Der Sächsische Landtag hat heute die Einsetzung eines zweiten NSU-Untersuchungsausschusses beschlossen. Die Abstimmung bei der Plenarsitzung war ein formaler Akt, zur Einsetzung genügten die Stimmen der Links- und der Grünen-Fraktion. Sie hatten das Thema auf die Tagesordnung gesetzt und in ihrem gemeinsamen Antrag bereits das künftige Programm skizziert.
Demnach soll insbesondere untersucht werden, ob sächsische Behörden eine Mitverantwortung an der Entstehung und Entwicklung des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ tragen. Ergebnis der Abstimmung: LINKE und Grüne dafür, die AfD überraschend auch. CDU und SPD enthielten sich weitgehend, Gegenstimmen gab es nicht.
„NSU-Taten hätten verhindert werden können“
Die Debatte hatte die LINKE-Abgeordnete Kerstin Köditz eröffnet. In ihrer Rede gedachte sie der Opfer der NSU-Anschläge und erinnerte an die Ergebnisse des vorigen Untersuchungsausschusses. Demnach wäre es durchaus möglich gewesen, die seit Anfang 1998 in Chemnitz untergetauchten Neonazis Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zu ergreifen. „Die furchtbaren Taten des NSU hätten so verhindert werden können – und müssen“, sagte sie und warnte vor einer „stellenweisen Verwahrlosung der Sicherheitsbehörden“.
Der Innenpolitiker der Grünen-Fraktion Valentin Lippmann bekräftigte die Fortsetzung einer „rückhaltlosen Aufklärung“ und bedauerte, dass nur zwei Fraktionen die Initiative dazu ergriffen haben. „Wer dagegen einen NSU-Untersuchungsausschuss als ‚Beschäftigungstherapie’ hinstellt, versetzt den Hinterbliebenen einen Schlag ins Gesicht“, sagte er und spielte damit auf eine umstrittene Äußerung des CDU-Abgeordneten Sebastian Fischer an. Doch solche Töne waren heute nicht einmal entfernt zu vernehmen. Überhaupt verlief die Einsetzung geradezu harmonisch. Die Abgeordnete der mitregierenden SPD, Sabine Friedel, bezeichnete den Ausschuss als „Herzensangelegenheit“.
Sogar die AfD begrüßt den Untersuchungsausschuss
Noch Anfang 2012 hatte die CDU-Fraktion das Zustandekommen eines ersten NSU-Ausschusses heftig torpediert. Nun aber erklärte der innenpolitische Sprecher der Christdemokraten Christian Hartmann, er betrachte die Neueinsetzung als „durchaus sinnvoll und geboten“. Das klingt überraschend, ist aber kein Meinungswandel. Zum einen hatte Hartmann bereits im vergangenen Ausschuss aktiv mitgewirkt, war damit eine prominente Ausnahme in den eigenen Reihen. Zum anderen galt das frühere Gremium in Unionskreisen als rot-rot-grünes Projekt. Seitdem die SPD zum Junior-Koalitionspartner aufgestiegen ist, muss man es nicht mehr durchkreuzen: Trotz Friedels Plädoyer wahrte die SPD-Fraktion den Koalitionsfrieden und enthielt sich bei der Abstimmung.
Unter anderen Umständen wäre seine Fraktion sogar bereit gewesen, den Einsetzungsbeschluss mitzutragen, sagte Hartmann. Bedingung: Es hätten „alle Fraktion“ beteiligt sein müssen. Also auch die AfD, die er nicht namentlich benannte. Jene Rechtsaußen-Fraktion schickte schließlich Carsten Hütter ans Rednerpult. Er erklärte, der Antrag von Linken und Grünen – sonst die Lieblingsfeinde im Parlament – habe „viele Facetten, die mich dazu bewegen, ihn als positiv einzuschätzen.“
Seine Fraktion, versicherte Hütter, wolle im künftigen Ausschuss konstruktiv mitarbeiten. Was das bedeuten wird, bleibt abzuwarten. Das zentrale Problem sei laut Hütter, dass die Sicherheit in Sachsen „zunehmend durch Links- und Rechtsextremisten bedroht“ werde. Ein Vergleich, für den im Zusammenhang mit dem NSU-Komplex überhaupt nichts spricht. Schon seit Wochen versucht die AfD-Fraktion, die sich offen zur extrem rechten Pegida-Bewegung bekennt, eine Anti-„Linksextremismus“-Kampagne zu lancieren.
Künftig 18 Abgeordnete im Untersuchungsausschuss
Dennoch: So viel Eintracht wie heute gibt es im Landtag selten. Sie ist auch dem Umstand geschuldet, dass es bisher nur um Bekenntnisse ging. Die argumentative Rückzugslinie ist dabei ganz formaler Art: Eine Fortsetzung der Aufklärung wird vor allem deshalb als nötig bezeichnet, weil der frühere Ausschuss nicht fertig geworden war. Über künftige inhaltliche Schwerpunkte ist damit noch nichts gesagt. Die weitere Planung bleibt dem Ausschuss selbst vorbehalten, der sich alsbald konstituieren könnte. Ihm werden 18 Abgeordnete angehören, wie heute ebenfalls beschlossen wurde.
Nach Informationen der Freien Presse soll der CDU-Abgeordnete Lars Rohwer den Vorsitz des Gremiums übernehmen. Er machte zuletzt, ähnlich wie sein Fraktionskollege Fischer, von sich reden als Protagonist eines „Dialogs“ mit Pegida. Als Stellvertreterin ist LINKE-Abgeordnete Kerstin Köditz im Gespräch. Sie war bereits im vorigen NSU-Ausschuss Obfrau ihrer Fraktion. Den vorgeladenen Zeugen hatte sie die mit Abstand meisten Fragen gestellt.
(Einige) Akten bleiben erhalten
Am Rande der Plenarsitzung war ein Detail zu erfahren, dass manche Besorgnis der einsetzenden Fraktionen wieder zerstreuen wird. Demnach hat das Sächsische Innenministerium nun auf Nachfrage zugesichert, Dokumente unverändert aufzubewahren, die bereits dem früheren Ausschuss vorgelegt worden waren. Den Start des neuen Gremiums wird das erleichtern.
Unabhängig davon war Ende vergangenen Jahres ein sogenanntes Löschmoratorium ausgelaufen. Es sollte alte Aktenbestände der Polizeidienststellen, des Landeskriminalamtes und des Landesamt für Verfassungsschutz vor einer Vernichtung bewahren. Wie umfangreiches dieses Konvolut ist, wurde bislang ebenso wenig bekannt wie dessen Verbleib.
Den Artikel veröffentlichen wir mit freundlicher Genehmigung von Ingo Weidler.