Reine Privatsache: Warum sich der „Verfassungsschutz“ um die AfD sorgt

Gordian Meyer-Plath. Foto: LfV Sachsen.

Versuche, den „Verfassungsschutz“ zu verstehen, misslingen zuverlässig. So auch in diesem Fall: Österreichische „Anonymous“-Hacker hatten im Spätsommer persönliche Daten sächsischer Mitglieder der „Alternative für Deutschland“ (AfD) veröffentlicht. Ein Sprecher des sächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) warnte daraufhin öffentlich – nicht vor bekannten Neonazis und anderen extrem rechten Tendenzen in der Partei. Sondern davor, dass „die Antifa“ die Daten missbrauchen würde, um AfD-Mitgliedern „elementare Persönlichkeitsrechte“ abzusprechen und „sie schließlich gesellschaftlich und sozial zu ächten“.

Weiter hieß es, Straftaten würden „billigend in Kauf genommen“. Unterm Strich habe sich die Wahrscheinlichkeit für Übergriffe „durch militante Anhänger der linken Szene“ gegenüber AfD-Mitgliedern „deutlich erhöht“.

Hakenkreuz und „Antifa-Zeichen“

Mit dieser Einschätzung hatte sich das Landesamt Anfang September erstmals ausführlich zur AfD geäußert, die im Freistaat besonders erfolgreich und im Bundesvergleich ein Rechtsausleger ist. Das amtliche Plädoyer für deren Nichtächtung erschien ausgerechnet in der rechten Wochenzeitung „Junge Freiheit“. Autor des Artikels war JF-Redakteur Henning Hoffgaard, ein gescheiterter „Anti-Antifa“-Fotograf aus Berlin.

Man kann fragen, ob das eine der kleineren Pannen des LfV war oder ein stiller Coup der JF. Die Linksfraktion im Sächsischen Landtag fragte nun die Landesregierung, ob wenigstens die Fakten stimmen: Sind hiesige AfD-Mitglieder durch die „Anonymous“-Veröffentlichung wirklich gefährdet worden? Die Antwort lässt daran zweifeln. Zwar habe es seit Mai vier Vorfälle im Freistaat gegeben, in denen AfD-Mitglieder attackiert worden seien. Aber nur ein einziger Fall spielte sich nach der Veröffentlichung von Mitgliederdaten ab.

Hierbei sollen am 17. Oktober Anwesen und Fahrzeug eines Leipziger AfD-Stadtrates unter anderem mit Hakenkreuz und „einem Antifa-Zeichen“ beschmiert worden sein. Die unbekannten Täter seien „mit hoher Wahrscheinlichkeit dem linksextremistischen Spektrum“ zuzuordnen. Womöglich aber auch nicht. Sicher ist, dass den Schmierereien nicht die Veröffentlichung sensibler Mitgliederdaten vorausgesetzt ist. Vielmehr sorgt die Stadt Leipzig selbst für die Bekanntmachung der Anschriften sämtlicher BewerberInnen für die Kommunalwahl.

„Militantes“ Rufen und Klatschen

Die drei weiteren benannten Fälle spielen bei öffentlichen AfD-Veranstaltungen im Vorfeld der Europawahl, einer erneut in Leipzig:

  • „Am 9. Mai beteiligten sich Autonome in Leipzig an einer unangemeldeten Protestversammlung gegen eine Wahlwerbeveranstaltung der AfD. Sie störten diese durch Rufen und Klatschen. Außerdem zeigten sie ein Transparent mit der Aufschrift ‚Nationalismus ist keine Alternative!’“

Das Beispiel wirkt bemüht: „Rufen und Klatschen“ gelten nicht als klassische Gesten der Militanz, solcher Protest beschädigt auch nicht „elementare Persönlichkeitsrechte“ und ein Transparentspruch zuungunsten des Nationalismus wird kaum hinlangen, irgendwen „sozial zu ächten“. Bernd Lucke konnte jedenfalls sprechen. Mit anderen Worten ist die vom LfV Sachsen behauptete Gefahr nicht eingetreten, sie kann auch auf spätere Nachfrage hin nicht mit Tatsachsen begründet werden. Demnach war die Prognose falsch. Widerrufen wurde sie bisher nicht.

Dubiose „Öffentlichkeitsarbeit“

Die Informationspolitik des LfV mit seinen knapp 190 MitarbeiterInnen und einem Jahresetat von mehr als 12 Millionen Euro steht nicht zum ersten Mal im Zwielicht. Mitte 2011 informierte das Amt auf seiner Website über ein Fußballturnier von Neonazis in Nordsachsen und thematisierte die Beteiligung der „Terror Crew Muldental“ (TCM). In einem Nebensatz verriet der Geheimdienst, dass gegen TCM-Mitglieder wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung ermittelt wird.

Daraufhin wurde szeneintern vor drohenden Hausdurchsuchungen gewarnt und zum „Aufräumen“ geraten. Entsprechend mager dürfte die Ausbeute bei den Durchsuchungen drei Wochen später gewesen sein. Zu Anklagen gegen die Beschuldigten kam es bis heute nicht.

Als das LfV im Jahr 2012 infolge des NSU-Skandals mit Gordian Meyer-Plath einen neuen Präsidenten bekam, startete der sogleich eine Charmeoffensive, versprach gegenüber der Presse mehr Transparenz und Sachverstand: Es brauche geeignetes Personal, um beispielsweise Websites mit „lauter Gedichten von Ernst Niekisch“ zu erkennen. Auf den „Nationalrevolutionär“ Niekisch beziehen sich Teile der extremen Rechten zwar bis heute. Aber Gedichte hinterlassen hat er nicht.

An Burschenschaften und AfD nicht interessiert

Wie weit es mit dem Sachverstand der Geheimwerker her ist, bemerkten kurz darauf auch die Mitglieder des NSU-Untersuchungsausschusses im Sächsischen Landtag. Dem gehörte bekanntlich auch die NPD-Fraktion an. In geheimen LfV-Papieren konnte sie nachlesen, wie viele V-Leute in ihrem Landesverband eingesetzt werden. Niemand hatte diese Information angefordert, aber sie bestätigte Einwände von CDU und FDP gegen den Ausschuss. Darüber, so die Befürchtung der Regierungsfraktionen, könnte die NPD Rückschlüsse auf ihre eigene Beobachtung ziehen. Das LfV zögerte nicht und machte die Befürchtung wahr.

Zuletzt wurde über Meyer-Plath berichtet, dass er selbst einer Burschenschaft angehört und das bisher für sich behalten habe. Der LfV-Präsident bestätigte das, hält es aber für seine „Privatsache“. Ganz offiziell dagegen sieht seine Behörde von der Beobachtung von Burschenschaften in Sachsen ab.

Auch die AfD ist kein „Beobachtungsobjekt“ des Landesamtes. Die Frage, ob sich das LfV auch deshalb um personenbezogene Daten von AfD-Mitgliedern sorgt, weil sich darunter – neben einigen PolizeibeamtInnen – weitere BehördenmitarbeiterInnen befinden könnten, beantwortete die Staatsregierung übrigens weder mit „Ja“, noch mit „Nein“. So etwas wäre natürlich auch reine Privatsache.


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