Was vereint Orte wie Schneeberg, Kamenz, Großenhain, Radebeul, Plauen und Chemnitz mit Dresden und Leipzig? Sie liegen nicht nur alle in Sachsen, sondern planen auch Flüchtlingsunterkünfte einzurichten. Und dagegen gibt es Protest.
Schneeberg am 16. November 2013: Zum dritten Mal innerhalb von vier Wochen marschieren etwa 1.000 GegnerInnen einer Flüchtlingsunterkunft durch die Straßen der erzgebirgischen Stadt, angemeldet und angeführt vom örtlichen NPD-Stadtrat, Stefan Hartung. TeilnehmerInnen des Aufmarschs attackieren sogar JournalistInnen und schlagen zwei von ihnen brutal zusammen.
Ähnliche Szenen spielten sich zuvor am 29. August 2013 in der nordsächsischen 5.000-EinwohnerInnen-Gemeinde Rackwitz ab. Eine Gemeinderatssitzung musste aufgrund des starken Andrangs in eine Sporthalle verlegt werden, wo etwa zweihundert aufgebrachte BürgerInnen, darunter nur vereinzelt organisierte Neonazis, klären wollten, weshalb »der Bürgermeister […] die Einwohner der Gemeinde nicht darüber informiert, dass in Rackwitz ein Asylbewerberheim eröffnet werden soll«. »120 Asylbewerber, 200 m von unserer Grundschule entfernt« (sic!), empörte sich ein anonymer Aufruf Tage zuvor. Die »Bürgerinitiative Rackwitz 2.0« übergab 1.200 Unterschriften gegen die Unterkunft an den Landrat.
Eine antifaschistische Intervention in Rackwitz folgte zwei Wochen später. Eine zeitgleich geplante NPD-Kundgebung wurde abgesagt – vermutlich hatte die NPD erkannt, dass ihre Ziele bereits von der örtlichen BürgerInneninitiative bestens vertreten werden.
Etwa 150 Menschen versammelten sich am 12. Oktober 2013 unter der Ägide der »Bürgerinitiative Ebersdorf«, um die Schließung des Asylbewerberheims im gleichnamigen Chemnitzer Stadtteil zu fordern. Eine Demonstration, unterstützt vom »Pro Chemnitz«-Stadtrat Martin Kohlmann, mobilisierte am 16. November gar 200 Menschen, darunter viele AnwohnerInnen. Einen Monat später wurde bekannt, dass zwei Raubüberfälle im Umfeld des Heims von Jugendlichen erfunden worden waren. Eine der vorgetäuschten Taten hatte die »Bürgerinitiative« bereits Flüchtlingen angelastet.
Was 2013 einen traurigen Höhepunkt erreichte, bahnte sich bereits Jahre zuvor an. Anfang 2011 hetzte im ostsächsischen Kamenz eine von NPD-Funktionären verantwortete »Bürgerinitiative direkte Demokratie« gegen den geplanten Umbau einer Polizeischule in eine Flüchtlingsunterkunft. Vom 30. Oktober bis 3. November 2012 organisierte die sächsische NPD eine »Aktionswoche«. Unter anderem vor bestehenden und geplanten Flüchtlingsheimen in Chemnitz-Ebersdorf, Plauen, Dresden-Johannstadt, Leipzig-Wahren, Kamenz und Radebeul protestierten ihre AnhängerInnen »gegen Asylmissbrauch und Überfremdung«.
Am 14. November 2012 folgten in Großenhain (Landkreis Meißen) Hunderte Menschen einem anonymen Aufruf gegen die geplante Unterbringung von 50 Asylsuchenden im Hotel »Stadt Dresden«. Einige Teilnehmende zogen anschließend unangemeldet mit Fackeln und einem Transparent »Kein Platz für Sozialschmarotzer« durch die Stadt.
Dass die NPD mit Asylpolitik Wahlkampf macht, ist nicht neu. Dass rassistische »Asylproteste« mancherorts den Zuspruch vieler Hundert AnwohnerInnen erhalten, lässt Erinnerungen an die 1990er Jahre wach werden.
Es gibt aber auch andere Beispiele, die zeigen, dass sich BürgerInnen den rassistischen Parolen der Neonazis nicht anschließen, sondern sich diesen sogar entgegenstellen.
Im Leipziger Ortsteil Schönefeld versammelte die NPD am 18. November 2013 ungefähr 150, teils mit Fackeln ausgestattete, Neonazis und AnwohnerInnen, um gegen eine geplante Flüchtlingsunterkunft in einer ehemaligen Schule zu hetzen. Eine Woche später kam es auf einer städtischen Informationsveranstaltung zu massiven rassistischen Ausfällen seitens anwesender Neonazis und einer selbsternannten »Elterninitiative«. Am 7. Dezember schließlich marschierte die NPD durch Schönefeld. Der Weg zur Flüchtlingsunterkunft wurde den etwa 80 Neonazis von mehreren Hundert GegendemonstrantInnen versperrt.
Unter dem Motto »Nein zu Asylmissbrauch – Mut zur Demokratie« hatte der Neonazi Karsten Promnitz am 14. November 2013 in Rötha einen Aufzug für die BürgerInneninitiative »Rötha wehrt sich« angemeldet. Neben Promnitz traten der sächsische NPD-Landesvize Maik Scheffler und die JN-Funktionäre Manuel Tripp und Alexander Kurth als Redner auf. Der Zuspruch von EinwohnerInnen der 20 Kilometer südlich von Leipzig gelegenen Stadt war gering, sodass der 100-Personen-starke Aufmarsch einer gewöhnlichen Neonazi-Demonstration ähnelte. Das Mitführen der angemeldeten Fackeln wurde den AsylgegnerInnen untersagt, ihr Marsch direkt vor die Flüchtlingsunterkunft wurde von einem Kirchenchor und einer gut besuchten antifaschistischen Demonstration verhindert.
Facebook-»Bürgerinitiativen« gegen bestehende oder geplante Flüchtlingsunterkünfte sprießen dennoch weiterhin wie Pilze aus dem ostdeutschen Boden. Die Lieblingsparole der RassistInnen ist »Wir sind das Volk«. Sie beziehen sich damit auf die »friedliche Revolution«, auf Meinungsfreiheit und direkte Demokratie und sehen sich als VertreterInnen der Mehrheit. Gewöhnlich sind sie schlecht informiert und kennen weder das Grundrecht auf Asyl noch die Gründe für steigende Flüchtlingszahlen. Nicht immer münden ihre Online-Aktivitäten in konkrete Aktionen, doch wenn die NPD auf den Zug aufspringt, sind Schneeberger Zustände nicht weit.
Den Artikel haben wir mit freundlicher Genehmigung der Redaktion aus der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift Der Rechte Rand (Nr. 146, Januar/Februar 2014, S. 16) übernommen. Ein Abo lohnt sich!
Das Heft ist außerdem in Info- und linken Buchläden erhältlich, zum Beispiel im “el libro”. Mehr lohnenswerte Lektüre gibts im Roten Kiosk.
Anmerkung: Wir haben uns erlaubt, Namen auszuschreiben.