Am Freitagabend soll erneut vor dem Connewitzer Polizeiposten protestiert werden: Mit „Mut, Respekt und Toleranz“ will die „Connewitzer Dorf Union“ (CDU) die Beamt_innen und den „geschichtsträchtigen Ort der Wiedebach-Passage“ schützen – damit sich Szenen vom vergangenen Freitag, als die Polizei mit Tampons und Pflastersteinen aus Styropor beworfen wurden, nicht wiederholen. Als probates Gegenmittel soll diesmal eine Menschenkette geschlossen werden, doch über Twitter (#polizeipfosten) rufen „Linksextremisten“ bereits auf, sich unauffällig unter die Protestierenden zu mischen.
Die Kundgebung am vergangenen Freitag („Connewitz steht auf – Gegen Minderheiten-Politik im Rathaus“) und die kommende Menschenkette verbindet nicht nur ihr spezieller Ort, sondern die humorkritische Frage, ob das lustig ist und als Satire durchgehen darf:
- Ja, sagte eine der Organisator_innen im Interview mit
leipzig.antifa.de
.
- Ja, sagen die Expert_innen der „Apfelfront“.
- Nein, sagt die Polizei, die bereits wegen Beamtenbeleidigung ermittelt.
- Überraschend sagt auch DIE LINKE in Leipzig „nein“. Denn die örtliche Parteispitze hatte sich am Dienstag von Genossin und Stadtratsmitglied Juliane Nagel distanziert, die als Anmelderin fungierte. Die Distanzierung stand groß in der Leipziger Volkszeitung, im Aufmacher der ersten Lokalseite. Wohlgemerkt: Das gehörte nicht mehr zur Satireaktion, hatte ihr aber das Überraschungsmoment voraus.
Ganz im Ernst: Volker Külow im Interview
Unser roter Reporter Enrico Auerbach sprach nun mit Volker Külow, Vorsitzender des Stadtvorstandes der Partei DIE LINKE in Leipzig. Es sei nicht Position seiner Partei, „so frontal die Polizei im Ganzen anzugreifen“, sagte er der LVZ. Im Interview für leipzig.antifa.de
erklärt Külow nun, dass es nicht um Parteidisziplin gehe und er durchaus mal die Polizei kritisieren würde. Leider seien Aufruf und Aktion „weder satirisch noch witzig“ gewesen.
Alles ein Missverständnis? Auf die Frage, was genau Anmelderin Juliane Nagel vorgeworfen wird, die weder den Aufruf verfasst, noch mit Tampons geworfen hat, erhielten wir leider keine Antwort.
Kannst du kurz sagen, was genau dich an der Aktion vor dem Polizeiposten gestört hat? Sie verlief friedlich, es gab zwar „Pflastersteine“, aber die waren aus Styropor. Warum kannst du das nicht locker sehen und einfach unter Ulk verbuchen?
- Zentrale Passagen des Aufrufes „Connewitz steht auf – gegen Minderheiten-Politik im Rathaus“ sind leider weder satirisch noch witzig. Beide Einschätzungen gelten unter anderem auch für Bestandteile der Aktion selbst, zum Beispiel das Werfen von gefärbten Tampons auf Polizistinnen und Polizisten.
Hälst du die Einrichtung des Polizeipostens in Connewitz prinzipiell für einen richtigen Schritt?
- Sicher kann man darüber geteilter Meinung sein. Nicht nur als Bewohner von Connewitz kann ich aber die einseitige Interpretation dieser Maßnahme als ausschließlich repressiven Akt nicht teilen. Im Übrigen verweise ich auf Abschnitt „Sicherheit durch Prävention“ unseres am 1. Februar mit großer Mehrheit beschlossenen Kommunalwahlprogramms sowie auf die 2013 verabschiedeten Ordnungs- und Sicherheitspolitischen Leitlinien des Stadtverbandes der Leipziger LINKEN.
Ein Kritikpunkt am Polizeiposten lautet, dass hier soziale Probleme mit einem harten Instrument der Ordnungspolitik weggedrückt und bestimmte Leute als „Gewalttäter“ und „Extremisten“ abgestempelt werden sollen. Was entgegnest du?
- Wenn das der Alltag der Polizeiarbeit in Connewitz werden sollte, was ich derzeit nicht befürchte, bin ich selbstverständlich einer der ersten, der das öffentlich kritisiert.
Satire ist immer streitbar. Mittlerweile hat sich die „Apfelfront“ geäußert, die sich sowohl mit Satire, als auch mit der LINKEN auskennt, und die Aktion ausdrücklich verteidigt. Kann es sein, dass nicht die Satire-Aktion misslungen ist, sondern die Leipziger LINKE zu wenig Spaß versteht?
- Ich kenne die Stellungnahme der „Apfelfront“ nicht, die ich sehr schätze und mit der ich seit vielen Jahren einen guten Kontakt habe.Im Übrigen bin ich schon auf Grund meiner familiären Herkunft ein ausgesprochen großer Freund von Satire. Ich musste mir daher in meinem über 40-jährigen politischen Leben gewiss schon viele Vorwürfe gefallen lassen. Zu wenig Spaß zu verstehen, war bislang aber nicht darunter.
Die LVZ hat getitelt: „Linke gehen auf Distanz zu Nagel“. In einem beigestellten Kommentar werden die Proteste dann sogar als „linksextrem“ verurteilt. Teilst du diese Einschätzung – und distanziert sich die Leipziger LINKE von „Linksextremismus“?
- Die Kommentare der LVZ teile ich in den meisten Fällen nicht. Der Begriff „Linksextremismus“ zählt nicht zu meinem Wortschatz. Eine Distanzierung ist daher nicht nötig.
Im Landtagswahlprogramm von 2009 habt ihr selbst „das Prinzip der Deeskalation und Konfliktvermeidung“ bei der Polizei angemahnt. Einen Polizeiposten in Connewitz einzurichten entspricht nicht diesem Prinzip. Derzeit engagieren sich LINKE-Abgeordnete im Landtag stark in einem Untersuchungsausschuss, der auch das Versagen der Polizei kritisch unter die Lupe nimmt. Und neulich kam es in Leipzig-Schönefeld zu einem Polizeieinsatz gegen Linke und LINKE, bei dem hinterher erklärt wurde, es sei „Wasser“ versprüht worden, obwohl es sich um einen Reizstoff handelte. Wollt ihr angesichts all dessen wirklich darauf pochen, dass Kritik an der Polizei unangebracht ist?
- Ich habe in den vergangenen 20 Jahren schon in unzähligen Fällen die Polizei kritisiert, wenn ich es für nötig erachtet habe. Der konkrete Nachweis würde den Rahmen dieses Interviews sprengen.
Gegenseitige Kritik ist wichtig und dass sich die einen Genossen von anderen Genossen distanzieren, kann vorkommen. Aber wenn das im Aufmacher der LVZ-Lokalseite stattfindet, ist das zumindest ungewöhnlich. Warum wird jetzt ausgerechnet diese Auseinandersetzung derart öffentlich ausgetragen?
- Auch wenn es möglicherweise zu banal klingt: Ich bin von einem LVZ-Journalisten angerufen worden, der meine Meinung wissen wollte. Er teile mir im Übrigen nicht mit, was normale journalistische Gepflogenheit ist, an welcher Stelle und in welchem Umfang am nächsten Tag die Berichterstattung erfolgt.
Geht es letzten Endes um so etwas wie „Parteidisziplin“?
- Nein.
Hand aufs Herz: Kann es sein, dass diese groß platzierte Distanzierung nicht nur etwas mit der konkreten Aktion zu tun hat, sondern auch Ausdruck einer parteiinternen Auseinandersetzung ist, die jetzt einen zufälligen Anlass gefunden hat, um mit harten Bandagen öffentlich ausgetragen zu werden?
- Es gibt unsererseits keine „groß platzierte Distanzierung“. Dann hätten wir mindestens eine Presseerklärung herausgegeben.