In Leipzig wurden zwei Straßen umbenannt, um an die Opfer des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ zu erinnern. Derweil prüft die Polizei den Fund einer brisanten Propaganda-CD, deren Spur zu möglichen NSU-Helfern in Chemnitz führt – und zum verstorbenen Topspitzel „Corelli“. Er war auch in Leipzig aktiv.
Im Zuge einer bundesweiten Gedenkaktion zum dritten Jahrestag der Selbstenttarnung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ sind in der Nacht zum Dienstag mehrere Straßennamen in Leipzig temporär geändert worden. Straßenschilder an der Karl-Liebknecht-Straße wurden in „Keupstraße“ umgewidmet, aus der Dresdner wurde die „Halitstraße“. (Leipziger Volkszeitung und Leipzig-Fernsehen berichteten.)
Die Bezeichnungen erinnern an einen rechtsterroristischen Nagelbomben-Anschlag in der Kölner Keupstraße im Jahr 2004, bei dem etliche Menschen zum Teil schwer verletzt wurden, sowie an Halit Yozgat. Er wurde Anfang April 2004 als neuntes NSU-Opfer in einem Internetcafé in Kassel erschossen – tatverdächtig war der damalige Mitarbeiter des hessischen „Verfassungsschutzes“ Andreas Temme, der V-Leute in der Neonaziszene führte und zur Tatzeit am Tatort war, sich aber nicht als Zeuge bei der Polizei meldete. Seine „verlorene“ Erinnerung konnte auch vor dem Oberlandesgericht in München nicht aufgefrischt werden.
Gedenkaktion in Leipzig
Die Tötung Yozgats war die letzte Tat der so genannten „Ceska-Serie“, die im rassistischen Sprachgebrauch von Behörden und Medien als „Dönermorde“ bezeichnet wurde. Der tatsächliche Zusammenhang und die Existenz des Terrornetzwerks NSU wurde der Öffentlichkeit erst im November 2011 bekannt. Die Jährung sei Anlass, an die Opfer der NSU-Morde und der Bombenanschläge zu erinnern, erklärte jüngst die Initiative „Keupstraße ist überall“. Ihrem Aufruf zur symbolischen Änderung von Straßennamen kamen AntirassistInnen und AntifaschistInnen in mehreren Städten nach, darunter auch in Jena.
In Sachsen allerdings, wo sich die aus Jena stammenden NSU-Mitglieder Beate Zschäpe, Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos seit ihrem Untertauchen Anfang 1998 versteckt hielten und ihr Leben durch etliche Raubüberfälle in Chemnitz und Zwickau bestritten haben sollen, wurde die Aktion nur in Leipzig aufgegriffen. Hier jedoch erschließt sich die Auswahl der Straßenzüge auch auf den zweiten Blick nicht.
Von Dölitz ins Zeugenschutzprogramm
Dabei finden sich sehr wohl direkte Bezüge des NSU nach Leipzig. Nachdem Beate Zschäpe ihre konspirative Unterkunft in der Zwickauer Frühlingsstraße am 4. November 2011 in Brand gesetzt hatte, fuhr sie mit dem Zug quer durch die Republik und machte auch in Leipzig Halt. Die planlos erscheinende Route, so eine These des BKA, könnte dazu gedient haben, Unterstützer zu treffen.
In Betracht kommt unter anderem der Hallenser Neonazi Thomas Richter, der zuletzt mit seiner Partnerin in Leipzig-Dölitz wohnte. Richter, bekannt als eifriger „Anti-Antifa“-Fotograf, soll unter anderem beim Aufbau der „Autonomen Nationalisten Leipzig“ assistiert haben. Er stand jahrelang in engem Kontakt mit namhaften Leipziger Neonazis.
Erst 2012 war bekannt geworden, dass Richter unter dem Decknamen „Corelli“ als V-Mann für das Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitete. Richters Weg führte daraufhin aus Dölitz direkt ins Zeugenschutzprogramm. Im Frühjahr 2014 wurde er schließlich in einer geheimen Wohnung bei Bielefeld leblos aufgefunden. Als Todesursache des 39-Jährigen gilt eine nicht erkannte Diabetes-Erkrankung, der Obduktionsbericht ist unter Verschluss.
„Corelli“ und die Ersterwähnung des NSU
Das BfV hat lange versucht, die Existenz der Quelle „Corelli“ geheim zu halten und will bis heute dessen Rolle herunterspielen. Mittlerweile ist bekannt, dass Richter bereits im Jahr 1995 auf Uwe Mundlos traf und dem Amt nachher über die geplante Gründung der „Kameradschaft Jena“ zu berichten wusste – sie war Teil des „Thüringer Heimatschutzes“ und eine Quellorganisation des NSU. Nach dem Untertauchen des Jenaer „Trios“ wurde eine Kontaktliste von Mundlos sichergestellt, auf der unter anderem Thomas Richter verzeichnet war.
Für die anschließende Fahndung wurde die Adressliste jedoch nicht genutzt. Die Gründe dafür konnten auch durch mehrere Untersuchungsausschüsse nicht erhellt werden. Zuletzt wies der Ausschuss des Thüringer Landtages auf die Möglichkeit der bewussten Sabotage hin. Bewiesen werden kann das nicht.
Fest steht dagegen, dass Richter dem NSU verdächtig nahe kam: Im Jahr 2002 erschien in einer Ausgabe der Nazizeitschrift „Der Weiße Wolf“ ein Grußwort an den NSU, das als öffentliche Ersterwähnung gilt. Richter hatte der Zeitschrift Webspace zur Verfügung gestellt und das Heft auftragsgemäß beim BfV abgeliefert. Heute wird vermutet, dass „Der Weiße Wolf“ durch den NSU eine Bargeldspende zugesandt bekam. Nahe liegt, dass das Geld zuvor bei einem Raubüberfall in Sachsen erbeutet worden war. Davon will der Geheimdienst freilich nichts geahnt haben.
„Corelli“ und die Zweiterwähnung des NSU
Spätestens seit 2003 kursierte in der Naziszene zudem eine mit „NSU/NSDAP“ betitelte, mit zahlreichen Propaganda-Bildern befüllte CD. Der CD-Titel ist die zweite Erwähnung der rechtsterroristischen Gruppe, und auch damit kann Richter in Verbindung gebracht werden: Einige Dateien auf dem Datenträger waren auf einer von ihm betriebenen Website zu sehen. Offiziell wird von einem Zufall ausgegangen. Im Jahr 2005 übergab Richter ein Exemplar des Datenträgers an den Geheimdienst. Dort purzelte sie erst vor kurzem wieder aus den Akten.
Bedeutsam könnte eine neue Entwicklung sein. Wie das Sächsische Innenministerium nun auf eine Anfrage der Linksfraktion bekannt gab, wurde „bei Exekutivmaßnahmen“ im Freistaat eine CD „im Besitz eines Angehörigen der rechtsextremistischen Szene“ sichergestellt, die „möglicherweise“ mit einem Unterordner des brisanten Datenträgers identisch ist. Mittlerweile habe man – offensichtlich erst infolge der parlamentarischen Anfrage – eine nähere Prüfung beim Bundeskriminalamt veranlasst, ein Ergebnis stehe noch aus. Es könnte sich um ein wichtiges Puzzlestück für die weitere Aufklärung handeln.
Das „Operative Abwehrzentrum“ soll den Datenträger bereits am 28. März gefunden und dann mehr als ein halbes Jahr lang nicht weiter beachtet haben. Den genauen Zusammenhang verrät das Innenministerium nicht. Aber just zu dem Termin wurde die Gruppierung „Nationale Sozialisten Chemnitz“ (NSC) verboten, es folgten Durchsuchungen bei Mitgliedern der als militant eingeschätzten Kameradschaft. Dort organisiert waren mehrere Personen, von denen Ermittler annehmen, dass sie in engem Kontakt zu Helfern von Mundlos, Böhnhardt und Zschäpe gestanden haben könnten.
Ku-Klux-Klan-Verbindung bis Heilbronn
Die NSC-Verbotsverfügung wurde unter anderem Eric Fröhlich ausgehändigt, der im Jahr 2000 an einer Veranstaltung der „Weißen Bruderschaft Erzgebirge“ (WBE) teilgenommen hatte. Bei der WBE aktiv war auch der mutmaßliche NSU-Unterstützer André Eminger, zudem Matthias Dienelt. Beide sollen das „Trio“ unter anderem bei der Anmietung von Unterkünften unterstützt haben. Eminger steht derzeit in München vor Gericht, gegen Dienelt führt die Bundesanwaltschaft ein gesondertes Verfahren wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung.
Eminger und Dienelt stammen aus Johanngeorgenstadt, wo die örtliche Naziszene bereits Mitte der 1990er Jahre ein Holzkreuz im „Ku Klux Klan“-Stil verbrannt hat. Auch das lässt aufhorchen. Denn Thomas Richter war Anfang der 2000er Jahre mit Wissen des BfV beteiligt am Aufbau einer überregional aktiven KKK-Gruppe und hatte die Aufgabe, Mitglieder anzuwerben. Die Anwerbung gelang auch im Falle mehrerer Polizisten. Einige davon waren mit der Beamtin Michèle Kiesewetter bekannt, die 2007 in Heilbronn erschossen wurde. Sie gilt offiziell als „Zufallsopfer“ des NSU, was vermehrt bezweifelt wird.
Weitere Aufklärung nötig
Richters Klan hat auch in Sachsen Spuren hinterlassen. Als der hiesige „Verfassungsschutz“ im Jahr 2000 kurzzeitig in Chemnitz nach dem „Trio“ suchte, wurde der KKK-Gründer Achim Schmid aus Schwäbisch Hall – ebenfalls ein VS-Zuträger – in einem Geheimdienst-Dossier als mögliche Kontaktperson aufgezählt. In den gleichen Unterlagen fand der Untersuchungsausschuss des Sächsischen Landtages auch die Namen von späteren NSC-Mitgliedern.
Ein Mitglied der KKK-Gruppe um Richter und Schmid, Martin Ente, wohnte übrigens in Leipzig. Im Umland sollen damals auch konspirative Klan-Treffen stattgefunden haben. Womöglich wird das ein Thema eines künftigen Untersuchungsausschusses in Sachsen sein, für den sich Linksfraktion, SPD und Grüne aussprechen.
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