Ein Beitrag von Korrektiv Negativ zur Veranstaltung mit Frank Richter (Direktor der SLpB) an der HTWK Leipzig am 03.06.2015
Frank Richter, Direktor der Sächsischen Landeszentrale für politische Bildung (SLpB) in Dresden, soll am 03.06.2015 im Rahmen der öffentlichen Ringvorlesung „Migrationsziel Deutschland – Hoffnung, Furcht und Populismus“ fünf Thesen formulieren, die „vornehmlich auf der Grundlage von Beobachtungen und Wahrnehmungen des Teils der Bevölkerung entstanden sind, der sich seit ca. sechs Monaten auf den Straßen Sachsens politisiert und artikuliert hat.“
Am 19. Januar 2015 gewährte die SLpB den Pegida-Sprecher_Innen Lutz Bachmann und Katrin Oertel ihre Räumlichkeiten für eine Pressekonferenz. Was Frank Richter bzw. die SLpB sich davon im Vorfeld erhofften war deren Einbindung in politische Prozesse der parlamentarischen Demokratie und das Hochhalten ihrer eigenen Diskussionsbereitschaft als ein Wert an sich. Doch genau das zeugt von ihrem Unverständnis vom gesellschaftlichen Phänomen PEGIDA. Denn was als Dialog geplant war, wurde wenig überraschend zur Bühne für unwidersprochene nationalistische, völkische, rassistische und chauvinistische Propaganda und verhalf ihr damit zu einem Anschein von politischer Legitimität.
Auch wenn sich Frank Richter offen für Kritik an seinem Vorgehen zeigte, ist klar, dass eine grundlegende Fehleinschätzung der Phänomenologie und Analyse von PEGIDA vorausging. Denn die Anhängerschaft der Bewegung hat sich schon lange von einem demokratischen, diskursiven oder rationalen Politikverständnis abgewandt, hin zu einem hermetisch geschlossenen Zerrbild aus Hass, Ressentiments, Rassismus, Verschwörungstheorien, Antisemitismus und das immer mit Blick auf den (eigenen) sozialen Abgrund. Das Weltbild in diesem Mikrokosmos wartet nicht darauf, dass Richter oder sonst wer es über den eigenen Tellerrand hievt, sondern lechzt nach wechselseitiger Bestätigung in der Masse, Verschiebung der gesellschaftlichen Stimmung, um eine Anerkennung ohne Kritik und Zweifel. Sie nehmen echte Probleme wahr (sinkender Lohn, steigende Mieten, Arbeitsverlust), eben sämtliche Nebenerscheinungen kapitalistischer Modernisierung auf fortgeschrittener Stufe.
Was dann aber folgt, ist die Projektion ihrer Wahrnehmung auf Feindbilder. Es sind eben nicht die „politisch diffusen Ängste und Sorgen“, sondern handfeste Aggression und Verbitterung gegen diese Feindbilder, welche sich zunehmend an nicht-biodeutsch aussehenden Menschen und deren Unterkünften entlädt . Demokratische Instrumente scheitern dabei an grundlegendem gesellschaftlichem Unverständnis, so wird Kritik und Widerspruch als Zensur, humanistische Positionen als „Gutmenschentum“ verdacht, Fakten und Argumente als Intrige verkannt, die Bereitschaft zum Dialog findet sich nicht.
Richters politische Analyse schlägt fehl, weil er Unwillens oder unfähig ist, die Beschaffenheit von PEGIDA zu erkennen, nämlich eine reaktionäre Gegenaufklärung die sich für demokratisch hält, aber faschistisch denkt. „Viele Wortmeldungen offenbaren“ für Richter „ein Unverständnis unseres Staatssystems und eine Distanz gegenüber der repräsentativen Demokratie“, dabei hätten wir doch ein „bestens strukturiertes Gemeinwesen“, nur „eine gute Gesellschaftsordnung freilich macht noch keine gute Gesellschaft“ . Richter sieht nicht, dass die Menschen bei PEGIDA ein unmittelbares Produkt dieser „bestens strukturierten Gesellschaft“ sind. Sie sehen (sich) als Opfer die sie nicht sind, suchen nach „den Anderen“ die ihnen wegnehmen, was sie längst nicht mehr besitzen. In Richters „guter Gesellschaftsordnung“, dem Kapitalismus, sind sie geprägt durch kleinbürgerliche Zukurzgekommenheit und Leistungszwang, Vereinzelung und Konkurrenz.
Die eigene Marginalität treibt sie auf die Straßen auf der Suche nach Selbstbestimmung, nach Identität und Gemeinschaft bei ihresgleichen, nach dem Volk was es nicht gibt. Ihr herbeigesehntes Kollektiv soll kompensieren, wozu das Individuum nicht im Stande ist – Selbstvergewisserung über die Richtigkeit der eigenen Standpunkte und Schutz des bedrohten Einzelnen in Zeiten zunehmender Isolation und dem Erscheinen der Krisenhaftigkeit kapitalistisch geprägter Gesellschaften. Leistungszwang und Konkurrenzprinzip projizieren sie auf die noch ärmeren Schweine, als ob es sie dadurch davon befreien würde. Das Sein verstimmt das Bewusstsein.
Zusätzlich zu ihrem diskriminierenden Kulturalismus, als modernisierte Form des Rassismus gegen „die Muslime“, vertreten die Teilnehmer_Innen eine Tendenz zum strukturellen Antisemitismus. Dieser verklärt in personifizierender Weise reale Verhältnisse, in dem bestimmten sozialen Gruppen eine (Teil-)Schuld zugesprochen wird. Das bedeutet eine unbegrenzte Macht derjenigen, die die vermeintlich Schuldigen sind – wahlweise „die Politiker“, „die da oben“ oder „die Mächtigen“.
Gemeint sind jedoch, schaut man hinter die Fassade der wohl gewählten Worte, die Amerikaner, die Zionisten oder eben: Die Juden. So folgen Montagswahnmachen und neuere, explizitere Bewegungen wie EnDgAmE („Engagierte Demokraten gegen die Amerikanisierung Europas“) oder PEGADA („Patriotische Europäer gegen die Amerikanisierung des Abendlandes“) demselben Prinzip. Zu einem Unten, nach dem getreten wird, gehört ein Oben, gegen das geschrien werden kann. Da schlägt eine Einschätzung á la Patzelt fehl, die Protestierenden seien lediglich xenophobe Patrioten.
Hier helfen kein Dialog, keine Pressekonferenz und keine „Integration“ in die „Gesellschaftsordnung“ die sie hervorgebracht hat. Der politische Bildungsauftrag der SLpB besteht in der Demokratiebildung, nicht in der Generierung einer Plattform für die menschenverachtende Ideologien und deren Vervielfachung, welche ebendiese bekämpfen. Schon gar nicht dann, wenn kein Raum für Widerspruch gegeben wird und nur eine einseitige Perspektive vertreten wird. Opferberatungen und Selbstvertretungsverbände von Migrant_innen berichten über eine Zunahme rassistischer Angriffe in Dresden, doch dafür scheint der Theologe Richter blind, missversteht politische Bildung als Seelsorge.
Die Reaktion kann nur Abgrenzung und entschlossener Widerspruch sein, auch auf der Straße, auch in Zukunft.
Text zugesandt von: Korrektiv Negativ.
Korrektiv Negativ ist ein politischer Zusammenschluss von Studierenden der HTWK Leipzig.