Stellungnahme zur AKN-Debatte (aktualisiert)

Graffiti an der Universität Leipzig, Mitte August 2014

Vorab eine Hausmitteilung:

Vor kurzem wurde auf leipzig.antifa.de ein viel diskutierter Text veröffentlicht, der den „AK Nahost“ kritisiert. Eine erste Replik wendete sich vor allem gegen die gewählte Form der Auseinandersetzung, die wie ein „Outing“ daherkomme.

Seitdem gab es weitere Wortmeldungen:

  1. Das Bündnis gegen Antisemitismus und Antizionismus sowie die Gruppe Emanzipation und Antifaschismus haben einen Offenen Brief an das Kulturzentrum naTo geschrieben und fordern darin eine Absage der „AK Nahost“-Nahost-Veranstaltung am kommenden Donnerstag.
     
  2. Insbesondere auf die erste Replik bezieht sich eine Erwiderung von Tim Hentzschel: Zur innerlinken Debatte um die Akzeptanz und Unterstützung antisemitischer Klüngel (PDF-Dokument).
     
  3. Zudem erreichte uns ein weiterer Text mit Bitte um Veröffentlichung. Dem kommen wir unten ebenso unkommentiert nach.

Es sei nochmals betont, dass sich leipzig.antifa.de keinen diesen Artikel zu eigen macht. Die ganze so genannte „Debatte“ lädt dazu auch nicht ein: Sie ist offenkundig gescheitert.

Nachfolgend lest ihr die letzte Zusendung.

 


Stellungnahme zur AKN-Debatte

POSITION STATT DENUNZIATION!

In diesen Tagen wird dem Leipziger Arbeitskreis Nahost als Ganzem sowie auch einzelnen Mitgliedern öffentlich der Vorwurf des Antisemitismus gemacht und sie werden auf einschlägigen Homepages eingereiht in die Dokumentation rassistischer Straftäter (chronik LE, Leipziger Antifa Portal).

Die Diffamierung richtet sich aktuell gegen den AKN, aber gemeint sind alle linken Gruppen in Leipzig, die sich für eine antikapitalistische und antiimperialistische Kritik und Praxis einsetzen!

Aus diesem Anlass ist es geboten, das Geschichts- und Menschenbild der sogenannten „Antideutschen“ etwas näher zu betrachten. Wie kommt es also, dass antiimperialistische Linke mit Nazis auf eine Stufe gestellt werden und demnach auch genauso zu behandeln seien wie letztere?

Für „Antideutsche“ bildet die spezifische deutsche Geschichte den Ausgangspunkt ihres Handelns. Das ist zunächst nicht problematisch, beziehen sich doch Linke immer auch auf ihre nationale Geschichte. Besonders die deutsche Geschichte mit ihrer faschistischen Diktatur, ihren Eroberungsfeldzügen sowie Vernichtungslagern muss zwingend analysiert werden, um daraus Schlüsse für zukünftiges politisches Handeln zu ziehen. „Antideutsche“ ziehen allerdings keine Schlüsse, sondern essentialisieren ihre deutsche Nationalität sowie die jüdische Identität „ihrer“ einstigen Opfer und schlussfolgern, dass man bedingungslos Israel unterstützen müsse, da es ein spezifischer Schutzraum für die Juden aus aller Welt darstelle. Kritik an der israelischen Regierungspolitik sei zwar möglich, aber von Deutschen geäußert moralisch kaum zu rechtfertigen.

NEIN ZU RASSISMUS! HIER UND ÜBERALL

Auf diese Art und Weise werden die Juden wieder homogenisiert, Unterschiede der israelischen Klassengesellschaft verwischt und gar zu unterschiedslosen „Juden“ amalgamisiert. Wie wir alle wissen, ist das die Voraussetzung für das perfide Wirken des Rassismus. In diesem Zusammenhang ist auch die völlig unkritische Übernahme der Selbstdefinition Israels als “Jüdischer Staat” zu sehen sowie die damit einhergehende, automatische Verbindung aller JüdInnen mit diesem Staat. Das ist eine tiefe Beleidigung jener JüdInnen, die sich gegen die sakulär-nationalistische Ideologie des Zionismus und ihre dramatischen Folgen wehren. Aber die Antideutschen schaffen es so, jeder JüdIn auf der Welt eine zionistische Identität zuzuschreiben und verschaffen damit in den Hochphasen des ekelhaften Antisemitismus, während der israelischen Angriffskriege, noch weiteren Nährboden.

„GUTEN MORGEN, DEUTSCHE LINKE, EURE STILLE BEDEUTET UNSEREN TOD!“

Diesen Slogan skandierten israelische Demonstranten auf einer Berliner Demonstration gegen die Bombardierung Gazas am 30. Juli dieses Jahres. Tatsächlich ist die Tatenlosigkeit der deutschen Linken im Bezug auf den Nahostkonflikt weltweit einmalig und erschreckend. Schließlich beteiligt sich auch die deutsche Regierung militärisch, wirtschaftlich und politisch an der Besatzung und – durch Waffenlieferungen – auch an völkerrechtswidrigen Kriegen, weshalb es „Neutralität“ nicht geben kann.

Was tut man also, wenn die einstigen Opfer in Israel „Mischehen“ zwischen Juden und Arabern verbieten? Was passiert, wenn sie eine Mauer auf palästinensischem Territorium bauen, obwohl der Internationale Strafgerichtshof sie für illegal erklärt hat? Wenn die Knesset ein „Loyalitätsgesetz“ verabschiedet, welches für eine Anstellung im Öffentlichen Dienst die Loyalität des Bewerbers prüft und diese Loyalität an der Absolvierung des Wehrdienstes misst, von dem (arabische u. a.) Minderheiten in Israel aber ausgeschlossen sind? Wenn es im Westjordanland „Jews Only“-Straßen gibt? Wenn der „Siedlungbau“ (wohl eher Städte) im Westjordanland ungeniert vorangetrieben wird? Wenn Gaza – ein winzigen Gebiet unter israelischer Militärbesatzung – in periodischen Abständen in Grund und Boden gebombt wird, so dass sich kaum zivile Infrastruktur etablieren kann? (Diese Reihe ließe sich noch beliebig fortsetzen.)

Die Antwort der „Antideutschen“ ist sehr schlicht: Israel verteidigt sich nur, denn alle umgebenden Nachbarn wollen es auslöschen. Aber wo liegen die Grenzen dieser Legitimationsstrategie?

Dass aus einer militärischen Überlegenheit folgt, diese Stärke besonnen einzusetzen, kommt ihnen nicht in den Sinn. Die Palästinenser seien selbst schuld, liest man in einem – bezeichnenderweise anonym – eingesandten Beitrag auf dem Leipziger „Antifa“-Portal. In ihrer Fixierung negieren sie ihren eigenen Rassismus, den hierzulande – und auch in Israel populären – antimuslimischen Rassismus. Sie tun genau das, was sie in allen anderen Fällen kritisieren würden: Die Homogenisierung einer Gruppe von Menschen, denen bestimmte Eigenschaften zugeschrieben werden, diese verallgemeinert werden, um schließlich konkrete Handlungen zu rechtfertigen oder gar einzufordern. In diesem Fall die Besatzung (Gazas und des Westjordanlandes) sowie die periodische Bombardierung Gazas.

ANTIDEUTSCHE LINKE? – ANTILINKE DEUTSCHE!

Merkwürdigerweise liegen die „Antideutschen“ damit genau auf der Linie der deutschen Politik, die „Solidarität mit Israel als Teil deutscher Staatsräson“ in jedem Koalitionsvertrag festschreibt, munter Waffen liefert (mitunter schenkt) – wobei Deutschland zugleich die autoritären Golfstaaten beliefert, die ihrerseits die Waffen an islamistische Gruppierungen weiterreichen – und die rassistisch aufgeheizte Debatte um „muslimischen Antisemitismus“ für Verschärfungen der Einwanderungsregelungen instrumentalisiert. Ein Schelm der böses dabei denkt, aber sollte die Frage doch erlaubt sein, was dann das spezifisch Anti-Deutsche ausmacht?

Deutschland ist wieder der Herr in Europa und eine der wirtschaftlich stärksten Nationen – wenn irgendwo Krieg geführt wird, dann doch bitte mit deutschen Qualitätswaffen! Kritik? Ausschließlich an der Friedensbewegung, die ihr – wegen ihrer Kritik an Kriegen und Waffenexporten – geflissentlich als „friedensbewegte Gutmenschen“, die wegen ihres Antiamerikanismus zu bekämpfen seien, diffamiert. Zudem exportiert die Troika unter Federführung Deutschlands den deutschen Exportschlager Agenda 2010 noch brutaler in die europäische Peripherie, wo Zehntausende ihre Wohnungen verlieren und existenziell bedroht sind. Wo bleibt eure Kritik daran? Sobald sich Kritik firmiert – so zum Beispiel im europaweiten Blockupy-Bündnis – kommt von euch der Vorwurf des strukturellen Antisemitismus. Eine generelle Kritik kapitalistischer Verhältnisse ließe womöglich eure exzeptionalistische Weltsicht bröckeln!?

GEGEN ELITARISMUS – MENSCHENRECHTE GELTEN UNIVERSELL

Vermutlich ist die Assoziationskette simpel: Wer sich für Menschenrechte – auch in Palästina – einsetzt, ist antiisraelisch und somit antisemitisch, also auf einer Stufe mit Nazis stehend. Nur traurig wäre es, wenn es nicht gleichzeitig Ausdruck einer tiefen Menschenverachtung wäre:

Solidarität ist – ginge es nach euch – nur möglich mit Menschen, die aussehen wie wir und die unsere „emanzipatorischen“ Ansichten teilen. Menschen die auf Eselskarren fahren (müssen) und womöglich die Hamas wählen, haben unsere Solidarität nicht verdient, im Gegenteil, sie sind sogar unserer tiefen Verachtung ausgesetzt. Schließlich verurteilen wir ihren feigen Guerillakrieg und kritisieren sie dafür, dass sie nur alte Raketen und keine sauberen Bomben werfen.

Aber eure Verachtung richtet sich nicht nur gegen Palästinenser und Araber im Allgemeinen, sondern auch gegen die hiesige Bevölkerung, die nicht so aufgeklärt daherkommt und daher kein Recht habe zur politischen Artikulation. Euer Menschenbild ist elitär, denn ihr fordert ein kritisches Bewusstsein, welches erst zur politischen Aktion berechtigt. „Demokraten ‚sind‘ nun aber nicht solche kraft eines ontologischen Titels oder eines ontischen So-seins. Sie sind einfach Menschen; aber solche, die sich demokratisch verhalten. Dafür müssen sie es aber können, statt mit täglich unsicherem Überleben und mit täglich prekärer Notwehr beschäftigt, überfordert zu sein.“ (F. Müller: 2001: 93)

Dass das für Menschen, die seit mehr als 65 Jahren unter Besatzung leben, kaum zutreffen kann, sollte deutlich geworden sein. Eine Änderung ihres Bewusstseins zu verlangen ohne ihre materiellen Grundlagen zu verbessern, kann nicht funktionieren.

Der zivile und militärische Widerstand der Palästinenser ist legitim! Nein zu Rassismus, Antisemitismus und Zionismus!


Text zugesandt von: anonym