Anfang der kommenden Woche beginnt in Magdeburg der Prozess gegen einen Antifaschisten aus Burg, der vor zwei Jahren bei Aktionen gegen den Magdeburger Nazi-“Trauermarsch” festgenommen worden war. Antifaschist_innen aus der Region haben einen Soli-Aufruf veröffentlicht und rufen zur Prozessbegleitung auf – der kommenden Verhandlung sind andere vorangegangen, bei denen Genoss_innen zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt wurden.
Der rote Reporter Enrico Auerbach sprach für leipzig.antifa.de
mit eine_r Genoss_in der Antifaschistischen Aktion Burg über die Repression in und um Magdeburg, über Gegenstrategien und Ansätze, den jährlichen Naziaufmarsch in Magdeburg trotz alledem zu knacken.
Ab Dienstag wird in Magdeburg gegen einen Antifaschisten verhandelt. Was genau wird dem Beschuldigten vorgeworfen?
- Der Betroffene soll sich am 14. Januar 2012 an den entschlossenen Aktivitäten gegen einen Aufmarsch von mehr als 1.000 Nazis in Magdeburg beteiligt haben. Dabei kam es zu massiven Auseinandersetzungen mit der Polizei, die gegen alle Menschen vorging, die versucht haben, diesen Aufmarsch zu verhindern.
Ihr habt einen Soli-Aufruf veröffentlicht, in dem es heißt, dass die Anklage auf abgesprochenen Aussagen von BFE-Polizisten aus Leipzig beruht. Welche Rolle spielen diese Beamten und wird sich vor Gericht beweisen lassen, dass die sich abgesprochen haben?
- Man kann sagen, dass es keine Foto- und Videoaufnahmen gibt und dass sich die aktuellen Ermittlungen einzig und allein auf die Aussagen der als Zeugen auftretenden BFE-Polizisten beziehen. Diese waren in der selben Einheit in Magdeburg unterwegs, kennen sich gut und hatten viel Zeit, um ihre Aussagen zu tätigen. Derzeit kann noch nicht gesagt werden, ob es möglich ist, auch zu beweisen, dass die Aussagen abgesprochen sind.
Gerade im Zusammenhang mit den Protesten gegen den Naziaufmarsch in Magdeburg Anfang 2012 gab es schon einige Verfahren gegen Antifas. Wie sind die ausgegangen?
- Einige Verfahren wurden in Sammelverfahren umgewandelt, bei denen gegen die Betroffenen nicht nur wegen Magdeburg 2012 ermittelt wurde. Andere gingen über mehrere Instanzen, da der Vorwurf nicht eindeutig bewiesen werden konnte. Alle Betroffenen wurden am Ende zu Bewährungs- und Haftstrafen verurteilt.
Zurückblickend können wir schon sagen, dass nicht nur die auch dort als Zeugen auftretenden Polizisten mit ihren Aussagen eine Verurteilung der Betroffenen erreichen wollten, sondern dass auch die Justiz gewillt war, eine höchstmögliche Strafe zu erzielen.
An den Protesten in Magdeburg beteiligen sich ja mehrere Bündnisse. Verhalten die sich bezüglich der Repression solidarisch?
- Gegen den Naziaufmarsch im Januar 2012 in Magdeburg mobilisierten wir zusammen mit der DKP Sachsen-Anhalt als “Entschlossen Handeln”, außerdem gab es das Bündnis “Blockieren MD”. Das löste sich allerdings wenig später wieder auf und neue Initiativen bildeten sich, die auch das Ziel hatten und haben, den jährlichen Naziaufmarsch zu verhindern.
Somit waren zur Zeit der bereits geführten und beim aktuellen Verfahren die Strukturen nicht mehr vorhanden, als deren Teil wir im Jahr 2012 die Proteste mitorganisierten, was sich leider auch hinsichtlich der Solidarität widerspiegelt. Bisher haben wir eigentlich fast alles allein versucht zu bewältigen, was für uns als antifaschistische Gruppe in einer Kleinstadt wie Burg nicht sehr leicht ist.
Unmittelbar vor dem diesjährigen “Trauermarsch” in Magdeburg gab es eine antifaschistische Vorabenddemo, die sich inhaltlich auch mit Repression auseinandergesetzt hat. Die Demo konnte laufen, obwohl sie nicht angemeldet war. Wie ist das gelungen und habt ihr damit gerechnet, dass das klappt?
- Schon 2013 gab es im Vorfeld zum Naziaufmarsch in Magdeburg eine Vorabenddemo, die allerdings angemeldet worden war. Dass in diesem Jahr bewusst auf eine Anmeldung verzichtet wurde, lag unter anderem an den Ereignissen während einer Antifa-Demo im November 2013 in Burg. Dort wurden die Veranstalter_innen und Teilnehmer_innen von der Polizei kriminalisiert: Die Demo wurde durch hunderte Polizisten in eine Art Gefangenentransport verwandelt, was zur Folge hatte, dass das politische Anliegen der Demonstration in den Hintergrund rückte.
Wir wollten also mit der Nichtanmeldung der Vorabenddemo in Magdeburg deutlich machen, dass wir auch ohne Genehmigung von Polizei und Ordnungsbehörden die Straße dafür nutzen werden, auf unsere politischen Inhalte aufmerksam zu machen, wenn versucht wird, die Durchführung bei Anmeldung der Veranstaltung zu behindern.
Das hat dann erfreulicherweise auch sehr gut geklappt. Was zum einen daran lag, dass wir im Vorfeld mit verschiedenen Pressemitteilungen, Infotexten und einigen Veranstaltungen öffentlicht gemacht haben, wie die Demo ablaufen soll und was die Teilnehmer_innen berücksichtigen sollten, damit es möglich ist, am Abend vor dem Naziaufmarsch in Magdeburg auf die Straße zu gehen. Zum anderen war die Polizei mit der Situation überfordert, als sich gegen 18 Uhr etwa 100 Antifaschist_innen geschlossen auf den Bahnhofsvorplatz bewegten und sich so sofort die Demonstration bildete, an der schließlich mehrere hundert Menschen teilnahmen.
Das Demomotto lautete “Staat und Nazis – Hand in Hand”. Ist das nicht ein Widerspruch? Immerhin hat die Polizei euch ja laufen lassen, das ist alles andere als repressiv.
- Wir sehen das diesjährige Motto der antifaschistischen Vorabenddemo nicht als einen Widerspruch, weil es gelang, die Demo auch ohne Anmeldung durchzusetzen. Dass das möglich war, lag ja nicht daran, dass die Polizei unser “Freund und Helfer” ist, sondern am entschlossene Auftreten der Antifaschist_innen an dem Tag.
Darüber hinaus thematisierten wir unter anderem bei unseren Vorbereitungen die Ereignisse in den letzten Jahren in Magdeburg, wo die Polizei auf der einen Seite, wie auch in diesem Jahr, alles Erdenkliche möglich macht, um den Nazis einen Marsch durch Magdeburg zu gewährleisten, und auf der anderen Seite Antifaschist_innen verfolgt, angreift, verletzt und festnimmt.
Um noch kurz dabei zu bleiben: Im Aufruf zu dieser Demo wurde der NSU als Beispiel für eine systematische Zusammenarbeit von Staat und Nazis hergenommen und behauptet: “wenn das Kapital seine Macht in Gefahr sieht, wird auf faschistische Strukturen zurückgegriffen”. Das klingt ehrlich gesagt nach einer Verschwörungstheorie. Im Soli-Aufruf für die kommende Verhandlung heißt es jetzt sinngemäß, dass der Staat antifaschistische Strukturen kriminalisiert, damit Nazis ungestört durch die Straßen ziehen können. Verstehe ich das richtig: Der Staat will, dass Nazis Leute angreifen?
- Man muss hier zwischen Naziterror wie beispielsweise dem derzeitigen in Burg und dem des so genannten “Nationalsozialistischen Untergrund” (NSU) unterscheiden. In Burg wird es durch die staatliche Kriminalisierung des antifaschistischen Widerstands den Nazis nur leichtgemacht, ihre Aktivitäten durchzuführen. Die haben das Ziel, Antifaschist_innen mit Gewalt einzuschüchtern, in der Hoffnung, dass die ihre politische Arbeit beenden. Die Nazis des NSU dagegen haben über Jahre aus rassistischen Motiven eine Vielzahl von Menschen umgebracht, und das unter den Augen der Sicherheitsbehörden.
Dass der NSU kein Einzelfall ist, zeigt die Vergangenheit, wo Staaten immer wieder faschistische Strukturen in den unterschiedlichsten Formen unterstützten, die dann gegen Minderheiten oder antifaschistische und soziale Bewegungen vorgingen. Gleichzeit wurde mit dem damit verbundenen Terror als Rechtfertigung der Weg frei gemacht für weitere Gesetzesverschärfungen und eine voranschreitende, autoritäre Formierung der kapitalistischen Gesellschaft.
Im Mai vergangenen Jahres gab es Hausdurchsuchungen unter anderem in Magdeburg, der Vorwurf lautet “Bildung einer kriminellen Vereinigung”. Inwiefern schränken so harte Vorwürfe die politische Arbeit ein, fühlen sich da viele Leute eingeschüchtert?
- Ob es nun, wie bei dem aktuell betroffenen Antifaschisten aus Burg, der Vorwurf der versuchten gefährlichen Körperverletzung ist, oder der einer Bildung einer kriminellen Vereinigung, macht auf den ersten Blick keinen großen Unterschied. Denn beide Vorwürfe dienen erstmal nur dazu, die politische Arbeit der einzelnen Betroffenen zu kriminalisieren und damit auch zu entpolitisieren. Einzig die damit verbundenen Ermittlungen sind unterschiedlich, denn der Schnüffelparagraph 129 bietet den Repressionsorganen alle Möglichkeiten, die Betroffenen und deren Umfeld intensiv auszuspionieren.
Ob viele davon jetzt eingeschüchtert sind, können wir nicht sagen, aber zumindest hier in der Region hat, soweit wir das mitbekommen haben, niemand aufgrund dieser Ermittlungen seine politische Arbeit eingestellt oder den Kontakt zu Einzelnen abgebrochen. Was sich vielleicht verändert hat, ist, dass man jetzt noch vorsichtiger geworden ist im Umgang mit den verschiedensten Komunikationsmitteln.
Ein gutes Mittel gegen Repression ist ja, dass Leute die Klappe halten. Jetzt gibt es aber beispielsweise in Halle auch Antifas, die offen dazu aufrufen, mit der Polizei zusammenzuarbeiten und sich gegenseitig anzuzeigen. Könnt ihr kurz mal einordnen, wie die darauf kommen?
- Erstmal ist dazu zu sagen, dass es einfach nur traurig ist, dass seit mehreren Jahren einige Menschen in Sachsen-Anhalt mit der Polizei zusammenarbeiten, um wiederum anderen zu schaden und somit nicht nur für die Betroffenen eine Bedrohung darstellen, sondern beispielsweise auch für Strukturen, die von den damit verbundenen Ermittlungen der staatlichen Repressionsorgane getroffen werden.
Dazu werden Redebeiträge auf Demonstrationen verlesen, Texte veröffentlicht und sogar Veranstaltungen durchgeführt, die dazu aufrufen, weiterhin zur Polizei zu gehen und fließig Anzeigen zu erstatten. Gerechtfertigt wird das damit, dass zum Beispiel die Kampange “Anna & Arthur haltens Maul!” dazu beigetragen hätte, dass so genannte autonome und antiimperialistische Schläger ungestört auf vermeintliche Antideutsche losgehen können. Das Zauberwort “innerlinke Gewalt” genügt, um nicht nur mit der Polizei zusammenzuarbeiten, sondern auch gleich noch Namen, Adressen und Fotos der Betroffenen zu veröffentlichen.
Da wir jetzt sowieso bei dem Thema sind, das viele mit “Magdeburg” und “Halle” verbinden, kann ich ja auch direkt fragen: In weiten Landstrichen ist die Auseinandersetzung zwischen “Antiimps” und “Antideutschen” schon lange kein Thema mehr und um so verwunderter sind viele über die Situation der Szene in Sachsen-Anhalt. Welche Rolle spielt das aktuell bei euch?
- Hm, wir sind zwar ebenfalls von diesem nervigen Thema betroffen, haben uns allerdings dazu bisher nie im Internet geäußert, da das aus unserer Sicht auf persönliche Differenzen zurückzuführen ist und wir die nicht auf eine politische Ebene heben wollen. Vielleicht sollte man aber mal sagen, dass nicht immer alles, was zum Beispiel auf Indymedia veröffentlicht wird, tatsächlich der Wahrheit entspricht, und dass die unterschiedlichsten Geschichten einfach nur Geschichten sind und alles andere als die Realität.
Es ist bisher nicht gelungen, den jährlichen “Trauermarsch” in Magdeburg zu stoppen. Das kann ja nicht nur an der Repression liegen, die es auch in Dresden gibt, sogar massenhaft. Was muss denn zukünftig in Magdeburg anders laufen, damit die Nazis dort auch einknicken?
- Wir wollen jetzt ungern den Zeigefinger nach Magdeburg richten und sagen, was die dortigen Strukturen zu tun haben, damit es auch dort klappt, diesen Naziaufmarsch zu verhinden. Wichtiger wäre es, sich an die eigene Nase zu fassen und sich die Frage zu stellen, was man selber in den letzten Jahren falsch gemacht hat. Oder ob man überhaupt jemals nach Magdeburg gefahren ist, denn uns kommt es immer wieder so vor, dass zwar viele nörgeln können, aber es dann auch schon aufhört.
Wenn nicht die Notwendigkeit erkannt wird, eigenständig nach Magdeburg zu mobilisieren und eine Anreise zu organisieren, dann wird sich an der Situation nicht viel ändern. Mit dem derzeitigen Konzept der Polizei, erst alle Nazis im Hauptbahnhof zu sammeln und dann vor Ort zusammen mit den Organisatoren dieses Aufmarsches zu entscheiden, wo genau marschiert werden soll, ist es nur mit mehreren tausend Menschen, die über die ganze Stadt verteilt sind, möglich, den Großaufmarsch zu verhindern.
Trotz Repression gibt es politisch ganz viel zu tun, derzeit erleben wir eine bundesweite Welle rassistischer Aktionen und Angriffe. Aber selbst die kritische Öffentlichkeit bekam das oft nur mit, wenn sich das in Marzahn-Hellersdorf oder Schneeberg abspielt. Wie ist die Situation in Sachsen-Anhalt, hat antirassistische Arbeit bei euch an Bedeutung gewonnen?
- Es gibt in Sachsen-Anhalt verschiedene Flüchtlingsinitiativen und auch ein antirassistisches Netzwerk, das besonders im letzten Jahr verschiedene Flüchtslingsproteste organisierte und auch immer zu aktuellen Ereignissen arbeitet, wie dem derzeitigen Prozess gegen die neun Nazis, die im September 2013 in Bernburg einen Imbissbetreiber fast zu Tode geprügelt haben. Dazu wird gerade intensiv mit den Flüchtlingen in Gardelegen gearbeitet, die erst vor wenigen Wochen dort in eine neu eingerichtete Unterkunft zogen und anfangs rassistischer Hetze ausgesetzt waren.
Aber anders als aber beispielsweise in Brandenburg, wo Nazis und Rassist_innen fast wöchentlich rassistische Kundgebungen und Aufmärsche durchführen, ist das hier derzeit noch die Ausnahme, was daran liegt, dass die NPD, nachdem sie es 2011 nicht geschafft hat, in den Landtag von Sachsen-Anhalt einzuziehen, noch immer sehr geschwächt ist. Trotzdem ist die Zahl der rassistisch motivierten Übergriffe seit Jahren auf einem sehr hohen Niveau und es vergeht selten ein Tag, an dem kein Mensch aufgrund seiner Herkunft oder Hautfarbe angegriffen wird.
Habt ihr aus eurer Erfahrung heraus für Genoss_innen in anderen Städten Empfehlungen, wie künftig besser mit Repression umgegangen werden soll oder wie man sie in einer langrfristigen Politikperspektive unterlaufen könnte?
- Wichtig ist vor allem, dass klar wird, dass Repression jede_n treffen kann und damit nicht leichtfertig umgegangen werden sollte, auch wenn es sich mal nur um eine Vorladung handelt. Wir haben nämlich den großen Fehler gemacht, dass wir nicht schon im Januar 2012 die veränderte Situation erkannt haben, als viele Menschen aus Burg in Magdeburg verhaftet wurden und wir uns dann nicht ausreichend auf die Ermittlungen und die damit verbundenen Verfahren vorbereitet haben.
Erst als es zu den ersten Verurteilungen kam, in Burg erneut mehrere Wohnungen durchsucht wurden und andere Repressionsmaßnahmen gegen uns liefen, wurde uns bewusst, dass wir massiv ins Visier der staatlichen Repressionsorgane geraten sind und es gerade in einer Kleinstadt wie Burg schwierig wird, damit entsprechend umzugehen.
Anders als in den Metropolen fällt es in der Provinz dem Staat besonders leicht, gegen bestehende Strukturen vorzugehen. Da die meist auf sich allein gestellt sind, ist es schwer, eine Öffentlichkeitsarbeit durchzuführen und es gibt fast keine Möglichkeiten, um finanzielle Unterstützung zu bekommen. So beschissen wie sich das auch anhört, heißt das nicht, dass wir sagen wollen, politische Arbeit wäre nur in Großstädten möglich. Ganz im Gegenteil! Man sollte nur nicht die gleichen Fehler machen, wie wir es taten, und vorrausschauender arbeiten.
Was können die Leute in anderen Städten tun, um den Genossen zu unterstützen, der bald in Magdburg vor Gericht steht?
- Da sind der Kreativität wohl keine Grenzen gesetzt. Aber die folgenden drei Punkte, denken wir, sind besonders wichtig. Erstens: Am Dienstag, 4. März um 9 Uhr ausgeschlafen vor dem Amtsgericht in Magdeburg sein, den Prozess begleiten und sich mit dem Betroffenen solidarisch zeigen. Zweitens: Einen Solitresen oder ähnliches durchführen und damit finanziell die derzeitige Öffentlichkeitsarbeit, die Anwält_innen und was solche Verfahren noch so an Geld verschlingen etwas unterstützen
Und drittens: Schon jetzt den Januar 2015 dick im Kalender ankreuzen und mit dafür sorgen, dass der jährliche Aufmarsch in Magdeburg der Geschichte angehören wird, der unter anderem seit 2012 der Anlass für eine verstärkte Repression gegen Antifaschist_innen ist.