Zu den oft unterschätzen Nischenberufen gehören die Pressesprecher_innen der Polizei. Sie tragen Verantwortung bei ihrem Handwerk, mit dem es nicht nur erreicht werden soll, das staatliche Gewaltmonopol schönzuschreiben, sondern es nach Möglichkeit in ein Meinungsmonopol zu verlängern. Die Nachfrage dafür ist erheblich, denn wann immer eine Zeitungsseite befüllt werden muss, also jeden Tag, werden die Lückenbüßer aus dem „Polizeiticker“ kopiert.
Das ist nichts anderes als PR, zumal besonders kontinuierliche und oftmals unterhaltsame: Ein lustiger Dominocrash in der City? Zum Glück hat die Polizei den Verkehr geregelt – per Hand! Ein besoffener Einbrecher, der im Aldi-Drehkreuz hängen blieb? Sofort befreit – und zugeführt! Narrenhände beschmieren graue Wände? Die Polizei ist dran, natürlich „fieberhaft“ und – „mit Hochdruck“! Man kann hier alles einsetzen (außer, es ginge um eine „Suche“ nach flüchtigen Rechtsterroristen). Die unstupende Aufgabe der Pressesprecher_innen der Polizei besteht darin, genau das zu tun.
Öffentlichkeitsarbeit als Kriminalpolitik
Die Beamt_innen der Polizeidirektion Leipzig stehen überdies in dem Ruf, darin besonders gut zu sein, manchmal sogar wortgewandt. Auch deshalb gilt bei der Polizei nicht das, was sonst bei PR zu beachten wäre. Nicht nur entfällt hier ständig die Trennung von redaktionellem Inhalt und Werbung, sondern zumeist auch die Recherche und überhaupt alles, was mit journalistischer Arbeit irgendeine Ähnlichkeit hätte: Was die Polizei vermeldet, landet oft eins zu eins in der Zeitung. Es beansprucht allein dadurch, wahr zu sein.
Das Problem mit diesem Meinungsmonopol ist, dass es keineswegs für die Wahrheit bürgt, sondern sie erst herstellt. Die Auswahl und Darstellung der Fälle schafft den Rahmen, in dem Kriminalität rezipiert wird. Man muss hier nicht untersuchen, wie die Polizei das ausnutzt. Denn allein, dass sie derartige Pressearbeit leistet, ist schon Kriminalpolitik. Ihr verdankt Andreas Loepki seinen Job.
Was peinlich ist, entscheidet die Polizei
Loepkis typischer Arbeitstag lässt sich gut rekonstruieren. Vor genau einer Woche schrieb er zum Beispiel zwei Polizeimeldungen in der erdrückenden Gesamtlänge von etwas mehr als zehn SMS. In Stötteritz klaute jemand mitten in der Nacht die Reifen von einem Ford Fiesta, was ihn zu dem Kalauer verleitete, dass dies „bestimmt kein Grund für eine Fiesta“ sei. Man verzeiht dem Autor die dröge Überschrift („Ford bringt Leistung nicht mehr auf die Straße“), weckt sie doch ganz subtil die phantastische Vorstellung, ein Auto würde ohne Reifen vom Boden abheben. Zurückhaltender war da schon die Meldung über einen weiteren Reifendiebstahl, keine zwei Stunden später in Brandis. Resultate waren ein hoher „Stehlschaden“ – ein genretypischer Fachbegriff – und diesmal sogar eine ausgebuffte Überschrift: „Probefahrten verzögern sich vorerst“. Hihi!
Am Folgetag hat Loepki sein Soll durch eine Textproduktion im Umfang von nun schon umgerechnet 16 SMS weit übertroffen. Aber nicht nur durch ihre Länge ist die Polizeimeldung zu der Satire-Kundgebung gegen den Polizeiposten in Connewitz außergewöhnlich: Die Polizei, sonst zuständig für die Bekämpfung der Kriminalität und damit offenbar gut ausgelastet, beschwerte sich diesmal per Pressemitteilung über „eine Peinlichkeit“ (hier dokumentiert). Der Verfasser Loepki hat aber auf diesem fachfremden Gebiet, wie wir gleich sehen werden, in der Ausführung grob geschludert.
Generation Google bei der Polizei
Nehmen wir an, jemand wollte einen Text überzeugend und elegant beenden. Dann wird beides erreicht durch schlichtes Zitieren, möglichst einer intellektuellen Autorität. Nehmen wir außerdem an, jemand fand die Satire-Aktion nicht witzig, und wir wissen ja, dass die Polizei sie nicht witzig fand: Dann wäre ein Zitat zum Thema Satire doch richtig passend. Nun kann es sein, dass der, der es braucht, keins kennt. Zum Glück ist schon das allererste Google-Fundstück ein Volltreffer: „Was darf die Satire? Alles“, hat Kurt Tucholsky mal geschrieben.
Dafür, dass Andreas Loepki auf genau diesem Weg auf Tucholsky gestoßen ist, spricht vor allem, dass er dessen Name falsch schreibt („Tucholski“). Vielleicht handelte es sich sogar um eine Erstbegegnung des Polizisten mit dem Schriftsteller, wobei der erste über den zweiten wohl noch nicht wusste, dass der selbst Satiriker und Polizeikritiker war. Loepki bedauert jedenfalls, dass „Tucholski“ Satire bejaht, aber „die Fragen nach dem Wer und Wie nicht so eindeutig beantwortet hat.“ Das hat Tucholsky natürlich doch getan, als ob er gewusst hätte, dass er es posthum mit Leuten zu tun bekommt, die „das Dargestellte mit dem Darstellenden“ treffsicher verwechseln würden.
Warum Tucholsky die Polizei nicht mochte
Loepki ist hier vermindert schuldfähig, denn das ergoogelte Zitat allein gibt so viel nicht her. Aber auch sonst ist Tucholsky keiner, den die Polizei zitieren kann. Denn Tucholsky hat die Autorität der Polizei aus guten Gründen, sagen wir es ruhig, verachtet. Den Begriff „Polizeistaat“ hielt er für einen Pleonasmus.
„Es scheint, als ob bei der Neueinrichtung einer Polizeistation alles in Betracht gezogen wird – nur nicht das sie frequentierende Publikum“, schrieb er mal in der Weltbühne, denn „der Zivilist soll fühlen, dass er eine Laus ist, ein elendes Wesen, ein Nichts. Daß er nicht sofort eingesperrt wird, ist das Beste, was ihm überhaupt passieren kann.“ Und so ist es auch jetzt konsequent, angesichts dieser neuen Polizeistation in Connewitz die nächstbeste Satire als „peinlich“ hinzustellen und damit in die Nähe krimineller Delinquenz zu rücken. Das kommt natürlich davon, dass (nicht nur) die Polizei „das Dargestellte mit dem Darstellenden“ verwechselt. Wer weiß, ob unter Vorsatz?
Tucholsky hatte recht
Was Tucholsky ferner über den Sinn der Polizei sagte, sollte vorsichtshalber nur als wörtliches Zitat wiedergegeben werden: „Es ist töricht, in diesem Wust von Dummheit und Schikane noch nach irgendeinem andern Sinn zu suchen als dem, soundso viel tausend Menschen der Arbeitslosenunterstützung zu entziehen, und daher haben wir Polizeibeamte.“
Es erschließt sich sofort, dass Polizeibeamt_innen das nicht witzig finden und schwerlich als Satire durchgehen lassen würden. Tucholsky, scharfsinniger Beobachter der Weimarer Verhältnisse, aber auch nicht. Er wusste um die tatsächliche Rolle der Polizei in der Innenpolitik, um ihre Funktion im latenten Bürgerkrieg, in dem der Staat auf der Seite der Reaktion stand, dessen Polizei also nie begreifen würde, dass sie „dienen und nicht herrschen“ soll. Ihm war die Sache völlig ernst.
Der Antifaschist Kurt Tucholsky hatte mit seinen Vorbehalten, wie sich später zeigen sollte, völlig recht. Und auch die Langzeitwirkung der Satire hat er nicht unterschätzt. Hier kommen wir endlich zurück in die Lebenswelt eines Pressesprechers der Polizeidirektion Leipzig: Bei seinen aufwändigen Recherchen, um die Proteste gegen den Connewitzer Polizeiposten schlechtzuschreiben, ist er zufällig auf Tucholsky gestoßen – und an ihm gescheitert.
Text zugesandt von: Theobald Tiger.