Am vergangen Sonnabend (15. März) demonstrierten in Bautzen 350 Nazis und RassistInnen gegen Unterkünfte für Asylsuchende. Dagegen wandte sich eine antifaschistische Demonstration mit gerade mal 100 AntifaschistInnen, die sich von der Polizei schikanieren lassen musste. Wie in Sachsen üblich, konnten sich die Nazis dagegen polizeifrei bewegen, sich sogar unter die Gegenproteste mischen und dort GegendemonstrantInnen bedrohen. Im Laufe des Abends wurde eine Gruppe von AntifaschistInnen durch Nazis angegriffen.
So weit, so üblich. Dieser Text soll sich kritisch mit der ausgesprochen geringen Teilnahme der linken Szene aus Leipzig beschäftigen. Eine Kritik, die sicherlich auf andere Städte übertragbar ist.
Ausgangsbedingung
Bereits am 6. März hatten AntifaschistInnen auf den kommenden Naziaufmarsch in Bautzen aufmerksam gemacht und eine gemeinsamen Anreise aus Dresden angeboten. Zwei Tage später rief die Initiative sächsischer Antifa- und Antiragruppen, “Refugees welcome”, zu einer gemeinsamen Demonstration in Bautzen auf, bequeme Busanreise aus Leipzig inklusive. Dasselbe Bündnis hatte zuvor Proteste unter anderem gegen rassistische Aufmärsche in Schneeberg organisiert.
Auch wenn die Mobilisierung übers Knie gebrochen war und es im Gegensatz zu Schneeberg keine “motivierenden” Bilder von tausend RassistInnen mit Fackeln gab, war die Anreise der wenigen AntifaschistInnenen aus Leipzig für die hiesige Szene ein Armutszeugnis. Bautzen war kein Naziaufmarsch unter vielen, sondern wurde von der NPD als Startschuss zu einem Wahlkampf verkauft, der sich explizit gegen Asylsuchende richtet. Alleine in dieser Woche veranstaltet die NPD in Sachsen elf Kundgebungen gegen angeblichen “Asylmißbrauch”.
Die Aufmärsche der Nazis in Schneeberg und am vergangen Samstag in Bautzen sind wichtige Motivationsschübe für das Fußvolk der NPD, auf das die Partei vor allem im Hinblick auf die kommende Landtagswahl dringend angewiesen ist. Eine erfolgreiche antifaschistische Intervention in Orten wie Bautzen macht den Faschisten nicht nur ihre so genanntes “Hinterland” streitig, sondern durchkreuzt auch Pläne für kommende Aktionen. Das ignorieren jedoch weite Teile der antifaschistischen und antirassistischen Szene, gerade in Leipzig, und verpassen damit Chancen, am Rausflug der NPD aus dem Landtag mitzuwirken.
“Aber es ist doch Buchmesse”
Viele GenossInnen sind nicht etwa deshalb nicht nach Bautzen gefahren, weil man durch besondere strategische Einschätzungen davon abgehalten worden wäre. Sondern weil Buchmesse-Veranstaltungen als interessanter galten, die Mobilisierung als zu kurzatmig oder unattraktiv bezeichnet wurde oder der Weg zum Buskarten-Verkauf zu weit schien. Das Versagen in Bautzen wird jedenfalls nicht dadurch besser, dass das eigene Fernbleiben nicht einmal politische oder strategische Gründe hatte, sondern sich nebenher aus der persönlichen Freizeitgestaltung ergab.
Das Fehlen politischer oder strategischer Gründe ist auch darauf zurückzuführen, dass eine wichtige Voraussetzung dafür weithin fehlt: Dass sich Menschen überhaupt in antirassistischen und antifaschistische Zusammenhängen organisieren. Bis heute hat sich lediglich die Antifa Klein-Paris zu einer bundesweit geführten Debatte zur aktuellen Situation zu Wort gemeldet. Von Gruppen wie Prisma, The future is unwritten, “Rassismus tötet”-Leipzig, Initiativkreis Menschenwürdig oder der “dienstältesten Gruppe”, dem antifaschistischen Frauenblock Leipzig, ist jedoch nichts zu vernehmen. So positions- und diskussionfaul wie heute war die Leipziger Szene selten.
Das schlägt sich auf die Praxis nieder. Im Vergleich zu anderen Regionen kann Leipzig sich zwar über eine recht vitale und die wohl größte Szene in Sachsen freuen; im Februar beteiligten sich fast 1000 Menschen an kurzfristig organisierten Protesten gegen eine NPD-Kundgebung in Leipzig-Schönefeld. Dennoch werden GenossInnen außerhalb von Kiez und Stadt, gerade in der sächsischen Provinz, mit ihren Problemen alleine gelassen. Das muss nicht so sein: Im Falle Bautzens hätte ein voller Bus aus Leipzig durchaus Akzente setzen können.
Wenn man sich auf die Diskussionsebene einlässt, dass es zu viele Aktionen (oder Anlässe für Aktionen), insbesondere auch Naziaufmärsche gibt und man “dank” kapitalistischem Verwertungsdruck nicht überall einschreiten kann, dann braucht es erst recht eine Diskussion, wo und wie antifaschistische und antirassistische Interventionen strategisch wichtig sind und wo nicht. Wenig hilfreich dabei ist, wenn die seltenen Debatten nicht von den aktiven Gruppen dominiert werden, sondern von Einzelpersonen, die heute schon “die Alten” sind und mit einer Praxis fern der Tastatur nicht mehr viel zu tun haben.
Als Erinnerungsstütze sei zum Schluss an einem Text des damaligen “Bündnis gegen Rechts” aus dem Jahr 1999 erinnert:
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Antifa muß sein! Über die Notwendigkeit von Antifaschismus
- Es ist die alleinige gesellschaftliche Verantwortung einer antifaschistischen linken Bewegung, ob die Nazis wieder zu einer attraktiven Massenbewegung werden oder nicht. Keine andere gesellschaftliche Kraft wird sich letztendlich den Nazis in den Weg stellen. Die Demokratie allein wird dies nicht vermögen. Antifaschismus heute muß sich deshalb auch kritisch auf die Geschichte des Antifaschismus beziehen und muß insbesondere die Fehler von damals analysieren und aus ihnen lernen.
Die Antifa-Bewegung von heute muß eine antistaatliche Bewegung sein. Wenn sie sich auf den Staat verläßt oder an ihn appelliert, wird sie im Zuge der bürgerlichen Totalitarismusdoktrin eingehen. Notwendigerweise müssen die antifaschistischen “Sekundärtugenden” anti-deutsch sein: gegen den Arbeitswahn, den Ordnungs – und Disziplinzwang, gegen Unterordnung und Anpassung.
Die Notwendigkeit von kontinuierlicher antifaschistischer Politik als Grundlage unserer eigenen verbindlichen Perspektive muß abschließend ausdrücklich betont werden. Gegen die Verlockungen der bürgerlichen Gesellschaft und die angeblich öffentliche politische Beliebigkeit hilft nur Organisierung und Politisierung in Antifa-Gruppen. Dabei wird in Zukunft entscheidend sein, wie sehr die Antifa-Bewegung eigene Akzente setzen kann und sich nicht die eigene Politikausrichtung durch die Nazis diktieren läßt.
Für kontinuierliche Antifa-Arbeit!
Organisiert Euch in Antifa-Gruppen!
Text zugesandt von: Sacco