Der „Legida“-Ideologe Jörg Hoyer

Jörg Hoyer. Faksimile: militariagutachten.de

In genau einer Woche will „Legida“ in Leipzig erstmals gegen die angebliche „Islamisierung des Abendlandes“ auf die Straße gehen. Das Positionspapier der Organisatoren ist tiefbraun gefärbt und lässt einen rassistischen Aufmarsch erwarten. Als mutmaßlicher Autor des Traktats gilt Jörg Hoyer.

Der ist zwar kein Leipziger, laut „Legida“ aber immerhin „Historiker und Publizist“. Mittlerweile firmiert er als „Pressesprecher“ des rechten Bündnisses, so steht es auf der offiziellen „Legida“-Website geschrieben (übrigens registriert auf Silvio Röslers private Wohnanschrift). Sein Posten dürfte Hoyer bislang aber wenig Arbeit bereitet haben. Eine einzige – für einen Publizisten auffallend radebrechende – Presseerklärung liegt vor, deren Abdruck „nur ungekürzt“ und nach ausdrücklicher Genehmigung gestattet sei. Niemand druckte sie ab.

NS-Devotionalien als Hobby und Beruf

Hoyer, der demnächst seinen fünfzigsten Geburtstag feiert, stammt aus einem Grenzdorf im Erzgebirge, südöstlich von Chemnitz gelegen. Er betreibt eine eigene Website, auf der er sich als „Sachverständiger für Militärhistorik“ vorstellt. Das ist er in der Tat: Wer Devotionalien aus der NS-Zeit sucht, findet Angebote in Onlineauktionen, die mithilfe der Hoyer-Expertisen für Authentizität zeugen wollen. In einem Expertenforum behauptete er einmal, pro Tag bis zu 150 solcher Gutachten zu erstellen – die bei ihm zum Listenpreis nicht unter 25 Euro pro Stück zu haben sind.


Screenshot von Hoyers Website im Jahr 2009.

An diesem wohl sehr einträglichen Geschäft wirkte Hoyer in der Vergangenheit auch als Händler mit. Das zeigen frühere Varianten seiner Firmenwebsite „Militariafundgrube“: Zur Begrüßung war dort einmal eine Schirmmütze mit SS-Totenkopfschädel zu sehen. Das Website-Logo zierte damals ein Adler, der auf einem schwarz-weiß-roten Wappen thront. Auf Gutachten, die Hoyer fertigte, prangen Stempel mit dem gleichen Emblem. Den Verdacht, sein „Hobby zum Beruf“ gemacht zu haben, bestätigte Hoyer damals unumwunden. Und er monierte auf der Website, dass viele Angaben über die Zeit 1933 bis 1945 „politisch korrigiert“ worden seien und er sich daher selbst auf die Suche nach „Wahrheiten“ machen müsse. Alle diese bedeutungsvollen Anspielungen hat Hoyer in der Zwischenzeit gelöscht.

Polizei auf dem Flohmarkt

Grund dafür könnte sein, dass sein Geschäft durch allzu offenherzige Bezüge in Verruf geraten war. Im Frühjahr 2009 hatte er an einem Flohmarkt in Brandenburg teilgenommen. BesucherInnen wunderten sich über das Sortiment, wie die Märkische Allgemeine berichtete:

  • „Zum Beispiel ein Hakenkreuz, das auf einem Sockel stand, mit Hakenkreuzen versehene Hitler-, Himmler- und Goebbels-CDs sowie als geschmackloser Höhepunkt ein Paar Originalschuhe aus dem KZ Mauthausen.“

Als die Polizei mit anderthalb Stunden Verspätung anrückte, seien die beanstandeten Waren verschwunden gewesen. Ein Atemalkoholtest beim Verkäufer ergab 1,4 Promille. Abgesehen davon dementierte Hoyer sämtliche Vorwürfe. Einzig die Schuhe aus dem Konzentrationslager habe es auf seinem Stand gegeben. Sie seien aber vom Verkauf ausgenommen gewesen.

Suche nach dem Bernsteinzimmer

Daneben machte sich Hoyer einen Namen als Hobby-Schatzsucher, der dem Verbleib des Bernsteinzimmers nachspürt. Hinweise auf ein geheimes Depot im Erzgebirge will er „bei einem Treffen von Sudetendeutschen“ erhalten haben. Doch gefunden hat er nichts und an entscheidende Luftaufnahmen sei kein Rankommen, „weil die CIA den Daumen darauf habe“, schrieb die Badische Zeitung süffisant. Ein anderes Mal kommentierte er: „Wer das Bernsteinzimmer sucht, sollte sich vor vielen Geheimdiensten in acht nehmen.“

Hoyer, der eine nicht näher bezeichnete „Fachschule“ des DDR-Innenministeriums besuchte, muss es wissen. Der gelernte Hufschmied wurde in den letzten beiden DDR-Jahren zum Kriminaltechniker ausgebildet. Gleich im Anschluss, ab September 1990, will er an der Mohyla-Akademie in Kiew fünf Jahre lang Geschichte studiert und schließlich ein Diplom erworben haben. Die Details variiert Hoyer gelegentlich: Mal will er sich mit Militär- und europäischer Geschichte des 20. Jahrhunderts, mal mit Altertumsgeschichte befasst haben.

Das ist nicht entscheidend. Klar ist nämlich so viel: Die ukrainische Hochschule, die Hoyer anführt, nahm Studierende nicht vor Sommer 1992 auf. Geschichtswissenschaftliche Veröffentlichungen Hoyers sind zudem Fehlanzeige. Sie lassen sich weder in der Deutschen Nationalbibliothek, noch in Fachdatenbanken nachweisen.

„…wozu das deutsche Volk fähig ist“

Ungeachtet dessen stellte sich Hoyer Anfang Dezember vergangenen Jahres auch Dresdens Oberbürgermeisterin Helma Orosz als „Historiker“ vor – in einem offenen Brief, in dem er über mehrere Seiten hinweg Partei für „Pegida“ ergreift und MigrantInnen beschimpft: Geflüchtete aus Syrien diene der dortige Krieg nur „als Mittel zum Zweck“, um „ihren eigentlichen Status als Wirtschaftsflüchtlinge zu verschleiern.“ Weiter moniert er, dass in Deutschland „jedem Asylanten die gleichen rechtlichen Möglichkeiten zustehen wie jedem Bundesbürger“. Das stimmt so zwar nicht, begründet aber das offenkundige Ansinnen, Grund- und Menschenrechte einzuschränken. Davon zeugt bekanntlich das „Legida“-Positionspapier.

Weiter klagt Hoyer gegenüber Orosz, dass „immer mehr Frauen mit Kopftuch in unserer Stadt“ – er meint Dresden – zu beobachten seien. MigrantInnen würden sich „meistenteils“ illegal in Deutschland aufhalten „und sich mit Drogenhandel und Eigentumsdelikten finanzieren“. Derart setzen sich seine vulgären Ausfälle fort: Den Asylsuchenden werde „vorn und hinten Zucker in den Arsch geblasen“. Schließlich stört ihn sogar, den Wahrheitsgehalt stets dahingestellt, dass „Behördentermine für muslimische Mitbürger und Asylbewerber nie in die Zeit des Freitagsgebetes gelegt“ würden.

Mitschuld an diesen angeblichen Zuständen sei ein „Kult um die vermeintliche Alleinschuld“. Den Verweis auf die Geschichte nutzt Hoyer zugleich für eine abschließende Drohung gegenüber Orosz: „Denken Sie an die Geschichte, die uns lehrt, wozu das deutsche Volk […] fähig ist!“ Das mag ihm allerdings niemand bestreiten.

Bescheiden und tolerant?

Wer sucht, der findet nicht wenige Einlassungen Hoyers in allerlei Kommentarspalten, die in eine ähnliche Richtung gehen. Zum 13. Februar in Dresden fiel ihm einmal ein, dass der Staat „Opferzahlen manipuliert und Geschichte unrichtig darstellt“. Man kann nur vermuten, dass beim Geltungsdrang des Militariaexperten – der sich auf seiner Website die Eigenschaften „Bescheidenheit“ und „Toleranz“ zugute hält – gekränkte Eitelkeit im Spiel sein könnte. Bevor etwa ein seine Person betreffender Wikipedia-Eintrag mangels Relevanz und wegen überbordender Eigenwerbung gelöscht wurde, meldete er sich selbst zu Wort: Er sei „wahrhaftig der einzige Sachverständige für Militärhistorik und Zeitgeschichte in Deutschland, der frei arbeitet.“

Im Wikipedia-Artikel hatte es unter anderem geheißen, dass Hoyer als „beratender Sachverständiger der Verteidigung im Prozess gegen John Demjanjuk“ tätig gewesen sei. Nachprüfen ließ sich das bislang nicht. Nicht weniger überraschend scheint schließlich, dass sich Hoyer in der Vergangenheit zur FDP hingezogen fühlte. Womöglich ist das eine persönliche Bande, er sieht sich etwa Johannes Lohmeyer freundschaftlich verbunden. Der wiederum war einmal FDP-Chef in Dresden. Jetzt ist Lohmeyer Leiter des örtlichen Tourismusverbandes, Hoteleigentümer und nach Recherchen der Sächsischen Zeitung ein gewichtiger „Pegida“-Unterstützer.

Unberufener Aufmerksamkeitstäter

In diesem Windschatten wirkt Hoyer wie ein skurriler, deshalb aber nicht zu unterschätzender Selbstdarsteller. Was ihn umtreibt, bringt eines seiner zahlreichen Facebook-Statements zum Ausdruck. Die nachfolgende „Klarstellung“ in eigener Sache entstand vor etwa drei Wochen – und wurde bereits wieder gelöscht:

  • „Wenn mich die Bürger brauchen, weil Sie mein geschichtliches und politisches Wissen sowie meine Kenntnisse von der Funktionsweise unseres Staates, seiner Parlamente und Parteien benötigen, um sich zu orientieren und Dinge zu verändern, so bin ich rund um die Uhr da. Wenn die Bürger mich brauchen, dass ich anderen erkläre, was sie wollen, bin ich ebenso verfügbar. Wenn die Bürger wollen, dass ich, da mir die rhetorischen Fähigkeiten gegeben sind, ihre Anliegen öffentlich darstelle und spreche bzw. schreibe, bin ich auch dazu bereit. Nicht bereit und nicht verfügbar bin ich für jegliche Ämter oder Berufungen, da ich ein in die Jahre gekommener, nicht gesunder Mann bin, der nur sein Land und dessen Kultur liebt, und dem eins am Herzen liegt: Das einige, liberale und friedliche Europa! In dem Sinne verbleibe ich, in der Hoffung auf bald 100.000 Bürger auf der Pegida-Demo“

Es ist nicht bekannt, dass Hoyer je für ein Amt vorgesehen war. Wer auch seine anderen Hoffnungen scheitern sehen will, kann das aus nächster Nähe tun: Am kommenden Montag bei den antifaschistischen und antirassistischen Protesten gegen den „Legida“-Aufmarsch in Leipzig.


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