Die öffentlichen Verlautbarungen zum Geschehen am vergangenen Freitag in Leipzig treiben unfassbare Blüten. So ist sich Martin Döring vom sächsischen Verfassungsschutz nicht zu dumm, dem MDR zu diktieren, dass die „Leipziger Szene“ in „ihrer Bedeutung, in ihrer inneren Geschlossenheit und in ihrer Mobilisierungsfähigkeit sicherlich in der allerersten Liga der autonomen Szene in Deutschland boxt.“
Man kann sich anhand solcher Aussagen lebhaft vorstellen, wie die Schlapphüte bei bundesweiten Zusammenkünften ihre jeweiligen Städte und Regionen in einer Tabelle rauf und runter schieben. Ob Martin Döring solche Aussagen auch auf die militante Rechte im Freistaat überträgt? Was wäre demnach Sachsen seit den Pogromen in den 90ern mit Hoyerswerda und der Selbstenttarnung des NSU? Internationale Spitze.
Auch der Verweis auf angebliche „charismatische Anführer“ zeigt mehr als deutlich, dass der Verfassungsschutz nach all den Jahren nicht verstanden hat, was der Kern linksradikaler Politik ist. Bis heute reden VS, Polizei und rechte PolitikerInnen von einer Führungsebene, die die Fäden zieht, und übertragen damit ihr Politikverständnis auf eine politische Strömung, die genau das ablehnt. Aber vielleicht spiegelt sich in solchen Aussagen der Wunsch, an der Spitze der eigenen Behörde ebenfalls einen „charismatischen Anführer“ zu haben und nicht nur einen Chauffeur von Unterstützern des Rechtsterrorismus, der darauf angesprochen regelmäßig unter Amnesie leidet.
Und immer wieder grüßt das Murmeltier
Regelmäßig wird gefragt: Wie konnte das nur passieren, wo kommt das her? Seit mehr als 20 Jahren wird in Leipzig von neuen „Qualitäten“ gefaselt oder es soll in Connewitz „aufgeräumt“ werden. Das letzte Mal wurde dieser politische Aufschlag in ähnlicher Intensität in den Jahren 2007 und 2008 gemacht. Auch damals forderte der sächsische Innenminister Buttolo, wie heute Ulbig, gegen die Szene in Connewitz vorzugehen. Wer sich die Debatte von damals nochmal zu Gemüte führt, findet dort alle Aussagen und Statements von heute wieder. Also alles wie immer? Fast.
Denn es gibt Änderungen, ein Teil hat durchaus etwas mit den Medien zu tun. Betrachtet man die Berichterstattung der vergangenen Jahre, zeigt sich ein Wandel. Wer kennt sie nicht, die damals üblichen Meldungen zum Demonstrationsgeschehen in der LVZ? In der Regel bestanden sie aus der Information, ob es friedlich blieb oder nicht (also ob die Polizei zuschlug oder nicht); wie viele Menschen da waren, natürlich nach Zählweise der Polizei, die erst seit Pegida und Legida überhaupt in Frage gestellt wird; neben dem größten Teil in der Berichterstattung, wie stark der Verkehr beeinflusst wurde.
Heute reicht ein Text auf indymedia.linksunten aus, um wochenlang über mögliche „Anschläge“ zu spekulieren. Wer es mit politischen Initiativen ernst meint, hatte es noch nie so schwer wie heute. „Freie fahrt für freie Bürger“ war die Maxime der Vergangenheit, wer dies störte, wurde gänzlich daran gemessen, wie sehr er die Fahrt unterbrach. Heute aber muss gegen jede kaputte Fensterscheibe und umgekippte Mülltonne, gegen jeden Farbklecks oder eben anonym veröffentlichte Erklärung auf Indymedia angetreten werden.
Wer ein gesellschaftliches Anliegen hat, sollte was kaputt machen, sonst steht es nicht der Zeitung – so einfach ließe sich das aktuelle Klima beschreiben. Das ist natürlich für alle politischen Initiativen relevant, die auf einen öffentlichen Diskurs abzielen. Dieses Problem haben rassistische BürgerInneproteste, Pegida/Legida, Legida-Versteher oder, in der aktuellen Debatte, Burschenschafter wie René Hobusch (FDP) nicht.
„Gewalt raus aus Leipzig“ (Bernd Merbitz, Polizeipräsident)
Schade, dass Merbitz seine eigene Aussage nicht ernst nimmt und sich und seine Einheiten aus Leipzig abzieht. Denn es ist die Polizei in Sachsen, die für massivste Gewalt und Verstrickungen in die rechtsradikale Szene verantwortlich ist. Gerade auch Merbitz an der Spitze gehört dazu. So war er es, der beim Feuerlöschereinsatz der Polizei mit Chemikalien im vergangen Jahr in Schönefeld log und behauptete, es sei nur Wasser eingesetzt worden, was er angeblich auch an sich selbst getestet hätte. Bis heute konnte der verantwortliche Beamte angeblich nicht ausfindig gemacht werden. Verfahren gegen PolizistInnen werden in Sachsen meist sowieso nicht verfolgt oder eingestellt.
Bereits 2011 behauptete die Leipziger Polizei, dass sie eine friedliche Spontandemonstration nicht mit Schlagstöcken angegriffen hätte. Erst später veröffentliche Bilder ließen diese Lüge platzen. Den schwersten “Angriff” auf einen Polizisten im Connewitzer Polizeiposten verübte im übrigen ein eigener Kollege, der übrigens nicht entlassen, sondern nur versetzt wurde.
Auch in Zusammenhang mit Legida sind mehrere massive Übergriffe der Polizei dokumentiert worden, die wie üblich folgenlos bleiben werden. Es ist keine große Überraschung, dass es im Unterschlumpfland des NSU auch Kontakte zwischen Polizisten und Nazischlägern wie Alexander Kurth gibt. Dass dies jedoch gerade nicht für wochenlange Skandalisierung sorgt, zeigt, wie eng die rechte Bande in Sachsen in allen Teilen der Gesellschaft ist.
Vor diesen Hintergründen so zu tun, als würde in Sachsen irgendwer für Rechtsstaatlichkeit und Demokratie stehen, ist eine Farce. Der Feind wird bei jenen AkteurInnen immer links stehen, völlig egal, ob diese Linken eine friedliche Demonstration veranstalten, einen „Wissenschaftler“ argumentativ stellen oder irgendwer eine Scheibe einwirft. Daher bleibt es notwendig, sich nicht auf den Distanzierungslimbo einzulassen, und gemeinsam für etwas völlig anderes zu streiten, egal wer von den rechten Kräfte gerade medial und mittels staatlicher Repression angegriffen wird.
Den GenossInnen außerhalb Leipzigs bleibt nur zu raten: Bleibt solidarisch und haltet euch ran, nicht dass die „Meisterschaft“ dieses Jahr noch Leipzig gewinnt.
Text zugesandt von: anonym.