Über den Versuch, kontinuierliche militärische Strukturen in der Hochschulpolitik aufzubauen
Bereits mehrfach wurden Veranstaltungen des sogenannten Arbeitskreises Außen– und Sicherheitspolitik an der Universität Göttingen durch Antimilitarist/-innen erfolgreich verhindert. Diese friedenssichernden Maßnahmen führten zu empörten Reaktionen auf Facebook. Dabei gibt es gute Gründe für eine solche Aktion. Der Arbeitskreis Außen– und Sicherheitspolitik hat sich in Göttingen erst 2012 gegründet. Die Gruppe gibt vor, sich objektiv und unabhängig mit sogenannten sicherheitspolitischen Fragen auseinanderzusetzen. Schaut man sich jedoch die Organisationsstruktur um diese Hochschulgruppe genauer an, kommen erhebliche Zweifel auf. Denn sie ist unmittelbar in die Öffentlichkeitsstrategie der Bundeswehr eingebunden, wie im Folgenden gezeigt wird.
Die Verbindung zwischen dem BSH und dem Reservistenverband
Der AK Außen– und Sicherheitspolitik ist der örtliche Ableger des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen (BSH). Dieser ist aus der „Bundesarbeitsgemeinschaft Studierender Reservisten“ (BSR)[1] hervorgegangen und setzt sich zusammen aus „Arbeitskreisen Studierender Reservisten und studentisch geprägten Reservistenkameradschaften“ sowie Hochschulgruppen. Der BSH hält mit der Verbindung zu den Reservisten nicht hinterm Berg. Auf seiner Internetseite bewirbt er den „Verband der Reservisten der Bundeswehr“ (VdRBw) mit dem Slogan „Unser starker Partner“. Unter der Kategorie „studentische Reservistenarbeit“ auf der Homepage des Reservistenverbandes wird wiederum auf den BSH verwiesen. Auch überrascht es nicht, dass der Dienstweg durch den gemeinsamen Verbandssitz in der Zeppelinstraße in Bonn besonders kurz ist.
Was hat das mit der Bundeswehr zu tun?
Bei Reservisten handelt es sich um Soldaten, Gediente und Ehemalige Soldaten außer Dienst in „Reserve“. Das bedeutet, bei Bedarf werden sie zur Verstärkung der Bundeswehr herangezogen. Der Reservistenverband ist ein Verein, der unter dem Motto „Tu was für dein Land“ der Interessenvertretung „ehemaliger und aktiver Soldaten zur Pflege militär[ischer] Tradition und Kameradschaft“[2] dient. In seiner Satzung schreibt sich dieser Verband eine „Mittlerfunktion für die Bundeswehr in der Gesellschaft“[3] zu. Dieser Anspruch findet seinen Ausdruck auch in Schulbesuchen durch Jugendoffiziere, Aufstellung von Messeständen und der sog. Gelöbnis-Offensive. Die nötigen Mittel für die militaristische Propaganda erhält der Verband vom Bundesverteidigungsministerium.
Diese enge Verbindung von BSH und Reservistenverband führt uns demnach auf direktem Weg zur Bundeswehr. So wird deutlich, dass der AK Außen– und Sicherheitspolitik kein Interesse daran haben wird, sich kritisch mit aktuellen Fragen rund um das Militär auseinanderzusetzen. Vielmehr geht es darum, auch an der Universität Akzeptanz für die Bundeswehr und Militäreinsätze zu schaffen.
Zur Strategie des AK Außen– und Sicherheitspolitik – ein Beispiel
Der BSH verfolgt nach eigenen Angaben das Ziel, „unter dem akademischen Nachwuchs den sachlichen und wissenschaftlichen Diskurs über außen– und sicherheitspolitische Themen zu fördern“.[4]
Diese Formulierung verschweigt zum Einen, dass ein solcher Diskurs an Hochschulen bereits stattfindet, wie in den Neugründungen von Instituten zur Friedensforschung oder den Auseinandersetzungen um Zivilklauseln deutlich wird. Zum Anderen wird die Existenz von Streitkräften vom BSH bereits durch seine Kooperation mit dem Reservistenverband unkritisch übernommen. Wie mit einem derartig verengten Blick ein akademischer Diskurs funktionieren soll, beantwortet der BSH nicht. Eine geplante Veranstaltung des AK Außen– und Sicherheitspolitik mit dem ehemaligen Bundeswehrsoldaten Johannes Clair reiht sich in dieses Muster ein.
Clair nimmt für sich in Anspruch, die vermeintlich unpolitische Sicht des „einfachen Soldaten“ zu präsentieren. Jedoch sieht er nicht im Afghanistan-Einsatz selbst den Skandal, sondern im „Fehlen von geeigneten Hubschraubern, um Verwundete vom Schlachtfeld zu holen“[5]. Politisch bewerten könne er den Einsatz nicht, doch für sich persönlich hätte er viel mitgenommen. „Wir waren stolz auf unsere Arbeit und froh, heil da rausgekommen zu sein.“[6] Er entzieht sich einer politischen Stellungnahme und legitimiert sein Handeln und den Einsatz anhand persönlicher Motive. Durch die individualisierte Perspektive versucht er politische Kritik zu vermeiden und Verständnis für den Krieg zu forcieren.
Clair rechtfertigt den Afghanistaneinsatz mit sehr dubiosen Argumenten: „Es geht eher um Gerechtigkeit, weil etwas gegen deine Moralvorstellungen verstoßen hat. Uns ging es im Einsatz darum, das Karfreitagsgefecht auszugleichen. Wir wollten für den Tod von drei Kameraden jemanden zur Rechenschaft ziehen. Was nicht heißen soll, dass wir hingingen, um alle zu erschießen.“[7] Die Wortwahl legt den Verdacht nahe, dass er seinen Einsatz über alttestamentarische und überholte Gerechtigkeitskonzepte wie „Auge um Auge, Zahn um Zahn“ verteidigt. Die ganz nebenbei geleistete Verdrehung von Ursache und Wirkung erscheint daneben beinahe als Faux Pas. Die Truppen waren ja nicht zufällig vor Ort oder Opfer eines blöden Zufalls. Sie waren Teil einer internationalen Besatzungsarmee, die vor Ort für den Tod von Familienangehörigen und Freunden verantwortlich ist.
Insgesamt versucht Clair durch das Schildern seiner individuellen Erfahrungen Verständnis für die Situation von Soldat_innen zu erhaschen. Nicht nur er tut dies: Die Bundeswehr setzt zunehmend auf Marketing und Öffentlichkeitsarbeit, um sich nach außen hin positiv darzustellen. Schließlich hat das Heer ein Imageproblem: Große Teile der Bevölkerung stehen den Auslandseinsätzen der Bundeswehr kritisch bis ablehnend gegenüber und die Nachwuchsrekrutierung seit der Aussetzung der Wehrpflicht entspricht nicht den Erwartungen.[8]
Was könnte der Bundeswehr also besseres passieren, als ein junger, charismatischer Bestsellerautor? Noch dazu einer, dessen oberflächliche Kritik am Afghanistaneinsatz in der deutschen Bevölkerung anschlussfähig ist und der gleichzeitig die Schlagworte der Imagekampagne von Kameradschaft und Freude am Dienen im nationalen Kollektiv (siehe Artikel Neues von der „Heimatfront“) wiederholt. Das ist das Niveau, auf dem für den BSH „kritische Auseinandersetzung“ stattfindet.
Kurze Kritik am Begriff „Sicherheitspolitik“[RK1]
Sicherheitspolitik bezeichnet nach der Definition der „Bundeszentrale für politische Bildung“ alle Maßnahmen, die zur Wahrung der Sicherheit vorgenommen werden. Es wird keine Aussage darüber getroffen, was genau unter Sicherheit zu verstehen ist, noch welche Maßnahmen gemeint sind. Dass Sicherheit kein Wert an sich ist, beweisen in ihrem Namen durchgesetzte und geplante Kontrollpolitiken und die Sicherung der europäischen Grenzen unter Inkaufnahme von zehntausenden Toten im Mittelmeer. Wenn von Sicherheit die Rede ist, lohnt es sich also immer zu fragen: Wessen Sicherheit und wie sieht sie aus? Zu oft bedeutet ihre Sicherheit Kontrolle und Tod für andere.
Dass sich die Ableger der Bundeswehr an Hochschulen auf den Begriff „Sicherheitspolitik“ beziehen, hat bestimmte Gründe. Erstens ist es eine Beschönigung und Verharmlosung dessen, was eigentlich thematisiert wird: Militärische Fragestellungen und Krieg. Diese Themen werden darüber positiv besetzt. Zweitens soll über den Begriff der Sicherheit auf eine konfuse Angst der Bevölkerung vor Bedrohungen zurückgegriffen werden. Sicherheit setzt zugleich eine potentielle Bedrohung voraus. Drittens wird Neutralität und Wissenschaftlichkeit suggeriert. Doch letztlich steckt auch hinter dem Begriff der Sicherheitspolitik Bundeswehrpropaganda.
Fazit
Die Veranstaltungen des BSH
und seiner Hochschulableger wurden bereits in einigen Städten
durch antimilitaristische Proteste gestört. Den Deckmantel der
Wissenschaftlichkeit, kritischen Auseinandersetzung und
Harmlosigkeit, den sich der Arbeitskreis Außen– und
Sicherheitspolitik gibt, gilt es weiter aufzudecken, sodass die
Strategie, Akzeptanz für die Bundeswehr auf dem Campus zu schaffen,
keinen Raum finden kann. Kein Raum für BSH-Strukturen an der
Universität!
[1] Der mit militärischem Hintergrund ausgestattete Begriff „Reservisten“ wurde 2005 aus dem Namen genommen, um vorgeblich eine „Öffnung“ für Nicht-Reservist*innen zu ermöglichen. Das Logo hingegen wurde beibehalten.
[2] Brockhaus Ezyklopädie Bd. 25 (21. Aufl., Mannheim, 2006), Art. Soldatenverbände, S. 460
[3] → Satzung des Verbandes der Reservisten der Deutschen Bundeswehr e. V. [Art. 2 Absatz 6]
[4] → Satzung des Bundesverbandes Sicherheitspolitik an Hochschulen [Art. 1, Absatz 3]
[5] → Was der Krieg mit einem jungen Soldaten macht
[6] Ebd.
[7] Ebd.