Leipziger §129-Verfahren gescheitert

Anti-Überwachungs-Transparent in der Simildenstraße.

Knapp drei Jahre lang ließen die auf Staatsschutzfälle spezialisierte Staatsanwaltschaft Dresden (Aktenzeichen: 214 Js 53957/13) und zuletzt die übergeordnete sächsische Generalstaatsanwaltschaft (371 Js 92/15) gegen ein Phantom ermitteln: Bis zu 14 Beschuldigte sollen sich zu einer namenlosen “kriminellen Vereinigung” zusammengeschlossen haben, um “überwiegend in Leipzig gefährliche Körperverletzungen, Sachbeschädigungen und Brandstiftungen zum Nachteil von Personen” zu begehen, “die von dieser Gruppierung als rechts eingestuft werden.”

Die Ermittlungsergebnisse stützen diese Behauptungen nicht. Denn unverhofft wurden in den vergangenen Tagen mehrere Personen über die Einstellung gegen sie gerichteter Ermittlungen informiert – und dass sie überhaupt Beschuldigte waren. Eine Anklage wird in dem Verfahren, dessen Existenz zeitweise geheimgehalten wurde, nicht erhoben.

Überwachung im großen Stil

Zahlreiche weitere Personen wurden darüber hinaus informiert, dass im Zuge des Ermittlungsverfahrens ihr Kommunikationsverkehr teils wiederholt aufgezeichnet, gespeichert und ausgewertet wurde. Grundlage dafür waren eine Reihe von Telekommunikationsüberwachungen, die sich gegen vormalige Beschuldigte richteten. Dabei fielen, so viel ist klar, in erheblichem Umfang auch Daten außenstehender Personen an.

Zwischenzeitlich hatte sich bereits herausgestellt, dass eine im März 2014 aufgeflogene geheime Kameraanlage in der Connewitzer Simildenstraße mit dem Ermittlungsverfahren im Zusammenhang stand. Die Kamera wurde seinerzeit entwendet, bevor sie in Betrieb genommen werden konnte. In den zeitlichen Zusammenhang einordnen lassen sich auch Schilderungen über offenbar aufgeflogene Observationen.

Über Jahre hinweg ausgespäht

Die ErmittlerInnen waren eher glücklos, aber leer ausgegangen sind sie mutmaßlich nicht. Denn der Strafrechts-Paragraf 129 (“Bildung krimineller Vereinigungen”) ermöglicht sogenannte Strukturermittlungen, um politische und soziale Zusammenhänge auch mittels verdeckter Methoden systematisch auszuforschen.

Genau so war es bei den vor gut zwei Jahren beendeten Ermittlungen gegen insgesamt 25 Beschuldigte, die mit Schwerpunkt im Raum Dresden eine angebliche “Antifa-Sportgruppe” gebildet haben sollen. Deren Existenz war zwar auch nicht zu beweisen. Dennoch wurden die Beschuldigten über Jahre hinweg mit mehr als 70 Einzelmaßnahmen – darunter abgehörte Telefone, Observationen und Hausdurchsuchungen – überzogen. Daraus gewonnene Erkenntnisse machten das Phantom nicht realer, flossen aber in andere Ermittlungsverfahren ein.

Das ist auch im jetzigen Fall nicht auszuschließen. Da aber Umfang, Inhalte und Methoden des nun versandeten Leipziger Verfahrens noch nicht zu überblicken sind, verbieten sich weitere Spekulationen.

Gemeint sind immer noch: wir alle

Wer in den vergangenen Tagen über Maßnahmen im besagten Ermittlungsverfahren informiert wurde oder künftig derartige Post erhält, wird gebeten, sich unbedingt und unverzüglich beim Ermittlungsausschuss zu melden. (Kontaktmöglichkeiten)

Das Ermittlungsverfahren, dem einige Personen über lange Zeit direkt ausgesetzt waren, zielte nicht auf Einzelne, sondern auf die linke und antifaschistische Bewegung. Die Ermittlungen waren politisch motiviert, sie galten euren und unseren FreundInnen und GenossInnen, den Aktiven in vielen Projekten. Gemeint sind wir alle, und daher ist Repression keine Privatsache.

Leider wurden in der Vergangenheit wiederholt Repressionsmaßnahmen verschiedener Art weder durch Betroffene öffentlich, noch überhaupt dem EA oder der Roten Hilfe bekannt gemacht. Das widerspricht dem Prinzip solidarischer Politik und schadet der kollektiven Auseinandersetzung mit staatlichen Zwangsapparaten. Die aktuelle Situation ist dagegen einmal mehr ein Anlass, eigene Verhaltensweisen zu überdenken, sei es am Telefon, im Internet, in der Bezugsgruppe oder vor dem Späti.


Text zugesandt von: anonym