In Leipzig wird eine neue Burschenschaft gegründet. Hinter dem Projekt stehen eine NPD-nahe Verbindung aus Gießen und neurechte Verbandsbrüder aus Marburg. Einer der Initiatoren ist nach Leipzig gezogen. Er war zuvor in der völkischen und der Neonaziszene aktiv.
Ab Sonnabend maßgeblich rechts
Bisher ist nur wenig offiziell: Bei einem feierlichen „Kommers“, wie es in diesen Kreisen heißt, soll am kommenden Sonnabend die Burschenschaft Dresdensia Leipzig aus der Taufe gehoben werden. Ihre Farben sind Violett, Weiß und Rot, der Wahlspruch lautet: „Ehre, Freiheit, Vaterland“. Das Mensurritual wird obligatorisch sein. Die bislang anonymen Macher schweigen sich über den Ort aus, an dem das stattfinden soll, und legen auf Öffentlichkeit gar keinen Wert. Die neue Studentenverbindung, so heißt es in knappen Worten auf einer Facebook-Seite, sei eine „eigenständige Neugründung mit seperaten [sic!] Mitgliedern“, eine Altherrenschaft im Hintergrund gebe es nicht. Man wolle jedoch der „Deutschen Burschenschaft als einzigen maßgeblichen burschenschaftlichen Dachverband“ nahestehen.
Der letzte Teil trifft bis auf die Grammatik zu. Die Gründung ist währenddessen weit gediehen, im Stadtteil Gohlis wird eine Verbindungsetage geplant. Vielleicht ist es kein Zufall, dass in der Gegend bereits die Leipziger Burschenschaften Arminia und Germania residieren. Beide gehören der nicht nur maßgeblichen, sondern weit nach rechts gerückten Deutschen Burschenschaft (DB) an. Mit der Eigenständigkeit liegt die Sache ganz anders, wie gleich zu sehen sein wird. Denn zumindest zwei namhafte Burschenschaften nehmen Einfluss auf das Projekt, und gemeinsam markieren sie den äußersten Rand des deutschen Korporationswesens. Was immer in Leipzig entstehen soll, nimmt in der extremen Rechten seinen Anfang.
Blut und Paukboden: Was will die Rugia in Leipzig?
Hinter der künftigen Website der Dresdensia Leipzig steht namentlich die Burschenschaft Dresdensia Rugia zu Gießen. Sie hat offensichtlich die Schirmherrschaft über die Gründung in Leipzig übernommen, und das lässt aufhorchen. Ihre großen Namen im Verbindungsmilieu verdankt die Rugia einigen zweifelsohne prominenten Bundesbrüdern. Dazu gehört etwa Jürgen Gansel, eingetreten 1994, zeitweise Sprecher der Burschenschaft, später Alter Herr. Zwei Jahre später trat Arne Schimmer ein. Beide waren bis ins vergangene Jahr NPD-Abgeordnete im Sächsischen Landtag. Vom parteipolitischen Engagement versprach sich Gansel nicht zuletzt eine „Sogwirkung im rechtsgerichteten Studenten- und Verbindungsmilieu“. Noch vor wenigen Jahren wünschten die Burschenschaftlichen Blätter, das Zentralorgan der DB, den Abgeordneten schriftlich „viel Erfolg und ein Wirken im burschenschaftlichen Sinne“.
Die früheren NPD-Landtagsabegeorndeten Jürgen Gansel und Arne Schimmer als Bundesbrüder der Dresdensia Rugia zu Gießen. Foto: Archiv.
Auch der frühere Bundesvorsitzende der Jungen Nationaldemokraten Stefan Rochow, der zeitweise bei der NPD-Landtagsfraktion Anstellung gefunden hatte, war bei der Rugia aktiv. „Dort wurde hinter verschlossenen Türen manches deutlicher ausgesprochen, als ich es als NPD-Mitglied hätte sagen können“, sagte der zum Katholizismus bekehrte Aussteiger später. Bis heute gehört die Rugia zum radikal-völkischen Flügel der DB. Das hessische Innenministerium ließ den Zusammenschluss jahrelang beobachten, legte ihr unter anderem eine „Solidarisierung mit Rechtsextremisten“ zur Last. Seit Mitte der 1990er Jahre seien bei der Burschenschaft „fortlaufend Personen mit rechtsextremistischem Hintergrund“ aufgetaucht – das sind die eben Genannten – und wohnten teils im Verbindungshaus.
Der Brückenschlag nach Leipzig wird in Verbandskreisen selbstredend nicht politisch, sondern historisch erklärt. Hier bestand von 1853 bis 1936 schon einmal eine Verbindung unter dem Namen Leipziger Burschenschaft Dresdensia. Einige ihrer Alten Herren waren später am Aufbau der Dresdensia Rugia beteiligt, zunächst in Frankfurt am Main. Später lebte sie an ihrem heutigen Sitz in Gießen wieder auf – und will nun gewissermaßen ihren eigenen Vorläufer neu erwecken. Zu den Mitgründern der Gießener Verbindung zählten übrigens auch Alte Herren der Greifswalder Burschenschaft Rugia. Sie war bereits 1989 wiedergegründet worden. Zu ihren einschlägigen Mitgliedern zählt der Neonazi Rigolf Hennig, ebenfalls ein langjähriger NPD-Mann.
Vor diesem Hintergrund wird sich die Reanimation des Männerbundes in Leipzig nicht ausschließlich der Traditionspflege verdanken. Das wäre Sache eines bereits 1996 gegründeten Vereins namens Leipziger Burschenschaft Dresdensia e.V., eine Art Veteranenklub, augenscheinlich so hochbetagt wie inaktiv. Der Verein bleibt hier offenbar ganz außen vor. Ein viel pragmatischeres Problem der Gießener könnte im Vordergrund stehen und die eilige Umsetzung erklären: An ihrem bisherigen Standort wurde kürzlich die Fahne eingeholt, womöglich hat die Burschenschaft ihr Domizil eingebüßt – und will jetzt in Leipzig ein neues erschließen.
Neurechte schielen auf Leipzig
Bei der Vorbereitung der Gründungsveranstaltung fällt ein Name besonders auf: Markus Schreiber ist nach Informationen antifaschistischer Gruppen eine Schlüsselperson bei der Neugründung. Der 26-Jährige aus Thüringen war bis vor kurzem noch in Marburg anzutreffen, er studierte dort an der Philipps-Universität. Jetzt wohnt er in Leipzig. Spätestens seit 2011 ist er Mitglied der Marburger Burschenschaft Germania und ist dort bis heute einer der Aktiven.
Markus Schreiber auf dem Verbindungsfest-Marktfrühschoppen in Marburg 2011. Foto: Archiv
Die Marburger Burschenschaft ist damit die zweite namhafte Verbindung, die mit dem neuen Leipziger Projekt zu schaffen hat. An einer Ausgründung in Sachsen besteht in ihrem Falle ein gesteigertes strategisches Interesse, denn die Marburger Burschen haben zum Jahresanfang 2015 den Vorsitz der DB übernommen und damit den Rechtsdrall des Verbandes zementiert. Zuvor war das die Sache der Dresdner Burschenschaft Cheruscia, eine Amtszeit, die durchweg negativ bilanziert wird. Sie endete vorzeitig, als im November 2014 die Aktivitas durch den eigenen Altherrenverband buchstäblich vor die Tür gesetzt wurde. Die Gründe wurden öffentlich nicht mitgeteilt, dürften sich aber nicht zuletzt vor dem Hintergrund politischer Radikalisierung der jüngeren Burschen verstehen. Sie haben sich teils der AfD angeschlossen, sind teils bei Pegida mitgelaufen.
Für diesen Trend steht etwa Philipp Stein, Aktiven-Sprecher der Marburger Germania. Die Situation in Sachsen ist ihm bestens bekannt: Der 23-jährige Geschichtsstudent wurde vor zwei Jahren als „Praktikant“ des sogenannten Identitären Zentrums in Dresden bekannt. Seitdem gilt er als Nachwuchstalent der Neuen Rechten. Das gilt auch für Steins Kollege in Dresden, Dirk Taphorn, der inzwischen Schriftleiter der Burschenschaftlichen Blätter geworden ist. Er gehört zur Burschenschaft Normannia Nibelungen Bielefeld, war zwischenzeitlich aber auch bei der gebeutelten Cheruscia engagiert. Dazu passt der Festredner beim jüngsten Burschentag in Eisenach, kein Geringerer als Götz Kubitschek. Er ist der aktuell umtriebigste neurechte Publizist im deutschsprachigen Raum. Sein Auftritt ist selbst aus Sicht von Burschenschaftern beachtlich, denn Kubitschek ist keiner. Aktuell ist er durch Redebeiträge und Veranstaltungen ein namhafter Protagonist der Pegida-Bewegung. Er verspricht sich gerade in Sachsen Landgewinne für seine Richtung, die er geschmäht sähe, wenn man sie „Salonfaschismus“ nannte.
Für solchen Einflüsse ist die Marburger Germania seit jeher offen und zudem bekannt für ihre Veranstaltungsreihe „Marburger Diskurs“, bei der wiederholt Referenten aus dem Spektrum der extremen und der Neuen Rechten sprachen – 2014 waren das etwa der extrem rechte Publizist Manuel Ochsenteiter (Zuerst!) sowie Erik Lehnert (Institut für Staatspolitik) und Felix Menzel (Blaue Narzisse, Identitäres Zentrum). Es handelt sich um „die wichtigste Tagung einer Einzelburschenschaft“, wie die Burschenschaftliche Blätter einmal anmerkten. Bis heute übrigens beruft sich die Germania explizit auf den Freikorps-Mann und Nationalsozialisten Bogislav von Selchow, der im Dritten Reich Namenspatron der zunächst bis 1945 bestehenden Burschenschaft war. [1] Das spricht bisweilen auch Neonazis an. So trägt Tobias Sauer aus Heidenheim (Baden-Württemberg), der Aktivist beim Freien Netz Süd war, die Farben der Burschenschaft.
Selchow-Gedichte: Marburger Burschenschaft Germania verbreitet faschistische Propaganda. Screenshots: Facebook.
In eben diesem politischen Bannkreis agiert Markus Schreiber. Und auch er besetzt eine Schlüsselposition in der DB, derzeit fungiert er als einer der stellvertretenden Verbandssprecher. In Leipzig wird er nicht der erste Bundesbruder sein, so ist zum Beispiel der Kassenwart des Marburger Altherrenverbandes hier als Arbeitsrechtler ansässig.
Politerfahrung zwischen NPD und Schlesischer Jugend
Schreibers eigene Vita spricht Bände, denn der junge Mann mit den feurroten Haaren war offenbar in tiefbraunen Kreisen aktiv. So nahm er wiederholt an den sogenannten „Trauermärschen“ in Dresden teil. Aktenkundig wurde das zuletzt am Abend des 13. Februar 2010, als ein mit Neonazis besetzter Buskonvoi auf der Rückfahrt einen unangekündigten Stopp in der Geraer Innenstadt einlegte. Die etwa 200 Reisenden stiegen unvermittelt aus, zündeten Pyrotechnik, überrannten eintreffende Polizeibeamte und verletzten mehrere. Dem rechten Marschzug wussten diese zwanzig Minuten lang nichts entgegenzusetzen.
Die angerückte Verstärkung konnte wenig später zahlreiche Neonazis festsetzen, sie wurden vorläufig festgenommen. Zum Pulk gehörten etwa der heutige NPD-Landesvorsitzende in Thüringen Tobias Kammler sowie sein Amtsvorgänger Patrick Wieschke, der Meininger NPD-Aktivist Sven Dietsch, ferner die NPD-Stadträte Enrico Biczysko (Erfurt) und Patrick Weber (Sonderhausen). Der „ranghöchste“ Parteisoldat vor Ort war freilich Frank Schwerdt, immerhin Bundesvize. Einschlägiger ging es nicht. Unter den insgesamt 199 Neonazis, gegen die fortan die Staatsanwaltschaft Gera wegen Landfriedensbruchs ermittelte, war auch Markus Schreiber. Von einer Anklageerhebung gegen die rechten Randalierer in Gera – mehrere Beteiligte inszenierten sich wenig später als „Aussteiger“ – wurde überraschend abgesehen.
Glück für Schreiber. Er war zur Tatzeit gerade aus dem beschaulichen Zella-Mehlis ins noch kleinere Städtchen Floh-Seligenthal gezogen. Von dort aus war neben ihm eine ganze Reisegruppe nach Dresden aufgebrochen. Sie gehörte zur völkisch orientierten Schlesischen Jugend – Landesgruppe Thüringen (SJ), unter anderem angeführt von dem ortsansässigen Paar Sabine und Thiemo Wolf. Die revanchistische Verein, dem in Floh-Seligenthal eine Immobilie zur Verfügung stand, war zu dem Zeitpunkt vollends zu einem Projekt der Neonaziszene avanciert und bot auch früheren Mitgliedern der 2009 verbotenen Heimattreuen Deutschen Jugend (HDJ) ein organisatorisches Dach. Der bereits zu Schreibers Zeiten aktive heutige SJ-Bundeschef Fabian Rimbach wurde durch die NPD mehrfach als Ordner eingesetzt.
Markus Schreiber am 13. Februar 2010 beim Neonaziaufmarsch in Dresden. Foto: Recherche Ost.
In genau diesem Milieu finden sich weitere Spuren von Schreibers Engagements. So enthielt eine von Rimbach verantwortete Ausgabe des SJ-Verbandsmagazins Junges Schlesien aus dem Frühjahr 2009 einen mit „Markus Schreiber“ gekennzeichneten Artikel. Das Thema wieder: Dresden. In dem Beitrag heißt es, die Thüringer SJ sei „an diesem schicksalhaften Tag“ im Februar mit „etwa 25 jungen Mitgliedern angereist“, den Autor offenbar mitgezählt. Denn der würdigt ausführlich eine vor Ort dargebotene Ansprache des Altnazis Hajo Hermann. Hinter den Dresden-Märschen stand damals bekanntlich unter anderem die Jungen Landsmannschaft Ostpreußen (JLO). Über Leute wie Jürgen Gansel hatten daran so schlagende wie einschlägige Burschenschafter ihren Anteil. Und besonders eng war die Zusammenarbeit der JLO mit Schreibers SJ.
Völkische Freaks inklusive
Die Dresdensia Leipzig und ihre Urheber säen Zweifel, dass mit alledem oder auch nur irgend etwas davon abgeschlossen worden wäre. Da wäre etwa die Gießner Rugia selbst, die Anfang 2014 eher überraschend eine Kundgebung der NPD-Tarnorganisation Leipzig steht auf beworben hat und auf deren Facebook-Seite der Geithainer Neonazi Manuel Tripp anzutreffen ist. Im Jahr 2008 hatte Tripp, der für die NPD im Geithainer Stadtrat sitzt und zeitweise Parteivorsitzender im Landkreis Leipzig war, ein Jurastudium in Leipzig begonnen. Unter der Einladung nach Leipzig, die nun auch von der Rugia verbreitet wird, findet sich neuerdings ein „Like“ von Roman Topp, selbst Marburger Burschenschafter, zeitweise „Gesamtkoordinator“ der Leipziger AfD und zudem Geschäftspartner des Legida-Mitgründers Silvio Rösler.
Auch Norbert Weidner von den rechtsradikalen Bonner Raczeks gefällt die anstehende Gründung. Weidner war bis 2012 Verbandsobmann, Pressesprecher und Schriftleiter der DB. Noch in den 1990ern war er ein führender Kader der Neonaziszene und hat, wie noch nicht lange bekannt ist, insgeheim dem Bundesamt für Verfassungsschutz zugearbeitet. Das ist erwähnenswert, weil sich aus dieser Sicht erklären lässt, warum sächsische Standorte für Burschenschaften durchaus attraktiv sein können. Hier nämlich ist selbst der Präsident des Landesamtes für Verfassungsschutz, Gordian Meyer-Plath, ein Alter Herr. Zu Studienzeiten hatte sich der Geheimdienstler, der 1998 persönlich einen V-Mann im NSU-Umfeld führte, der Bonner Burschenschaft Marchia angeschlossen. Es versteht sich, dass Burschenschaften in Sachsen nicht „beobachtet“ werden.
Die Auffälligkeiten im vorliegenden Fall kann das nicht verdecken. Da wäre noch der technische Administrator der neuen Website der Dresdensia Leipzig. Es handelt sich um den Inhaber einer nahe München ansässigen Werbeagentur. In seinem Kundenstamm finden sich neben Burschenschaftern und deren Projekten – u.a. die Veranstaltungsreihe „Bielefelder Ideenwerkstatt“ von Taphorns Normannia Nibelungen – mehrere AnhängerInnen der völkischen Neo-Artamanen. Eine nicht nur ästhetische Würdigung verdient zudem die künftige Gründungsurkunde der Dresdensia Leipzig, die online schon bestaunt werden darf. Das Schriftstück wurde aufwändig handgemalt in einer kleinen Kunsthandwerks-Manufaktur im thüringischen Langenroda. Der Betreiber heißt Jens Jaeger. Als Künstler ist der 35-Jährige allerdings weniger bekannt denn als Neonazi. So nahm er mehrfach an Treffen der hardcore-rassistischen Artgemeinschaft um Jürgen Rieger teil. Im Sommer 1999 war Jaeger beteiligt an einer vorgeblichen Open-Air-Geburtstagsfeier in Oberheldrungen im Kyffhäuserkreis. Die Polizei vermutete nicht zu Unrecht, dass in Wirklichkeit eine Sonnenwendfeier der Neonaziszene anstehen könnte, und löste die Veranstaltung auf, nachdem „Sieg Heil“-Rufe erschallt waren.
Drei Dutzend Personen wurden bei anschließenden Kontrollen festgestellt, Jaeger erhielt einen Platzverweis. Und aus gleichem Anlass auch ein gewisser Hendrik Möbus. Der war als „Satansmörder von Sonderhausen“ bundesweit bekannt und noch nicht lange wieder auf freiem Fuß. Die damaligen Vorgänge sind überliefert, weil sich Möbus wenige Wochen später der erneuten Inhaftierung durch eine Flucht in die USA entzog und sich dort für Monate versteckt hielt.
Die gute Nachricht ist: Burschenschaften können sich in Leipzig nicht verstecken.
Anmerkung:
- [1] Bogislav von Selchow, 1877–1943. Der Fregattenkapitän a.D. studierte ab 1919 in Marburg und befehligte dort mit Unterstützung der Reichswehr einen paramilitärischen Freiwilligenverband, das Studentenkorps Marburg (StuKoMa). Es setzte sich aus örtlichen Studentenverbindungen zusammen, darunter die Germania. Selchow war in die Vorbereitungen des Kapp-Putsches eingebunden und sah den bewaffneten Einsatz seines StuKoMa mit seinen insgesamt knapp 1200 Mann zur Besetzung Marburgs vor. Die Rolle der Germania hätte im Einnehmen einer Kaserne bestanden, aber auch die Stürmung jüdischer Einrichtungen war vorgesehen. Unmittelbar nach dem Scheitern des Putsches zogen Marburger StuKoMa-Anhänger nach Thüringen, wo sie am 20. März 1920 beweislos 15 als “Spartakisten” denunzierte Arbeiter gefangennahmen und standrechtlich aus nächster Nähe (“…auf der Flucht”) erschossen.
Die Vorgänge wurden als “Morde von Mechterstädt” bekannt, jedoch wie alle rechten Morde dieser Zeit nicht gesühnt – der Staatsanwalt plädierte für die Angeklagten. So waren auch die Ermittlungen gegen den Anführer Selchow ohne Folgen. Carl von Ossietzky urteilte aus diesem Anlass: “Der widerliche Ausspruch des letzten Kaisers, daß der junge Rekrut bereit sein müsse, auf allerhöchsten Befehl selbst auf Vater und Mutter zu schießen, ist der Schlüssel zur Psyche der Marburger Studenten.” Das StuKoMa bestand im Geheimen weiter, bewaffnet.
Kurz darauf wirkte Selchow als Funktionär mit am Aufbau der paramilitärischen, strikt republikfeindlichen Organisation Escherich (Orgesch), woran u.a. auch Ernst Röhm beteiligt war. Die einflussreiche Orgesch zerfiel bald in zahlreiche Freikorps-artige Geheimbünde. Durch die von ihnen begangenen Greuel gegen ArbeiterInnen, Attentate auf PolitikerInnen und Fememorde gegen Abtrünnige schrieben sie die Frühgeschichte des deutschen Rechtsterrorismus, den wenig später die SA fortsetzen würde. Selchow selbst trat zwar nicht der NSDAP bei, war aber ein ebenso überzeugter wie protegierter Nationalsozialist. Dass die Marburger Germania bis Kriegsende weiterexistieren konnte, dürfte sie ihm verdanken. Und auch, dass sie 1936 einen neuen Namen erhielt: Kameradschaft Bogislav von Selchow.
Text zugesandt von: AutorInnenkollektiv „Wartburg Coupé“.