menschen zum Problem erklärt? So ziemlich niemand aus der ‘Ohne Menschen wäre es besser’-Ecke wird den Plan hegen, sich der Natur zuliebe zu erhängen. Eine geplante Selbstauslöschung der gesamten Menschheit wäre schätzungsweise eher nicht konsensfähig. Die Rhetorik vom Virus Mensch leistet nur eins: Den Boden für Ideologien zu bereiten, die ein klareres Konzept davon haben, welche Menschen nicht mehr existieren sollten.
Eco-Faschismus in Geschichte und Gegenwart
Dass es diese Ideologien gibt, ist keine neue Einsicht; aber es wird von linker Seite zu häufig angenommen, dass sie inkompatibel mit einer Umwelt– und Klimapolitik seien, die die Realität des menschengemachten Klimawandels anerkennt. Die etablierte extreme Rechte von heute ist zwar in ihrem Weltbild und ihrer Rhetorik auf Leugnung des Klimawandels festgelegt. Dies liegt aber nur daran, dass sich in den letzten Jahrzehnten linke Ansätze im Umwelt– und Klimaaktivismus durchsetzen konnten – und die Ablehnung dieses Aktivismus damit für viele Rechte zum Gesamtpaket der Ablehnung alles Linken gehört. Es wäre ein Fehler, daraus auf eine prinzipielle Unvereinbarkeit von Faschismus und Klima-Realismus zu schließen. Im Gegenteil: Ökologische Argumente waren lange Zeit eher rechtes Gebiet, insbesondere im Bereich der Bevölkerungspolitik. Die Angst, dass es zu viele Menschen und vor allem zu viele “andersartige” Menschen gibt, ist fester Bestandteil faschistischer Ideologien; historisch wurde diese Angst häufig mit Umweltschutzargumenten unterfüttert. Die frühe Umweltbewegung Anfang des 20. Jahrhunderts war geprägt von spätromantischer Zivilisationsfeindlichkeit und einer Idealisierung des vermeintlich naturverbundenen Landlebens, der kleinen landwirtschaftlichen Gemeinschaft gegenüber dem Massenleben in den Städten. Die Gesellschaft und ihr Lebensumfeld wurden in eins gesetzt und beides auf vermeintlich ewige biologische Grundlagen gestellt. Das hat nicht zufällig bereits Ähnlichkeit mit dem neurechten Konzept des Ethnopluralismus, demzufolge jede Ethnie in ihrem “natürlichen” Lebensraum zu bleiben hat. In die aufkommenden völkischen Ideologien passte diese Art von Ökologie wunderbar hinein – von Anfang an ging es ihnen darum, sowohl Blut als auch Boden des “Volkes” zu bewahren. Verbunden mit der Vorstellung, dass bestimmte “Rassen” insgesamt einen höheren Anspruch auf Land und Ressourcen der Erde haben, entstand daraus schnell das Bestreben, mehr Boden zu erobern, um Bevölkerungswachstum aufzufangen. Im deutschen Faschismus war eine solche militärische Expansion Teil desselben politischen Programms wie das Erlassen von Umweltschutzgesetzen und das Verbot von “Rassenmischung”: Ziel war das Herstellen eines vorgestellten natürlichen Optimalzustands, gleichermaßen in der Gesellschaftsstruktur wie im Verhältnis der Menschen zur Umwelt. Solche Tendenzen faschistischer Ideologien sind das, was als Eco-Faschismus bezeichnet wird.
Das krachende Scheitern des nationalsozialistischen Versuchs, “Lebensraum im Osten” zu gewinnen, führte nicht zu einem Ende eco-faschistischer Bestrebungen. In der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts fanden sie Anschluss an die sogenannte ‘Deep Ecology’, die Menschen als lediglich eine Spezies unter vielen betrachtet und deren Vertreter*innen häufig davon ausgehen, dass ein ökologischer Zusammenbruch nur durch ein aktives Reduzieren der menschlichen Weltbevölkerung zu verhindern ist. Solche Ansichten werden nicht nur von Rechten vertreten (bis heute wirkt die Deep Ecology auch in die Klimabewegung hinein, etwa bei Extinction Rebellion), weisen aber häufig eine Nähe zu migrationsfeindlichen Einstellungen auf – schließlich ist es aus dieser Sicht unbedingt zu vermeiden, dass noch mehr Menschen am umweltschädlichen Lebensstil der wirtschaftlich stärksten Länder partizipieren. Die spezifisch faschistische Wendung liegt dann darin, aus der vermeintlichen Überbevölkerung die Notwendigkeit eines Überlebenskampfs biologisch definierter “Völker” abzuleiten, in dem es darum geht, wer bei der unvermeidlichen globalen Bevölkerungsreduktion konkret wegreduziert wird. Der Eco-Faschist Pentti Linkola fasst das in eine recht deutliche Metapher: „When the lifeboat is full, those who hate life will try to load it with more people and sink the lot. Those who love and respect life will take the ship’s axe and sever the extra hands that cling to the sides.“ Das Zitat ist zwar schon etwas älter, aber die Parallelen zu heutiger Grenzpolitik sollten sich aufdrängen – auch bezogen darauf, wie der Wille zur Grausamkeit in ein weises Erkennen des Gebotenen verdreht wird und das Mitgefühl mit denen außerhalb der Grenzen in Hass auf das „eigene Volk“.
Rechte Klimapolitik und die Notwendigkeit einer linken Antwort.
Teile der extremen Rechten bemühen sich, die drohenden klimatischen Verwerfungen als Argument für eine noch stärkere Abschottung in Stellung zu bringen. Schon jetzt beginnt beispielsweise der Rassemblement national in Frankreich, ein verschärftes Grenzregime als Antwort auf den Klimawandel darzustellen. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis auch in anderen Ländern die dominierenden Teile der extremen Rechten die Klimawandelleugnung hinter sich lassen und ihre eigene Art von Klimapolitik machen. Historische Vorbilder haben sie dafür reichlich – und im Gegensatz zu diesen können sie auf einen sehr konkret drohenden Untergang verweisen, um plausibel zu machen, dass zum Überlebenskampf geblasen werden muss. Wenn diese Tendenzen gesellschaftlich wirkmächtiger werden, ist zu erwarten, dass bürgerliche Regierungen angesichts der Wahl zwischen Klimakatastrophe und gesellschaftlichem Umbau lieber auf das zurückgreifen, was die Autorin und Aktivistin Naomi Klein ‘climate barbarism’ nennt: Massive Verschärfung der Grenzregime und zunehmend autoritäre Regierungsweise, um die Folgen des Klimawandels weitestmöglich nach “außen” abzuwälzen und den gesellschaftlichen Status Quo gewaltsam aufrechtzuerhalten. Die Frage ist, wie viel Widerstand es dagegen geben wird, wenn sich zunehmend die Überzeugung durchsetzt, dass die Alternative der vollständige Untergang ist. Wir als radikale Linke sollten uns nicht darauf verlassen, dass die Mehrheit der Menschen durch die Absehbarkeit der Katastrophe dazu bewogen wird, das Gesellschaftssystem zu ändern, und nicht etwa dazu, die jeweils eigene Gesellschaft kleiner und abgeschotteter zu machen. Wir sollten nicht vergessen, was für langen und hartnäckigen (und in der radikalen Linken selbst oft genug belächelten) Aktivismus es brauchte, um ökologische Themen überhaupt zu linken Themen zu machen. Dass die heutige Klimabewegung größtenteils zu emanzipatorischen Zielen tendiert und für Rechte bisher kaum anschlussfähig ist, ist eine kaum zu überschätzende historische Errungenschaft, ein wirklicher Sieg der Linken – aber gerade deshalb keine Selbstverständlichkeit und vor allem nichts Unumkehrbares. Rückschritte sind immer möglich, und sie deuten sich überall dort an, wo Menschenfeindlichkeit als legitime Reaktion auf Katastrophen behandelt wird.
Deshalb ist es für die radikale Linke umso wichtiger, in die Klimabewegung mit offensiv vertretenen emanzipatorischen Positionen hineinzugehen und ein linkes Konzept von Klimagerechtigkeit zur Grundlage jeder Klimapolitik zu machen. Und dazu gehört es auch, die Folgen der Corona-Krise für die Umwelt richtig zu deuten. Denn es ist ja nicht der Fall, dass die Erde sich gerade erholt, weil es keine Menschen mehr gibt – man muss die Schrecklichkeit der Todeszahlen nicht relativieren, um festzustellen, dass die Menschen aufs Ganze gerechnet zum allergrößten Teil noch da sind. Der Unterschied zur Normalsituation ist, dass die kapitalistische Wirtschaft nur auf Sparflamme läuft. Bereits diese temporäre Einschränkung führt zu einer merklichen Erholung der Umwelt. Wenn schon Corona in die ökologische Rhetorik einbezogen wird, dann doch bitte den Tatsachen gemäß: Als Beweis dafür, dass eine effektive Umwelt– und Klimabewegung antikapitalistisch sein muss.
(Beitragsfoto von Emily Orlando)