Erster Toter in Göttinger Corona-Hotspot: Schutzmaßnahmen für Bewohner*innen und grundsätzlicher Wandel der Wohnungspolitik gefordert
Wie erst jetzt bekannt wurde, hat es in dem nach einem Corona-Ausbruch abgeriegelten Wohnkomplex in der Groner Landstraße in Göttingen bereits am Samstag einen ersten Todesfall gegeben. Die Basisdemokratische Linke Göttingen, die am gleichen Tag eine Kundgebung vor dem Gebäude organisiert hatte, fordert angesichts der dramatischen Situation schnelle Schutzmaßnahmen für die Bewohner*innen sowie einen grundlegenden Wandel der städtischen Wohnungspolitik.
Wie Bewohner*innen ebenso wie eingesetzte Feuerwehrleute übereinstimmend berichten, ist am Samstag Nachmittag im zweiten Stock des Gebäudes ein Mann verstorben. Laut Auskunft von Bewohner*innen hatte dessen Lebensgefährtin zuvor am von der Stadt installierten Absperrungszaun eindringlich um Hilfe gerufen, da der Mann unter schwerer Atemnot litt. Rettungskräfte trafen allerdings erst etwa eine Stunde später ein. Zu diesem Zeitpunkt zeigte der Verstorbene keine Lebenszeichen mehr. „Bislang ist nicht geklärt, ob der Bewohner an Covid-19 gestorben ist. Offensichtlich war es für seine Lebensgefährtin in der von der Stadt geschaffenen Abschottungssituation aber unmöglich, Zugang zu dringend benötigter medizinischer Hilfe zu erlangen. Es ist daher durchaus von einem engen Zusammenhang dieses Todesfalls mit der von der Stadt verhängten Isolation auszugehen“, so Lena Rademacher für die Basisdemokratische Linke.
Die Basisdemokratische Linke fordert die Stadtverwaltung auf, das repressive Vorgehen gegen die Bewohner*innen des Komplexes umgehend zu beenden und stattdessen endlich auch deren gesundheitliche Belange zu berücksichtigen. „Wenn Herr Köhler und Frau Broistedt nicht die Verantwortung für weitere Tote tragen wollen, müssen sie ihre Politik jetzt massiv ändern“, so Rademacher: „Die Stadt Göttingen hat 700 Personen in einem Gebäude eingesperrt, in dem ein effektiver Schutz vor Ansteckung unmöglich ist. Dabei setzt sie hunderte bisher nicht erkrankte Bewohnerinnen bewusst dem Risiko einer potentiell tödlichen Infektion aus. Wer negativ getestet wurde und eine Unterbringung an einem anderen Ort wünscht, muss hierfür sofort die Möglichkeit erhalten. Die Stadt muss hierfür angemessene Unterkünfte zur Verfügung stellen und dafür ggf. auch Hotels, Leerstand und andere geeignete Räumlichkeiten beschlagnahmen. Es ist eine Farce, dass die Stadt einerseits in Form freiheitsentziehender Maßnahmen einen massiven Grundrechtseingriff vornimmt und andererseits die Evakuierung schutzbedürftiger Personen davon abhängig macht, ob Hotelbetreiber*innen freiwillig Zimmer zur Verfügung stellen.“
„Sich in dieser Weise aus der Verantwortung zu stehlen und private Eigentumsinteressen über alles zu stellen, ist leider nur die konsequente Fortsetzung der bisherigen Wohnungspolitik“, stellt Rademacher fest: „Die Stadt Göttingen hat die Wohnraumversorgung komplett dem Markt überlassen. Wenn daraus resultierende Missstände öffentlich werden, macht man es sich bequem und verweist auf die Zuständigkeit der jeweiligen Besitzer*innen. Die völlig unzureichenden Wohn– und Lebensbedingungen, die so entstehen, sind nicht nur im Alltag für die Bewohnerinnen schwer erträglich, sondern begünstigen auch massiv ein Ausbruchsgeschehen wie wir es augenblicklich beobachten können.“ Die Basisdemokratische Linke fordert daher seit langem, die Wohnraumversorgung dem Markt zu entziehen und Wohnraum in öffentlicher Hand zu schaffen, der der demokratischen Kontrolle der Bewohner*innen unterworfen ist. „Ebenso wie Aktivistinnen in vielen anderen Städten fordern wir die Vergesellschaftung von Wohnraum. Nur so lassen sich menschenwürdige Wohnbedingungen für Alle sicherstellen. Unser Ziel ist es zudem, Bewohner*innen selbst die Entscheidungsgewalt über ihre Lebensumstände zu ermöglichen. Das steht in deutlichem Widerspruch zum Agieren der Stadt, die gegenwärtig mit einem Teil ihrer Einwohner*innen mal wieder wie mit bloßer Verfügungsmasse umgeht. Die Notwendigkeit, einen grundlegenden Wandel sowohl hinsichtlich der Wohnraumversorgung wie auch bezüglich der städtischen Politik insgesamt durchzusetzen, zeigt sich in der aktuellen Situation umso dringlicher“, so Rademacher abschließend.