Klappe auf, die Zweite: Der Kessel von Plauen.
Wie berichtet, kam es während des antifaschistischen Protests gegen einen Naziaufmarsch zum 1. Mai in Plauen zu einem äußert umstrittenen Polizeikessel. Die Polizei spricht mittlerweile von 395 Identitätsfeststellungen und dementsprechend vielen Verfahren wegen Verstoß gegen §21 Versammlungsgesetz – “widerrechtliche Störung einer genehmigten Veranstaltung” – und anderen Tatvorwürfen.
Im Zuge der Entstehung dieses Kessels kam es auch zur Erstürmung der nahe gelegenen Pauluskirche. Dies sorgt nun für einigen Zündstoff und lässt die schon lange schwelende Kontroverse um Polizeieinsätze gegen Sitzblockierer*innen in Sachsen – Stichwort “sächsische Demokratie” – wieder hochkochen. So bezeugten und verurteilten Landespolitiker wie Martin Dulig (SPD) und Volkmar Zschocke (Grüne) sowie der anwesende Ortspfarrer Hans-Christoph Spitzner und übergeordnete Kirchenvertreter den rabiaten und unverhältnismäßigen Polizeieinsatz.
Nachdem die Polizei anfangs noch plakativ behauptet hatte, dass es zu Flaschen- und Steinwürfen auf die eingesetzten Ordnungshüter*innen kam – dem wurde von verschiedenen Seiten widersprochen – hat Innenminister Markus Ulbig (CDU) nun eine neue Begründ für das Vorgehen seiner Prügeltruppe parat. So lässt er sich vom MDR mit folgendem Allgemeinplatz zitieren: “Die Polizei ist verpflichtet, diesen Straftaten nachzugehen.”
Für den Tag selbst wird der fragliche Einsatz in und um die Pauluskirche folgendermaßen gerechtfertigt: “Nachdem Barrikaden errichtet und Mülltonnen in Brand gesetzt wurden, schritt die Polizei ein. Dabei holten die Beamten auch mutmaßliche Barrikadenbauer aus der Kirche nahe der Aufzugsstrecke.”
Dass die Polizei in Sachsen zur Rechtfertigung überzogener bis widerrechtlicher Einsätze und Einzelmaßnahmen auch gerne mal in die Trickkiste greift – undiplomatisch formuliert: dreiste Lügen verbreitet – ist hinlänglich bekannt und wurde dank engagierter Antifaschist*innen schon gelegentlich aufgedeckt.
Eine Analyse des bisher zur Situation veröffentlichten Bildmaterials eines anwesenden Pressevertreters zeigt nun, dass es die sächsische Polizei und ihr oberster Dienstherr auch in Plauen mit der Wahrheit nicht so genau nehmen. Die folgende Bildserie, welche auf Basis der hier veröffentlichten Bilder erstellt wurden, ergeben ein anderes Bild, als es der Innenminister den Medien verkaufen will (Reihenfolge und Zeitangaben wurden mit Hilfe des Zeitstempels erstellt, der von jedem den Originaldateien entnommen werden kann):
1. Zwischen dem weiträumigen Sichern des Bereiches um die Kirche, die Sitzblockade und die Barrikade (13:59 Uhr) und der Sicherung der Barrikade inklusive Löschen eines kleines Feuers (14:09 Uhr) vergehen über 10 Minuten, in denen Menschen den Bereich nicht nur verlassen, sondern auch betreten konnten (loses Spalier). Zu dieser Zeit kommt es zu keinen Festnahmen, niemand wird unmittelbar für den Bau der Barrikade verantwortlich gemacht.
2. Anschließend bricht ein Gewitter mit Hagel und Donner über die Sitzblockade hinein (14:17, 14:19 Uhr). Die Polizei ist immer noch relativ weit von den Blockierer*innen entfernt. Ein Verlassen und Hinzustoßen zur Blockade und zur Kirche ist weiterhin möglich.
3. Erst als sich der Naziaufmarsch der Blockade nähert, werden die Einsatzkräfte nochmals verstärkt. Ein weiträumiger Kessel entsteht, der es unwahrscheinlich macht, dass Leute den Bereich betreten oder verlassen können. Jedoch ist seit der Sicherung der Barrikade über eine Stunde vergangen (15:08, 15:14 Uhr). Zu sehen sind auch die mit blauen Westen gekennzeichneten Kommunikationsbeamten, die mehrmals versichern, dass der Bereich nicht geräumt werden müsse. Es erfolgt auch keine Räumungsaufforderungen über den Lautsprecherwagen der Polizei.
4. Erst 15:25 Uhr kommt es zur zweifelhaften und brutalen Erstürmung der Kirche, also fast eineinhalb Stunde nachdem der Bereich um die Barrikade gesichert wurde. Zu diesem Zeitpunkt befanden sich die fraglichen Barrikaden-Architekten*innen wahrscheinlich nicht nur längst außerhalb des Bereichs, auch waren zahlreiche Menschen zur vollkommen friedlichen Blockade und zur Mahnwache an der Kirche hinzugestoßen, beispielsweise von der zuvor beendeten Demonstration des Bündnisses “Vogtland Nazifrei!”.
5. Erst daraufhin kommt es zur abschließenden Einkesselung aller sich im Bereich befindlichen Menschen, unter ihnen auch viele, die an der Blockade nie beteiligt waren. Hier ein Bild von 17:28 Uhr, als sich noch immer mehrere Hundert Menschen im Kessel befinden. Die letzten können diesen erst gegen 20:30 Uhr verlassen.
Es bleibt abzuwarten, was die Polizeiführung sich als nächstes einfallen lässt um den Einsatz zu rechtfertigen. Steine, Flaschen und eine brennende Barrikade waren jedenfalls nicht der Grund für die Erstürmung der Kirche und die pauschale Kriminalisierung hunderter Antifaschist*innen.
Es bleibt dabei: die sächsische Polizei und ihre Führung unternimmt in Sachsen alles um deutlich zu machen: “Antifaschismus ist nicht die richtige Antwort!” (Markus Ulbig, 2012). Dabei macht sie auch vor Gewalt, Einschüchterung und Lügen nicht Halt.
Ob sie damit durchkommen liegt an allen, die dafür einstehen, dass die Verhinderung von Naziaufmärschen legitim ist – und sich auch während und nach dem Landtagswahlkampf noch dafür einsetzen.
Text zugesandt von: anonym