Seit einigen Jahren gibt es Protestaktionen in Connewitz gegen das, was man stadtläufig als Gentrifizierung kennt. Immobilienfirmen wie die GRK Holding, insbesondere aber Hildebrand & Jürgens, kaufen Häuser, ekeln Wohngemeinschaften raus, sanieren teuer und vermieten teurer weiter, wenn nicht gleich Eigentumswohnungen daraus werden. Diese Branche lebt, wie alle anderen, von der Profitmaximierung. Sie gelingt in diesem Fall durch Verknappung und Verteuerung von Wohnraum, den jede_r braucht.
Unter Bedingungen sich verknappenden und dadurch verteuernden Wohnraums werden Menschen, die ihn brauchen, in ein scharfes Konkurrenzverhältnis gesetzt. Das Verhältnis geht immer auf zu Gunsten derer, die mehr für ihre Wohnung hinblättern können als andere, die sich in entlegeneren Stadtteilen umtun oder gar ihre Wohnung und damit ihr soziales Umfeld verlassen müssen. Das Alltägliche daran wird mit dem Begriff Gentrifizierung zu einem Rätsel gemacht, das es gar nicht ist. Tatsächlich ist der stumme Zwang der Verhältnisse, und sei es nur die nächste Mieterhöhung, eine Erinnerung daran, dass wir in einer Klassengesellschaft leben.
Es ging einmal um die soziale Frage
Hildebrand & Jürgens, aber natürlich nicht nur die, lassen sich die „Aufwertung“ von Wohnraum gut bezahlen: Sie profitieren von der fortwährenden Abhängigkeit der Mieter_innen, also von der schlichten Tatsache ihrer Deklassiertheit und Auspressbarkeit. Es geht bei der „Aufwertung“ folgerichtig nicht um die Frage, welchen Anstrich Häuser bekommen. Wenn in der Auerbachstraße, wo erschwinglicher Wohnraum für Hunderte hätte entstehen können, „Stadthäuser“ für ganz Wenige gebaut wurden, dann stellt sich keine ästhetische, sondern eine soziale Frage.
Ein Teil der radikalen Linken in dieser Stadt hat das verstanden. Das ist ein Fortschritt, auch wenn sich über Mittel und Methoden, dagegen aufzurühren, streiten lässt. Das gilt umgekehrt ebenso, wo Nichtigkeiten wie unerlaubte Farbanstriche auf irgendeiner Fassade desöfteren zum Anlass für rabiate Einsätze der Polizei oder Übergriffe privater Wachdienste wurden. Es ist demnach auch ein Fortschritt, dass sich ein Teil der radikalen Linken in Leipzig davon nicht einschüchtern ließ. Der Mangel ist einzig, dass es bei einem partikularen Mini-Kiezkampf geblieben ist, wo eine Recht-auf-Stadt-Bewegung längst ihren Ausgang hätte nehmen müssen.
„Zunehmende Gewaltbereitschaft“
Wie in allen Stadtteilen – da nimmt Connewitz keineswegs eine Sonderrolle ein – kommt es hier zu allen möglichen Sachbeschädigungen. Schon vor zwei Jahren haben namhafte Immobilienfirmen hohe, durch nichts gedeckte Phantasiesummen errechnet, die ihnen angeblich als Schaden entstanden seien – und die, selbst wenn sie stimmen würden, ein Witz wären gegen die Gewinne derselben Firmen, die sich aus dem systematischen Schaden anderer, nämlich aus der Auspressung der Mieter_innen speist. Das in der Öffentlichkeit verhandelte Problem sind jedoch nicht die Interessen der Mieter_innen, sondern die „zunehmende Gewaltbereitschaft in Connewitz“.
Unter dieser Überschrift „bearbeitet“ der Kriminalpräventive Rat der Stadt Leipzig seit 2011 den so genannten „Problemstadtteil“ – unter anderem in einer AG „Stadtteilentwicklung Connewitz“ als angeblich „neutraler Instanz“. Der AG gehört neben Hildebrand & Jürgens die Polizeidirektion Leipzig an. Der ordnungspolitische Zugriff auf den Kiez lebt im übrigen von einer grundsätzlichen Verschiebung der Problemstellung: weit weg von den Gründen irgendwelcher Protestaktionen, hin zu „Straftätern“, wie es in einem Anfang 2013 erstellten Konzeptpapier der Polizei ganz plump heißt. Die Polizei hat viel getan, um den Stadtteil nachhaltig zu stigmatisieren und hier lebende Menschen intensiv zu kriminalisieren: Durch häufige Bestreifung auf bundesweitem Spitzenniveau, durch „Komplexkontrollen“ jenseits des Polizeigesetzes, durch Ausweitung der Kameraüberwachung, Aufrufe zur gegenseitigen Bespitzelung, und so weiter.
Polizei setzt auf Repressionsstrategie
Ursprünglich gab es noch die Idee, ein „Quartiersmanagement“ einzurichten, es scheiterte aber schon im Ansatz. Die halbe Stelle beim Jugendhaus „Südpol“, finanziert aus Mitteln des Anti-Extremismus-Programms „Weltoffenes Sachsen“ und gedacht, um im Kiez zwischen wem auch immer zu „moderieren“, ist schon wieder gestrichen. Und damit ist bereits im Ansatz alles gescheitert, was der Kriminalpräventive Rat außerhalb der Repressions-Strategie für denkbar hielt. Dass nun ein eigener Polizeiposten in Connewitz eingerichtet wurde, ist angesichts des landesweiten Polizeireform-Trends zwar ungewöhnlich, wenn nicht einmalig. Aber durchaus folgerichtig, sofern man sich auf die Repressionslogik einlässt.
Diese Logik lebt jetzt und in Zukunft in jeder Hinsicht davon, die Legende der im Stadtteil marodierenden „Gewalttäter“ immer weiter aufzubauschen. Nicht zufällig sitzt die Polizei jetzt dort, wo zuvor das städtische Bürgeramt untergebracht war. Dass es hier wiederholt zu Sachbeschädigungen gekommen war, hatte mit dem Stadtteilprotest vielleicht gar nichts zu tun, war vielleicht auch weniger politisch motiviert als vielmehr der Tatsache geschuldet, dass es andere städtische Einrichtungen im Viertel nicht gibt. Egal, denn die Angriffe auf das Bürgeramt haben viele Linke eh nicht nachvollziehen können.
Der Versuch, Proteste umzulenken
Für die Polizei spielt das keine Rolle, denn die Standortwahl zeigt ihren sehr speziellen Fokus: In Connewitz müsse man „Gewalttätern“ Paroli bieten, die sich grundlos am wehrlosen Bürgeramt abreagieren. Mit der Ausgangssituation im Kiez – politischen Protestaktionen anlässlich der kapitalen „Aufwertung“ des Stadtteils – hat das nicht mehr das Geringste zu tun. Wer immer ein Interesse daran hat, diese politischen Protestaktionen der vergangenen Jahre nicht aufzugeben, muss darauf achten, der Polizei-Logik nicht auf den Leim zu gehen: Sie hat sich selbst als Honigtopf ins Viertel gestellt und wartet jetzt, wie die BILD-Zeitung kolportiert, „jeden Tag“ auf irgendwelche „Anschläge“.
Die jüngste Satire-Aktion gegen den Polizeiposten liegt also richtig damit, nicht so zu agieren, wie es die Polizei erwartet. Womöglich ist es aber im jetzigen Moment prinzipiell falsch, den Polizeiposten zum wichtigsten Protestobjekt der linken Szene „aufzuwerten“. Die sachlich falsche Hochstilisierung zur „Connewitzer Davidwache“ bewirkt doch genau das, was sich die Polizei verspricht: Das bisherige Protestpotential im Kiez wird auf eine neue Trefferfläche umgelenkt. Das freut die Immobilienfirmen – und die Polizei wird es freuen, wenn durch ihr bloßes Dasein die Behauptungen über „Gewalttäter“ in Connewitz zur selbsterfüllenden Prophezeiung werden.
Die Entpolitisierungs-Falle ist gestellt
Das heißt nicht, dass das man den Polizeiposten hinnehmen soll. Nur müssen Gegenstrategien immer daran bemessen sein, die Repressionslogik zu unterlaufen. Wie die sich weiterentwickeln wird, steht schon im Konzept des Kriminalpräventiven Rates: „Konsequentes Vorgehen“ aller Behörden und „Herausholen der Straftäter aus der Anonymität“. Die Polizei muss nichts anderes tun, als auf die Gelegenheit zu einem Zugriff oder zum Eintreten einer Tür zu warten, um das dann als Schlag gegen die angeblichen „Gewalttäter“ in Connewitz zu verkaufen.
Es wäre dumm, in diese Falle zu laufen. Wer der Polizei mit billigem A.C.A.B.-Protest begegnet, hilft sogar mit, die Falle aufzustellen, denn das bedeutet – im Vergleich zu den vergangenen Jahren – eine Entpolitisierung, bis nur noch die gewünschten und gesuchten „Gewalttäter“ übrigbleiben. Von denen hofft man offenbar, dass sie sich früher oder später an der Ecke Biedermann-/Auerbachstraße freiwillig zum großen Haftprüfungscasting treffen werden. Vernünftiger wäre es, das einmal Begonnene nicht dafür aufzugeben, sondern sich in einer Bewegung zu treffen, der es um die soziale Frage geht…
…und nicht um sechs strafversetzte Bullen!
Text zugesandt von: IG Rotes Viertel Connewitz