Denkt doch mal jemand an die Kinder! Rückblick auf die „Compact“-Konferenz

Unter dem Motto „Für die Zukunft der Familie!“ lud das rechtspopulistische Magazin „Compact“ am 23. November 2013 nach Schkeuditz bei Leipzig – 500 Menschen kamen.

»Compact steht für die offene Debatte, die diese Leute draußen verhindern wollen«, schimpfte Jürgen Elsässer, Chefredakteur des Magazins. Verspätet fing die zweite »Konferenz für Souveränität« der Zeitschrift an. GegendemonstrantInnen hatten den Eingang des Gebäudes blockiert.

Von morgens bis abends standen Vorträge verschiedener internationaler ReferentInnen auf der Tagesordnung, die über »Familienfeindlichkeit«, »Geburtenabsturz« und »sexuelle Umerziehung« sprechen wollten. Letztlich lief alles auf die Frage hinaus »Werden Europas Völker abgeschafft?«. Schon in der Ankündigung erwehrte man sich vehement der Vorwürfe, die Konferenz richte sich »gegen Homosexualität«.

Sichtlich erschüttert waren die VeranstalterInnen, als sie feststellen mussten, dass ›die Familie‹ offenbar kein ›harmloses‹ Thema ist, wie sie angenommen hatten. Die Polizei hatte Mühe, den vorwiegend männlichen BesucherInnen einen Weg durch die Menge zu bahnen. Und ihre Präsenz war auch noch wahrnehmbar, als der Saal sich langsam füllte – die Eröffnungsrede des ehemaligen »Konkret«-Redakteurs wurde vom Lärm Dutzender gegen die Wände des Gebäudes trommelnder ProtestiererInnen begleitet. Für Elsässer sind diese freilich nichts weiter als »geschichtsvergessene Idioten«.

Absage um Absage

Nicht nur die Proteste dürften die Veranstalter verärgert haben. Großspurig und etwas vorschnell hatten sie immer wieder auf die geladene Prominenz hingewiesen:

Thilo Sarrazin, Peter Scholl-Latour, Eva Hermann, Frauke Petry. Doch es kam anders: Scholl-Latour, der bereits bei der ersten »Souveränitätskonferenz« im November 2012 an der Freien Universität in Berlin gesprochen hatte, sagte wenige Wochen vor dem Termin ab – er müsse einen Auslandstermin wahrnehmen, ließ er verlauten. Eva Hermann steckte zurück »aus Angst vor KonferenzgegnerInnen«. In ihrer zehnminütigen Audio-Botschaft beklagte sie sich über die deutsche Familienpolitik und die »Hetze feministischer Interessenverbände«. Und auch Frauke Petry, eine der drei BundessprecherInnen der »Alternative für Deutschland« (s. drr Nr. 144), kam nicht – Gründe wurden nicht genannt. Dabei hatte sie bereits im Vorfeld der Konferenz in einem Interview, das sie Elsässer gab, noch gegen die »freiwillige Selbstzensur der Medien« gewettert. Und so verblieb als einziger Headliner der SPD-Mann vom rechten Stammtisch.

Nur Altbekanntes von Sarrazin

Viele werden sich vom ersten Vortrag, dem eigentlichen Höhepunkt der Konferenz, deutliche Worte erhofft haben. Doch Sarrazin referierte zunächst eine geschlagene halbe Stunde über sein Buch »Deutschland schafft sich ab« (2010). Auch seinen persönlichen Streit mit der »die tageszeitung« (taz) schlüsselte er selbstverliebt und detailreich auf. Erst zum Ende besann er sich auf das Kongressthema: Das »deutsche Volk« sei nicht nur am Aussterben, sondern werde auch durch »unqualifizierte Zuwanderung« immer dümmer, käute er seine kruden Thesen wieder. Seit 40 Jahren bekämen »alle Frauen in Deutschland durchschnittlich 1,3 Kinder«. Jede Generation sei also kleiner als ihre vorherige, das sei »nur eine Frage der Logik«.

Für das angeblich abnehmende Bildungsniveau der Gesellschaft macht er den vermeintlich negativen Zusammenhang zwischen Bildungsniveau und Kinderzahl verantwortlich. Wer nur über niedrige Bildung verfüge, bekomme mehr Kinder. »Einwanderung«, so Sarrazin, könne diesen Umstand verbessern, »wenn die Einwanderer besser, klüger und fleißiger wären, als die Deutschen.« Diese Eigenschaften korrelieren für ihn mit ›Kultur‹ und ›Herkunft‹ der Einwanderer. Als Beleg führt er an, dass bisher kein Nobelpreis an einen Wissenschaftler der islamischen Welt gegangen sei. Dass es bis heute nicht gelungen ist, ihn »wirksam als unseriös auszugrenzen« – schließlich ist er noch immer SPD-Mitglied –, sieht er als Beleg für die Richtigkeit seiner Thesen.

Ausländische Prominenz

Wirkte die deutsche RednerInnenliste wie willkürlich zusammengestellt, waren Frankreich und Russland prominent vertreten. Aus Frankreich war die bekannte Rechtspopulistin und Sprecherin von »Printemps Français« (»Französischer Frühling«) Béatrice Bourges angereist. Ihre Organisation hatte in den vergangenen Monaten Demonstrationen mit bis zu einer Million Menschen gegen ein Gesetz auf die Straße gebracht, das es Homosexuellen in Frankreich erlaubt, zu heiraten (s. drr Nr. 143). Die Zusammenstöße mit der Polizei, die es dabei gegeben hatte, seien von ›Agents Provocateurs‹ angezettelt worden, um gegen die Bewegung vorzugehen.

Gehe es nach ihr, stünde Frankreich kurz vor einem Volksaufstand. Darauf, dass dies in einem »normalen Land« wie Frankreich möglich sei, war Bourges besonders stolz und wollte den ZuhörerInnen Mut machen, auch in Deutschland für die eigenen Interessen auf die Straße zu gehen. Legitim sei dies allein deswegen, weil es bestimmte ›Gesetze‹ gebe, die über jenen stehen, die Menschen sich geben. Weil das Gesetz zur Gleichberechtigung homosexueller Paare diesem vermeintlichen ›Naturgesetz‹ widerspreche, müsse dagegen vorgegangen werden. Dahinter stehe eine Ideologie, die »die Gesellschaft zerstören« wolle.

Auch für John Laughland, den Direktor des ›Institut de la Démocratie et de la Coopération‹ (IDC), ist Frankreich mit seiner »Bewegung gegen die Homo-Ehe« der einzige Hoffnungsschimmer am Horizont.

Aus Russland war gleich eine ganze Delegation der Staatsduma angereist, darunter Jelena Misulina und Olga Batalina mit eigenem Fernsehteam. Die beiden Parlamentarierinnen sind maßgeblich für das »Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda« verantwortlich, das Kinder und Jugendliche vor Zurschaustellungen gleichgeschlechtlicher Liebe in der russischen Öffentlichkeit ›schützen‹ soll. Als Begründung wird angeführt, dass angeblich 95 Prozent der Homosexuellen erst durch die Medien oder ihr Umfeld zu solchen gemacht würden.

Auch würde, so Batalina und Misulina, in den deutschen Medien vollkommen verdreht über das Gesetz berichtet – es sei ›nur‹ die Ergänzung des russischen Jugendschutzgesetzes. Dieses habe zuerst nur die Darstellung heterosexueller Praktiken geregelt. So wurde auf Wirken einer Bürgerinitiative das »Gesetz gegen Homosexuellen-Propaganda« nachgeschoben, um Kinder und Jugendliche vor »schädlichen Informationen zu schützen«. Das Problem einer sinkenden Geburtenrate habe die Regierung unter Putin im Gegensatz zu Europa bereits erkannt und weitere Gesetze verabschiedet, die besondere Förderung für Mütter und Schwangere vorsehen. Und noch etwas habe Russland Deutschland voraus: Protest wie dieser sei dort undenkbar.

Stolz berichtet Misulina, dass in Russland die Minderheit, das heißt die BefürworterInnen von Gleichberechtigung vor der Mehrheit der Bevölkerung geschützt werden müssen und nicht andersherum, wie es ihrer Meinung nach in Leipzig der Fall war. ›Den Homosexuellen‹ in Deutschland gehe es letztlich so gut, dass sie eigentlich keinen Grund hätten, auf die Straße zu gehen. Der internationale Skandal, den Elsässer noch während der Konferenz beschwor, weil Misulina vor Beginn der Konferenz von einem Protestler in die Hacken getreten wurde, blieb bisher aus.

Anwesend war mit André Sikojev ein weiterer russischer Redner, er ist Priester der Russisch-Orthodoxen Kirche, deren Perspektive auf »Familie« und Einschätzung des Gender-Mainstreaming er vortrug. Die erste These der Konferenz, dass sich die »europäischen Völker abschaffen würden«, meinte er mit Bezug auf die vermeintlich niedrigen Geburtenraten zu bestätigen. Als er anschließend verkündete, es gebe auch Lichtblicke, denn die norwegische Regierung habe kürzlich sämtliche Mittel für Gender-Mainstreaming gestrichen, erntete er tosenden Beifall vom Publikum.

Aus der Bibel lassen sich für ihn sowohl die »Zweigeschlechtlichkeit von Mann und Frau« als auch die »natürliche Zusammengehörigkeit« der beiden Geschlechter ableiten. Homosexuelle Paare seien wenig hilfreich, den Fortbestand des »Volkes« zu sichern, da sie nicht ohne Weiteres in der Lage sind, neues Leben in die Welt zu setzen. Nebenbei war Sikojev bemüht, zu betonen, wie offen er sei und dass die Russisch-Orthodoxe Kirche auch »die Anderen« toleriere. Trotzdem vertrat er abstruse Thesen: Gender-Mainstreaming beispielsweise ist ihm zufolge gleichzusetzen mit den »Nürnberger Rassegesetzen« von 1935. »Ehe« sei ein Begriff des Naturrechts, behauptete er ferner, der für Beziehungen zwischen Männern und Frauen reserviert sei. Und überhaupt, Kindern gehe es in homosexuellen Familien sowieso per se schlecht, meinte er zu wissen. Nachgewiesen sei das in einer einzigartigen Studie eines namenlosen amerikanischen Wissenschaftlers mit entsprechend erschreckenden Ergebnissen. Darum rate die Russisch-Orthodoxe Kirche auch vom Adoptions-recht für gleichgeschlechtliche Paare ab.

Als einziger Referent scheint sich Sikojev zumindest ansatzweise mit den Theorien der Gender-Studies beschäftigt zu haben – wenn auch mit skurrilem Fazit: Judith Butler stellte er in eine Reihe mit Adolf Hitler und ihr Buch »Gender Trouble« (1990) als vermeintliche Grundlage ›feministischer Ideologie‹ verglich er mit »Mein Kampf«. Unerträglich scheint für ihn die Annahme, Geschlecht sei nicht angeboren.

Ausreißer

Dorothea Böhm, die zur Mutter-Kind-Beziehung referierte, sprach sich als einzige für das Adoptionsrecht gleichgeschlechtlicher Paare aus und wirkte damit ein wenig fehl am Platz. Auch zwei Männer könnten ein Kind »bemuttern«, solange sie in einer stabilen Beziehung leben. Dafür erntete sie überraschend Applaus, aber auch heftige Kritik von Publikum und anderen ReferentInnen. Ein wenig skurril mutete der Vortrag von Bernd Lassahn an.

Lassahn, der eigentlich Kinderbücher schreibt, formulierte in seinem kürzlich erschienenen Buch »Frau ohne Welt« (2013) allerlei Männerrechtsthesen. Schon nach kurzer Zeit auf der Bühne verlor er sich in wirren Metaphern und Analogien von Äpfeln, Birnen und allerlei Tieren und versuchte so die Ungleichheit von Kulturen und Geschlechtern zu beschreiben. Auch ihm macht die ›Kinderlosigkeit‹ zu schaffen, wenn durch ›Gleichmacherei von Sexualpraktiken‹ der heterosexuelle Geschlechtsverkehr, der als einziger der Fortpflanzung dient, im Abseits verschwindet.

Nur ein bedingter Erfolg

Neben dem Austausch von allerlei Plattitüden durch die auf dem Podium Anwesenden, der Selbstvergewisserung, irgendwie für das Wohl ›der Familie‹ und ›der Kinder‹ einzustehen, schien es am Ende doch einen gemeinsamen Nenner zu geben: Die diffuse Angst um das vermeintliche Aussterben der ›europäischen Völker‹ als Folge von ›feministischer Ideologie‹, ›sexueller Umerziehung‹ und ›Zerstörung der heterosexuellen Familien‹.

Am Ende dürfte die Veranstaltung des selbsternannten »Magazins der schweigenden Mehrheit« für die OrganisatorInnen nur bedingt befriedigend gewesen sein. Insgesamt kamen deutlich weniger Gäste, als erwartet. Das mag an den teuren Eintrittspreisen oder der abgespeckten RednerInnenliste gelegen haben. Auch das proklamierte Ziel, irgendwie zu einer »offenen Debatte« beizutragen, wurde verfehlt. Nun wird als »Erfolg für die Meinungsfreiheit« verkauft, dass der Kongress überhaupt stattfinden konnte.

Und so lässt sich auch hier wieder einmal mehr der größte Misserfolg im Nachhinein umdeuten.


drr

Den Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Der Rechte Rand (Nr. 146, Januar/Februar 2014, S. 16) übernommen. Ein Abo lohnt sich!

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