Debatte um das Social Center: “Es ist Brunftzeit”

"Au revoir, tristesse" – Bild: Kampagne »Sachsens Demokratie«

Auch wir verfolgen die aktuelle Debatte um das Social Center in Leipzig. Leider ist sie stark polemisch aufgeladen, wie in unserer Überschrift an einem Kommentar bei Linksunten Bezug genommen wird. Sonderlich neu scheint uns das nicht, schon gar nicht in Leipzig. Vielleicht ist es auch nötig, damit überhaupt diskutiert wird und die Reaktionen auf beiden Seiten zeigen, wie wichtig die einzelnen Positionen zu sein scheinen.

Uns fällt in der aktuellen Debatte auf, dass der erste Beitrag mit Zitaten und den Handlungen der Aktiven des Social Centers arbeitet, während gerade die zweite Erwiderung darauf kaum eingeht. Dieser Text soll versuchen, ohne Polemik in die Debatte einzusteigen.

Ein weiteres Projekt kann nicht zu viel sein.

Wir teilen die Position, dass ein weiteres Projekt nicht überflüssig wäre und eine Bereicherung sein kann. Doch die Begründung für das Erstreiten dieses Centers finden auch wir widersprüchlich. Dazu wollen wir auf den letzten Diskussionsbeitrag eingehen und hoffen damit auch auf den persönlichen ausreichend eingegangen zu sein.

Im ersten Debattenbeitrag wurde gefragt, was das Social Center an den Wohn- und Lebensbedingungen verbessern würde, wie im Aufruf erwähnt. Darauf wird in den Erwiderungen leider gar nicht eingegangen, obwohl es doch inhaltlich um die Geflüchteten geht. Stattdessen heißt es:

  • “Welcher Raum bietet denn genügend Platz, die zahlreichen Hilfsinitiativen und antirassistischen Gruppen zu bündeln und diesen zu neuer Sichtbarkeit und Durchschlagskraft zu verhelfen? Am Sonntagabend der Besetzung erschienen spontan 70 Geflüchtete aus einer naheliegenden Massenunterkunft zum Essen. Das hat nicht nur die Aussage der Leipziger Grünen, es ginge gar nicht um Refugees und deren Belange, ad absurdum geführt, auch die Kritiker_innen des Social Center sollten überlegen, warum keines der existierenden linken Projekte Willens oder in der Lage ist, eine solche Dynamik zu entfalten und warum die radikale Linke nicht begreift, dass “Das Kochen [zu] organisieren“ eine politische Fragestellung ist.”

Wir kennen kein Statement von Initiativen, die gesagt haben, sie brauchen so einen Ort für ihre “Sichtbarkeit und Durchschlagskraft”, ebensowenig die “linken Projekte” die unwillig oder nicht in der Lage sind. Im Gegenteil, der Verweis auf das Geschehen um die Geflüchteten in der HTWK-Turnhalle hat uns gezeigt, dass die Intervention mit der vorhandenen Szene und ihren Strukturen möglich war und ist, auch “das Kochen” funktionierte. Wie “spontan” der Besuch jetzt gewesen sein soll, wissen die Aktiven im Social Center sicher am besten.

  • “Radikalität misst sich am Effekt und nicht an der Pose”

Den Vorwurf des “Verrats” haben wir auch nicht entdecken können, dies wird auch nirgendwo textlich belegt. Vielmehr fanden wir eine Kritik an inhaltlichen Aussagen und einer Strategie, die von außen wie keine wirkt.

Natürlich kann der Staat jederzeit ein Haus räumen, das ist allen klar. Wir finden auch an keiner einzigen Stelle den Aufruf, dass die Aktiven des Social Centers sich in militante Auseinandersetzungen begeben sollen oder müssen. Schon gar nicht, um links(radikal) zu wirken oder sein. Verwiesen wurde darauf, dass es erst um eine symbolische Aktion ging und dann in einem eigenen Statements behauptet wurde, nächstes mal laufe es anders.

Der Verweis auf die “Leipziger Linie” hinkt ebenfalls, diese wurde, seit es sie gibt, unseres Wissens mehrmals durchbrochen, auch von viel kleineren Gruppen und Initiativen. Es gab auch immer wieder Projekte, die es geschafft haben, sich zu halten und ebenso geschickt zu agieren. Besetzungen sind und bleiben möglich.

  • “Ein soziales Zentrum wird unter den aktuellen Kräfteverhältnissen also weder allein durch besondere Entschlossenheit oder Militanz, noch durch kluges Verhandeln am Tisch der Mächtigen entstehen. Die Gretchfrage lautet deshalb, ob es uns gelingt, eine Massenbasis aufzubauen, die für ein solches Center steht.”

Wir denken, eine darauf abzielende Kritik am Social Center und ihrem Verhalten gelesen zu haben. Es ist eben offensichtlich nicht gelungen, das Projekt bzw. die Idee auf eine breitere Basis zu stellen. Die Kritik versucht Gründe dafür zu finden, auf die in der Erwiderung kaum eingegangen wird.

Wenn sich beispielsweise fast genauso viele “Supporter” finden, um über einen Stadtteil zu reden, oder weit mehr als 1000 Menschen die Forderung eines Neubaus für eine Unterkunft für Geflüchtete an die Stadt unterstützen, aber sich beim Social Center nicht die “Massenbasis” bildet, muss doch die Frage aufkommen, warum das so ist.

  • “Eine Torte für den Bürgermeister überrascht all jene, die von der radikalen Linken die immer gleichen Gesten und Symbole erwarten, sie macht es schwierig, uns öffentlich dort zu platzieren, wo unsere Gegner_innen uns sehen wollen. Das macht sie zu einem effektvollem Mittel.”

Auf die Kritik am Oberbürgermeister, seine Aussagen und Politik wird ebenso nicht eingegangen.

  • “Diese Gewalt von Anarchisten und sogenannten Autonomen ist schockierend. Hier waren Kriminelle am Werk, die vor nichts zurückschrecken. Das ist offener Straßenterror. Massive Verletzungen von Polizisten werden nicht nur in Kauf genommen, sondern offenbar angestrebt. Hier haben sich extreme Gewalttäter das Deckmäntelchen des Antifaschismus übergeworfen, um den Staat anzugreifen.” – Oberbürgermeister Burkhard Jung, 12. Dezember 2015

Die “Geste und das Symbol” wird in der Außenwirkung nur daran gemessen, wie “unerwartet” agiert wird. Ist der Oberbürgermeister überhaupt ein Entscheidungsträger für ein Social Center? Was bringt die Kuchenrunde außer PR wirklich? Hat das Social Center dadurch politisch wirklich Einfluss gewinnen können? Er selber sagte zu dem Gespräch: “Ich werde so eine Situation nicht noch einmal dulden können.” Kurzum übersetzt: “Macht das nie wieder, ich helfe euch vielleicht, wenn ihr nach meinen Spielregeln tanzt.”

Dies beißt sich massiv mit dem eigenen Aufruf und formulierten Anspruch, auf den aufgezeigten Widerspruch wird auch nicht eingegangen.

  • “Ob es der Stadtverwaltung gelungen ist, die Bewegung durch den Pfad der Vereinsgründung auszubremsen und in ihre Bahnen zu leiten, wird sich zeigen. Hier sind skeptische Einwände durchaus angebracht. Dies ist aber keine Frage von Verrat, sondern eine von Strategie.”

So wie wir es mitbekommen haben, war die Vereinsgründung nicht Teil der “Strategie”, sondern aufgezwungen. Im Aufruf wurde unter ganz anderen Bedingungen zum Mitmachen und Streiten für das Center geworben.

In dem kritischen Text zum Social Center auf leipzig.antifa.de wurde ganz konkret auf die Aussagen von Social-Center-Aktivist*innen im Kreuzer eingegangen. Dazu findet sich in der Erwiderung jedoch keine Reaktion. Aber die anderen Aktiven des Social Center schreiben auf Facebook:

  • “Dabei sei allerdings noch angemerkt, dass wir uns nie von linker Politik abgegrenzt haben! Im Kreuzer sind einige Aussagen missverstanden/nicht korrekt wiedergegeben worden. Dazu folgt auch noch ein kurzes Statement. Wir wollen Menschen eine linke Alternative zur gegenwärtigen rassistischen Gesellschaft aufzeigen, deswegen sind uns emanzipatorische Inhalte wichtiger als linke Selbstverständlichkeiten und Szene-Codes!”

Die Fehler der Kreuzer-Autorin sind noch nicht bekannt gemacht worden. Dass dort Aussagen als Abgrenzung und Endsolidarisierung gegenüber einer linken Szene aufgenommen werden, verwundert uns jedenfalls nicht.

Anmerkung von leipzig.antifa.de: Diese Zusendung erreichte uns vor dem Statement zum Kreuzer-Artikel, das am 15. März 2016 auf der Facebook-Seite des Social Center Leipzig veröffentlicht wurde.

Im Gegenteil fragen wir uns, welche emanzipatorischen Inhalte das Projekt vor die “linken Selbstverständlichkeiten” stellt. Denn für uns sind nicht “Szene-Codes” oder Militanz ein Ausdruck von Linksradikalität, sondern die Inhalte und ihre Konsequenz. Hoffentlich wird dies im Statement erklärt.

Wir haben die Kritik an Hassi und roten Rauch nicht als Aufforderung verstanden, sondern als Reproduktion von “Szene-Codes”, die nach eigener Aussage vermieden werden sollten, damit “kein linker Ruf” entsteht. Hier zeigt sich ein Hin-und-Her und eben keine “Strategie”, wie behauptet wird. Irgendwie “links(radikal?)”, aber nach außen doch nicht so wirken, um den Klischees zu entgehen, dann aber dennoch mit “Radikalität posen”.

Die Kritik zielte für uns daher darauf ab, dass, wenn sich schon bürgernah, nicht militant und nicht “links” gegeben werden soll, dann doch wenigstens konsequent. Wenn also, wie aktuell, Vereinsgründung und Kaffee und Kuchen im Rathaus, wozu dann der Rest während der Besetzung und der eigenen Räumung?

Die Zeichnung der Kritiker*innen verwundert uns, besonders das eigene Gegenbild. Soll die Aussage so verstanden werden, dass selber keine Haltung vorhanden ist und letztendlich mit allen kooperiert und am Tisch gesessen wird, für angeblich “tanzende Verhältnisse”? Sind wir blind, wenn wir diese Verhältnisse im Bezug auf das Social Center nicht entdecken können?

Der beschriebene massive Polizeiapparat bei der Besetzung wurde doch nicht durch jahrelange freiwillige Räumungen herauf beschworen, sondern durch eine Praxis einer radikalen Linken, staatliche Stellen “tanzen” zu lassen, manchmal auch mit “brennenden Bushaltestellen (?)”.

Der Verweis, dass heutige Projekte auch Vereine haben, vertauscht doch Entwicklungsprozesse. Verträge und Vereinsgründungen waren oft nachträgliche Folgen zur Legalisierung von erkämpften Räumen und des Versuchs einer staatlichen Einschränkung und Kontrolle. Andere Projekte, die mit einer Vereinsgründung gestartet sind, haben ganz andere Überlegungen und Bedingungen und stehen von vornherein vor bürokratischen Hürden.

Im Aufruf zum Social Center war dies ausgeschlossen. Wenn dies jedoch immer Teil der Strategie gewesen sein soll, dann ist es richtigerweise kein “Verrat”, sondern leider eine absichtliche Täuschung von Unterstützer*innen.

Die “Alibikritik”, die doch Privilegien meint

In der Kritik auf leipzig.antifa.de wird auf eine Trennung zwischen Geflüchteten und Social Center verwiesen, nämlich auf die eigenen Privilegien. Darauf, dass die Geflüchteten kein Gesprächsangebot bekommen, während die “Kartoffellinke” es im Vergleich sehr leicht hat. Das finden wir wichtig zu reflektieren. Wieso den Termin nicht nutzen für das, worum es doch eigentlich gehen sollte: Ein menschenwürdiges Leben für Geflüchtete.

Darauf wurde im Aufruf Bezug genommen, und die Kritik am Agieren richtete sich inhaltlich darauf, dass es eben nicht mehr um ein “würdevolles Leben” und den “Leerstand” ging. Warum nicht sagen:

  • “Schön dass Sie uns empfangen, wir haben hier die Forderungen aus der Zeltstadt und zur Torgauer Straße. Warum reden Sie eigentlich mit uns und nicht mit den Geflüchteten? Wie können Sie solche menschenunwürdigen Bedingungen zulassen, und was muss noch passieren, damit dieser Zustand ein Ende hat?”

Wenn sich von Gesprächen mit dem Oberbürgermeister ein Social Center erhofft wird, dann müsste dies auch im Bezug zu besseren Lebensbedingungen für Geflüchtete in Leipzig erwartet werden.

“Zu den Platzhirschen”

Was nach der letzten Überschrift in allen Texten beschrieben wird, ist leider nur noch beleidigend und nicht hilfreich in dieser Debatte. Bei allem bekannten Szene-Bashing in allen Texten: Wir konnten beim Lesen des ersten Artikels nicht entdecken, dass von “der Weisheit” und der einzigen (richtigen) Sicht auf das Projekt Social Center gesprochen wurde.

Für uns ist der Text auf leipzig.antifa.de “eine Sicht” auf das Social Center, wie auch der*die Autor*innen es in den ersten Zeilen schreiben. Diese muss weder geteilt noch richtig oder aus der Perspektive der Beteiligten des Social Centers verständlich sein. Wir denken jedoch, dass sie nicht so selten ist. Wir konnten uns jedenfalls in Teilen der vorgebrachten Argumente wiederfinden und haben sie hoffentlich sachlicher und verständlicher zur Position gestellt.

Der genannte “argumentative Nullpunkt” passt für uns gar nicht in den Abschluss, steht doch ebenfalls in dem Text zur Verfassungsschutzveranstaltung nichts davon, dass eine Verhinderung irgendwie revolutionär wäre. Uns fiel dann aber nochmal diese Aussage aus der Erwiderung ein:

  • “Zunächst wird die Welt moralisch in Gut und Schlecht geteilt. Danach werden die wenigen Guten auf weitere Mängel untersucht, ob sie sich gar mit Schlechten eingelassen hätten. Dies wird lautstark kritisiert. Am Ende bleibt man fast allein zurück und begnügt sich – je nach Gusto – mit dem Ausrichten einer Veranstaltungsreihe, dem Anzünden einer Bushaltestelle oder dem Schreiben von unsachlicher Kritik im Internet. Uns langweilt diese Politik der richtigen Haltung zutiefst. Wir sind nicht Teil eines Mönchsordens, uns ist ideologische Unbeflecktheit relativ egal.”

Soll das so verstanden werden, dass keine Haltung zum Verfassungsschutzpräsidenten, dessen Behörde den NSU unterstützte, vorhanden ist? Mit Bezug zu den erwähnten “linken Selbstverständlichkeiten” auf der Facebook-Seite des Social Centers und dem Ziel, “unerwartete” Handlungen zu begehen, wäre dies doch eine Veranstaltung und Gespräche mit Gordian Meyer-Plath, oder?

Wir sehen den Nullpunkt eher bei der Form, wie die Debatte geführt wird. Der Aufschlag war kein guter und hätte auf vieles verzichten können. Die zwei folgenden Erwiderungen darauf machen Kritik fast unmöglich und ziehen einen Graben zwischen den Autor*innen, der Sorgen bereitet. Die Feindseligkeiten lassen jedenfalls nichts Gutes erwarten.


Text zugesandt von: Die Rohrverstopfer*innen