Übergriffe von Nazis auf JournalistInnen sind kein Grund für zusätzliche Schulungen der Polizei. Das geht aus einer Anfrage der Linksfraktion im Landtag hervor. Derartige Angriffe könnten “nie ganz verhindert werden”, heißt es nun in der zynischen Auskunft des sächsischen Innenministeriums.
Anlass für die Kleine Anfrage waren mehrere Aufmärsche von jeweils bis zu 1.800 Nazis und anderen Rassisten im Herbst vergangenen Jahres in der Erzgebirgs-Stadt Schneeberg. Die Aufzüge waren durch den NPD-Kreisvorsitzenden Stefan Hartung aus Schlema unter dem Motto “Wir sagen nein zum Asylmissbrauch” angemeldet und als “Lichtelläufe” beworben worden. Sie richteten sich gegen die Unterbringung von Geflüchteten und Asylsuchenden am Stadtrand Schneebergs.
Angriffe auf JournalistInnen
An der vorläufig letzten Veranstaltung dieser Art am 16. November hatten sich nach Zählung der Polizei etwa 1.500 Personen beteiligt. Aus ihrem Aufmarsch heraus kam es zu Bedrohungen gegen JournalistInnen, unter anderem wurde ein Fotograf aus der Menge heraus angegriffen, im Gesicht verletzt, krankenhausreif geschlagen und seine Ausrüstung zerstört. Bisher konnte lediglich einer von drei Tatverdächtigen ermittelt werden.
Zudem wurde ein Kamerateam angegriffen. In einem AugenzeugInnenbericht heißt es:
- “Der Marsch hatte die beleuchtete Innenstadt schnell hinter sich gelassen, und jetzt liefen wir durch ein paar relativ dunkle Straßen. Genau als die Situation anfing, mir ein bisschen unheimlich zu werden, hörte ich links am Straßenrand ein paar schnelle, dumpfe Schläge. Dort standen auch ein paar Autos, hinter denen auf einmal drei komplett schwarzvermummte Typen wegsprinteten. […] Genau da sah ich noch einmal ein paar schwarzgekleidete Typen an derselben Stelle auftauchen, und wieder gab es diese dumpfen Schläge, und plötzlich sah ich einen gekrümmten Mann mit einer Fernsehkamera, der von zwei oder drei Typen blitzschnell mit Fäusten und Tritten bearbeitet wurde.”
Einsatzschwerpunkt: AntirassistInnen
Aus der Auskunft des Innenministeriums geht hervor, dass die Übergriffe womöglich hätten verhindert werden können. Denn immerhin war die Polizei mit mehr als 800 Beamten vor Ort war. Allerdings mit seltsamen Prioritäten: Den Naziaufmarsch begleiteten lediglich 90 Polizisten, die meisten an der Spitze und am Ende. Eine antirassistische Demonstration war dagegen zeitgleich von 350 Beamten umstellt und durch weitere 400 Uniformierte im so genannten “Raumschutz” abgesichert worden.
Das ist ein atemberaubendes Verhältnis von eins zu acht, zu dem es keinen Anlass gab. Denn schon bei den vorangegangenen “Lichtelläufen” waren Nazis durch Propagandadelikte und eine Körperverletzung aufgefallen. Anhaltspunkte für Versäumnisse und Rechtsverstöße durch Polizeibeamte hat das Innenministerium nach eigenen Angaben übrigens nicht. Das ist offenbar ernst gemeint:
- “Als wir einen der Polizisten fragten, warum denn eigentlich keine Polizei den NPD-Marsch begleitet hatte, wo doch so viele für die Antifa übrig waren, zuckte er nur mit den Schultern. ‘Unser Hauptinteresse war, Blutvergießen zu verhindern. Und es ist ja in dem Sinne auch nix passiert.'”
Kein Schulungsbedarf zum Grundgesetz
Die Ansicht, es sei “in dem Sinne” nichts passiert, wird nur plausibel, wenn man die auch in Schneeberg zur Schau getragenen Rechtskenntnisse der Polizei zugrunde legt:
- “Ein sächsischer Beamter, angesprochen auf die Bedrohungen und Tätlichkeiten, erklärte den Journalisten, dass sie hier nicht hinkommen dürften, wenn sie sich bedroht fühlten. Als man ihm erklärte, dass auch er auf den Artikel 5 des Grundgesetzes vereidigt sei und auch diesen schützen müsse, fragte dieser Beamte nach, was denn in dem besagtem Artikel stünde.”
Laut Innenministerium werden Polizeibeamte “zur Anwesenheit von JournalistInnen zusätzlich sensibilisiert”, das sei Bestandteil ihrer Ausbildung. Anlass zu einer Auffrischung gebe es aber nicht:
“Für einen zusätzlichen Schulungsbedarf wird hier derzeit keine Erforderlichkeit gesehen.”
Das ist verständlich. Schulung setzt Lernfähigkeit voraus.
Text eingesandt von: anonym