Prinzip Egal! Wer bezahlt eigentlich die Reisekosten von Frau Schreiber?

Markus Mohr antwortet Karl-Heinz Dellwo

Das Debatten- und Diskussionsorgan der Antifa in Leipzig hat mir die Gelegenheit eröffnet, zu einigen Aussagen in dem Interview von Enrico Auerbach mit Karl-Heinz Dellwo aus Anlass eines gescheiterten Podiumsgespräches mit der Leiterin der Abteilung Verfassungsschutz (VS) Brandenburg a. D. Frau Winfriede Schreiber Stellung zu nehmen. Dem komme ich gerne nach.

„Argumentation sprengt die
Grenzen jeder Logik“

Mit Verblüffung lese ich die Aussage in dem Interview mit Karl-Heinz Dellwo, dass man zwar Frau Schreiber zu einem Podiumsgespräch auf die Leipziger Buchmesse eingeladen hat, um dort eigentlich gar nicht mit ihr sprechen zu wollen. Auf die Frage, ob Linke und Antifaschisten mit dem VS sprechen sollten, erklärt Dellwo kurzerhand „Nein“, um dann nachzuschieben, das es dabei doch gar „nicht um Gespräche mit dem VS“ ginge.

Wie bitte? Der LAIKA-Verlag lädt eine VS-Präsidentin a. D. auf ein repräsentativ besetztes Podium ein, um dann nicht mit ihr zu sprechen. Diese Argumentation sprengt die Grenzen jeder Logik.

Allerdings könnte man zugunsten von Dellwo versucht sein, ihm zu unterstellen, dass er Frau Schreiber mit der Einladung wohlmöglich hat eine Falle stellen wollen. Man stelle sich hier einmal vor, Dellwo hätte unmittelbar nach der Eröffnung des Podiums gesagt: „Also, meine liebe Frau Schreiber, mit ihrem ohnehin notwendig verlogenen Gequatsche haben sie nicht das Recht, unsere kostbare Zeit hier zu verschwenden. Seien Sie bitte so gut und verschwinden sie wieder vom Podium: Danke dafür und tschüss.“

Für so einen Fußtritt – natürlich in einem ausschließlich metaphorischen Sinne – hätte er mich ganz auf seiner Seite gehabt. Aus dem zwischen uns vorangegangen knappen E-Mail-Verkehr ist mir eine solche sympathische Absicht aber auch nicht im Mindesten deutlich geworden.

„Radikalität vortäuschen, wo nur
Desinteresse und Ahnungslosigkeit existieren“

Der Schlüsselbegriff in dem Denken Dellwos in dieser komplexen Angelegenheit ist der für die Begründung einer jeden emanzipatorischen Perspektive heimtückische Begriff des „egal“. Dass er in so einer Angelegenheit in Anschlag gebracht wird, hat mich zunächst etwas fassungslos gemacht. Präzisierender O-Ton in diesem Bezug: „Die Entscheidung, ob da die aktuelle Leiterin oder eine ehemalige Leiterin des Verfassungsschutzes angesprochen wird oder irgendein anderer Systemvertreter oder eine andere Systemvertreterin, macht aus meiner Sicht keinen Unterschied.“

Wenn wir in dem von Dellwo verwendeten Egal-Begriff von dem Missverständnis absehen, das der LAIKA-Verlag – meines Wissens – im Verhältnis zu jeder Verfassungsschutzinstitution nicht „gleichgültig“ ist, dann ist darin ein beunruhigendes Maß an Nihilismus hinein verwickelt. Der Dellwosche „Egal“-Begriff ist scharf und er ist blendend. Scharf deshalb, weil er alle Vermittlungen und Differenzierungen mit einer militant erscheinenden, dem Inhalt aber nach renitenten Geste nach nirgendwohin befördert. Er ist blendend, weil er Bruch, Radikalität und Konsequenz dort vortäuscht, wo doch nur Desinteresse und Ahnungslosigkeit existieren.

Um hier ein Bild zu bemühen: Mit diesem Begriff von „egal“ kann man zwar mit stoisch-unbewegter Miene zum wohligen Schauer des Publikums einen Sarg durch die Manege ziehen. Es ist aber ein fundamentaler Irrtum, glauben machen zu wollen, dass man sich so auch nur im entferntesten auf eine „solidarische, emanzipatorische Suche“ danach machen könnte, „Macht über andere (…) grundsätzlich“ anzugreifen, wie es Dellwo in dem Gespräch allen Ernstes postuliert.

„Irgendjemand muss immer einen
verdammt unangenehmen Preis bezahlen“

Es ist allseits unstrittig, dass der LAIKA-Verlag Frau Schreiber nach Leipzig eingeladen hat. Wer hätte eigentlich ihre Reisekosten bezahlt? Womöglich der LAIKA-Verlag, der mir selber als sein Autor zwar ein paar Bücher zur Rezension, aber noch nicht eine müde Kopeke geschenkt hat, was ich aus ausgezeichneten Gründen, die sehr für den Verlag sprechen, bislang nicht kritisiert habe? Oder kommt es womöglich noch besser: Die sicher auch aus ihrer achtjährigen Amtszeit als Leiterin der Abteilung VS in Brandenburg über Pensionseinkünfte deutlich über dem Satz einer Hartz IV-EmpfängerIn verfügende Frau Schreiber findet den LAIKA-Verlag so sympathisch und das Thema der Podiumsdiskussion „Antifaschismus als Feindbild“ so wichtig und spannend, dass sie die Fahrtkosten aus ihrer Spendierhose – das ist die mit den großen Taschen – bestreitet?

Das würde dann allerdings bedeuten, dass sich der LAIKA-Verlag in seiner Öffentlichkeitsarbeit von einer ehemaligen Leiterin des VS unterstützen lässt. Man sehe mir bitte meine Kleinkariertheit nach, aber auch solche Detailfragen sollten niemandem „egal“ sein, denn irgendjemand muss immer in solchen Angelegenheiten einen verdammt unangenehmen Preis bezahlen.

Wie man es auch dreht und wendet, und wenn nunmehr der Geschäftsführer des LAIKA-Verlages auch noch schlicht die Behauptung nachschiebt, dass man mit dem VS eigentlich doch habe gar „keine Gespräche“ führen wollen: Mein Genosse Wolf Wetzel hat die Einladung des LAIKA-Verlages an Frau Schreiber treffend als eine Einladung an den VS benannt, „weiter zu machen.“ Und damit bin ich unter keinen Umständen – und das mit einigen der in dem offenen Brief benannten Argumenten – einverstanden, die auch im Detail stets differenziert, wichtig und niemals egal sind.

Gegen die Einladung an den VS,
weiter zu machen

Karl-Heinz Dellwo ist zwischenzeitlich aufgrund meines Anti-VS-Zwischenrufes nicht gut auf mich zu sprechen. „Eitel“ sei ich; nicht Frau Schreiber, sondern ich „lüge“, und überhaupt sei ich doch nur einer von den „letzten Mohikanern“. Wer Probleme in der Sache hat, muss in die Personalisierung ausweichen, um so die Sympathie des neugierigen Publikums zu erheischen. Wenn sich in diesem Contest dabei die Waage der Sympathie zu Gunsten von Karl-Heinz Dellwo neigt, dann gönne ich ihm das. Denn wer seitens der außerinstitutionellen Linken beansprucht, an die Seite von VS-Repräsentanten zu treten, der geht wirklich einen ganz, ganz schweren Gang und ist niemals in einer leichten Position.

Als falsch muss ich allerdings seine Behauptung zurück weisen, ich sei Zeit meines Lebens jemals Mitglied in seinem Indianerstamm, den Mohikanern gewesen. Spätestens seit dem Mai 1989 zähle ich mich zu den Apachen. Ich bitte alle, das für die Zukunft zu berücksichtigen.


Text zugesandt von: Markus Mohr


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