15 Jahre Roter Stern Leipzig: „Aus Geschmacksgründen gegen Sternburg“

Der Rote Stern Leipzig (RSL) wurde am 1. Februar 1999 von „20 wackeren Gestalten“ im Conne Island gegründet, behauptet eine Chronik. Fünfzehn Jahre später ist er der viertgrößte Fußballverein der Stadt – und einer der beiden coolsten. Der wenig sportbegeisterte rote Reporter Enrico Auerbach sprach für leipzig.antifa.de mit RSL-Pressesprecher Jens Frohburg über das Jubiläum, den Trend zum Familienverein und den überraschenden Lonsdale-Coup.

 

Der Rote Stern wird dieses Jahr 15 Jahre alt. Ist das eine Erfolgsgeschichte?

  • Wenn das eine rhetorische Wohlfühlfrage sein soll, würde ich sagen, solange der Kapitalismus nicht überwunden ist, ist jeder Erfolg ein Scheinerfolg. Ich frage mich aber die ganze Zeit: Wird nach der Überwindung des Kapitalismus noch Fußball gespielt?

 
Bitte nicht. Aber um in der Vorgeschichte zu bleiben: Was waren für dich die Highlights beim RSL und wohin geht die Reise des Vereins?

  • Mein persönliches Highlight war der Aufstieg mit der Zweiten Herrenmannschaft 2008. Von der zweitniedrigsten in die drittniedrigste Liga. Aber es gibt viele gute Episoden: Hans der Jäger war mal Trainer bei der Dritten, da hatte ich gerade im Verein angefangen. Das muss hierarchiefreier Vereinsfußball sein, dachte ich, denn der Jäger war nur selten überhaupt mal da. Und DeLaCroi, Hüter bei der Dritten, hätte wohl in keinem anderen Verein im Tor gestanden. Das hat viel Spaß gemacht, denn das Gewinnen, die Ergebnisse an sich, spielten eine sehr untergeordnete Rolle. So kann es eben auch gehen.

    Trotzdem ist der RSL ein normaler Fußballverein, nur dass er von Punker_innen, Chaot_innen und Extremist_innen betrieben wird. Dadurch wird der Vereinsbetrieb ganz entspannt. Momentan geht es vereinsintern darum, dass der Stern gegen die „Elternlobby“ bestehen kann, weil er in gewisser Weise auch ein Familienverein geworden ist. Genau wie bisher wird es weiter darum gehen, mit solchen Widersprüchen umzugehen.

 
Überregional wurde der Stern bekannt durch eine traurige Geschichte, den Übergriff durch Nazis und Hools in Brandis. Hat das noch heute Auswirkungen auf den Verein?

  • Im Prinzip gibts nichts zu Jammern. Nach innen hat das Ganze ein paar Sachen deutlich gemacht, eben auch, dass es eine reale Bedrohung durch Nazis gibt. In der Außenwirkung hat es der RSL dann auch geschafft, vom Betroffenen zum Akteur zu werden, so weit das im eher beschränkten Raum innerhalb des Fußballverbandes möglich ist. Der Lonsdale-Deal hat auch damit zu tun, dass wir uns klar positioniert haben.

    Die fußballerische Misere der ersten Herrenmannschaft lässt sich natürlich nicht mit Brandis erklären, aber eine Auswirkung auf die Fankultur hatte der Vorfall durchaus. Ich vermisse heute manchmal die fröhliche Unbedarftheit, mit der wir vor Brandis aufs Land gefahren sind. Angetrunken aus dem Bus fallen, ein bisschen pöbeln, Nazis verscheuchen… Das ist seitdem nicht mehr so unbeschwert möglich. Ich würde sagen: Wir haben eine neue Ernsthaftigkeit im Verein, und die wird uns wohl auch erhalten bleiben.

 
Es gab im Nachhinein Kritik am Verein. Zuerst, weil ihr euch vom FSV Brandis, der ja ziemlich unbeschadet aus der Nummer rausgekommen ist, über den Tisch habt ziehen lassen. Es ging um Eintrittsgelder, die für Betroffene gedacht waren, aber nie angekommen sind. Und als die Brandis-Täter vor Gericht kamen, war der Support aus dem Stern-Umfeld für die Betroffenen auch eher mau. Wie seht ihr das heute?

  • Was die Sache mit den Eintrittsgeldern in Brandis angeht, gibt es nichts zu besprechen. Wir waren da naiv, vielleicht dumm. Der FSV Brandis hatte zugesagt, die Eintritts-Einnahmen des Rückspiels in Brandis den Verletzten zukommen zu lassen. Wir hatten sogar 500 Euro Eintrittsgelder in unseren Bussen eingesammelt und vertrauensvoll dem FSV Brandis übergeben. Zum Rückspiel kamen mehr als 700 Zuschauer_innen und man kann sich ausrechnen, was bei einem Eintritt von je zwei Euro hätte zusammen kommen müssen. Nachher überreichten uns die Brandiser 150 Euro. Das war unfassbar. Für die Gerichtssache gilt eigentlich das gleiche.

 
Der Stern hat ein politisches Image. Man sieht im Kiez und in Dölitz immer meh Leute mit RSL-Klamotten rumlaufen, die sich ansonsten aber kaum politisch engagieren oder wenigstens im Verein einbringen. Verliert der Rote Stern seine Farbe?

  • Ich sehe es nicht so, dass das irgendwie „schlimmer“ geworden wäre. So klingt ja deine Frage. Einen Abwärtstrend beobachte ich jedenfalls nicht, aber ich gebe zu, dass das auch Betriebsblindheit sein kann. Es gibt eben viele Leute, die einfach Fußball gucken wollen und das dann lieber bei uns als woanders machen, das war schon immer so. Und dass alle darüber meckern, wie es im Moment läuft, war auch immer so. Davon abgesehen gibt es einen relativ festen Personenkreis im und um den Verein, der sich um sehr viele Dinge kümmert. Das gehört zum Roten Stern und wird weiter so sein.

 
Medialen Wirbel macht gerade euer Vertrag mit Lonsdale. Ihr hattet schon Diskussionen über andere mögliche Sponsoren, da kam dann das Gegenargument „Antikapitalismus“. Deswegen kam Sternburg nicht zum Zug. Warum ist das bei Lonsdale anders?

  • Die Geschichte mit Sternburg ist für mich einer der Tiefpunkte in der Geschichte des RSL-Plenums, denn die Sache war schlimmer, als du behauptest. Das Plenum hat sich nämlich hauptsächlich aus Geschmacksgründen gegen Sternburg ausgesprochen. Von den Sternburg-Verächter_innen kam außerdem das schlagende das Argument, dass es Sterni nicht vom Fass gibt, darauf legen viele Besucher_innen unserer Spiele nun mal Wert. Das Problem stellt sich bei Lonsdale so nicht, und die waren zudem der einzige Anbieter, der uns noch einen Bus dazu geben wollte.

    Aber im Ernst, die Ursünde ist und bleibt der Eintritt in den Machtbereich des DFB, also die Entscheidung, am regulären Spielbetrieb teilzunehmen. Alles andere sind Fragen, die sich daraus ergeben, auch die nach Sponsoren und Geld. Jetzt könnte man dagegenhalten, dass unser politisches Agieren gewisse Entwicklungen in den Fußballverbänden zumindest beeinflusst hat. Die Frage, ob man innerhalb des Fußballverbandes wirklich antikapitalistisch agieren kann, kann man ja mal übertragen auf eine kollektiv betriebene Kneipe, auf Hausprojekte und ähnliches. Können die den Kapitalismus überwinden, oder wenigstens verändern? Betreibt man nicht das Gegenteil, wenn man sich fürs Mitmachen entscheidet?

    Und so stellt sich auch die Frage, ob wir Sponsoren brauchen und haben wollen. Aktuell heiß diskutierte Fragen sind zum Beispiel: Bezahlen wir vom Verband vorgeschriebene Vereinswechsel-Gebühren, also so genannte Ablösesummen? Und wollen oder müssen wir versuchen, gute Spieler mit gewissen Anreizen zu locken? Dagegen war die Lonsdale-Frage fast banal. Die kaufen uns immerhin einen Bus, auf dem draufstehet: “Love Football. Hate Racism”.

 
Seid ihr damit nicht nur ein Feigenblatt für Lonsdale? Die lieben heute „all colours“ und waren nie ein echtes Fascho-Label. Aber das ändert nichts daran, dass die Marke jahrelang richtig gut an der rechten Szene verdient hat.

  • Ich lese mal vor, wie die Firma selbst das sieht: „Lonsdale hat Ende der 1990er Jahre die deutschen Händler durchrecherchiert und alle auffindbaren rechtsextremistischen Händler gekündigt und mit diesem Schritt vor allem in den neuen Bundesländern damals freiwillig und gerne große Umsatzeinbußen hingenommen.“

    Freiwillig, ja! Aber im Grunde hast du hast Recht. Wir sind dann aber genau so sehr Feigenblatt fürs Könich Heinz, für die Sparkasse und für noch viel schlimmere Unternehmer wie BioMalte, die hoffen, bei uns als angeblichem Familienverein neue Käufer_innenschichten zu erschließen. Das Könich Heinz will die Biofamilien aus Schleußig, die Sparkasse die Student_innen ausm Heinz, und BioMalte gräbt bei den Anzugträger_innen von der Sparkasse. Insofern würde ich Lonsdale beim Feigenblattfaktor eher im unteren Mittelfeld einordnen. Neu ist nur, dass Lonsdale kein Kiezunternehmen ist. Aber dass deren Geschäftsstelle nicht in Connewitz sitzt, wäre ein unsinniger Einwand.

 
Der Lonsdale-Lauti soll ausdrücklich auch für Demos genutzt werden können. Aber die fallen oft auf Wochenenden, genau wie eure Spiele. Gibt es eine Prioritätenliste?

  • Dazu gibt es noch keine Entscheidung. Wer eine gute Idee hat, soll bitte zum Plenum kommen, aber wahrscheinlich wird es wirklich auf eine Prioritätenliste hinauslaufen. Der Lauti muss ja nicht zwangsläufig bei Heimspielen in Dölitz stehen, der Sportpark läßt sich auch so beschallen. Und auf Demos gehen ja teilweise noch mehr Menschen als zum Stern, glaube ich. Wenn dann der Transporter also mal auswärts unterwegs ist, könnte das auch Lonsdale freuen, was die Reichweite angeht. Bleibt nur die Frage, ob sich antifaschistische Demos von Stern und Lonsdale sponsorn lassen dürfen.

 
Der nicht mehr ganz so neue Bierstand, der Bau der Sozialtraktes und jetzt der neue Sponsor – inwieweit ändert sich durch die Professionalisierung die Struktur des Vereins?

  • Vor allem durch Diskussionen über eine Anpassung der Struktur. Ich glaube, dass in unserm 600-Mitglieder-Verein inzwischen die organisatorischen Fragen die politischen Diskussionen zwar nicht verdrängen, aber manchmal dominieren.

    Allerdings gibt es eben viele Probleme oder überhaupt Aufgaben, gerade die organisatorischen, die eben pragmatisch gelöst werden müssen. Als Folge sind die AG “Buddelflink” mit der AG “Sozialtrakt” aus dem Plenum rausgelöst worden und machen ihr eigenes Treffen, um weiter Raum für politische Fragen beim Plenum zu erhalten. Das schließt sich auch alles nicht aus. Wenn sich für wichtige Aufgaben niemand meldet, kommt das als Problem ins Plenum. Weil manche Probleme schon vorher aus dem Plenum kamen, kommt es einem dann vor wie ein sich selbst in den Schwanz beißendes Trojanisches Pferd.

 
Das wöchentliche Plenum ist die zentrale Entscheidungsinstanz beim Stern, auch das ist ja ein Unterschied zu den Standardvereinen. Seid ihr damit bei eurer jetzt erreichten Größe den anfallenden Aufgaben überhaupt gewachsen, oder zerfallen da nicht eher basisdemokratische Ansätze?

  • Ich rate jetzt mal ins Blaue: Das Plenum bleibt erhalten. Auf der letzten Mitgliederversammlung wurde diskutiert, ob der Verein eine weitere Stelle schaffen sollte, die sich Technik und Organisation widmet. Dazu besteht weitgehend Einigkeit. Als dann aber die Frage gestellt wurde, wer dazu verschiedene Umsetzungsmöglichkeiten prüfen will, war Stille in der Runde. Also geht auch diese Frage wieder ins Plenum. Das müsste durchaus entlastet werden, aber auch die Vorschläge, wie das überforderte Plenum entlastet werden kann, muss am Ende das Plenum erarbeiten.

    Das wird immer eine Herausforderung sein. Übrigens ist das Plenum für etliche Leute ein wichtiges Frust-Ablassventil geworden. Das kann man nicht einfach abstellen. Wichtiger ist sowieso, dass es beim RSL immer zeitgemäß und möglich sein wird, Entscheidungen kollektiv zu fällen.

 
Könnte mein Eindruck zutreffen, dass wichtige Bestandteile der Vereinsarbeit auf immer weniger Schultern lasten?

  • Wir können nur immer wieder appellieren: Hippies und Hipster, Punks und Politnix: Kommet und schaffet.

 
Wie feiert der Stern dieses Jahr sein 15-jähriges Bestehen?

  • Mit einer einjährige Sommerbaustelle ab April, wo der Sozialtrakt entsteht. Dazu gibts noch eine ordentliche Fatsche im Zoro und zum Baustellenbergfest das bekannte Vereinsfest im Sommer. Zum Jubiläum nehmen wir einfach mal mit dazu, dass heute Abend Christoph Ruf im Könich Heinz liest und morgen das ZDF in den Sportpark kommt.

Zum Heimspiel der 1. Herrenmannschaft des RSL in Dölitz (diesen Sonntag, 16. März, Anpfiff 15 Uhr) wird gegen 14 Uhr der Lonsdale-Bus einfahren, begleitet von Kameras des ZDF und des MDR.