Am Landgericht Dresden wird zur Zeit gegen zwei Mitglieder der “Freien Kameradschaft Dresden”, Florian Neumann und Robert Stanelle, verhandelt. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Körperverletzungen, besonders schweren Landfriedensbruch und Sachbeschädigung zur Last. Florian Neumann wird u.a. vorgeworfen, sich am Angriff von rund 300 Neonazis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt zu haben. Damit ist Neumann der erste der 215 vor Ort festgesetzten Teilnehmer, der sich vor Gericht für den Überfall verantworten muss.
Unklar war bislang, wer den Angriff, der aufgrund des schnellen Eintreffens der Polizei lediglich drei Verletzte, einen Wohnungsbrand und rund 120.000 € Sachschaden hinterließ, initiiert hat. Eine Spur führt nun zu einem Leipziger Neonazi: Kai Mose habe Dresdner Neonazis und Hooligans zu dem gewalttätigen Aufmarsch eingeladen, sagte der Angeklagte Florian Neumann laut Presseberichten aus. Vorab habe man sich an einem Parkplatz nahe einer Autobahnabfahrt kurz vor Leipzig getroffen. Den rund 300 Angreifern sei es von vornherein um eine Eskalation gegangen.
Die Staatsanwaltschaft führt Kai Mose offenbar als neuen Tatverdächtigen. Am Tag des Angriffs sei er laut der Aussage des Angeklagten jedoch nicht vor Ort gewesen sein. Am Vortreffpunkt habe stattdessen ein “recht großer Unbekannter” Zettel mit Instruktionen verteilt. Dabei könnte es sich um den über zwei Meter großen Thomas Kuhbach gehandelt haben, der sich auch unter den 215 Festgenommenen befindet. Kuhbach ist ein langjähriger Bekannter von Kai Mose und steht zur Zeit wegen eines Angriffs auf den sächsischen Justizministers vor Gericht.
Der am 8. November 1988 geborene Kai Mose kann auf eine mindestens zehnjährige Nazikarriere zurückblicken, die zahlreiche Straftatbestände und fast alle Naziorganisationen vor Ort umfasst.
Freies Netz: Im Jahr 2007 nahm Mose Seite an Seite mit Neonazis wie Tommy Naumann, Paul Rzehaczek und zahlreichen anderen Mitgliedern des “Freien Netz” an Naziaufmärschen teil. “Nationaler Sozialismus, jetzt!” lautete eine ihrer Forderungen.
Brutaler Schläger: Am 14. März 2008 gehörte Kai Mose zu einer Gruppe Neonazis, die Personen im Leipziger Johannapark zusammenschlug. Am 11. April 2008 griffen Mose und rund zehn weitere Neoanzis das Kulturzentrum “Anker” an, in dem gerade ein antifaschistisches Konzert stattfand, und verletzten zwei anreisende Musiker. Am 30. April 2008 gehörte Mose zu den rund 20 rechten Hooligans, die in Leipzig-Mockau einen Nachtbus überfielen, in dem sie Linke vermuteten, und dabei eine Person schwer verletzten. Als Mose dafür im März 2009 zu vier Jahren Haft verurteilt wurde (GAMMA berichtete), war er bereits wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch vorbestraft. In einem Berufungsverfahren wurde die Haftstrafe später verringert.
Rechter Brandstifter: Im gleichen Frühjahr, am 20. April 2008, versuchte Kai Mose zusammen mit Thomas Kuhbach, Ivo Robert Mäuslein und Enrico Wobst ein mehrstöckiges Wohnhaus im Stadtteil Connewitz in Brand zu setzen, in dem sich das Vereinslokal “Fischladen” des Sportvereins Roter Stern Leipzig befindet. Die Leipziger Justiz verhinderte eine Bestrafung der Täter.
Neonazistisches Hooliganumfeld: Alle anderen Haupttäter aus dem Nachtbus-Prozess sind oder waren im rechten Fußballmilieu aktiv: Dirk Schkölziger und Sebastian Sendel damals bei den “Leutzscher Kameraden”, Markus Wardeck, Karsten Boden und Chris Burchardt bei den “Blue Caps Le”, Thomas Kuhbach und Ivo Robert Mäuslein bei “Scenario Lok”. Die zwei letztgenannten schlossen sich später zur “Fanszene Lokomotive” zusammen. Den Fangruppen “Scenario Lok” und “Fanszene Lokomotive” sind auch mindestens zwei Dutzend Angreifer des 11. Januar 2016 zuzuordnen. Die Nachtbus-Täter sind nicht nur Komplizen, sondern auch “Kameraden” – und Mose mittendrin.
Pseudo-Aussteiger: Anfang 2012 behauptete Kai Mose, aus der Naziszene aussteigen zu wollen. Ergebnislos, wie ein Artikel auf inventati.org/leipzig im März 2014 schilderte: “Kurzzeitig liebäugelte er gar mit einem Ausstieg aus der Naziszene. Jedoch fand auch Mose, wie schon sein Kamerad Enrico Böhm, durch gutes Zureden Alexander Kurths wieder in die Reihen des ‚Nationalen Widerstands‘ zurück.”
Heimat-Treues-Leipzig: Zwischen 2010 und 2014 nahm die Kameradschaft “Heimat-Treues-Leipzig” an mehreren Naziaufmärschen bundesweit teil. Ihre Flugblätter richteten sich unter anderem gegen “die völkerrechtswidrigen Kriege der usraelischen Verbrecher”, die “Deutschland schon 2-mal in einen Krieg gezwungen” hätten. Auf einem ihrer Transparente forderten die selbsternannten “Nationalen Sozialisten” eine “Volksgemeinschaft”. Bei mindestens zwei Naziaufmärschen – am 13. Februar 2012 in Dresden und am 7. Dezember 2013 in Leipzig-Schönefeld – trug Mose ein Transparent von “Heimat-Treues-Leipzig” mit.
Rechte Fake-Bürgerinitiativen: Der NPD-Aufmarsch in Leipzig-Schönefeld am 7. Dezember 2013 war Bestandteil einer rassistischen Kampagne gegen eine Flüchtlingsunterkunft, die von der NPD mitgetragen wurde. An mehreren dieser Versammlungen nahm Kai Mose teil. Im selben Winter hetzte die NPD-dominierte “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” gegen einen Moscheebau. Zu den Nazis, die am 16. April 2014 im Namen der vermeintlichen Bürgerinitiative eine Petition übergeben wollten, gehörte auch Kai Mose.
NPD und JN: Zur Leipziger Kommunalwahl am 25. Mai 2014 trat Kai Mose für die NPD an. Im Wahlkampf wirkte er an mehreren Infoständen mit, für ein Stadtratsmandat reichte es jedoch nicht. Schon im August 2012, am Rande einer NPD-Kundgebung, hatte Mose ein Gespräch mit dem späteren kommissarischen Leipziger NPD-Vorsitzenden Steffen Lorenz geführt. Kai Mose war oder ist Mitglied der NPD-Nachwuchsorganisation “Junge Nationaldemokraten” und nahm u.a. an einer “JN”-Infotour nach Berlin am 13. September 2014 teil.
Kampfsport und Sicherheitsgewerbe: Wie die NPD anlässlich der Kommunalwahlen 2014 angab, arbeitet der kampfsporterprobte Kai Mose als Selbstständiger im Sicherheitsgewerbe. Im Jahr 2011 hatte er seine Dienste unter dem Namen “Scorpion Dienstleistungen” angeboten, später als “Black Wing Dienstleistungen”. Dort spannte er auch Freunde ein, etwa den Neonazi Marcel Wittig, der ebenso wie Mose bei “Heimat-Treues-Leipzig” aktiv war. Später arbeitete Kai Mose in Dresden.
Legida-Teilnehmer: Kai Mose nahm in der ersten Jahreshälfte 2015 an mehreren Aufmärschen der rassistischen “Legida” teil. Zusammen mit Marcel Biebrich, Robert Goldberg, Alexander Kurth (“Die Rechte Sachsen”), David Lampe und den späteren Connewitz-Angreifern Andre Biebrich und Sebastian Labahn bildete er eine Reisegruppe.
Zur gleichen Zeit verübten Neonazis im Leipziger Stadtteil Lindenau Drohungen und Angriffe auf vermeintlich linksalternative Personen und Einrichtungen. So versammelten sich in der Nacht nach dem Legida-Aufmarsch am 16. Februar 2015 acht vermummte und mit Latten bewaffnete Neonazis auf der Lützner Straße. Zwei Wochen später, nach dem Legida-Aufmarsch am 2. März 2015, verklebten Unbekannte in der Gießerstraße Aufkleber der Nazipartei “Die Rechte”. Im gleichen Frühjahr versuchten mit Baseballschlägern bewaffnete Neonazis Passanten auf der Karl-Heine-Straße anzugreifen.
Am 10. Mai 2015 schließlich bedrohten mehrere Neonazis ein Filmteam bei Dreharbeiten in Lindenau. Den beteiligten Pakettransporter fuhr Kai Moses Bekannter Eric Deetz. Als Initiator des Vorfalls konnte Robert Goldberg identifiziert werden, der damals in Leipzig-Lindenau wohnte – und zu Moses Legida-Reisegruppe gehörte. Der u.a. wegen Böllerwürfen auf Gegendemonstranten und einem Hitlergruß vorbestrafte und jahrelang drogenabhängige Goldberg gab im Jahr 2016 an, aus der Naziszene ausgestiegen zu sein.
Ob auch die vorherigen Angriffe von Deetz und Goldberg begangen wurden und diese möglicherweise von Kai Mose angeleitet wurden, kann derzeit nicht belegt werden. Angesichts des zeitlichen Zusammenhangs und den Parallelen zu Moses späterer Kaderfunktion in Dresden erscheint der Verdacht zumindest plausibel.
Anti-Antifa-Fotograf: Auf Naziaufmärschen trägt Kai Mose oft eine Kamera, mit der er die eigene Versammlung, aber auch Gegendemonstranten fotografiert. Einige seiner Fotos wurden auf der Facebook-Seite “AG Saxonia” veröffentlicht, andere – insbesondere von Gegendemonstranten – auf der von Enrico Böhm und Annemarie Kunze betriebenen NPD-Leipzig-Nachfolgewebseite “Wir für Leipzig”. Weitere Bilder publiziert Mose unter dem Pseudonym “PMK Photographie”, das sich vermutlich eher auf die offizielle Abkürzung für “politisch motivierte Kriminalität” bezieht als auf Moses Initialen.
AG Saxonia: Der überwiegend im Internet präsenten Nazigruppe “AG Saxonia” gehört Mose anscheinend auch selbst an, ebenso der seit Jahren mit ihm bekannte Andre Biebrich. Der inhaltliche Schwerpunkt der Gruppe, um die es seit Ende 2016 ruhig geworden ist, liegt – passend zu Moses Aktionsfeld – in Dresden.
Kurz nach der Serie von Naziangriffen in Leipzig-Lindenau begann die Angriffsserie der “Freien Kameradschaft Dresden”, deren Mitgliedern zahlreiche Gewalttaten zur Last gelegt werden. Kai Mose stand mit der mutmaßlich kriminellen Vereinigung in regem Kontakt.
Dieser Kontakt deckt sich mit der Beteiligung bislang unbekannter Leipziger Neonazis an Angriffen in Dresden. Als “FKD”-Mitglieder am 23. August 2015 das als Asylbewerberunterkunft genutzte Hotel “Lindenhof” in der Podemusstraße angriffen, wurden sie von eigens angereisten Nazis aus Leipzig und Halle unterstützt. Auch die Neonazis, die am 21. Dezember 2015 – parallel zu einem “Pegida”-Aufmarsch – organisierte Angriffe auf politisch unliebsame Personen in der Dresdner Neustadt verübten, reisten in einem Autokonvoi an, zu dem auch Autos mit Leipziger Kennzeichen gehörten. Eine ähnliche Taktik hatten Neonazis schon am 26. September 2015 in Connewitz erprobt. Ebenfalls während eines anderen Naziaufmarschs und erneut im Konvoi angereist, beließen sie es aber beim Werfen einer Rauchbombe.
Viele Indizien deuten auf eine tiefe Verstrickung von Kai Mose in den Naziangriff auf Connewitz und die Gewalttaten der “Freien Kameradschaft Dresden” hin. Zwischen den Naziangriffen in Leipzig-Lindenau und auf das Dresdner Hotel “Lindenhof”, der Rauchbombe in Connewitz und den Überfällen auf die Dresdner Neustadt und Leipzig-Connewitz zeichnet sich die Weiterentwicklung einer Strategie ab, zu deren geistigen Vätern Kai Mose gehören könnte. Ob die Spuren in die richtige Richtung weisen, müssen nun Gerichte klären. Dass sie das in absehbarer Zeit tun, ist nicht zu erwarten.
Text zugesandt von: anonym