Vorbemerkung:
Der Offene Brief von Markus Mohr, der vorgestern unter anderem bei leipzig.antifa.de
veröffentlicht wurde, hat Wellen geschlagen. Jetzt ist wenigstens die heftig kritisierte Teilnahme der ehemaligen Leiterin des „Verfassungsschutzes“ in Brandenburg, Winfriede Schreiber, an der Podiumsdiskussion „Antifaschismus als Feindbild“ (Sonnabend, 20.30 Uhr in der Spinnerei) vom Tisch.
Über die Hintergründe äußert sich nun Laika-Verlagschef Karl-Heinz Dellwo. Wir veröffentlichen sein Statement komplett – möchten aber zwei Dinge festhalten:
Erstens sucht man politische Gründe für die Ein- und Ausladung der Frau Schreiber vergebens. Es ist aber durchaus eine politische Frage und deshalb nicht egal, ob eine „Verfassungsschützerin“ ausgerechnet bei einer linken Veranstaltung ein Podium erhält oder nicht. (Und müsste es Dellwo nicht schon aus der eigenen Biografie heraus besser wissen?)
Zweitens muss man erstaunt sein über Dellwo, wenn er den NSU als „Freikorpstruppe“ bezeichnet und darüber hinaus behauptet, der NSU sei „geführt“ oder „trainiert“ worden. Er hat dafür selbstredend keine Beweise. Dellwo macht geradezu das, was er Markus Mohr vorwirft: will radikal klingen, bringt es aber nur zur billigsten möglichen Zuspitzung. Leider handelt es sich in dem Falle um eine Verschwörungstheorie.
Wer sich den Antifaschismus bewusst nicht zum Feindbild nimmt, sollte darauf achten, ihm nicht auf diese Weise einen Bärendienst zu erweisen.
Der letzte Mohikaner
Eine Kurze Bemerkung zu dem Offenen Brief von Markus Mohr
gegen den LAIKA-Verlag
Der LAIKA-Verlag hat die Herausgeber des Buches Antifaschismus als Feindbild vor Monaten gebeten, für eine Lesung oder Podiumsdiskussion auf der Leipziger Buchmesse zur Verfügung zu stehen. Der Verlag hat sich um den organisatorischen Rahmen, sprich um die Anmeldung der Veranstaltung bei der Leipziger Buchmesse, gekümmert.
Ursprünglich geplant war eine Veranstaltung mit den Herausgebern, dem LAIKA-Verlag, einem oder zwei Politikern und einem Moderator. Einer der Politiker ist schwer krank. Der andere stand für den konkreten Tag nicht zur Verfügung. Der Wunsch der Vorbereitungsgruppe in Jena war, dass auch ein Kontrahent derer, die sich mit Lothar König solidarisch erklären, eingeladen werden soll. Vor Wochen kam dann aus Jena der Vorschlag, die mir bis dahin unbekannte ehemalige VS-Leiterin Winfriede Schreiber einzuladen.
Auf die Frage, was ich dazu meine, habe ich gesagt, dass es mir egal sei. In der Tat ist es mir egal. Auch heute.
Die Entscheidung, ob da die aktuelle Leiterin oder eine ehemalige Leiterin des Verfassungsschutzes angesprochen wird oder irgendein anderer Systemvertreter oder eine andere Systemvertreterin, macht aus meiner Sicht keinen Unterschied. Sie würde sich nur an einer analytisch lächerlichen Rolle innerhalb der Arbeitsteilung des bürgerlichen Systems und seines Staates festmachen, ist also mehr eine Frage fürs Gemüt als für den Begriff. Ich habe dann allerdings noch darum gebeten, Bodo Ramelow anzufragen, da er, im Unterschied zur mir, ein profunder Kenner im NSU-Komplex ist. Er hat auch dankenswerter Weise zugesagt.
Meine Rolle habe ich bei dieser Podiumsdiskussion – mit wem auch immer – darin gesehen, die Aussage Antifaschismus als Feindbild zu definieren, also die Frage, warum der Staat zwangsläufig einen offiziellen Antifaschismus vor sich hertragen kann und jeden konkreten Antifaschismus, der sich mit den heutigen gesellschaftlichen Verhältnissen verbindet, mit allen Mitteln, die zur Aufrechterhaltung dieser Verhältnisse konkret notwendig sind, bekämpfen muss. Gegebenenfalls auch mit einer Freikorpstruppe wie dem NSU.
Ich hatte bereits vor über einem Jahr auf den Linken Literaturtagen in Nürnberg darauf hingewiesen, dass man den NSU im Gegensatz zur bürgerlichen Sichtweise, die immer von »Pannen« redet, auch als Erfolgsgeschichte des Verfassungsschutzes und der anderen Geheimdienste sehen kann: nämlich über 10 Jahre hinweg eine terroristische Gruppe geführt zu haben, also das Zusammenspiel zwischen Rechtsradikalen und Staatsorganisationen zu trainieren.
Heute schreibt Markus Mohr einen offenen, einen skandalisierenden Brief mit ziemlich vielen Unterstellungen und zitiert mich damit, ich wolle ein »kritisches« Gespräch mit dem VS führen. Dass man von Leuten, die sich für besonders schlau oder – wie Markus Mohr – für besonders radikal halten für dumm gehalten wird, muss man einfach ertragen. Allerdings ist die aus seinen Selbstgesprächen resultierende Unterstellung eines »kritischen« Gesprächs mit dem Verfassungsschutz eine dumme Lüge und das ist aus dem Mailverkehr, den ich mit Markus Mohr dazu hatte, auch leicht belegbar.
Mir wurde heute aus Jena mitgeteilt, dass ihnen diese Sache über den Kopf wächst und sie Frau Schreiber nun ausladen. Die Entscheidung dazu habe ich auch hier, wie zuvor die zur Einladung zur Podiumsdiskussion, ihnen selbst überlassen.
Betonen möchte ich aber auch: Ich selbst hätte diese Ausladung nicht vorgenommen! Bewertungen innerhalb des Systemrahmens zum Beweis der eigenen Fundamentalopposition zu machen und darin, wie Markus Mohr nur zu sich schreiben kann, »warmen Reputationssehnsüchten« vor wem auch immer zu folgen (wahrscheinlich vor sich selber), halte ich für eine billig zu erwerbende Radikalität. Dass sie als notwendig zu akzeptierendes politisches Zwischenstadium einen weiter bringt, bezweifle ich.
Solche politische Identitäten der primären Geste müssten problematisiert werden, statt sich mit einer politischen Bekenntniskultur über ihre substantielle Fragilität hinwegzutäuschen. Auch wenn das Podium in Leipzig nun mehr oder weniger einig ist und sich in seinen grundsätzlichen Ansichten bestätigt, rate ich doch, vorbeizukommen und sich gegebenenfalls an der Diskussion zu beteiligen.
Zum Genossen Mohr, der ja auch seine Verdienste hat, hier aber die Blödheit besitzt, von der »Delegitimation eines linken Verlages» zu quasseln, mag ich nur sagen: Wenn man sich als letzten Mohikaner sieht, dann ist die Welt natürlich nur noch voller Feinde. Man könnte dieses Eskalieren aber auch als politische Idiotie erkennen.
Hamburg, 11. März 2014 Karl-Heinz Dellwo
Den Text erhielten wir vom Autor zur Veröffentlichung bei leipzig.antifa.de.
Zur besseren Lesbarkeit wurden einige Absätze getrennt.