Ein bundesweites Bündnis mobilisiert für den 2. September 2017 zu einer antifaschistischen Demonstration nach Wurzen. Im Gegensatz zum letzten Mal im Jahre 2009 mobilisieren dieses Mal sogar lokale Politikerinnen öffentlich für die kommende Veranstaltung. Auch die Opferberatung RAA reagiert auf die mediale Kampagne der Leipziger Volkszeitung und der Stadt Wurzen gegen die kommende Demonstration mit klaren Aussagen:
- “Ich weiß nicht, welche Klientel Anfang September kommen wird. Aber ich weiß, dass die Gewalt bereits in Wurzen ist. Und sie geht von den Einheimischen aus.”
Es folgt ein Bericht von Antifaschist*innen, die 2009 in Wurzen dabei waren:
Wir beteiligten uns als Bezugsgruppe an der Demonstration “Rassistenzone Sorglosland – Es gibt kein ruhiges Hinterland” des Antifaschistisches Netzwerk Leipziger Land (ANeLL) am 22. März 2009 in Wurzen. Ein Jahr vorher, 2008, sahen sich Antifaschist*innen aus der Region mit einer größeren Gruppe Neonazis konfrontriert, die mehrmals versuchte, den vierten “Antirassistischen Sonntagsspaziergang” anzugreifen. Auch jener Antifa-Aufruf ist noch im Netz zu finden.
Viele Antifaschist*innen reisten 2009 nach Wurzen, um einer erneuten Bedrohung und möglichen Angriffen von Neonazis konsequent zu begegnen, und so auch wir.
Bereits am Leipziger Hauptbahnhof war die Bundespolizei der Meinung, die Demonstration in Wurzen beginne schon im Leipziger Bahnhof, und wollte alle Menschen, die den Zug betraten, kontrollieren. Diese erste Schikane ließen die meisten Antifaschist*innen nicht zu, suchten sich ihren eigenen Weg in den Zug und ließen die Bundespolizist*innen stehen. In Wurzen sammelten sich, unbehelligt von der Polizei, bereits die ersten Neonazis in der Parkanlage gegenüber des Bahnhofs. Nachdem sich eine größere Gruppe von Antifaschist*innen die Neonazis näher anschauen wollten, gingen diese schnell auf Abstand. Dann schritt die Polizei erstmals ein und schickte die Antifaschist*innen zum Startpunkt ihrer Demonstration zurück.
Nach mehreren Redebeiträgen machte sich die antifaschistische Demonstration auf den Weg. Die örtliche Neonaziszene hatte offensichtlich extra zu diesem Anlass viele neonazistische Aufkleber in der Stadt verklebt. Dass diese konsequent abgekrazt oder überklebt wurden, passte den eingesetzten Bereitschaftspolizist*innen aber gar nicht. So stellten sich nach mehreren hundert Metern mehrmals Gruppen von Polizist*innen um Laternen und Verkehrsschilder herum, um die Aufkleber der Neonazis vor den Antifaschist*innen zu schützen. Es half nichts, an jenem Tag war der Konsens, neonazistischen Provokationen konsequenten Antifaschismus entgegenzusetzen, stärker. Auch Nazi-Aufkleber unter Polizeischutz waren fällig.
Im späteren Verlauf der Demonstration versuchten die ersten Reihen auf der ursprünglich angemeldeten Route am Naziobjekt von “Front Records” entlang zu laufen, was die Versammlungsbehörde zuvor untersagt hatte. Die Polizei hatte große Mühe, dies zu unterbinden. Währenddessen lief ein Teil auf der genehmigten Route weiter. Hier versuchten Neonazis, die sich am Gelände von Thomas Persdorf aufhielten, die Antifaschist*innen anzugreifen, scheiterten jedoch an deren Selbstschutz. Die Polizei griff später ebenfalls ein.
Die Demonstration zog dann geschlossen auf der genehmigten Route weiter. Bei der nächsten Zwischenkundgebung ließ sich wieder eine größere Gruppe Neonazis an der Ecke blicken. Hier machte sich dann die komplette Demo auf dem Weg in Richtung der Nazis. Dies führte dazu, dass der Lautsprecher mit ein paar wenigen Antifaschist*innen die Zwischenkundgebung durchführte, während sich der Großteil der Antifaschist*innen um die Neonazis kümmerte. Nachdem die Polizei die Neonazis gekesselt hatte, kamen die Antifaschist*innen zur Kundgebung zurück.
Die Demonstration verlief danach nahezu störungsfrei, auch wenn die Polizei der Meinung war, einigen Antifaschist*innen die weitere Teilnahme untersagen zu wollen, da sie ihr “Demonstrationsrecht für diesen Tag verwirkt” hätten.
Zum Ende weigerte sich die Bundespolizei, die Antifaschist*innen zum Bahnhof zu lassen. Auch der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei sah sich nicht imstande, auf seine Kolleg*innen einzuwirken. Dieses “Missverständnis” konnte allerdings vom Lautsprecherwagen der Antifa-Demo behoben werden.
Die Züge nach Leipzig und Dresden sollten eigentlich fast zeitgleich in Wurzen abfahren. Die Bahn nach Dresden hatte jedoch Verspätung, was den Polizisten die Gelegenheit gab, Antifaschist*innen aus dem Raum Dresden einer Polizeikontrolle zu unterziehen. Ein solidarischer Umgang mit der Repression war leider nicht mehr möglich, da der Zug nach Leipzig schon abegefahren war. Dieses Jahr scheint diese Schikane nicht möglich – nach unseren Kenntnisstand ist bis jetzt nur eine organisierte Anreise aus Hamburg, Berlin und Leipzig geplant.
Uns als Bezugsgruppe ist die Demonstration in Wurzen 2009 bis heute im Gedächnis geblieben. Sie hat die Bezeichnung “entschlossen und solidarisch”, die viele Jahre in fast jeder Auswertung nach einer Demonstration auftauchten, wirklich verdient. Selten waren wir auf Antifa-Demos, bei denen so konsequent gegen Neonaziprovokationen, Bedrohungen und Angriffe vorgegangen wurde. Auch die Schikanen der Polizei wurden nicht wie so oft einfach hingenommen, die Betroffenen nicht alleine gelassen.
Wir werden im September wieder dabei sein und wünschen uns erneut so einen solidarischen und konsequenten Umgang.
Text zugesandt von: anonym