Der Chemikalien-Einsatz der Polizei gegen eine antirassistische Protestaktion in Leipzig-Schönefeld Anfang Februar hat ein Nachspiel: Bei der Staatsanwaltschaft wurde ein Ermittlungsverfahren eröffnet, die Opposition im Landtag erwartet bei der Innenausschuss-Sitzung am nächsten Donnerstag (27. März) weitere Details. Zudem prüft das sächsische Innenministerium nicht näher bezeichnete “Konsequenzen” und hat die Einsatzberichte der Bereitschaftspolizei angefordert.
Diese war in Schönefeld mit knapp 100 Beamten vor Ort, aus deren Reihen ein Spezial-Löschmittel (“FireAde”) aus einem Druckbehälter verspritzt wurde. Beides ist nicht zur Personenabwehr zugelassen, sondern dient dem Löschen von Pyrotechnik – die es nicht gab. Die Herstellerfirma empfiehlt der Polizei, Hautkontakt mit der Substanz zu vermeiden und bei der Anwendung Atemschutz zu tragen.
Merbitz entschuldigt sich, Widersprüche bleiben
Den Stein ins Rollen brachte eine Landtags-Anfrage der Abgeordneten Kerstin Köditz (Die Linke). In der Antwort – leipzig.antifa.de berichtete zuerst – wurde der Chemikalieneinsatz durch Innenminister Markus Ulbig (CDU) eingeräumt. Zuvor hatte Leipzigs Polizeipräsident Bernd Merbitz (CDU) fälschlich behauptet, es sei nur Wasser versprüht worden. Berichte über Atemnot und tränende Augen bei Betroffenen schrieb er einem “Placebo-Effekt” zu.
Die geänderte Faktenlage hat Merbitz mittlerweile bewogen, sich öffentlich zu entschuldigen. Allerdings sind nicht alle Widersprüche ausgeräumt: Ursprünglich hatte Merbitz behauptet, das eingesetzte “Wasser” an sich selbst getestet zu haben. Nun will er durch den Polizeiführer der Bereitschaftspolizei getäuscht worden sein.
Angriffe nicht zu erkennen
Weitere Fragen bleiben offen. So war vom Innenministerium zunächst angegeben worden, die Beamt_innen hätten sich mit dem Chemikalien-Einsatz gegen “körperliche Angriffe” verteidigt. Nur gibt es keine Anhaltspunkte, dass das stimmt. Laut Augenzeug_innen hatte die Polizei zwar versucht, die Kreuzung Volksgartenstraße/Löbauer Straße zu räumen. Aufnahmen der fraglichen Situation zeigen aber keine Angriffe auf Beamt_innen, im Gegenteil: Laut Leipziger Volkszeitung hätten sogar hiesige Polizist_innen berichtet, “dass es nicht zu den beschriebenen gewalttätigen Übergriffen gekommen sei.”
Im Anschluss an die Protestaktion berichteten Medien ausdrücklich über einen “friedlichen Protest”. Die Polizei hat dieser Darstellung bis heute nicht widersprochen.
Zusätzlich Pfefferspray eingesetzt?
Innenminister Ulbig hatte nach Veröffentlichung der Parlaments-Antwort zunächst mitgeteilt, dass der so genannte Feuerlöscher-Einsatz lediglich “eine Ausnahme” gewesen sei. Auch hier hat sich die Faktenlage geändert, das Ministerium hat nämlich Anhaltspunkte für ähnlich gelagerte Fehlgriffe gefunden – und will sich bis auf Weiteres nicht mehr äußern.
Das ist verständlich, denn Ende vergangener Woche hatte Ulbig noch erklärt, dass der “Feuerlöscher” das “mildere Mittel gegenüber dem Einsatz von Pfefferspray oder eines Schlagstocks” gewesen sei. Doch selbst wenn es dafür einen Anlass gegeben hätte, wäre “FireAde” kein erlaubtes Einsatzmittel gewesen. Wesentlich zurückhaltender spricht Landespolizeipräsident Rainer Kann, zuständig für die Bereitschaftspolizei, von einer “schwierigen Einsatzsituation”, will aber keine Einzelheiten kennen.
Über Kreuz: “Feuerlöscher”- und Pfefferspray-Einsatz am 3. Februar in Leipzig-Schönefeld. Foto: visualchange @ flickr.
Auch das ist nachvollziehbar. Denn während Angriffe auf die Polizei nicht belegt sind, legen Fotos der fraglichen Situation nahe, dass durch die Bereitschaftspolizei nicht nur der “Feuerlöscher” zum Einsatz kam, sondern zeitgleich ein konventionelles Pfefferspray gebraucht wurde. Legt man Ulbigs Angaben über das “mildere Mittel” zugrunde, war der Pfefferspray-Einsatz unverhältnismäßig.
Übrigens wird gemutmaßt, dass der Einsatz von Chemikalien einen “pragmatischen” Grund hatte: Über deren Gebrauch – wohlgemerkt zur Brandbekämpfung – können Beamt_innen eigenmächtig entscheiden. Die Benutzung von Pfefferspray muss dagegen ausdrücklich angeordnet und der Verbrauch exakt protokolliert werden. Als Rechtfertigung taugt das natürlich nicht. Allerdings haben Ulbig und Kann sowieso keine Anstalten gemacht, sich bei den Betroffenen zu entschuldigen.
Betroffene und Zeug_innen des Polizeieinsatzes in Leipzig-Schönefeld können sich beim Ermittlungsausschuss melden.
Text zugesandt von: anonym