Das Ende einer Besetzung

Am 15. Januar 2019 wurde das “Black Triangle” im Leipziger Süden geräumt. Seit Juni 2016 war es besetzt. Zu den dortigen Konflikten wurde in diesem Demonstrationsaufruf einiges geschrieben, dies soll hier nicht vertieft werden. Auch eine Reaktion auf den Aufruf, die es mit der Wahrheit nicht so genau nimmt, sei hier nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Vielmehr möchte dieser Text in Erinnerung rufen, in welcher Zeit das “Black Triangle” entstanden ist.

Ende 2015 versuchte eine Initiative ein neues “soziales Zentrum” in Leipzig zu erstreiten – und scheiterte. Die Diskussion darüber wurde durchaus heftig geführt. Ein oft zu hörendes Argument war, dass Besetzungen heute nicht mehr möglich seien bzw. eine linke Szene für eine solche Auseinandersetzung nicht mehr stark genug sei. Auch auf das Bestehen der “Leipziger Linie” wurde verwiesen.

Während also ein Teil der Leipziger Szene sicher war, dass Besetzungen nicht mehr möglich seien, taten andere es einfach – und hielten damit mehr als zwei Jahre durch. Vielleicht wird – neben persönlichen Veranstaltungs- und Partyerinnerungen – langfristig einzig dies vom “Black Triangle” im Gedächtnis bleiben: Besetzungen sind möglich, auch in unserer Zeit. Besetzungen als politische Praxis sind somit kein Relikt der Vergangenheit.

Dieser Punkt allein wäre für eine entsprechende Reaktion auf die Räumung schon ausreichend gewesen. Sorgenfalten bereiten würde eine Wiederkehr der “Hausbesetzerinnenszene” in Leipzig sicherlich einem Repressionapparat, der lokalen Politik, der Stadtverwaltung und der Immobilienbranche. So verwundert es nicht, dass die Polizei sich nach der Räumung auf “Chaos” einstellte und in Bezug auf die Demonstration am Tag danach wie üblich von einer “Deeskalationsstrategie” ihrerseits log.

Tag X + 1

Recht früh wurde zu einer Demonstration in Connewitz für den Tag nach der Räumung aufgerufen. Einen ähnlichen Aufruf gab es in Leipzig schon einmal, zur Räumung des besetzten Hauses in Erfurt. Die Anzahl der damals eingekesselten Personen kommt denen von Januar 2019 auch recht nahe. Wurden bei der Tag-X+1-Demo im Jahr 2009 noch Fehler bei der Wahl des Startpunktes (Stockartstraße) gemacht, so fehlte es in diesem Jahr an fast allem, was sicherlich auch mit den Konflikten um das Squat zu tun hatte. Von einer “Endsolidarisierung der ‘Szene’ in Leipzig”, wie es einige Menschen in Rostock formulieren, kann aber bei mehr als 800 Menschen, die sich am 16. Januar 2019 zur Demo einfanden, keine Rede sein.

Seid ihr noch zu retten…

Früh wurde die Eskalationsstrategie der Polizei für diese Demonstration erkennbar. Wie schon seit Wochen kreisten auch an jenem Abend Polizeihubschrauber mehrere Stunden lang über den Leipziger Süden. Diese angebliche “Deeskalationsstrategie” der Polizei ist auch jährlich zu Silvester zu erleben. Zum vergangenen Jahreswechsel wurde sie gar überboten – mit zwei Hubschraubern, die zur Mittagszeit im Tiefflug über Connewitz kreisten, und einem Stadtteil, der mit mehreren Hundertschaften besetzt wurde.

Für die Demonstration für das geräumte “Black Triangle” wurde sogar ein Lichtmast aufgebaut, um den Park am Wiedebachplatz auszuleuchten. Ebenfalls ließ die Polizei immer wieder eine Kolonne Polizeifahrzeuge um den Platz kreisen – offenbar in der Hoffnung auf Vorfälle, die eine Auflösung der Versammlung begründen könnten. Mehrmals forderte die Polizei, dass sich eine verantwortliche Person bei ihr melden solle, welches eine Weile ignoriert wurde, bis sich nach einer knappen Stunde und ohne jede Absprache ein üblicher Selbstdarsteller bei der Polizei einfand. Offensichtlich gab es kein Interesse an einer Anmeldung der Demonstration, sonst wären die permanenten Anfragen der Polizei via Lautsprecherwagen auch nicht so lange ignoriert worden – dies interessierte den örtlichen Trinker von “Die Partei” aber nicht.

Auffällig war die absolute Planlosigkeit der Masse. Viele waren da, mehr aber auch nicht. So konnte die Polizei die Demonstration von Anfang an nach ihren Vorstellungen gestalten. Die Nebenstraßen wurden so gesichert, dass mögliche Bewegungen schnell unterbunden werden konnten. Gab es zu Beginn noch Spielraum für einen möglichen schnellen Ausbruch vom Platz, so war dies nach einer Stunde nicht mehr denkbar. Dies zeigte sich, als kurz vor 19 Uhr eine Personengruppe über die Bernhard-Göring-Straße in Richtung Innenstadt zu laufen versuchte. Polizisten riegelten die Straße mit einer Reihe aus Fahrzeugen ab – ein seit Jahren beliebtes Mittel in Leipzig.

Spätestens jetzt hätte klar sein können, dass abseits der Polizeistrategie nichts mehr möglich ist. Beim Losgehen verkündete der selbstberufene Anmelder, er habe sich mit der Polizei über die Route geeinigt. Weshalb so viele hundert Menschen einem vorbereiten Plan der Polizei folgten, blieb einigen unerklärlich. So wurde die Demonstration nach dem Connewitzer Kreuz immer kleiner. Es gab nur zwei Transparente und keine Ketten. Einen Schutz vor BFE-Greiftrupps, die oft wegen möglicher Pyrotechnik oder Vermummung in Demonstrationen eindringen, bestand nicht. Dabei hätte wenigstens dies als Form des Selbstschutzes vor Übergriffen durch die Polizei berücksichtigt werden müssen.

An der Kreuzung Karl-Liebknecht-Straße/Kurt-Eisner-Straße durchquerte ein BFE-Zug dann einfach die Demonstration – und bekam die gewünschte Reaktion: Gegenstände flogen. Hiermit schloss die Polizei ihre letzten Vorbereitungen ab, hatte sie doch nun genügend “Straftatbestände” für ihren bereits geplanten Kessel gesammelt. Der Rest war nur noch Formsache. Der “Anmelder” führte die Demonstration geradewegs in den aufgebauten Kessel vor dem zentralen Polizeirevier der Stadt. Jegliche Form der Solidaritätsbekundung für die gekesselten Menschen wurde durch Platzverweise unterbunden. 182 Menschen wurden erkennungsdienstlich behandelt und dürfen mit Anzeigen rechnen. So hilf- und planlos hat sich die Szene in Leipzig schon lange nicht mehr gezeigt. Dies ist nicht ausschließlich mit internen Konflikten um das Black Triangle zu erklären. Vielmehr mangelte es an Organisierung und an Ideen, was eigentlich passieren soll und wie auf den Repressionsapparat reagiert werden will.

Was nun?

Leipzig hat einen Freiraum verloren, einen noch immer nicht aufgearbeiteten Konflikt behalten, und viele Menschen kaum eine Vorstellung davon, was sie auf einer Solidaritätsdemonstration eigentlich machen möchten außer einfach nur anwesend zu sein. Von einer Auseinandersetzung mit der Strategie der Leipziger Polizei, eine Szene mit Anzeigen aufzureiben und um jeden Preis die Kontrolle zu behalten, ganz zu schweigen. Es gäbe viel zu besprechen, wenn nicht alles so weiter laufen soll.

Eine Sammlung von Artikeln in diesem Jahr zum “Black Triangle”:


Text zugesandt von: anonym

Nach rassistisch motivierter Brandstiftung in Döbeln: Opfer rechter Gewalt anerkennen!

Haus in der Albert-Schweitzer-Straße in Döbeln im Jahr 2018

Am 22. April 2017 starb Ruth K. (ihr voller Name ist uns bekannt) aus dem mittelsächsischen Döbeln an den Folgen einer Rauchgasvergiftung, die sie am 1. März 2017 erlitten hatte. An jenem Tag war in dem Mehrfamilienhaus in der Albert-Schweitzer-Straße, in dem die 85-Jährige wohnte, zum dritten Mal innerhalb eines Jahres Feuer gelegt worden. Einsatzkräfte der Feuerwehr fanden Frau K. bewusstlos im Treppenhaus. Ohne schnelle Hilfe wäre sie sofort gestorben, doch auch im Krankenhaus konnte ihr Leben nicht mehr gerettet werden.

Die folgende Chronologie wurde anhand von Presseberichten und eigenen Recherchen zusammengestellt.

Als mutmaßliche Brandstifterin wurde im Mai 2017 die Hausbewohnerin Gisela Berger festgenommen. Sie soll die Brände am 8. März 2016, 15. Oktober 2016 und 1. März 2017 gelegt haben, um den kurz zuvor eingezogenen Hausbewohner Mehdi G. zu diskreditieren. G. kommt aus dem Iran, wo er sich in der Studentenbewegung für Reformen engagiert hatte. Nachdem er ins Visier des iranischen Geheimdienstes geraten war, flüchtete er im Jahr 1997 nach Deutschland. Hier wurde sein Asylantrag abgelehnt, bis Anfang 2016 musste er in einer als Flüchtlingsunterkunft genutzten ehemaligen Kaserne wohnen.

Gisela Berger im Oktober 2016 in der Sächsischen Zeitung

Gisela Berger äußerte sich nach dem Einzug von G. mehrfach rassistisch. Sie beschwerte sich etwa über die Hausverwaltung, weil diese “Kanakendreck” ins Haus einziehen ließe. Nach dem zweiten Feuer im Oktober 2016 sagte Gisela Berger gegenüber der Polizei aus, den mutmaßlichen Brandstifter gesehen zu haben. Er sei dunkelhäutig und habe sie geschlagen, sie habe ihm ein in gebrochenem Deutsch verfasstes Bekennerschreiben entrissen. Mehrere Anzeigen wegen weiterer angeblicher Überfälle folgten, außerdem Fernsehinterviews.

Ein psychiatrischer Gutachter erkannte bei der Angeklagten Alkoholmissbrauch und eine histrionische Persönlichkeitsstörung, was ihre Schuldfähigkeit jedoch nicht einschränke. Diese durch Dramatisierung, Egozentrik und dauerndes Verlangen nach Aufmerksamkeit gekennzeichnete Persönlichkeitsstörung steht aus unserer Sicht im Einklang mit Gisela Bergers Verhalten nach den Brandstiftungen, kann ihre rassistischen Taten aber weder erklären noch entschuldigen.

Das Landgericht Chemnitz verurteilte Gisela Berger am 22. März 2018 wegen versuchter schwerer Brandstiftung mit Todesfolge sowie schwerer Brandstiftung in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu neun Jahren Haft. Die Staatsanwaltschaft sprach in ihrem Plädoyer von einer “latent rassistischen Haltung” der Angeklagten. Gegen das Urteil hatte Gisela Berger Revision eingelegt, die vor wenigen Wochen vom Bundesgerichtshof in Leipzig abgelehnt wurde.

Der Fall wirft auch ein schlechtes Licht auf die deutschen Asylbehörden. Dass der Asylantrag eines oppositionellen Iraners abgelehnt wurde, dass Mehdi G. knapp 20 Jahre lang in Flüchtlingsunterkünften wohnen musste und ihm in den besten Jahren seines Lebens sowohl eine Perspektive als auch die Privatsphäre genommen wurden, ist ein Skandal.

Eventuellen Hinterbliebenen von Ruth K. möchten wir unser tief empfundenes Beileid aussprechen.

Wir fordern die Bundesregierung auf, Ruth K. in ihren Statistiken als Todesopfer rechter Gewalt anzuerkennen. Wie aus der Antwort auf eine kleine Anfrage im Bundestag hervorgeht, war dies im Juni 2018 nicht der Fall.

Wir fordern die Anerkennung von Mehdi G. als politisch verfolgter Asylberechtigter nach Artikel 16a des Grundgesetzes.

Wir möchten denjenigen Menschen in der Döbelner Stadtgesellschaft, die diese rassistsch motivierte Brandstiftung mit Todesfolge zur Sprache bringen, Mut zusprechen.

Wir wünschen uns von zivilgesellschaftlichen und antifaschistischen Strukturen einen sensiblen Umgang mit dem Spannungsfeld zwischen rechter Gewalt und psychisch kranken TäterInnen.


Eine umfassende Analyse des Falls hat ZEIT ONLINE im September 2018 veröffentlicht. Über die Brandstiftungen und den Prozess gegen Gisela Berger haben die Leipziger Volkszeitung (LVZ) und die Sächsische Zeitung berichtet. Wir verlinken eine Auswahl der Artikel:


Text zugesandt von: Antifaschistische Strukturen aus Sachsen

Antifa: “Gib mir irgendwas, das bleibt.” – Überlegungen und Reflexionen über die Notwendigkeit, Pogrome zu verhindern

Transparent auf der antifaschistischen Kundgebung am 20. Januar 2018 in Wurzen. Foto: Sören Kohlhuber (flickr)

“Pogrome verhindern, bevor sie passieren!” – So oder so ähnlich waren Aufrufe und Texte noch vor wenigen Jahren überschrieben. Demonstrationen und Interventionen richteten sich richtigerweise gegen die “aktuelle Welle von rassistischer Hetze, Gewalt und Brandanschlägen” [1]. Diese sollten bekämpft und eingegrenzt, Rassismus als Problem erkannt und benannt werden. Der Anspruch, “Gesellschaft so zu gestalten, dass alle Menschen hier ohne Angst und Ausgrenzung leben können” [2], wurde formuliert.

Dabei wurde Heidenau nur als “weiterer dramatischer Höhepunkt” [1] erkannt, neben Schneeberg, Rackwitz, Wolgast, Freital, Clausnitz, Einsiedel, Dresden, Meißen, Bautzen und vielen weiteren Orten, die in den vergangenen Jahren Schlagzeilen machten. Wurzen reiht sich spätestens seit Mitte Januar diesen Jahres in die Aufzählung ein.

Die Notwendigkeit des antifaschistischen Eingreifens war klar gegeben. Nach wiederholten Übergriffen auf Geflüchtete im Ort riefen lokale Neonazis für das Wochenende vom 19.-21. Januar 2018 zur Bildung eins Mobs auf. Unter der damaligen Informationslage musste dies als Bedrohung für alle im Ort befindlichen Geflüchteten ernstgenommen werden. Die Möglichkeit eines rassistischen Pogroms stand im Raum, gerade vor dem Hintergrund der rassistischen Mobbildung nach Pfingsten 2017 [3].

Letzter Zeitpunkt für Antifaschist*innen also, um gegenzusteuern. Was gemeinhin als “Feuerwehr-Politik” beschrieben wird und das notwendige Einschreiten von Antifaschist*innen in solchen akuten Fällen benennt, galt in Debatten über Jahre hinweg zwar als zu wenig für eine erfolgreiche Antifa-Strategie, aber doch als logisch notwendige Mindestaktion. Dieser Mindeststandard und geteilter Konsens über Streitpunkte in der antifaschistischen Linken hinweg scheint hier im Nachhinein allerdings in Frage gestellt. Wenige Menschen aus der antifaschistischen Szene Leipzigs kamen zur gemeinsamen Anreise.

Die Möglichkeit einer Intervention im Ernstfall war dadurch kaum gegeben. Es muss auf die Dringlichkeit der Situation hingewiesen werden. Wenn es um den konkreten Schutz von Menschen geht, muss unnötigen Überlegungen zu Ausrichtung, Wirkung und Rezeption einer Aktion eine Absage erteilt werden. In einer solchen Situation sollte der Konsens gelten, den Fokus darauf zu richten, was notwendig ist, um Menschen nicht zu Opfern eines rassistischen und nationalistischen Mobs werden zu lassen.

Im Nachhinein gab es keine wirkliche Auseinandersetzung zum Geschehen (zumindest ist uns keine bekannt) oder auch nur Ansprache dieses Versäumnisses von antifaschistischer Seite. Anscheinend vollzog sich in den vergangenen Jahren in mehrerlei Hinsicht ein strategisches Umdenken. Verkürzt ließe sich dies als “Masse statt Kritik” sowie “Nachhaltigkeit statt Intervention” zusammenfassen [4].

Da bisher kein Anstoß unternommen wurde, dieses Versäumnis aufzuklären oder überhaupt als solches zu erkennen, wollen wir die Debatte anstoßen, um in Zukunft mittels Zusammenarbeit innerhalb antifaschistischer Strukturen Betroffene von rechter Gewalt zu bestmöglich unterstützen.

Inhalte überwinden – Masse statt Kritik?

Dabei sind theoretische Analysen und Textdiskussionen aus Plena und Gruppen heraus eine wichtige Basis für einen linken Diskurs. Eine sichtbare und nach außen hin wahrnehmbare Intervention kann nur in den Orten selbst erfolgen. Gerade in Sachsen haben die letzten Jahre bewiesen, dass es eine breite Zivilgesellschaft, die auch unabhängig von antifaschistischen Demonstrationen oder Kundgebungen in den Städten und Dörfern aktiv gegen rassistische Mobilisierungen intervenieren würde, kaum noch gibt. Vor allem ist dabei auch keinesfalls Verlass auf Kommunalverwaltungen oder Polizei.

Ganz im Gegenteil: In vielen Fällen wurde die Polizeipräsenz vor Ort erst dann massiv erhöht, als linker Gegenprotest gegen rechte Aufmärsche zu erwarten war. Infolge rassistischer Übergriffe kommt es nicht selten durch Behörden zu Verharmlosungen oder einer Täter-Opfer-Umkehr. Andernfalls konnte der rassistische Mob in den meisten Fällen weitestgehend ungestört agieren. Dabei können sich die Täter*innen bei Angriffen auf Geflüchtete oder deren Unterkünfte auf (moralische) Unterstützung aus der Bevölkerung berufen.

Ein vehementer Widerspruch blieb fast immer aus, sodass sich Rassist*innen in ihrem Handeln oft bestärkt fühlten. Es ist nicht von der Hand zu weisen, dass dies auch auf die lokale Verbundenheit zwischen den Täter*innen und der zustimmenden oder schweigenden Bevölkerung zurückzuführen ist. Seit jeher werden Antifaschist*innen als das größere Übel angesehen und die selben Argumentationen gegen “die Zecken / die Antifa aus den großen Städten” hervorgebracht. Neu ist dies nicht.

Umso erstaunlicher ist es dann, dass bei antifaschistisch organisierten Aktionen immer häufiger sichtbar wurde, dass Teilnehmer*innen vor Ort gänzlich unvorbereitet und anscheinend recht planlos waren [5]. Das ist schlichtweg gefährlich!

Die Organisator*innen von Demonstrationen oder Kundgebungen können nicht auf alle Eventualitäten vorbereitet sein und tragen auch nicht die Verantwortung für alle Anwesenden. Zu beobachten war eine stärker werdende “Konsument*innenhaltung”: einfach hinfahren, herumstehen bzw. mitlaufen und, falls möglich, zeitig wieder zurück sein. Aber eine Organisation in Bezugsgruppen, ein geschlossenes Auftreten von der Anreise im Zug bis zum Ende der Veranstaltung, das Mitbringen von Transparenten, Achtgeben auf den eigenen Schutz und den der Demonstration, das Anschauen einer Karte der Örtlichkeit im Vorfeld und vielleicht ein Plan B für die Rückreise – diese Vorbereitungen wurden oftmals nicht getroffen. Jene “Konsument*innenhaltung” kann als Folge eines schwindenden Organisierungsgrads von Bezugsgruppen begriffen werden.

Hier bedarf es einer Reflexion der eigenen politischen Praxis, um die Handlungsfähigkeit und Sicherheit – gerade in provinziellen Gegenden – nicht zu gefährden. Die Neonazis kennen ihre Städte und Dörfer, kommen aus der Region und können gerade in Sachsen meist unbehelligt von der Öffentlichkeit, aber auch von der Polizei, agieren. Sichere Plätze und Rückzugsräume für Antifaschist*innen gibt es de facto nicht. Deswegen ist die Solidarität und gegenseitige Unterstützung aller anwesenden Antifaschist*innen sowie eine intensive Vor- und Nachbereitung unerlässlich. Wir alle können voneinander lernen, Tipps und Tricks weitergeben, uns vernetzen.

So ist es zwar erfreulich, wenn viele Menschen den Weg in einen der besagten Orte finden, aber wenn der Großteil davon dann gar nicht so richtig weiß, was dort zu erwarten ist, können Angst und Verunsicherungen die Folge sein. Das Agieren aller vor Ort wird schwieriger. Dies wiederum kann Menschen abschrecken, überhaupt (wieder) an derartigen Veranstaltungen teilzunehmen. Diese Negativ-Spirale führt dazu, dass beispielsweise in Wurzen bei einer antifaschistischen Kundgebung infolge mehrerer rassistischer Angriffe gerade einmal 250 Menschen zusammenkommen.

Ja, derartige Interventionen sind mit einem Risiko verbunden. Ja, es ist unbequem, stundenlang in der Kälte zu stehen. Ja, es besteht die Gefahr, in körperliche Auseinandersetzungen mit Neonazis zu geraten. Aber was sind die Alternativen? Die Neonazis einfach gewähren lassen und darauf hoffen, dass beim nächsten Mal nichts Schlimmeres passiert? Wohl kaum. Wenn die Stimmung im Ort schon am Kochen ist und sich rassistische Angriffe aneinanderreihen, wird eine antirassistische oder antifaschistische Aktion niemals auf Akzeptanz oder Wohlwollen stoßen. Sie wird als weiterer Einfluss von außen auf die angeblich bedrohte Stadtgesellschaft wahrgenommen.

Eine Intervention unter diesen Bedingungen kann nur eine unversöhnliche sein. Wir sehen keinen Grund darin, diese Zustände hinzunehmen, wenn angeblich Nicht-Rechte lieber schweigen und zu Hause bleiben. Wir fahren trotzdem mit einigen hundert Menschen in diese Orte. Wir setzen eben nicht auf die Massenmobilisierung, sondern auf jene, die es mit ihrem Antifaschismus und Antirassismus ernst meinen und sich dabei eben auch dem Zorn des rechten Mobs aussetzen.

“Widersprüche öffentlich machen, wo es niemand macht” – Intervention und Nachhaltigkeit

Unversöhnlichen Interventionen wie in Wurzen wird regelmäßig fehlende Nachhaltigkeit vorgeworfen. Dass diesem Konzept ein autoritärer und ambivalenter Charakter innewohnt, hat das bundesweite Bündnis “Irgendwo in Deutschland” im Oktober 2017 in einem Debattenbeitrag ausführlich thematisiert [6]. Dass Interventionen, heute wie gestern, dennoch notwendig sind, haben die jüngsten Gewaltausbrüche gegen Geflüchtete sowie die rassistische Mobilmachung in Wurzen in den vergangenen Monaten einmal mehr gezeigt.

Es ist richtig: Die unversöhnliche Intervention kann keine nachhaltige lokale Vorarbeit leisten, sie ist “Feuerwehrpolitik” und hat scheinbar in erster Instanz keinen pädagogischen Auftrag an die ansässige Bevölkerung. Natürlich gilt es, lokale antifaschistische und zivilgesellschaftliche Akteur*innen – sofern vorhanden – mit einzubeziehen und bestmöglich in ihren Kämpfen zu unterstützen. Doch darf dabei nicht vergessen werden: Es ist kein Zufall, dass sich organisierte Neonazis in Orten wie Wurzen wie die sprichwörtlichen Fische im Wasser fühlen, als selbstverständlicher Teil der Stadtgesellschaft wahrgenommen werden und frei wirken können.

In Orten, in denen der virulente Rassismus den ideologischen Kitt zwischen militanten Neonazis und schweigender bis zustimmender Mehrheitsgesellschaft bildet und in denen als nicht-deutsch Markierte, Antifaschist*innen und Andersdenkende nichts zu lachen haben, findet sich oftmals schlicht kein handlungsfähiges zivilgesellschaftliches Korrektiv, mit dem es Bündnisse zu schmieden gäbe.

Die Frage, wie eine kontinuierliche Unterstützung aus den Städten in die aufgegebene Provinz aussehen könnte, treibt leider nur noch wenige Antifaschist*innen um. Fehlende Ansprechpartner*innen vor Ort, mangelnder Rückhalt aus der Bevölkerung sowie das Nichtstattfinden von Aktionen festigen die Komfortzonen von Neonazis, bestätigen die Stillhalte-Taktik der Stadt und lassen nicht zuletzt die (potenziellen) Betroffenen rechter und rassistischer Gewalt allein zurück.

Diese Orte sich selbst zu überlassen, anstatt den Rassist*innen, Neonazis und Imagepfleger*innen den Spiegel vorzuhalten und sie öffentlich zu demaskieren, gleicht einer Kapitulation vor den (sächsischen) Verhältnissen. Was bleibt ist die Frage, wann eine politische Aktion als “nachhaltig erfolgreich” zu bewerten ist. Gerade angesichts einer antifaschistischen Szene, die bis heute fast ausschließlich eine Jugendbewegung ist und die immer wieder daran scheitert, dass gerade im ländlichen Raum junge Linke früher oder später in die Metropolen gehen.

Wie kann daher ein Zustand hergestellt und aufrecht erhalten werden, der langfristige und nachhaltige antifaschistische und linke Politik in der Fläche ermöglicht? Wie kann eine rechte Hegemonie gestoppt und zurückgedrängt werden?

Es fehlt unserer Einschätzung nach an Konzepten sowie Strategien eines Land-Stadt-Austausches, um nicht zu Hunderten wie ein Ufo aus den Großstädten in der Provinz zu landen. Solange diese Strategien nicht diskutiert und entsprechende Strukturen nicht etabliert sind und keine nachhaltige Einbindung älter-werdender Genoss*innen (vor Ort) vorhanden ist, bedarf es Interventionen von organisierten Menschen, um in akuten Situationen Betroffene rechter Gewalt zu schützen und sich in großer Zahl solidarisch an ihre Seite zu stellen.

Wo sind all die Antifaschist*innen hin?

“Am besten jeden Tag dem rassistischen Normalzustand entgegenstellen – in Orten wie Wurzen, Cottbus oder Plauen” [7] – dieser Forderung können wir uns nur anschließen. Und dennoch scheint in Leipzig und Sachsen genau diese Notwendigkeit nicht als solche erkannt zu werden. Viele Genoss*innen sprechen sich zwar nicht grundsätzlich gegen ein Agieren in ländlichen Räumen aus, aber per se gegen die konkreten Aktionsformen, die als “Selbstbespaßung oder Gewissensberuhigung” ohne “langfristigen strategischen Nutzen” angesehen werden [8].

Dabei erachten wir unversöhnliche Interventionen in Situationen, wo nachhaltige Strategien nicht vorhanden sind oder wirken, auf keinen Fall als Spaß, nicht für uns, nicht für irgendwen. Nur warum hat die Losung “Pogrome verhindern, bevor sie passieren!” für Antifaschist*innen keine sonderliche Relevanz mehr? Weil scheinbar kein langfristig strategischer Nutzen besteht? Warum haben strategische Kalküle Priorität gegenüber der Solidarität und dem operativen Schutz anderer? Diese Fragen sind keine rhetorischen!

Wir stellen sie, da wir sie nicht beantworten können, aber gerne einen Austausch über die Notwendigkeit und die Bedingungen für Interventionen anstoßen würden. Interventionen erachten wir – leider – als notwendig und quasi unumgänglich.

Wir sehen die Notwendigkeit, in ländlichen Regionen zu intervenieren, um Betroffene zu schützen und zu unterstützen. Wir glauben nicht, dass dadurch Neonazis und Rassist*innen nachhaltig ihr Bedrohungspotenzial genommen wird. Unversöhnliche Interventionen sind Ausdruck der Notwendigkeit antifaschistischen Handelns, wenn außerhalb unserer Kieze Menschen konkret gefährdet sind. Sie sollen sich mit Betroffenen von rechten Übergriffen solidarisieren oder zumindest den Fokus von ihnen nehmen. Sie sollen im Weiteren aber auch das Kennenlernen potenzieller Bündnispartner*innen ermöglichen, wie es gerade die antifaschistische Demonstration seinerzeit in Rackwitz tat [9].

Wir laden hiermit alle antifaschistischen Gruppen ein, in die Debatte mit uns einzusteigen und gemeinsam Antworten zu finden.


Text zugesandt von: “Rassismus tötet!” – Leipzig


1 http://prisma.blogsport.de/2015/08/26/heute-die-pogrome-von-morgen-verhindern-schutz-fuer-gefluechtete-statt-verstaendnis-fuer-rassist_innen/

2 http://rackwitz.blogsport.eu/beispiel-seite/

3 https://raa-sachsen.de/chronik-details/wurzen-3776.html

4 https://www.antifainfoblatt.de/artikel/reflexion-ostdeutscher-antifa-politik-anl%C3%A4sslich-des-1-mai-2018

5 https://www.antifainfoblatt.de/artikel/antifaschistische-aktion-%E2%80%93-f%C3%BCr-die-konsequente-intervention

6 https://irgendwoindeutschland.org/unversohnlich-in-wurzen-ein-ruckblick-im-newsflyer-des-conne-island/

7 http://blog.interventionistische-linke.org/bundestagswahl-2017/unsere-alternative-bleibt-solidaritaet

8 http://blog.interventionistische-linke.org/bundestagswahl-2017/was-tun-in-sachsen

9 http://rackwitz.blogsport.eu/

IMK 2017: Wir sind doch alle Terroristen!

Foto: twitter.com/J_TSchade

Am Donnerstag und Freitag, dem 7. und 8. Dezember 2017, treffen sich Bundesinnenminister Thomas de Maizière und die Innenminister der sechzehn Bundesländer in der Kongresshalle am Zoo in Leipzig. Aus diesem Anlass ruft das Bündnis “Kampf der inneren Sicherheit!” zu einer Demonstration am Donnerstag, dem 7. Dezember, auf. Beginn ist 17 Uhr am Leipziger Hauptbahnhof.

Das Aktionsnetzwerk “Leipzig nimmt Platz” hat zudem unter dem Motto “Wir sind grundsätzlich unverdächtig!” zwei Kundgebungen angemeldet, ebenfalls am Donnerstag ab 17 Uhr:

  • Pfaffendorfer Straße Ecke Parthenstraße
  • Pfaffendorfer Straße Ecke Ernst-Pinkert-Straße

Dass Leipzig der richtige Ort für das Treffen der Innenminister ist, soll folgende unvollständige Liste an Repressionsmaßnahmen verdeutlichen, die ein völlig anderes Bild der angeblichen liberalen und auf bürgerliche Freiheiten setzenden Stadt malt:

Das Treffen

Einige Tagesordnungspunkte der Innenministerkonferenz in Leipzig wurden bereits veröffentlicht. So möchte der sächsische Innenminister Markus Ulbig nach Syrien und Libyen abschieben dürfen und endlich stärker gegen Fußballfans vorgehen. Außerdem soll über den G20-Gipfel in Hamburg gesprochen werden. Bundesinnenminister Thomas de Maizière wünscht sich, Hersteller digitaler Geräte zum Einbau von Hintertüren verpflichten zu können, um Wohnungen und Autos leichter überwachen zu können.

Bei der letzten Innenministerkonferenz im Juni 2017 in Dresden standen u.a. folgende Punkte auf der Tagesordnung:

  • TOP 6: Reform der Dublin-III-Verordnung
  • TOP 9: Schaffung landesrechtlicher Voraussetzung für die Schleierfahndung in allen Ländern
  • TOP 14: Verbot der politischen Betätigung von Ausländern nach § 47 Aufenthaltsgesetz
  • TOP 15: Rückführung nach Afghanistan
  • TOP 27: DNA-Phänotypisierung

In Leipzig macht Polizeipräsident Bernd Merbitz seit Wochen Stimmung gegen linke Strukturen, mit einem entsprechenden Polizeiaufgebot bei den Demonstrationen am Donnerstag muss gerechnet werden. Währenddessen geht der Repressionsausbau in der Stadt weiter. So werden in Leipzig Polizist_innen im Rahmen eines Pilotprojektes mit “Bodycams” ausgestattet. Auf Bundesebene wurde dies bereits im März 2017 flächendeckend erlaubt. Weiterhin hat sich die Leipziger Polizei mit Software zur Prognose von Straftaten ausgestattet.

Wie haben andere Städte auf die Innenministerkonferenz reagiert?


Text zugesandt von: anonym

Wurzen: Altbekannte Nazis und neue Verstrickungen

Ex-"Front Records"-Inhaber Henry Behr beim Nazifestival "Rock für Identität" am 29. Juli 2017 in Themar. Foto: Lukas Beyer

Seit über fünfundzwanzig Jahren ist die Stadt Wurzen für ihre Naziszene bekannt. Insbesondere in den Neunziger Jahren terrorisierten Neonazis – teils mit Hilfe der Polizei – MigrantInnen, Punks, AntifaschistInnen und Linke. Die Ereignisse der Jahre 1991 bis 1996 sind in der Broschüre “Wurzen – Das Ende faschistischer Zentren, wie wir sie kennen.” nachzulesen. Eine antifaschistische Demonstration im November 1996 verschaffte den Zuständen zwar Aufmerksamkeit, vermochte den rechten Terror aber zumindest kurzfristig nicht einzudämmen.

Bis heute vergeht in Wurzen kaum ein Monat ohne rechte Hetze und rassistische Übergriffe. In der Stadt sind nicht nur alle rechten Idiotien – rassistische Nachbarn, Nazi-Hooliganismus, Vertriebsstrukturen für neonazistische Musik und Kleidung, die NPD und die Bürgerkriegsfreunde von “Legida” – vertreten, sondern es scheint gar die ungeschriebene Regel zu gelten, dass die unangenehmsten Nazis in der Region stets aus dem Raum Wurzen kommen.

Um den rassistischen und neonazistischen Zuständen, für die Wurzen exemplarisch steht, entgegenzutreten und gleichzeitig diejenigen zu unterstützen, die ihnen in Wurzen und Umgebung ausgesetzt sind, rufen AntifaschistInnen für den 2. September 2017 zu einer Demonstration unter dem Titel “Das Land – rassistisch, Der Frieden – völkisch, Unser Bruch – unversöhnlich” in Wurzen auf. Aus Leipzig, Hamburg und Berlin ist eine gemeinsame Anreise geplant.

Neben rassistischen Angriffen auf Geflüchtete ist die Wurzner Naziszene seit Jahren von einem Firmengeflecht geprägt, das sich rund um den Neonazi-Versandhandel “Front Records” entwickelt hat. Über dessen langjährigen Inhaber Thomas Persdorf, seinen Geschäftspartner Benjamin Brinsa, andere beteiligte Neonazis und ihre Bezüge ins gewalttätige neonazistische Hooliganmilieu sowie zu “Legida” wurden in den letzten Jahren zahlreiche lesenswerte Texte veröffentlicht, die an dieser Stelle ergänzt werden sollen.

“Front Records” und “Gjallarhorn Klangschmiede”: Neuer Inhaber, alte Strukturen

Der einst von Thomas Persdorf gegründete Versandhandel “Front Records” gilt nicht nur als bedeutender Vertrieb für neonazistische Musik und Textilien, sondern produziert auch entsprechende Tonträger. Von 2011 bis Ende 2016 war die mittlerweile insolvente Firma “Falkenhainer Textil UG”, in die auch Thorsten Richter, Thomas Persdorf und Anita Persdorf-Dögnitz verwickelt waren, Inhaberin des Versandhandels. Seit Januar 2017 wird “Front Records” von der neu gegründeten “Muldentaler Textil UG” betrieben. Über deren Geschäftsführer Dierck Wagner, der inzwischen in Hannover wohnt, weiß die Antifaschistische Jugend Ludwigshafen/Mannheim zu berichten:

  • Der Ludwigshafener NPD-Kandidat Dierck Wagner (FCK-Hooligan, mittlerweile wohnhaft in Hannover) hat 2008 die gewaltbereite faschistische Gruppierung „LuNaRa“ (Ludwigshafener Nationalisten und Rassisten) mit ins Leben gerufen, welche seither als Sammelbecken für junge Nazis gilt.

Die Verbindung nach Ludwigshafen ist kein Zufall. Die “Falkenhainer Textil UG” war seit Anfang 2016 auch Inhaberin des neonazistischen Versandhandels “Frontmusik” und des Musiklabels “Gjallarhorn Klangschmiede”. Beide wurden vom Ludwigshafener Neonazi und “Hammerskin” Malte Redeker aufgebaut und jahrelang betrieben. Ihre Webseite nennt nun auch die “Muldentaler Textil UG” als Inhaberin, ist selbst aber noch auf Redeker angemeldet. Mehr Informationen zu Malte Redeker bieten u.a. das Antifaschistische Infobüro Rhein-Main und die Autonome Antifa Freiburg.

Dierck Wagner

Die neue “Muldentaler Textil UG” verfügt über ein Stammkapital von einem Euro. Sie sitzt ebenso wie ihre Vorgängerfirma im Doktorweg 2, 04808 Lossatal, Ortsteil Falkenhain, und nutzt teilweise die gleiche Handynummer. Der Firmenwechsel soll offenbar Strukturen verschleiern, kann aber auch finanzielle Motive haben. Zumindest attestierte der sächsische Verfassungsschutz “Front Records” vor Kurzem eine schwindende Bedeutung und sinkende Marktpräsenz.

Eine Kapitulation ist jedoch noch nicht abzusehen. Für ein Nazikonzert am 28. Oktober 2017 im thüringischen Themar etwa, auf dem u.a. die australische Naziband “Fortress” auftreten soll, ist “Front Records” als Unterstützer angegeben.

Ladenschluss für Onlineshops

Andere Angebote aus Persdorfs Umfeld sind in den vergangenen Jahren verschwunden. Benjamin Brinsas Laden “Streetwar” ist seit Jahren geschlossen. Der vom ehemaligen “Legida”-Kopf Markus Johnke betriebene Shop “edlerstoff.de” ist vom Bildschirm verschwunden, ebenso Anita Persdorf-Dögnitz’ “Patriotenversand”. Die Firma “Eastmedia24” des Neonazis Michael Woitag ist aufgelöst, seine Webseiten abgeschaltet, nur sein ebay-Shop “shirtmafia2011” wird weiterbetrieben – von seinem Geschäftspartner Sven Grunert aus Rötha. Im Angebot hat Grunert u.a. T-Shirts mit nur leicht abgewandelten Reichsadlern aus der Zeit des Dritten Reichs.

Thomas Persdorf wickelt seine Textilverkäufe nicht mehr über seine Webseiten “Problemfans” und “Protexdruck” ab, sondern nur noch über ebay. Im ebay-Shop “Protexdruck” bietet Persdorf alias “shirtmachine2011” Shirts mit Reichskriegsflagge oder dem von der Wehrmacht genutzten Spruch “Gott mit uns” an, außerdem überteuerte schwarz-weiß-rote Badehosen. Sein Sortiment überschneidet sich mit dem Onlineshop “shirtmachine.de” seiner Frau Anita Persdorf-Dögnitz. Als Geschäftsadresse geben beide den “Front Records”-Sitz Doktorweg 2 in Falkenhain an.

In dem Gebäudeteil der Bahnhofstraße 21 in Wurzen, der früher Dirk Schwitzkes Videothek beherbergte, zog im März 2017 der Betrieb “Carwrap Machern” ein. Dessen Betreiber Thomas Cavael mag Pegida und hat bei der Nazimarke “Thor Steinar” bestellt. Das benachbarte Sonnenstudio “Summertime”, das anscheinend von der Firma “PS-Rote Jahne UG” um Persdorf und Schwitzke betrieben wird, existiert noch.

Benjamin Brinsa: Die Einschläge kommen näher

Eine zentrale Person der Neonaziszene zwischen Wurzen und Leipzig ist der gewaltsuchende Neonazi-Hooligan Benjamin Brinsa. Brinsa ist als MMA-Kampfsportler (Spitzname “The Hooligan”) aktiv, trainiert das “Imperium Fight Team” und ist Mitorganisator der gleichnamigen Veranstaltungsreihe “Imperium Fighting Championship”. Er gehört zur rechten Ultragruppe “Scenario Lok” und spielte beim Naziübergriff auf Connewitz am 11. Januar 2016 eine tragende Rolle.

Während die Vermutung, Brinsa verdiene sein Geld auch mit dem Diebstahl von Fahrzeugen, bisher nur auf Bildern einer Überwachungskamera basiert, könnte es für ihn nun an anderer Stelle eng werden. Sein Freund Thomas Kuhbach steht seit einigen Wochen vor Gericht, weil er im November 2015 mit anderen Tätern die Wohnung des sächsischen Justizministers Sebastian Gemkow angegriffen und dabei schwere Verletzungen bei Gemkow, seiner Frau und ihren beiden Kindern riskiert haben soll. Es wird vermutet, dass die vermummten Angreifer sich in der Wohnung geirrt haben und eigentlich den Sitz einer antifaschistischen Modemarke nebenan treffen wollten.

Im Gegensatz zu Kuhbach, der als gewalttätiger Nazi bekannt, will sein Mitangeklagter Roman W. noch nie zuvor in Leipzig gewesen sein. Eine mögliche Erklärung, wie die DNA des Gebrauchtwagenhändlers W. an den Tatort kam, brachte der noch laufende Gerichtsprozess vor wenigen Tagen ans Licht: W. habe ein Auto verkauft und kurz darauf ein Blitzerfoto erhalten, das wahrscheinlich Benjamin Brinsa zeigt. Eine Verwicklung Brinsas in den Angriff auf Gemkow wäre nicht verwunderlich – und es wäre nicht das einzige Mal gewesen, dass Brinsa und Kuhbach gemeinsam AntifaschistInnen zu attackieren versuchen.

Das “Imperium Fight Team” zieht um

Ob am 11. Januar 2016 in Connewitz oder beim versuchten Überfall auf vermeintlich linke Fans der BSG Chemie am 25. September 2016 in Gera: Bei organisierten Naziangriffen im Raum Leipzig Nazis sind Mitglieder des von Benjamin Brinsa trainierten “Imperium Fight Team” meist nicht weit. Die Sportgruppe, bei der überwiegend Neonazis auf der Matte und im Ring stehen, musste ihren alten Trainingsraum in Eilenburg im Februar 2017 aufgeben.

Nun trainiert das “Imperium Fight Team” in der Kamenzer Straße 10 in Leipzig. Lang kann die Suche nach einem neuen Trainingsort nicht gedauert haben: Das Nachbargebäude Kamenzer Straße 12 nutzt der Motorradclub “Rowdys Eastside” seit 2016 für seine Treffen. Der seit 2015 bestehende Motorradclub firmiert auch als “Bruderschaft 18” – ein Kürzel für die Initialen Adolf Hitlers –, die ungefähr zehn Mitglieder sind neonazistische Fußballfans des 1. FC Lokomotive Leipzig. Von den Nazis, die am 11. Januar 2016 am Angriff auf Connewitz beteiligt waren, werden Steve Griefenow, Mario Kuhbach, Thomas Kuhbach, Alexander Lohse, Nik Weber, Benjamin Schölzel und Ivo Mäuslein den “Rowdys Eastside” zugeordnet.

Timo Feucht (“Imperium Fight Team”) mit einem T-Shirt der “Rowdys Eastside”, rechts daneben Benjamin Brinsa. Bild: fight24.tv, Dezember 2015

Eigentümer des Areals Kamenzer Straße 10/12 ist der Leipziger Bauunternehmer und Thor-Steinar-Besteller Ludwig Kiefer. Auch der Nationalsozialist und “Hammerskin”-Sympathisant Willy Nowack – Besucher von Nazikonzerten und Geschäftspartner der Leipziger Absintherie Sixtina – nutzt die Adresse. In der Gebäude mit der Hausnummer 10, in dem heute das “Imperium Fight Team” trainiert, befand sich zur Zeit des Nationalsozialismus das Frauenkonzentrationslager “Hasag-Leipzig”, ein Außenlager des KZ Buchenwald. Der Gedenkstein vor dem Gebäude wird beinahe jährlich von Unbekannten zerstört.

Willy Nowack mit “Wewelsburg”-Shirt am 18. Mai 2013 auf einem Nazikonzert in Finowfurt. Foto: Presseservice Rathenow

Seit rund zehn Jahren finden außerdem gelegentlich klandestin organisierte Nazikonzerte in dem Areal statt. Am 8. November 2008 traten in der Kamenzer Straße 10/12 vor rund 350 Zuschauern die Nazibands “Diary of a Dying Nation”, “Eternal Bleeding”, “Fight Tonight”, “Nordglanz”, “Painful Life” und “Thematik 25” auf. Als dies im Jahr 2009 bekannt wurde, teilte die Polizei mit, dass der Eigentümer ein “Rechtsextremer” sei und dort regelmäßig “Skinhead-Konzerte” stattfinden. Laut chronik.LE wurde die Nutzung des Gebäudes als Veranstaltungsort inzwischen untersagt.

Auch bei Nazikonzerten, die laut Innenministerium am 3. März 2007 und 20. September 2008 mit jeweils rund 200 Besuchern in Leipzig stattfanden, liegt die Kamenzer Straße 10/12 als Veranstaltungsort nahe. Ebenso am 6. Februar 2010, als in Leipzig zwei Nazikonzerte an einem Abend veranstaltet wurden – das andere in der Odermannstraße 8. Exemplarisch für die jüngere Vergangenheit kann ein Nazikonzert mit den Leipziger Bands “Thematik 25” und “Volksnah” am 11. Juli 2015 genannt werden.


Text zugesandt von: anonym

Auf nach Wurzen!

Antifa-Demo in Wurzen 1996. Foto: BgR

Ein bundesweites Bündnis mobilisiert für den 2. September 2017 zu einer antifaschistischen Demonstration nach Wurzen. Im Gegensatz zum letzten Mal im Jahre 2009 mobilisieren dieses Mal sogar lokale Politikerinnen öffentlich für die kommende Veranstaltung. Auch die Opferberatung RAA reagiert auf die mediale Kampagne der Leipziger Volkszeitung und der Stadt Wurzen gegen die kommende Demonstration mit klaren Aussagen:

  • “Ich weiß nicht, welche Klientel Anfang September kommen wird. Aber ich weiß, dass die Gewalt bereits in Wurzen ist. Und sie geht von den Einheimischen aus.”

Es folgt ein Bericht von Antifaschist*innen, die 2009 in Wurzen dabei waren:


Wir beteiligten uns als Bezugsgruppe an der Demonstration “Rassistenzone Sorglosland – Es gibt kein ruhiges Hinterland” des Antifaschistisches Netzwerk Leipziger Land (ANeLL) am 22. März 2009 in Wurzen. Ein Jahr vorher, 2008, sahen sich Antifaschist*innen aus der Region mit einer größeren Gruppe Neonazis konfrontriert, die mehrmals versuchte, den vierten “Antirassistischen Sonntagsspaziergang” anzugreifen. Auch jener Antifa-Aufruf ist noch im Netz zu finden.

Viele Antifaschist*innen reisten 2009 nach Wurzen, um einer erneuten Bedrohung und möglichen Angriffen von Neonazis konsequent zu begegnen, und so auch wir.

Bereits am Leipziger Hauptbahnhof war die Bundespolizei der Meinung, die Demonstration in Wurzen beginne schon im Leipziger Bahnhof, und wollte alle Menschen, die den Zug betraten, kontrollieren. Diese erste Schikane ließen die meisten Antifaschist*innen nicht zu, suchten sich ihren eigenen Weg in den Zug und ließen die Bundespolizist*innen stehen. In Wurzen sammelten sich, unbehelligt von der Polizei, bereits die ersten Neonazis in der Parkanlage gegenüber des Bahnhofs. Nachdem sich eine größere Gruppe von Antifaschist*innen die Neonazis näher anschauen wollten, gingen diese schnell auf Abstand. Dann schritt die Polizei erstmals ein und schickte die Antifaschist*innen zum Startpunkt ihrer Demonstration zurück.

Nach mehreren Redebeiträgen machte sich die antifaschistische Demonstration auf den Weg. Die örtliche Neonaziszene hatte offensichtlich extra zu diesem Anlass viele neonazistische Aufkleber in der Stadt verklebt. Dass diese konsequent abgekrazt oder überklebt wurden, passte den eingesetzten Bereitschaftspolizist*innen aber gar nicht. So stellten sich nach mehreren hundert Metern mehrmals Gruppen von Polizist*innen um Laternen und Verkehrsschilder herum, um die Aufkleber der Neonazis vor den Antifaschist*innen zu schützen. Es half nichts, an jenem Tag war der Konsens, neonazistischen Provokationen konsequenten Antifaschismus entgegenzusetzen, stärker. Auch Nazi-Aufkleber unter Polizeischutz waren fällig.

Im späteren Verlauf der Demonstration versuchten die ersten Reihen auf der ursprünglich angemeldeten Route am Naziobjekt von “Front Records” entlang zu laufen, was die Versammlungsbehörde zuvor untersagt hatte. Die Polizei hatte große Mühe, dies zu unterbinden. Währenddessen lief ein Teil auf der genehmigten Route weiter. Hier versuchten Neonazis, die sich am Gelände von Thomas Persdorf aufhielten, die Antifaschist*innen anzugreifen, scheiterten jedoch an deren Selbstschutz. Die Polizei griff später ebenfalls ein.

Die Demonstration zog dann geschlossen auf der genehmigten Route weiter. Bei der nächsten Zwischenkundgebung ließ sich wieder eine größere Gruppe Neonazis an der Ecke blicken. Hier machte sich dann die komplette Demo auf dem Weg in Richtung der Nazis. Dies führte dazu, dass der Lautsprecher mit ein paar wenigen Antifaschist*innen die Zwischenkundgebung durchführte, während sich der Großteil der Antifaschist*innen um die Neonazis kümmerte. Nachdem die Polizei die Neonazis gekesselt hatte, kamen die Antifaschist*innen zur Kundgebung zurück.

Die Demonstration verlief danach nahezu störungsfrei, auch wenn die Polizei der Meinung war, einigen Antifaschist*innen die weitere Teilnahme untersagen zu wollen, da sie ihr “Demonstrationsrecht für diesen Tag verwirkt” hätten.

Zum Ende weigerte sich die Bundespolizei, die Antifaschist*innen zum Bahnhof zu lassen. Auch der Einsatzleiter der Bereitschaftspolizei sah sich nicht imstande, auf seine Kolleg*innen einzuwirken. Dieses “Missverständnis” konnte allerdings vom Lautsprecherwagen der Antifa-Demo behoben werden.

Die Züge nach Leipzig und Dresden sollten eigentlich fast zeitgleich in Wurzen abfahren. Die Bahn nach Dresden hatte jedoch Verspätung, was den Polizisten die Gelegenheit gab, Antifaschist*innen aus dem Raum Dresden einer Polizeikontrolle zu unterziehen. Ein solidarischer Umgang mit der Repression war leider nicht mehr möglich, da der Zug nach Leipzig schon abegefahren war. Dieses Jahr scheint diese Schikane nicht möglich – nach unseren Kenntnisstand ist bis jetzt nur eine organisierte Anreise aus Hamburg, Berlin und Leipzig geplant.

Uns als Bezugsgruppe ist die Demonstration in Wurzen 2009 bis heute im Gedächnis geblieben. Sie hat die Bezeichnung “entschlossen und solidarisch”, die viele Jahre in fast jeder Auswertung nach einer Demonstration auftauchten, wirklich verdient. Selten waren wir auf Antifa-Demos, bei denen so konsequent gegen Neonaziprovokationen, Bedrohungen und Angriffe vorgegangen wurde. Auch die Schikanen der Polizei wurden nicht wie so oft einfach hingenommen, die Betroffenen nicht alleine gelassen.

Wir werden im September wieder dabei sein und wünschen uns erneut so einen solidarischen und konsequenten Umgang.


Text zugesandt von: anonym

Kai Mose – Organisator des Angriffs auf Connewitz?

Kai Mose auf einem Naziaufmarsch am 4. Juni 2016 in Dortmund. Foto: Recherche Nord

Am Landgericht Dresden wird zur Zeit gegen zwei Mitglieder der “Freien Kameradschaft Dresden”, Florian Neumann und Robert Stanelle, verhandelt. Die Staatsanwaltschaft legt ihnen die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung, das Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion, Körperverletzungen, besonders schweren Landfriedensbruch und Sachbeschädigung zur Last. Florian Neumann wird u.a. vorgeworfen, sich am Angriff von rund 300 Neonazis auf den Leipziger Stadtteil Connewitz am 11. Januar 2016 beteiligt zu haben. Damit ist Neumann der erste der 215 vor Ort festgesetzten Teilnehmer, der sich vor Gericht für den Überfall verantworten muss.

Unklar war bislang, wer den Angriff, der aufgrund des schnellen Eintreffens der Polizei lediglich drei Verletzte, einen Wohnungsbrand und rund 120.000 € Sachschaden hinterließ, initiiert hat. Eine Spur führt nun zu einem Leipziger Neonazi: Kai Mose habe Dresdner Neonazis und Hooligans zu dem gewalttätigen Aufmarsch eingeladen, sagte der Angeklagte Florian Neumann laut Presseberichten aus. Vorab habe man sich an einem Parkplatz nahe einer Autobahnabfahrt kurz vor Leipzig getroffen. Den rund 300 Angreifern sei es von vornherein um eine Eskalation gegangen.

Die Staatsanwaltschaft führt Kai Mose offenbar als neuen Tatverdächtigen. Am Tag des Angriffs sei er laut der Aussage des Angeklagten jedoch nicht vor Ort gewesen sein. Am Vortreffpunkt habe stattdessen ein “recht großer Unbekannter” Zettel mit Instruktionen verteilt. Dabei könnte es sich um den über zwei Meter großen Thomas Kuhbach gehandelt haben, der sich auch unter den 215 Festgenommenen befindet. Kuhbach ist ein langjähriger Bekannter von Kai Mose und steht zur Zeit wegen eines Angriffs auf den sächsischen Justizministers vor Gericht.

Der am 8. November 1988 geborene Kai Mose kann auf eine mindestens zehnjährige Nazikarriere zurückblicken, die zahlreiche Straftatbestände und fast alle Naziorganisationen vor Ort umfasst.

Freies Netz: Im Jahr 2007 nahm Mose Seite an Seite mit Neonazis wie Tommy Naumann, Paul Rzehaczek und zahlreichen anderen Mitgliedern des “Freien Netz” an Naziaufmärschen teil. “Nationaler Sozialismus, jetzt!” lautete eine ihrer Forderungen.

Brutaler Schläger: Am 14. März 2008 gehörte Kai Mose zu einer Gruppe Neonazis, die Personen im Leipziger Johannapark zusammenschlug. Am 11. April 2008 griffen Mose und rund zehn weitere Neoanzis das Kulturzentrum “Anker” an, in dem gerade ein antifaschistisches Konzert stattfand, und verletzten zwei anreisende Musiker. Am 30. April 2008 gehörte Mose zu den rund 20 rechten Hooligans, die in Leipzig-Mockau einen Nachtbus überfielen, in dem sie Linke vermuteten, und dabei eine Person schwer verletzten. Als Mose dafür im März 2009 zu vier Jahren Haft verurteilt wurde (GAMMA berichtete), war er bereits wegen gefährlicher Körperverletzung und Landfriedensbruch vorbestraft. In einem Berufungsverfahren wurde die Haftstrafe später verringert.

Rechter Brandstifter: Im gleichen Frühjahr, am 20. April 2008, versuchte Kai Mose zusammen mit Thomas Kuhbach, Ivo Robert Mäuslein und Enrico Wobst ein mehrstöckiges Wohnhaus im Stadtteil Connewitz in Brand zu setzen, in dem sich das Vereinslokal “Fischladen” des Sportvereins Roter Stern Leipzig befindet. Die Leipziger Justiz verhinderte eine Bestrafung der Täter.

Neonazistisches Hooliganumfeld: Alle anderen Haupttäter aus dem Nachtbus-Prozess sind oder waren im rechten Fußballmilieu aktiv: Dirk Schkölziger und Sebastian Sendel damals bei den “Leutzscher Kameraden”, Markus Wardeck, Karsten Boden und Chris Burchardt bei den “Blue Caps Le”, Thomas Kuhbach und Ivo Robert Mäuslein bei “Scenario Lok”. Die zwei letztgenannten schlossen sich später zur “Fanszene Lokomotive” zusammen. Den Fangruppen “Scenario Lok” und “Fanszene Lokomotive” sind auch mindestens zwei Dutzend Angreifer des 11. Januar 2016 zuzuordnen. Die Nachtbus-Täter sind nicht nur Komplizen, sondern auch “Kameraden” – und Mose mittendrin.

Pseudo-Aussteiger: Anfang 2012 behauptete Kai Mose, aus der Naziszene aussteigen zu wollen. Ergebnislos, wie ein Artikel auf inventati.org/leipzig im März 2014 schilderte: “Kurzzeitig liebäugelte er gar mit einem Ausstieg aus der Naziszene. Jedoch fand auch Mose, wie schon sein Kamerad Enrico Böhm, durch gutes Zureden Alexander Kurths wieder in die Reihen des ‚Nationalen Widerstands‘ zurück.”

Heimat-Treues-Leipzig: Zwischen 2010 und 2014 nahm die Kameradschaft “Heimat-Treues-Leipzig” an mehreren Naziaufmärschen bundesweit teil. Ihre Flugblätter richteten sich unter anderem gegen “die völkerrechtswidrigen Kriege der usraelischen Verbrecher”, die “Deutschland schon 2-mal in einen Krieg gezwungen” hätten. Auf einem ihrer Transparente forderten die selbsternannten “Nationalen Sozialisten” eine “Volksgemeinschaft”. Bei mindestens zwei Naziaufmärschen – am 13. Februar 2012 in Dresden und am 7. Dezember 2013 in Leipzig-Schönefeld – trug Mose ein Transparent von “Heimat-Treues-Leipzig” mit.

In der Mitte Kai Mose hinter einem Transparent der Kameradschaft “Heimat-Treues-Leipzig” in Dresden am 13. Februar 2012. Rechts daneben Enrico Böhm, ganz links Michael Pötzsch aus Markranstädt. Foto: Christian Jäger/jaegerphotographie.de

Rechte Fake-Bürgerinitiativen: Der NPD-Aufmarsch in Leipzig-Schönefeld am 7. Dezember 2013 war Bestandteil einer rassistischen Kampagne gegen eine Flüchtlingsunterkunft, die von der NPD mitgetragen wurde. An mehreren dieser Versammlungen nahm Kai Mose teil. Im selben Winter hetzte die NPD-dominierte “Bürgerinitiative Gohlis sagt Nein” gegen einen Moscheebau. Zu den Nazis, die am 16. April 2014 im Namen der vermeintlichen Bürgerinitiative eine Petition übergeben wollten, gehörte auch Kai Mose.

NPD und JN: Zur Leipziger Kommunalwahl am 25. Mai 2014 trat Kai Mose für die NPD an. Im Wahlkampf wirkte er an mehreren Infoständen mit, für ein Stadtratsmandat reichte es jedoch nicht. Schon im August 2012, am Rande einer NPD-Kundgebung, hatte Mose ein Gespräch mit dem späteren kommissarischen Leipziger NPD-Vorsitzenden Steffen Lorenz geführt. Kai Mose war oder ist Mitglied der NPD-Nachwuchsorganisation “Junge Nationaldemokraten” und nahm u.a. an einer “JN”-Infotour nach Berlin am 13. September 2014 teil.

Am 7. August 2012 nach einer NPD-Kundgebung im Operncafé Leipzig: Kai Mose, Steffen Lorenz und dessen Begleiterin. Verdeckt: Marcus Hölscher, Gründer von “Heimat-Treues-Leipzig”. Foto: Archiv

Kampfsport und Sicherheitsgewerbe: Wie die NPD anlässlich der Kommunalwahlen 2014 angab, arbeitet der kampfsporterprobte Kai Mose als Selbstständiger im Sicherheitsgewerbe. Im Jahr 2011 hatte er seine Dienste unter dem Namen “Scorpion Dienstleistungen” angeboten, später als “Black Wing Dienstleistungen”. Dort spannte er auch Freunde ein, etwa den Neonazi Marcel Wittig, der ebenso wie Mose bei “Heimat-Treues-Leipzig” aktiv war. Später arbeitete Kai Mose in Dresden.

Legida-Teilnehmer: Kai Mose nahm in der ersten Jahreshälfte 2015 an mehreren Aufmärschen der rassistischen “Legida” teil. Zusammen mit Marcel Biebrich, Robert Goldberg, Alexander Kurth (“Die Rechte Sachsen”), David Lampe und den späteren Connewitz-Angreifern Andre Biebrich und Sebastian Labahn bildete er eine Reisegruppe.

Zur gleichen Zeit verübten Neonazis im Leipziger Stadtteil Lindenau Drohungen und Angriffe auf vermeintlich linksalternative Personen und Einrichtungen. So versammelten sich in der Nacht nach dem Legida-Aufmarsch am 16. Februar 2015 acht vermummte und mit Latten bewaffnete Neonazis auf der Lützner Straße. Zwei Wochen später, nach dem Legida-Aufmarsch am 2. März 2015, verklebten Unbekannte in der Gießerstraße Aufkleber der Nazipartei “Die Rechte”. Im gleichen Frühjahr versuchten mit Baseballschlägern bewaffnete Neonazis Passanten auf der Karl-Heine-Straße anzugreifen.

Am 10. Mai 2015 schließlich bedrohten mehrere Neonazis ein Filmteam bei Dreharbeiten in Lindenau. Den beteiligten Pakettransporter fuhr Kai Moses Bekannter Eric Deetz. Als Initiator des Vorfalls konnte Robert Goldberg identifiziert werden, der damals in Leipzig-Lindenau wohnte – und zu Moses Legida-Reisegruppe gehörte. Der u.a. wegen Böllerwürfen auf Gegendemonstranten und einem Hitlergruß vorbestrafte und jahrelang drogenabhängige Goldberg gab im Jahr 2016 an, aus der Naziszene ausgestiegen zu sein.

Ob auch die vorherigen Angriffe von Deetz und Goldberg begangen wurden und diese möglicherweise von Kai Mose angeleitet wurden, kann derzeit nicht belegt werden. Angesichts des zeitlichen Zusammenhangs und den Parallelen zu Moses späterer Kaderfunktion in Dresden erscheint der Verdacht zumindest plausibel.

Eric Deetz, David Lampe und Robert Goldberg im Jahr 2015

Anti-Antifa-Fotograf: Auf Naziaufmärschen trägt Kai Mose oft eine Kamera, mit der er die eigene Versammlung, aber auch Gegendemonstranten fotografiert. Einige seiner Fotos wurden auf der Facebook-Seite “AG Saxonia” veröffentlicht, andere – insbesondere von Gegendemonstranten – auf der von Enrico Böhm und Annemarie Kunze betriebenen NPD-Leipzig-Nachfolgewebseite “Wir für Leipzig”. Weitere Bilder publiziert Mose unter dem Pseudonym “PMK Photographie”, das sich vermutlich eher auf die offizielle Abkürzung für “politisch motivierte Kriminalität” bezieht als auf Moses Initialen.

Kai Mose als “Anti-Antifa-Fotograf” beim Aufmarsch von “Die Rechte” am 18. März 2017 in Leipzig. Mehrere seiner Bilder wurden später auf der Naziseite “Wir für Leipzig” veröffentlicht. Foto: Lionel C. Bendtner

AG Saxonia: Der überwiegend im Internet präsenten Nazigruppe “AG Saxonia” gehört Mose anscheinend auch selbst an, ebenso der seit Jahren mit ihm bekannte Andre Biebrich. Der inhaltliche Schwerpunkt der Gruppe, um die es seit Ende 2016 ruhig geworden ist, liegt – passend zu Moses Aktionsfeld – in Dresden.

Kai Mose mit Kamera (zu erkennen auf einem anderen Bild) auf einem Naziaufmarsch in Weimar am 2. Oktober 2016. Es sind offenbar seine Bilder, die danach auf der Facebook-Seite der “AG Saxonia” veröffentlicht wurden. Foto: Lionel C. Bendtner

Kurz nach der Serie von Naziangriffen in Leipzig-Lindenau begann die Angriffsserie der “Freien Kameradschaft Dresden”, deren Mitgliedern zahlreiche Gewalttaten zur Last gelegt werden. Kai Mose stand mit der mutmaßlich kriminellen Vereinigung in regem Kontakt.

Dieser Kontakt deckt sich mit der Beteiligung bislang unbekannter Leipziger Neonazis an Angriffen in Dresden. Als “FKD”-Mitglieder am 23. August 2015 das als Asylbewerberunterkunft genutzte Hotel “Lindenhof” in der Podemusstraße angriffen, wurden sie von eigens angereisten Nazis aus Leipzig und Halle unterstützt. Auch die Neonazis, die am 21. Dezember 2015 – parallel zu einem “Pegida”-Aufmarsch – organisierte Angriffe auf politisch unliebsame Personen in der Dresdner Neustadt verübten, reisten in einem Autokonvoi an, zu dem auch Autos mit Leipziger Kennzeichen gehörten. Eine ähnliche Taktik hatten Neonazis schon am 26. September 2015 in Connewitz erprobt. Ebenfalls während eines anderen Naziaufmarschs und erneut im Konvoi angereist, beließen sie es aber beim Werfen einer Rauchbombe.

Viele Indizien deuten auf eine tiefe Verstrickung von Kai Mose in den Naziangriff auf Connewitz und die Gewalttaten der “Freien Kameradschaft Dresden” hin. Zwischen den Naziangriffen in Leipzig-Lindenau und auf das Dresdner Hotel “Lindenhof”, der Rauchbombe in Connewitz und den Überfällen auf die Dresdner Neustadt und Leipzig-Connewitz zeichnet sich die Weiterentwicklung einer Strategie ab, zu deren geistigen Vätern Kai Mose gehören könnte. Ob die Spuren in die richtige Richtung weisen, müssen nun Gerichte klären. Dass sie das in absehbarer Zeit tun, ist nicht zu erwarten.


Text zugesandt von: anonym

Connewitz: “No Cops!”

"No Cops": Vorher-Nachher-Bild des Streetballplatzes in Connewitz. Foto: Twitter

Seit dem G20-Gipfel in Hamburg läuft eine Kampange von CDU/CSU, zahlreichen Medien und staatlichen Stellen wie der Polizei gegen die gesamte linke Szene in Deutschland. Auch Connewitz durfte als vermeintlicher Hort der bösen Militanten und Radikalen nicht fehlen.

Dabei hatten Presse und Polizei schon vor dem Gipfel die Lüge von “Rohrbomben” in Connewitz in die Welt gesetzt. Es wurde sich sogar für “Krawalle” in der Woche des Gipfels gewappnet. Nach Hamburg machte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) den Anfang und sagte:

  • “So etwas, was es in Connewitz in Leipzig gibt, kann man nicht hinnehmen. Wenn das einmal eingerissen ist, ist das nicht so leicht wieder zu lösen.”

Es folgten weitere CDUler in Sachsen und Leipzig und natürlich die AfD. Ebenso äußerte sich der Leipziger Polizeipräsident Bernd Merbitz, auch CDU-Mitglied (eine Information, die von den Medien gerne unterschlagen wird), der von angeblichen “rechtsfreien Räumen” in Connewitz sprach und dass die Zeit des Redens vorbei sei. Mit seiner Titulierung von Leipzig als “Randale-Meister” ging er einer Satire zu Aussagen des Verfassungsschutzes auf den Leim.

Was diese angeblichen “rechtsfreien Räume” sein sollen, erklärt Merbitz natürlich nicht. Sicher meint er damit nicht die Praktiken der Immobilienunternehmen mit ihrem Freund, dem Oberbürgermeister Jung, der selbst in Connewitz wohnt. Oder die Ereignisse um den Seniorenwohnpark, über die auch die LVZ berichtete.

Parolen an den Wänden

Nach vielen Beiträgen in den unterschiedlichsten Medien über Connewitz, das Conne Island, das Werk 2 oder den besetzten Wagenplatz wurden im Stadtbild erste Maßnahmen getroffen.

Der Polizeipräsident forderte vom Oberbürgermeister, das Graffiti “No Cops” am “roten Platz” entfernen zu lassen. Ordnungsdezernent Heiko Rosenthal (Die LINKE) folgte der Aufforderung und verkündete:

  • “Wir werden das ‚No Cops‘-Graffito wieder überpinseln. Und wenn es sein muss, wieder und wieder und wieder.”

Mittlerweile hat die Stadt das Graffiti zum zweiten Mal übermalen lassen. Zur Erinnerung: Der Streetball-Platz am Connewitzer Kreuz war die erste Anlage der Stadt, welche durch einen Wachschutz auf- und abgeschlossen werden sollte. Die Tür des umgebenden Metallkäfigs verschwand jedoch mehrmals. Schon damals drohte Ordnungsdezernent Rosenthal mit der Schließung der Anlage, sollten die Türen weiterhin aus den Angeln gehoben werden.

Das Graffiti, dem Merbitz und Rosenthal den Kampf angesagt haben, existiert seit 2014. In den Medien wurde die Frage gestellt, weshalb sich außer der Polizei niemand im Stadtteil daran stört. Die Antwort liegt vielleicht in einer Erklärung zum Anfang 2014 neu geschaffenen Polizeiposten in Connewitz, die von fast 30 Läden und Institutionen unterzeichnet wurde.

“Keine Polizei” in Connewitz hätte übrigens zumindest für einen Menschen den Vorteil gehabt, nicht von einem gelangweilten Kollegen beschossen zu werden und noch auf beiden Augen sehen zu können. Diest ist einer der wenigen Fälle von Körperverletzung im Amt, der geahndet wurde – mehr als bei den Ereignissen in Hamburg zu erwarten ist.


Text zugesandt von: anonym

Zur Observation eines Leipziger Hausprojekts am 18. März 2017

Anti-Überwachungs-Transparent in der Simildenstraße.

Am 18. März 2017 fand in Leipzig-Plagwitz im Bereich Zollschuppenstraße / Naumburger Straße eine behördliche Observation statt. Die Überwachungsmaßnahmen erstreckten sich von spätestens 10:00 Uhr vormittags bis mindestens 22:00 Uhr abends.

Beteiligt waren mindestens fünf PKW und zehn Personen. Zielobjekt der Observation war das Hausprojekt “Meuterei” in der Zollschuppenstraße. Folgende Kennzeichen und Fahrzeuge wurden dabei verwendet:

  • L-AI 6563, mattgrauer Skoda Kombi
  • L-BN 2123, metallic-grauer Skoda Kombi
  • L-AY 1017, dunkelblauer BMW, wahrscheinlich 1er-Serie
  • L-AU 3726, grauer Mercedes Kombi
    • Fahrer: ca. 50 Jahre alt, ca. 1,75m groß, kurzes graues Haar
    • Beifahrerin: ca. 55 Jahre alt, ca. 1,65m groß, schulterlanges blondes Haar
  • L-PZ 6222, grauer Skoda Fabia
    • Fahrer: ca. 60 Jahre alt, ca. 1,75m groß, kurzes dunkelgraues Haar, “asiatische” Gesichtszüge

Außerdem wurden wahrscheinlich Observateure auf Fahrrädern und zu Fuß eingesetzt. Beschattet wurden alle, die an diesem Tag das Haus verlassen haben.

Falls auch ihr beobachtet oder angequatscht werdet, wendet euch an die Rote Hilfe!


Text zugesandt von: Meuterei

Neonaziaufmarsch am 18. März 2017 in Leipzig: Keine Route durch Connewitz?

Die Nazis

Infoseite zum 18. März: Naziaufmarsch am 18.03.2017 in Leipzig – den Nazis entgegentreten!

Die Neonazis werden voraussichtlich nicht ihre Wunschroute laufen dürfen und sind dementsprechend verärgert, wie eine Pressemitteilung der Partei “Die Rechte” zeigt. Nach dem Willen der Stadt sollen sie vom S-Bahnhof MDR über die Semmelweisstraße und die Straße des 18. Oktober bis zum Bayerischen Bahnhof laufen.

Damit könnte der Plan der Nazis, durch Connewitz zu marschieren, abermals scheitern. Es ist davon auszugehen, dass “Die Rechte” gegen die Verlegung des Aufmarschs vor Gericht ziehen wird. Wie dort entschieden wird, ist ungewiss. Die genaue Route der Nazis wird womöglich erst am Tag selbst feststehen.

Wie viele Nazis sind zu erwarten?

Im Vergleich zum Aufmarsch am 12. Dezember 2015 mobilisieren die Nazis dieses Mal stärker. So wurden beim Neonaziaufmarsch am 11. Februar 2017 in Dresden entsprechende Flyer unter die rund 750 TeilnehmerInnen gebracht. Zudem bieten die Nazis T-Shirts mit dem Aufdruck “18. März 2017 – Leipzig bleibt Deutsch” an.

Der Pressesprecher der Polizei gab an, dass die Einsatzkräfte mit mehr als den 400 angemeldeten Neonazis rechnen. Andererseits nahmen an einem Aufmarsch der Partei “Die Rechte” am vergangenen Wochenende in Wuppertal nur 70 statt der angemeldeten 150 Neonazis teil, nicht mal der Anmelder Christian Worch erschien. Worch hat auch den Aufmarsch am 18. März angemeldet, doch ob er in seiner “Frontstadt” auftaucht, bleibt ungewiss. Schon im Dezember 2015 sah der 60-Jährige nicht mehr besonders gesund aus.

Als Redner haben die Neonazis bisher den nordrhein-westfälischen “Die Rechte”-Landesvorsitzenden Sascha Krolzig und den niedersächsischen Landesvorsitzenden Holger Niemann angekündigt. Dies lässt vermuten, dass am 18. März auch Neonazis aus den westdeutschen Bundesländern anreisen werden.

Die Polizei

Über ihre Personenstärke am 18. März hält sich die Polizei erneut bedeckt. Sie bleibt damit ihrer neuen Linie treu, im Vorfeld auf eine PR-Show des Leipziger Polizeipräsidenten zu verzichten, die früher üblich war.

Lediglich das öffentliche Lügen im Nachgang wird eine Konstante bleiben. Vorgestern ließ der Leipziger Polizeipressesprecher Andreas Loepki verlauten, dass es seiner Meinung nach nur “vermeintliche Unbeteiligte” gibt und sich daher niemand wundern solle, wenn die Polizei wie gewohnt alle angreift, die in Reichweite sind. Ihre persönlichen politischen Ansichten lassen Loepki und sein Kollege Uwe Voigt dabei regelmäßig in ihre Pressearbeit einfließen, wie ein anderes Beispiel aus dieser Woche zeigt.

Beim Neonaziaufmarsch am 12. Dezember 2015 setzte die Polizei 1600 BeamtInnen ein, darunter ca. 130 in ziviler Kleidung und 30 BeamtInnen des Landeskriminalamts. Für den 18. März 2017 sind 49 Hundertschaften eingeplant. Das wäre der größte Polizeieinsatz in Leipzig seit 1989, der sogar das 44 Hundertschaften umfassende und insgesamt 5100 Personen starke Polizeiaufgebot des 21. Januar 2015 übertreffen wird.

Zu beachten ist, dass immer noch nach Tatverdächtigen von militanten Aktionen am 12. Dezember 2015 gefahndet wird. Womöglich erhofft sich die Polizei, einige von ihnen am 18. März dingfest zu machen. Achtet daher ist auf eure Kleidung und euer äußeres Erscheinungsbild. Dazu gibt es einen lesenswerten Beitrag auf Indymedia Linksunten. Zivile Polizisten sind in Leipzig teilweise in größeren Gruppen, aber auch alleine unterwegs und bei ihren Tarnungen meist cleverer als ihre KollegInnen in Berlin. Achtet insbesondere auf filmende und fotografierende vermeintliche PassantInnen.

Am Tag selbst muss mit einer massiven Polizeipräsenz gerechnet werden. Die Polizei setzt gern auf Sperren mit Hamburger Gittern und Einsatzfahrzeugen. Spontane “Ansammlungen” werden, wie in Sachsen üblich, bei Nazis sicherlich geduldet, bei AntifaschistInnen hingegen angegriffen und eingekesselt werden. Zudem muss abermals mit einem massiven Beschuss durch CS-Gas gerechnet werden.

Zum Selbstschutz eignet sich eine Staubschutzmaske FFP3 aus dem Baumarkt sowie eine dichte Schutzbrille, die auch in jedem Baumarkt zu finden ist. Wer diese Gegenstände auf Versammlungen mitführt, verstößt allerdings gegen das Versammlungsgesetz. Wenn ihr sie am 18. März aus guten Gründen nicht bei euch tragen wollt, solltet ihr vorher schauen, wo ihr zur Not in der Nähe diese Dinge kaufen könnt oder die Sachen lagert.

Die Stadt

Von der Stadtspitze ist bislang nichts zu hören, die markigen Worte im Nachgang werden dafür sicherlich wieder nicht zu überhören sein. Lediglich die Versammlungsbehörde versucht, nicht den Wünschen der Neonazis gerecht zu werden.

Die Medien

Dem Zentralorgan Leipziger Volkszeitung geht es derzeit nur um die Frage, ob es – wie am 12. Dezember 2015 – erneut zu Gewalt kommt. Selbst ein vierseitiger Informationsflyer wird auf eine Passage über möglicherweise notwendige Barrikaden reduziert. Dabei finden sich in dem Flyer auch Fakten zu falschen Behauptungen zum 12. Dezember wie die Lüge, dass “Autonome” angeblich Krankenwagen und Feuerwehrfahrzeuge angegriffen hätten. Eine klare Falschmeldung, die die Polizei in die Welt gesetzt hatte und die von mehreren Medien ungeprüft übernommen wurde.

Die Zivilgesellschaft

Das Bündnis “Leipzig nimmt Platz” hat sich inhaltlich auf die Gewalt und die Rechtsbrüche der Polizei und der Versammlungsbehörde von 2015 konzentriert und sich nicht, wie von der Polizei erhofft, auf “böse Autonome” eingeschossen. Der Aufruf des Bündnisses verdeutlicht noch einmal, wie massiv die staatliche Ordnung am 12. Dezember 2015 selber gewütet hatte. So heißt es dort:

  • “Die Repressionen seitens Ordnungsamt und Polizei erstreckten sich über den gesamten Tag und betrafen sowohl die individuell am Protest teilnehmenden Menschen als auch den zivilgesellschaftlichen Widerstand in den angemeldeten Gegenkundgebungen. Diejenigen, die sich zu den Versammlungen durchgekämpft hatten, waren auch keineswegs sicher. Die Polizei versuchte immer wieder, die Lage zu eskalieren. So wurden beispielsweise in der Arndtstraße Menschen in die Kundgebung geprügelt, obwohl sie an dieser überhaupt nicht teilnehmen wollten. Später wurde zudem ohne erkennbaren Anlass eine Tränengasgranate in die Versammlung abgefeuert und tauchte die dort mehr oder weniger Festgesetzten in eine CS-Gaswolke.”

Vor diesem Hintergrund wäre es auch für das zivilgesellschaftliche Bündnis längst an der Zeit, die obligatorische Aussage des “gewaltlosen Widerstands” zu streichen und sich bedingungslos solidarisch zu zeigen mit allen Menschen, die sich Neonazis und Polizeiterror widersetzen, gleich mit welcher Aktionsform.

Mit einem Lächeln ist die Doppeldeutigkeit in der Sprache des DGB-Aufrufs zu lesen. Einen Tag nachdem die LVZ “Antifa bittet Leipziger um Hilfe beim Barrikadenbau” titelte, veröffentlichte die Gewerkschaft Details zu ihrer geplanten Mahnwache:

  • “Türme bauen für Demokratie, Menschenrechte und Gerechtigkeit” Jede/r kann mit selbstgestalteten Bausteinen ein Zeichen für Demokratie, Menschenrechte und Gerechtigkeit setzen. Materialien vor Ort vorhanden.”

Was tun?

Für Antifaschist*innen bieten sich am 18. März 2017 viele Möglichkeiten. Neben dem Organisieren eigener Aktionen gegen den Neonaziaufmarsch und seine TeilnehmerInnen vor, während und nach ihrer Versammlung gibt es mehrere Kundgebungen und Demonstrationen, die besucht werden können. Erfolgreiche Blockaden werden nur mit vielen Menschen möglich sein. Hier lohnt sich eine aufmerksame Beobachtung der Informationen am Tag selber und eine gute Planung vorab. Kurzum, schaut euch das Gebiet vorher an. Es gibt immer Lücken und Schwachstellen in der polizeilichen Planung. Vergesst am Ende des Tages nicht die Gefangenen und unterstützt die Kundgebung vor der Gefangenensammelstelle.


Text zugesandt von: anonym