Nie wieder Krieg!
Frieden schaffen wir nur selber.
„Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ ist die Parole, die uns jährlich (nicht nur) am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus, begleitet. Seit dem 24. Februar 2022 ist der neueste Krieg. Das heißt nationalistischer Taumel in Deutschland, militärische Aufrüstung, sicherheitspolitische Mobilisierung – auf einem brüchigen Boden, den Corona in dieser Gesellschaft bereitet hat. Als Linke und Linksradikale in Deutschland sehen wir es als unsere Verantwortung an, dagegen aktiv zu werden. Dagegen, dass dieses Land zu neuer militärischer Macht kommt, dass im Windschatten dessen Nationalismus und Militarismus erstarken und dass ein erinnerungspolitischer Schlussstrich gezogen wird, den selbst die rechtspopulistische AfD so nicht hätte markieren können. Ein mächtiges Deutschland hat noch nie etwas Gutes gebracht!
Demonstration | Samstag, 7. Mai 2022 | 14 Uhr | Markt/ Gänseliesel, Göttingen
Wir ergreifen die Initiative für eine Demonstration "Nie wieder Krieg!" am Samstag, den 7. Mai 2022. Wir laden dazu ein, Generationen und Initiativen der letzten Wochen aus den Bereichen Klimagerechtigkeit, Geflüchteten-Unterstützung, Friedensbewegung, Feminismus und Antifa zusammenzubringen und eine längerfristigen Bewegung gegen Militarismus und Aufrüstung in Deutschland aufzubauen.
Faltblatt: Nie Wieder Krieg! Frieden schaffen wir nur selber!
Bilder der Demonstration Nie Wieder Krieg am 7. Mai 2022
Redebeiträge auf der Demonstration Nie Wieder Krieg am 7. Mai 2022
Unsere Redebeiträge auf Friedensdemonstrationen seit März 2022
Weitere Termine:
»Abrüsten statt Aufrüsten!«
Osteraktion der Friedensbewegung
Sa. 16.4.2022 | 12 Uhr | Wilhelmsplatz | Göttingen
»Care Revolution statt militaristischer Zeitenwende!«
Feministischer und antikapitalistischer Block des Bündnisses All Care Workers Unite! auf der gemeinsamen Demo am 1. Mai
So. 1.5.2022 | 10.30 Uhr | Platz der Synagoge | Göttingen
Im Anschluss Infotische, Essen, Trinken, Feiern vor dem Roten Zentrum | Lange-Geismar-Straße 2 | Göttingen
»Nie wieder Faschismus, nie wieder Krieg!«
Gedenkveranstaltung der VVN-BdA zum 8. Mai, dem Jahrestag der Befreiung vom deutschen Faschismus, am Gedenkstein für den antifaschistischen Widerstand am ehemaligen Stadthaus/Polizeigefängnis
So. 8.5.2022 | 15 Uhr | Thomas-Bürgenthal-Haus/Stadtbibliothek | Gotmarstraße Ecke Johanniskirchhof | Göttingen
»Zwangsarbeit bei Rheinmetall in Unterlüß im ehemaligen KZ-Außenlager Tannenberg«
Ausstellung »Der Weg der Erinnerung« und Veranstaltung mit Rheinmetall entwaffnen Rhein-Main
Juni/Juli 2022 | weitere Ankündigungen folgen
»30. Jahrestag der rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen«
Bundesweite antirassistische Gedenkdemo
Sa. 27.8.2022 | Rostock-Lichtenhagen
»Rheinmetall entwaffnen!«
Aktionswoche und Camp in Kassel
30.8. bis 4.9.2022
Nie wieder Krieg!
Frieden schaffen wir nur selber.
Nie wieder Faschismus! Nie wieder Krieg!“ ist die Parole, die uns jährlich (nicht nur) am 8. Mai, dem Tag der Befreiung vom deutschen Faschismus, begleitet. Seit dem 24. Februar 2022 ist der neueste Krieg. Das heißt nationalistischer Taumel in Deutschland, militärische Aufrüstung, sicherheitspolitische Mobilisierung – auf einem brüchigen Boden, den Corona in dieser Gesellschaft bereitet hat. Als Linke und Linksradikale in Deutschland sehen wir es als unsere Verantwortung an, dagegen aktiv zu werden. Dagegen, dass dieses Land zu neuer militärischer Macht kommt, dass im Windschatten dessen Nationalismus und Militarismus erstarken und dass ein erinnerungspolitischer Schlussstrich gezogen wird, den selbst die rechtspopulistische AfD so nicht hätte markieren können. Ein mächtiges Deutschland hat noch nie etwas Gutes gebracht!
Kriege, Krisen, Rassismus, Patriarchat und Kapitalismus gehören untrennbar miteinander zusammen. Seit Jahrhunderten versuchen die kapitalistischen Länder, ihr System anderen Ländern aufzuzwingen, und zwar durch ökonomische Vorherrschaft, politische Gleichschaltung, kulturelle und religiöse Bevormundung und militärische Gewalt. Sklaverei, Ausbeutung von Menschen mit ihren rassifizierten und vergeschlechtlichten Körpern, Armut, Umweltzerstörungen, Hegemonien westlicher Denksysteme und imperialistische Angriffskriege sind die schrecklichen, zerstörerischen Folgen. Wir verstehen uns als Teil einer internationalistischen, dekolonialen, feministischen, antirassistischen, klassenbewussten und klimabewegten Widerstandbewegung gegen diesen und andere aktuelle imperialistische Kriege.
„Refugees welcome“ heißt Grenzen auf für Alle!
Wir stellen uns auf keine kriegsführende Seite. Wir können nicht für Russland sein. Wir können nicht für die Ukraine sein. Wir können nicht für die NATO sein. Militarisierung ist keine Solidarität! Stattdessen stehen wir für internationale Solidarität mit den Menschen, die sich vor Ort und anderswo gegen diesen Krieg stellen und mit denen, die vor ihm fliehen. Wir bewundern den Mut derjenigen, die in Russland und in der Ukraine gegen die Logik des Krieges Widerstand leisten und dafür Repression und Verfolgung ausgesetzt sind. Unsere Solidarität gilt den cis- Männern und Transmenschen im wehrpflichtigen Alter zwischen 18 und 60 Jahren, die zwangsrekrutiert werden (sollen) und sich deshalb verstecken oder davor fliehen, also desertieren um sich dem zu widersetzen. Unsere Solidarität gilt zweifellos allen Menschen, die aus der Ukraine und aus Russland auf der Flucht sind. Dabei machen wir keine Unterschiede, sondern wollen offene Grenzen für Alle sehen. Tatsächlich bleiben die offenen Grenzen für Alle aus, denn Flüchtende und Geflüchtete werden nach bestimmten Kriterien eingeteilt. Besonders drastisch manifestiert sich rassistische Gewalt an den polnischen Grenzen: Während zur Ukraine hin Aufnahmelager errichtet wurden und sich die polnische PiS-Regierung als „Retterin der Flüchtlinge“ inszeniert, feiert sie zur selben Zeit das massenhafte gewaltsame Zurückschlagen sog. „illegaler Einwanderer“ an der Grenze zu Belarus. Wir aber sind solidarisch mit allen diesen Menschen. Ukrainische Menschen auf der Flucht gelten zurzeit als „weiße Europäer*innen“, die gerade unbeschränkte Möglichkeiten für und auf ihrem Weg nach Deutschland bekommen. Wir sind allerdings auch solidarisch mit afrikanischen Studierenden, die genauso aus der Ukraine vor dem Krieg fliehen, die auf ihrer Flucht an Polens Grenze abgewiesen werden. Wir sind solidarisch mit Transpersonen, die von polnischer Seite nicht aufgenommen werden, sondern stattdessen verprügelt werden. Wir sind solidarisch mit Schwarzen Menschen und People of Color, die vor dem Krieg fliehen, die von der Bundespolizei aus den Zügen rausgeschleppt werden. Diese Ungleichbehandlung wird begleitet von einer kolonial eingebetteten, rassistischen Erzählung der „hilfsbedürftigen europäischen Nachbarn“ und der „normalen Flüchtlinge“. Während in der Vergangenheit osteuropäische Arbeiter*innen in gering bezahlten und gesundheitlich nicht abgesicherten Bereichen in Deutschland wie den Spargelfeldern, der Fleischindustrie oder der häuslichen Pflege gequält und ausgebeutet wurden, werden sie in der aktuellen Situation nun hofiert und gegen andere Menschen auf der Flucht ausgespielt. Daran wird deutlich, wie sich die koloniale und rassistische Struktur europäischer Migrations- und Staatsbürger*innenschaftspolitik in einer Grausamkeit manifestiert, die wir schon längst auf Lesbos, in Libyen oder Afghanistan beobachten können. Europa verantwortet eines der tödlichsten Grenzregime der Welt; nicht erst seit heute oder gestern. Seit 2014 sind über 23.400 flüchtende Menschen allein im Mittelmeer ertrunken. Knapp 2 Jahre nach dem Feuer im Flüchtlingscamp Moria leben noch immer 3.500 Menschen im Nachfolgelager Mavrovouni auf der griechischen Insel Lesbos. Dieser europäische Alptraum für Nicht-Europäer*innen ist die Wirklichkeit der vielfach betonten europäischen Werte.
Genauso gilt unsere internationale Solidarität aber auch all jenen, die derzeit keine vergleichbare mediale Aufmerksamkeit erfahren wie die Menschen aus den ukrainischen Gebieten. Es gibt genug Menschen, die ebenso Krieg und Gewalt ausgesetzt sind, nicht zuletzt durch deutsche Beteiligung: Die Bevölkerung in Tigray, Afghanistan, Syrien, Yemen; Kurd*innen im von der Türkei bombardierten Afrin. Sie alle werden in ihrem Recht auf Leben und Selbstbestimmung angegriffen.
Europa und allem voran Deutschland inszeniert sich heuchlerisch als friedensliebend und konstruiert Russland und östliche Regionen als undemokratisch und barbarisch. Dies führt zu neuen antislawischen, antirussischen und antiukrainischen Rassismen und Diskriminierungen im Westen, die aus antirassistischer Perspektive nicht hinzunehmen sind. Gleichzeitig werden Formen von Rassismus und Antisemitismus in der Ukraine selbst durch die Vorstellung und Erzählung von aus der Ukraine flüchtenden Menschen als einheitliche weiße Gruppe unsichtbar gemacht. Rom*nja sowie Jüd*innen und Juden in der Ukraine sind nicht nur bedroht durch den russischen Angriffskrieg, sondern auch durch die Eskalation des ukrainischen Nationalismus und Kriegsrechts. Die Sicherheit von People of Color, von Schwarzen Menschen, Rom*nja auf der Flucht sollten wir besonders im Blick haben. Besondere Aufmerksamkeit verlangen mehrfach diskriminierte Menschen und besonders angreifbare und verletzliche Personengruppen wir queere People of Color, Muslim*innen oder Jüd*innen und Juden auf der Flucht.
Dieser Krieg wird als ein Krieg „in Europa“ inszeniert, der nicht „im Irak oder in Afghanistan“ geführt wird. Soll heißen: Bei „uns“ in einem „zivilisierten Europa“. Daraus spricht eine tief verwurzelte koloniale Tradition Europas, das sich selbst als modern und aufgeklärt inszeniert. Dies erklärt das Schweigen über die anderen Kriege in der Welt, über Naturkatastrophen, die nicht in Europa stattfinden und die brutale und mörderische Flüchtlingspolitik Europas.
Rüstungskonzerne entwaffnen!
Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einer „Zeitenwende“, dessen Konsequenzen wir uns noch nicht ausmalen können. Aber eine Zeitenwende scheint klar: Hin zu Aufrüstung, neuen Feindbildern und Krieg als neues Zentrum bundesdeutscher Außenpolitik. Während in Berlin am 27. Februar 2022 eine halbe Million Menschen gegen den Krieg demonstrierten – so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr – beschloss die Bundesregierung einen Entwurf für das größte Aufrüstungsvorhaben seit 1945: Für die Bundeswehr sollen mit einem Schlag 100 Milliarden Euro zusätzlich zur Verfügung gestellt werden, nachdem dafür das Grundgesetz geändert werden soll. Das israelische Raketenabwehrsystem „Arrow 3“ soll nun angeschafft werden. Drohnenbewaffnung, die bisher umstritten war, soll auf einmal genehmigt werden. Dieses Aufrüstungspaket macht Deutschland zum Land mit dem drittgrößten Rüstungsetat der Welt. Neben diesem einmaligen Schlag sollen auch kontinuierliche Aufrüstungspläne verabschiedet werden: Von nun an werden jährlich mehr als zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Bundeswehr investiert. Schlimmer geht immer: Aus den 100 Milliarden soll als erstes die nukleare Teilhabe Deutschlands modernisiert werden, indem die bundesdeutsche Luftwaffe mit 35 US-amerikanischen F35-Tarnkappenjets ausgerüstet werden soll. Dieses Kriegsflugzeug eignet sich als Trägerflugzeug für Atombomben – und genau dies ist der Grund, weshalb Bundesverteidigungsministerin Christine Lambrecht (SPD) es anschaffen will: Für die „nukleare Teilhabe Deutschlands“; ein Konzept innerhalb der NATO, welches Mitgliedsstaaten ohne eigene Atomwaffen in den Einsatz der Waffen miteinbezieht. Die Bundesregierung will damit also US-amerikanische Atombomben in Kriegsziele fliegen.Die bereits bestehende militärische Überlegenheit der NATO hat den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht verhindert und auch die beschlossene Aufrüstungs-Eskalation in Deutschland wird den Menschen in der Ukraine keine Sicherheit bringen. Wer profitiert stattdessen davon? Unter anderem US-amerikanische Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin, die die F35-Tarnkappenjets bauen und liefern. Europäische Hersteller wie Airbus und der Lenkwaffenkonzern MBDA. Und vor allem deutsche Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, Hensoldt, Diehl und Heckler&Koch. Rheinmetall hat nach Scholz‘ Milliardenpakets-Zusage sogleich ein Angebot an die Bundesregierung für Munition und Militärfahrzeuge in Höhe von 42 Milliarden Euro unterbreitet. Dieser Konzern, der am Krieg sein Geld verdient, liegt direkt vor unserer Haustür: in Kassel. Es ist an uns, aktiv zu werden und Rheinmetall gemeinsam zu entwaffnen! Zum Beispiel bei der antimilitaristischen Aktionswoche in Kassel vom 30. August bis 4. September 2022 inklusive Camp, Blockaden und Großdemo.
Caring for the war? Klassenkampf statt Vaterland!
Erschütternd ist bei dieser Aufrüstung nicht nur das Vorbereiten und Mitwirken in einem oder mehreren Kriegen dadurch an sich, sondern auch der ökonomische und soziale Hintergrund, in dem das Ganze stattfindet. Seit der COVID-19 Pandemie drehen sich die Diskussionen um unterfinanzierte Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen, Schulen und Kitas. Die Arbeitsbedingungen sind in diesen Bereichen nicht nur miserabel, sondern auch die Bezahlung sollte teilweise in diesen Bereichen während der Pandemie sogar verringert werden. Von Applaus kann sich kein*e Arbeiter*in (gut) ernähren, die Miete oder Bildung bezahlen und gesund bleiben. Forderungen nach Lohnerhöhungen, Entlastung und besserer personeller Ausstattung in der Pflege, in der medizinischen Versorgung und in Kitas werden höhnisch verlacht – ganz aktuell in der Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst. Aber plötzlich kann mit einem Schlag 100 Milliarden Euro in die Rüstung investiert werden. Die Kita-, medizinischen und pflegerischen Beschäftigten sollen also indirekt für Kriege mit bezahlen, indem ihnen das Geld nicht nur vorenthalten, sondern sogar weggenommen wird? No way! Neben diesen konkreten Bedingungen spielen auch grundsätzliche feministische Fragen hier eine Rolle. Während der traditionell weibliche Sorgearbeitsbereich abgewertet wird, wird dem Patriarchat der Rücken gestärkt: Militarisierung, Debatten über die Wiedereinführung der Wehrpflicht und der Hype von Rüstungsgütern unterstützen schlussendlich ein heroisches Männlichkeitsbild und feuern das patriarchale Grundverhältnis, aus dem heraus die imperialistischen Kriege geführt werden, mit rasanter Geschwindigkeit an. Ein Feminismus muss daher antimilitaristisch sein; eine antimilitaristische Bewegung im Gegenzug feministisch.
Schauen wir erneut auf die konkreten Verhältnisse in der Lohnarbeitswelt, kommt das internationale Ausbeutungssystem mit ins Bild: Seit Jahren arbeiten Ukrainer*innen, Pol*innen und Rumän*innen im Pflegebereich in Deutschland zu Niedriglöhnen. Polnische Firmen werben schon bisher ukrainische Frauen an und beauftragen sie im sogenannten Entsendeverfahren, in Deutschland pflegebedürftige Menschen zu Hause zu betreuen. Krieg und Flucht wird diese Ausbeutung voraussichtlich verschärfen. Aus Verzweiflung könnten Geflüchtete noch prekärere Arbeitsbedingungen hinnehmen; der Lohn- und Preisdruck könnte durch diese Dynamiken noch weiter verschärft werden. Es liegt auf der Hand, dass ukrainische Geflüchtete als „billigste Arbeitskräfte“ gern gesehen werden gegen den Pflegenotstand. Ähnliches können wir für die Fleischindustrie vermuten. In Norddeutschland werden hier vor allem osteuropäische Arbeiter ausgenutzt, in vielen Fällen werden sie komplett entrechtet beschäftigt. Wohin gehen die Gewinne aus dieser Hyper-Ausbeutung? Die Immobilienfirma des größten Fleischkonzerns Clemens Tönnies hat ihr Kapital im Jahr 2018 in ein Kernstück der Göttinger Innenstadt zwischen Markt, Weender Straße und Gotmarstraße investiert. Still und leise haben die Sparkasse Göttingen (ein öffentlich-rechtliches Kreditinstitut) und die Göttinger Stadtverwaltung das Geschäft abgewickelt. Ein Lehrstück sozialdemokratisch-neoliberaler Lokalpolitik. Wenn die Ukrainer*innen, die sich derzeit auf der Flucht befinden, medial als „gern gesehene, europäische, gute Flüchtlinge“ inszeniert werden, aber zumindest ein Teil von ihnen im kapitalistischen Ausbeutungssystem die Profite maximieren sollen, vertuscht dies den rassistischen, ausbeuterischen Gehalt der bundesdeutschen Flüchtlingspolitik einmal mehr.
Deshalb müssen wir uns auch ganz generell gegen den Kapitalismus stellen. Deutschlands Beteiligung an der Osterweiterung der NATO und der Europäischen Union hat mit diesen ausbeuterischen Systematiken auch immer schon eine sozialökonomische Dimension gehabt: der Zugriff auf Absatzmärkte, Arbeitskräfte, Ressourcen und Ausweitung der Einflusssphären. Im Kapitalismus zählt nicht die Würde des Menschen, sondern der Wert, der aus seiner Arbeitskraft gezogen werden kann. Der Mensch ist in dieser kalten Logik ein Ding, selber eine Ware. Planungen und wirtschaftliches Handeln folgen nicht etwa der Vernunft, sozialer Kooperation, ökologischer Nachhaltigkeit oder den Bedürfnissen der Menschen, sondern der Wirkungsweise, die anderen als Konkurrent*innen zu sehen, sich auf dem Markt durchzusetzen, aus Kapital immer mehr Kapital zu gewinnen. Sinn macht das keinen, aber alle tun es. Bereits in Grundform und Dynamik des Kapitalismus sind soziale und ökologische Verwerfungen wie auch Kriege angelegt. Wir erleben heute, wie sich nationale Kapitale des Westens, Russlands und Chinas als mächtige imperialistische Blöcke gegenüberstehen.
Wir befinden uns zudem seit Jahrzehnten in einer gesellschaftlichen Phase, in der mit Nachdruck auch soziale Vorgänge der Daseinsversorgung zur Ware gemacht werden. Wesentliche Lebensbereiche, die eigentlich nicht einer Profitmaximierung unterliegen sollten, sind davor im Kapitalismus also nicht mehr gefeit: Bildung (Universitäten, Schulen, Kitas), medizinische Versorgung (Krankenhäuser, Pflegesituationen), Ernährung (vom Spargel bis zum Schweinefleisch). Gleichzeitig setzen sich Beschäftigte in diesen Bereichen zur Wehr, weil die Qualität ihrer Arbeit ein unbefriedigendes Maß überschreitet, die Belastungen unerträglich geworden sind oder die Löhne nicht zum Leben ausreichen. Rückenwind erfahren diese Streiks und Klassenkämpfe durch das neue Selbstbewusstsein sowie die Beiträge der feministischen Bewegung. All diese mühsamen sozialen Kämpfe finden nun im Angesicht von Krieg, Militarisierung und Zeitenwende-Rhetorik vielfach schlechtere Bedingungen vor.
System change, not climate change!
Eine besonders verheerende Grundlage kapitalistischen Wirtschaftens ist die Annahme, natürliche Ressourcen – ja der Planet insgesamt – seien unendlich verwertbar. Die junge Bewegung für globale Klimagerechtigkeit hat mit ihren Mahnungen vor dem 1,5 Grad-Kipppunkt diese Lüge skandalisiert. Ohne den gesellschaftlichen Stimmungswandel in dieser entscheidenden Zukunftsfrage wären die Wahlergebnisse von Bündnis90/Die Grünen kaum regierungsbildend ausgefallen. Umso antidemokratischer und bösartiger erscheint das erneute Vermögen der Oliv-Grünen, wenn sie ihren Beitrag dazu leisten weltpolitische Konflikte zu eskalieren anstatt auf Interessenausgleich zu setzen. Wenn sie erneut ihren Beitrag dazu leisten dem Klima-Diskurs ein protektionistisches und nationalistisches Vorzeichen zu geben und damit das Verbrennen unserer natürlichen Lebensgrundlagen noch anfeuern.
Was genau soll die Herrscher von Qatar, den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Saudi Arabien von Russlands Präsident Putin in Fragen von toxischer Männlichkeit, Frauen- und Queerfeindlichkeit, autoritärem Regierungsstil und Demokratieverachtung, Ausbeutung von Arbeitskräften, Abhängigkeit von fossilen Energien oder Kriegsführung unterscheiden?
Die nun als Sachzwang erscheinende Renaissance von Kohle- und Atomkraft und der strategische Schwenk zu US-amerikanischem Fracking-Gas brechen die notwendigen Diskussionen darüber ab, dass auch ein Wandel zu sogenannten erneuerbaren Energien und zu Elektromobilität lediglich neue Konfliktfelder schafft: seltene Erden oder Wasserstoff müssen ebenfalls ausgebeutet, transportiert und militärisch abgesichert werden. Ohne eine Abkehr von diesem Extraktivismus sind wir nicht zu retten!
Während Schulkinder dazu angehalten werden, kein Kaugummipapier wegzuwerfen, bildungsbürgerliche Mittelstandsfamilien selbstverliebte Selfies von ihrem neuen Tesla posten und arme Menschen ihre Heizung – wahlweise als Umweltschutz- oder als Kriegsbeitrag – runterdrehen sollen, gehen die imperialistischen Blöcke in eine neue schamlose Phase der Destruktivität über: riesige Ressourcen werden für Waffen verschwendet, Weltregionen in Schutt und Asche gelegt und die atomare Kriegsführung als Möglichkeit erwogen.
Wiederentwaffnung und Entnazifizierung jetzt!
Krieg gehört zu Europa. Der Kolonialismus und zwei Weltkriege haben hier ihren Ausgang genommen. Auch nach 1990 fanden grausame und völkerrechtswidrige Kriege statt. Das gerade wiedervereinigte Deutschland erkannte bereits im Dezember 1991 Slowenien und Kroatien mit der Argumentation des „Selbstbestimmungsrechtes der Völker“ an. Damit befeuerte Deutschland die bereits vorhandenen Konflikte und den Separatismus nationalistischer Gruppen, die sich teils in die Kontinuität historischer Nazi-Kollaborateure stellen. Eine grausame Kette von Bürger*innenkriegen waren zwischen 1991 und 2001 die Folge dieser beabsichtigten Destabilisierung Jugoslawiens. Den ausgelösten Fluchtbewegungen aus der Balkan-Region wurde in Deutschland mit massiver rassistischer Hetze begegnet, hunderte Neonazimorde und die faktische Abschaffung des bis dahin grundgesetzlich verankerten Menschenrechts auf politisches Asyl waren die Folgen. Ende August 2022 jähren sich die rassistischen Pogrome von Rostock-Lichtenhagen zum 30. Mal. Die Vorlage dieses Volksgruppen-Selbstbestimmungs-Drehbuches mit selber erschaffenen Interventionsgründen scheint bis heute Verwendung zu finden: am 24. März 1999 begann die NATO schließlich für 78 Tage serbische Krankenhäuser, Schulen, Wasserwerke und Chemiebetriebe zu bombardieren. Völkerrechtsbruch und Kriegsverbrechen mit inbegriffen: am 12. April 1999 beschoss die NATO bspw. den zivilen Personenzug D393 auf der Bahnbrücke bei Grdelica in Serbien und tötete dabei 14 Menschen und verletzte 16. Trotz dieses ersten Angriffskriegs mit deutscher Beteiligung seit 1945 sind die imperialistischen Kriege der NATO und Deutschlands nicht Teil der Erinnerung der deutschen Mehrheit.
Denn die deutsche Dominanzbevölkerung möchte keine Schmach über Deutschland sehen. Das gilt für die jüngere wie die länger zurückliegende Vergangenheit. Den letzten Krieg in der Ukraine hat Nazi-Deutschland geführt. Aufgrund ihrer geographischen Lage war die Ukraine, genauso wie Belarus, seit Juni 1941 stark vom faschistischen Vernichtungskrieg gegen die Sowjetunion betroffen. Die deutsche Besatzung der Zentralukraine während des Zweiten Weltkriegs führte zu unvorstellbaren Zerstörungen und Ermordungen durch die sogenannte „Politik der verbrannten Erde“. Circa 1,6 der 2,7 Millionen Jüd*innen und Juden in der Ukraine wurden während der Shoah ermordet, davon über 80% während 1941 und 1944 unter deutscher faschistischer Besatzung direkt vor Ort. 20% wurden in den Vernichtungslagern Ostpolens ermordet. Auch Rom*nja wurden gezielt von den deutschen Faschisten verfolgt und ermordet.
Über 600 Orte wurden damals zerstört, deren Überlebende sich nun im Jahr 2022 einem neuen Krieg ausgesetzt sehen. Hier leben Tausende Shoah- und Porajmos-Überlebende, die re-traumatisiert werden könnten. Die angebliche „Denazifizierung“ der Ukraine, die Putin mit seinem imperialistischen Krieg durchzuführen vorgibt, wird hier besonders perfide. Diese Art von ideologischer Instrumentalisierung soll seinen Krieg, der durch nichts zu rechtfertigen ist, legitimieren und ist eine Demütigung für das Gedenken an die Opfer der Shoah und diejenigen, die gegen den deutschen Faschismus gekämpft haben, unter anderem die russischen und ukrainischen Soldat*innen der Roten Armee oder die Ukrainer*innen in den sowjetischen Partisan*innengruppen. Ähnlich instrumentalisierend für Kriegszwecke argumentiert der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskij, wenn er den Einschlag einer russischen Bombe in einem militärischen Ziel nahe der Schlucht von Babyn Jar, in der die Nazis im September 1941 innerhalb 36 Stunden 33.000 Jüd*innen und Juden ermordet hatten, als „eine Wiederholung der Geschichte“ bezeichnet. Damit wollen wir den Menschen in der Ukraine nicht absprechen, (re)traumatisierende Erfahrungen zu machen. Die Inszenierungen Selenskijs sind in einem deutschen Kontext jedoch geeignet, um geschichtsrevisionistisch zu wirken. Durch die Gleichsetzung mit anderen Unmenschlichkeiten wird das selbsterklärt-geläuterte Deutschland mobilisiert, um gemeinsam mit dem jüdischen Präsidenten die Menschlichkeit gegen „den Russen“ zu verteidigen.
Gerade in Deutschland wird derzeit ein neues erinnerungspolitisches Kapitel aufgeschlagen. Die Shoah und der Porajmos werden auch hier für Militarisierung instrumentalisiert. Auf Anti-Kriegs-Demonstrationen wimmelt es von Hitler-Putin-Vergleichen. Sowjetische Ehrenmale, die an die Millionen toter Soldat*innen der Roten Armee gedenken, wollen Nazi-Enkel nun abgerissen sehen. Vier Tage nach dem russischen Angriffskrieg auf die Ukraine wurde Olaf Scholz‘ (SPD) 100 Milliarden schweres Aufrüstungspaket von der Mehrheit der Abgeordneten mit begeistertem Beifall, Standing Ovations und „Bravo!“-Rufen bejubelt. 77 Jahre nach der Befreiung vom deutschen Faschismus wird das militärische Wieder-Erwachen und -Erstarken Deutschlands erleichternd gefeiert. Keine Sorge vor dem, wozu der deutsche Militarismus schon zwei Mal in der Geschichte geführt hat. Einen Tag nach Scholz‘ Verkündung trat SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert vor die Kameras des Morgenmagazins und verglich: „Allein schon die deutsche Geschichte zeigt, dass es Situationen gibt, in denen die Logik des Militärischen als letzte Instanz genutzt werden muss.“ Bitte?! Damit haut Kevin Kühnert gemeinsam mit der Ampel-Koalition in eine Kerbe, die die damalige rot-grüne Bundesregierung 1999 bereitet hat. Der damalige Bundesaußenminister Joseph „Joschka“ Fischer (Bündnis 90/Die Grünen) und der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping (SPD) rechtfertigten die deutsche Beteiligung am Kosovo-Krieg geschichtsrevisionistisch. Scharping sagte bei dem Besuch der Gedenkstätte Auschwitz-Birkenau, ein Völkermord dürfe nie mehr eine Chance haben. Darum sei die Bundeswehr in Bosnien, die unter Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) dort stationiert wurde, und darum werde sie auch in den Kosovo gehen. Fischer verglich den jugoslawischen Präsidenten Slobodan Milosevic mit Adolf Hitler und gab an, er habe nicht nur „Nie wieder Krieg“ gelernt, sondern auch „Nie wieder Auschwitz“ und deshalb müsse die deutsche Bundeswehr Serbien angreifen. Der erste deutsche Angriffskrieg von deutschem Boden seit 1945 war die Folge.
Tatsächlich ist die Bundeswehr keine antifaschistische Friedensbringerin, sondern im Gegenteil selbst durchsetzt von Neonazis. Der Bundeswehroffizier Franco Albrecht steht seit 2021 vor Gericht, weil er sich 2017 als syrischer Flüchtling ausgegeben hat, um mit diesem Hintergrund in Deutschland neonazistische Terroranschläge durchzuführen. Der ehemalige KSK-Soldat André S. alias „Hannibal“ koordinierte und organisierte seit 2015 ein rechtes Netzwerk von sogenannten Prepper-Gruppen, die im Falle eines Systemzusammenbruchs Massenmorde an politischen Gegnern durchführen woll(t)en. Dies sind und waren keine Einzelfälle. Die zweite Kompanie der Eliteeinheit KSK (Kommando Spezialkräfte) wurde wegen der eigenen Neonazi-Strukturen am 1. August 2020 aufgelöst. Dies scheint alles vergessen und nicht (mehr) gefährlich, wenn jetzt die Bundeswehr neuen Auftrieb bekommt. Dies heißt zwangsläufig, dass auch Neonazis mit ihren militärischen Ausbildungen, Waffen und Infrastruktur-Ressourcen durch die neuste Aufrüstungspolitik und pro-Bundeswehr-Stimmung wieder gestärkt werden.
Neonazis nutzen Kriege schon lange ganz aktiv, um durch eigene Teilnahme das Morden auszuleben und einzuüben. Deutsche Neonazis reisten bereits in den 1990er Jahren nach Südafrika und Jugoslawien, um dort zu morden und mit Waffen zurück zu kehren. In Jugoslawien kämpften allein aus Südniedersachsen 25 Neonazis aus dem Umfeld der „Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei“ (FAP) auf Seiten der kroatisch-faschistischen Ustascha-Milizen. Der Neonazianführer Thorsten Heise, der nur 30 km südlich von Göttingen im thüringischen Fretterode lebt, war Anfang der 1990er Jahre im Kroatien-Krieg gegen Serbien als „Kroatien-Söldner“ beteiligt. Er hatte selbst gute Verbindungen auch nach Südafrika: 1999 trat der dort lebende Altnazi Heinz-Georg Mideot bei einem Kameradschaftsabend bei Heise als Redner auf. Anschließend wollte Mideot in Südafrika ein Trainingszentrum „für Heises Leute“ aufbauen, in dem nach Heises Haft-Entlassung Anfang der 2000er die Arbeit aufgenommen werden sollte. Der NSU-Unterstützer Holger Gerlach nahm im Juni 1999 an der Hochzeitsfeier von Nadine Quentin und Thorsten Heise in Northeim teil und hatte den Auftrag, hier Fluchtmöglichkeiten für den NSU nach Südafrika zu erörtern.
In der aktuellen Kriegs-Situation riefen nun deutsche Neonazis des sogenannten „III. Wegs“ erst dazu auf, an der deutsch-polnischen Grenze Migrant*innen anzugreifen. Dann luden Mitglieder des „III. Wegs“ Redner des paramilitärischen Asow-Batallions aus der Ukraine ein. Das Erkennungszeichen des Asow-Batallions ist die Wolfsangel, die auch die SS als Symbol benutzte. Mitglieder dieses faschistischen Batallions haben bereits 2017 auf einem Rechtsrock-Konzert in Themar (Thüringen) für „Freiwillige“ geworben.
Als Antifaschist*innen ist dies für uns unerträglich und wir fühlen uns in der Pflicht und Verantwortung, uns sowohl gegen den derzeitigen geschichtspolitischen Umschwung als auch gegen das Erstarken von Neonazis in und durch die Bundeswehr zu wehren. Wir stellen uns auf keine falsche Seite, sondern beziehen eine klare, unversöhnliche Position gegen Krieg und für den Frieden. Wir befinden uns schon längst am Scheidepunkt der Geschichte, an dem die letzten Überlebenden der Shoah und Widerstandskämpfer*innen gegen den deutschen Faschismus sterben bzw. gestorben sind. Ihr Fehlen als moralische Instanzen führt dazu, dass die deutsche Dominanzgesellschaft aufatmend frei dreht und die Vernichtung von Millionen Jüd*innen und Juden einfach so zum „Vogelschiss“ erklärt werden kann. Der Schwur der ehemaligen Häftlinge des von ihnen selbst befreiten KZ-Buchenwald ist uns Auftrag: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. Dies wird in diesen Zeiten noch schwieriger umzusetzen, und deshalb müssen wir aufstehen, uns erheben, aktiv sein, Widerstand leisten, wo es nur geht. Esther Bejarano, Auschwitz-Überlebende und aktive Antifaschistin bis zu ihrem traurigen Tod am 10. Juli 2021 mahnt uns und ruft uns auf: „Nie mehr Schweigen, wenn Unrecht geschieht. Seid solidarisch! Helft einander! Achtet auf die Schwächsten! Bleibt mutig! Ich vertraue auf die Jugend, ich vertraue auf euch! Nie wieder Faschismus – nie wieder Krieg!“
Es ist unsere Aufgabe, hier vor Ort an einer antifaschistischen, antimilitaristischen und internationalistischen Bewegung mitzuwirken, die Teil von Bewegungen in Russland, der Ukraine und weltweit ist. Wir brauchen und suchen den Austausch mit (nicht nur linken) Menschen aus der Ukraine und aus Russland. So wie es an uns ist, ist es auch an Euch. In diesem Sinne rufen wir zu einer internationalistischen Anti-Kriegs-Demonstration auf. Der 8. Mai ist der Tag der Befreiung vom Faschismus. Eigentlich ein Tag der Freude! In diesem Jahr ist er uns Anlass, um gemeinsam mit Euch am Samstag, den 7. Mai 2022 auf die Straße zu gehen und laut zu sagen: „Krieg? Nie wieder!“
Antifaschistische Linke International A.L.I. im April 2022
Samstag, 7. Mai 2022 | 14 Uhr | Markt/Gänseliesel | Göttingen | Demonstration
Demoaufruf No More War!
SAMSTAG, 7. MAI 2022 | DEMONSTRATION | 14 UHR
MARKT/GÄNSELIESEL | GÖTTINGEN
WAR DA NICHT WAS? Gerade noch wollten wir die Welt retten. Globale Gerechtigkeit. Den von den Menschen im globalen Norden verursachten Klimawandel auf 1,5 Grad begrenzen. Die letzte Generation vor dem Kipppunkt. Der große Tschadsee trocknet schon lange aus, Millionen Menschen südlich der Sahara sind auf der Flucht, Konflikte um Land, Boko Haram, Bundeswehr in Mali, Massengrab Mittelmeer. Wer hatte ernsthaft die Hoffnung, dass Wahlen etwas ändern? Bündnis90 wieder Oliv-Grün. SYSTEM CHANGE, NOT CLIMATE CHANGE!
WAR DA NICHT WAS? Gerade noch war Pandemie und alle wussten, was wirklich wichtig ist zum Leben. Ein gut ausgestattetes Gesundheitssystem, Intensivmedizin, Beatmungsgeräte, Krankenpflege, Kinderbetreuung – Systemrelevant. Care Revolution! Fließbänder für Dieselmotoren konnten stillstehen, Konsummeilen waren ausgestorben. Applaus! Personalbemessung? Lohnerhöhungen? Klopapier. KLASSENKAMPF STATT VATERLAND!
WAR DA NICHT WAS? Gerade noch galt das Kommando Spezialkräfte (KSK) als nicht-reformierbar. Truppenübung für Vergewaltigungen, Gruppenbild mit Totenschädeln, Nazi-Chats, Waffenklau, das Hannibal-Netzwerk, der Bundeswehr-Offizier Franco Albrecht verkleidet sich als syrischer Geflüchteter und plant ein Blutbad, Sehnsucht nach dem Rassenkrieg. Die Bundeswehr für Menschen- und Frauenrechte? Feministische Außenpolitik? Toxische Dummheit. WIEDERENTWAFFNUNG UND ENTNAZIFIZIERUNG JETZT!
WAR DA NICHT WAS? Gerade noch galt die westliche Interventions- und Kriegspolitik einmal mehr als gescheitert. Iran/Irak, 1980-1988: Waffengeschäfte, deutsches Giftgas. Irak, 1991: Blut für Öl, embeded journalism. Jugoslawien 1999: 78 Tage NATO-Neusprech „humanitäre Aktion“, deutsche Bomben auf Belgrad, Personenzug D393 auf der Bahnbrücke bei Grdelica, Kollateralschäden. Afghanistan, 2001-2021: ein deutscher Oberst gibt den Befehl und 125 sind tot, Beförderung für Georg Klein, keine Entschädigung für Abdul Hanan. Irak, 2003: Logistik und Steuerung für den Drohnen- und Bombenkrieg aus Ramstein. Yemen, Tschetschenien, Georgien, Mali, Lybien, Syrien, Kurdistan/Türkei. Und plötzlich fühlt sich alles so nah an? Der erste Krieg in Europa nach dem Zweiten Weltkrieg? KRIEGE BEGINNEN HIER. BEENDEN WIR SIE HIER!
ERINNERN WIR UNS! Am 8. Mai 1945 ist Hitler kaputt und Nazi-Deutschland am Ende. Kapitulation vor den siegreichen Armeen der USA, Großbritanniens, Frankreichs und der Sowjetunion. Danke! Befreiung! Ein Grund zum Feiern für alle Antifaschist*innen, für die Gefangenen in den Konzentrationslagern und Kerkern, für die Zwangsarbeiter*innen. Der Schwur der ehemaligen Häftlinge des KZ-Buchenwald ist uns Auftrag und Mahnung: „Der Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit ist unser Ziel“. NIE WIEDER FASCHISMUS, NIE WIEDER KRIEG!
VERWEIGERN WIR UNS! Der Identifikation mit imperialistischen Machtblöcken – NATO, Russland, China. Bin ich jetzt für die oder gegen den? Was ist das kleinere Übel? NEIN. Den kulturellen und politischen Vereinfachungen - hier der aufgeklärte liberale Westen, dort die rückschrittlichen Anderen? NEIN. Der Relativierung der Verbrechen des historischen deutschen Faschismus. „Hitler-Bärtchen“ auf PutinBilder? „Vernichtung des Ukrainischen Volkes“? NEIN. Der gesellschaftlichen Formierung für einen autoritären Klima-Krise-Kriegs-Kapitalismus. Polizeigesetze? Militarismus? Aufrüstung? Uniformen überall? Das Fließband schneller und die Heizung kälter stellen? NEIN.
HANDELN WIR! Unsere Unterstützung für Geflüchtete, unabhängig von ihrer Haut- und Haarfarbe, ihres Geschlechts und Alters, unabhängig von ihrer Herkunft. „Refugees welcome“ heißt Grenzen auf für Alle! Unsere Solidarität für Linke und progressive Kräfte, für Antinationalist*innen und Antifaschist*innen, für Kriegsgegner*innen und Deserteur*innen in allen Gesellschaften. Unser Widerstand gegen die Profiteur*innen und die Infrastruktur des Krieges, im Betrieb und auf der Straße, global denken und lokal handeln: RHEINMETALL ENTWAFFNEN – IN KASSEL UND ANDERSWO!
SAMSTAG · 7. MAI 2022 | DEMONSTRATION | 14 UHR · MARKT/GÄNSELIESEL | GÖTTINGEN
NIE WIEDER KRIEG! NIE WIEDER FASCHISMUS!
Bilder der Demonstration Nie Wieder Krieg vom 07. Mai 2022
Mehr unter: https://www.flickr.com/photos/nicokuhn/albums/72177720298729365/with/52057607416/
https://www.inventati.org/ali/index.php/76-ticker/2080-no-more-war.html#sigProIdadef1c6399
Redebeiträge auf der Demonstration Nie Wieder Krieg! am 7. Mai 2022
Redebeitrag der Antifaschistischen Linken International A.L.I.
während der Demonstration „Nie wieder Krieg!“ am 7. Mai 2022 in Göttingen
Zwischenkundgebung vor der Universitätsaula
Kriege beginnen hier!
Kriege beginnen hier in Deutschland.
Kriege beginnen hier in Göttingen.
Kriege beginnen auch hier an der Uni Göttingen!
2012 / 2013 starteten Studierende an der Uni Göttingen eine Initiative, die die Uni dazu zwingen sollte, militärische Forschung an der Universität Göttingen auszuschließen und sich auf friedliche und zivile Forschungen zu beschränken. Der damalige AStA setzte sich für die sogenannte Zivilklausel an der Uni Göttingen ein. Im Jahr 2013 dann wurden schöne Worte ins Leitbild der Uni Göttingen aufgenommen: „Die Universität bekennt sich zum Frieden und zur Gerechtigkeit in der Welt.“ Soweit so gut. Eine solche Formulierung scheint aber in erster Linie dazu zu dienen, die kritischen Studis ruhigzustellen und das Image aufzupolieren. Während die Uni Göttingen vor allem Nebelkerzen zündet, geht die Uni Bremen trotz Zivilklausel - um nur ein Beispiel zu nennen - sogar noch einen Schritt weiter. Sie erklärt die
Bundeswehr einfach zur Friedensbringerin. In Bremen bezahlt der Raumfahrtkonzern OHB, der für die Bundeswehr Satelliten baut, eine Professur für Raumfahrttechnik. Der Göttinger Senat beschloss gar nicht erst den Ausschluss für Rüstungsforschung. Beschlossen wurde lediglich, dass alle Forschungsvorhaben die Rüstungsinteressen berühren, künftig dem Präsidium angezeigt werden müssen.
Wir sehen: Wir sind noch weit davon entfernt Rüstungsforschung in Göttingen und anderswo zu verhindern. Was jedoch weiterhin ausgeschlossen bleibt, ist die Transparenz. Wenig ist bekannt über die von außen eingeworbenen und angenommenen Forschungsaufträge der verschiedenen Wissenschaftler*innen und Institute. Im Kontext der Auseinandersetzung um die Zivilklausel wurden frühere militärische Forschungen in Mathe, in der Physik und in der Medizin bekannt. Beispielsweise beteiligte sich die damalige Göttinger Virologie für das Verteidigungsministerium an der Entwicklung von Virenschnelltests für Tropenkrankheiten für Soldat*innen. Wie ist das heute? Wer erforscht die moderne Technik für die Luft und Strömungstechniken? Für Drohnen und Satellitentechnik? Wo gibt es Kooperationen zwischen Bundeswehr und Uni in der Ausbildung ihrer Soldat*innen: Arabistik oder Soziologie für die Bundeswehr?
Wer kritisch nachfragt, kriegt zu hören, dies unterliege der Forschungsfreiheit. Ironischerweise von jenen Kräften, die die neoliberale Umgestaltung der Unis vorantreiben. Während die freie Forschung unterfinanziert ist, werden Wissenschaftler*innen auf die Finanzierung ihrer Forschung durch Drittmittel getrimmt. Wen wundert es da, wenn militärische Aufträge zunehmen? Und das sicherlich nochmal mehr, wenn jetzt 100 Milliarden Euro in die Rüstungsproduktion gepumpt werden sollen.
Aus einer kleinen Anfrage an den Bundestag aus 2014 wissen wir, dass das Verteidigungsministerium in den Jahren 2010 bis 2014 öffentliche Forschungsaufträge an Universitäten vergeben hat. Die Meisten an die Uni Hannover, aber auch an Göttingen. Wissenschaftler*innen waren damals an insgesamt 700 Projekten beteiligt, darunter Aufträge zur Forschung an Drohnen, „smarter“ Munition und Handfeuerwaffen.
Weitere militärische Auftraggeber an Hochschulen sind neben der Bundeswehr, verschiedene europäische Verteidigungsministerien, das Pentagon oder auch Rüstungsfirmen ganz direkt.
Von den an verschiedenen Hochschulen verabschiedeten Zivilklauseln und auch von den in Göttingen verabschiedeten Formulierungen bleibt das sogenannte „dual use“ unberührt. Solange die Forschungsergebnisse für einen zivilen Zweck erforscht werden, fallen sie nicht
einmal unter die Zivilklausel. Auch wenn Radarsysteme, Drohnen, Aufklärungssysteme, optische Linsen und Co. von militärischen Partnern in Auftrag gegeben werden oder im Anschluss auch für militärische Zwecke verwendbar sind.
Kriege beginnen also hier, genau hier. Auch wenn das nicht auf den ersten Blick immer so sichtbar ist. Es bleibt also unsere Aufgabe, hier vor Ort, vor unserer Haustür hinzuschauen! Wenn die Uni Göttingen noch im April darüber diskutierte Gerhard Schröder wegen seiner
Kontakte und Ämter nach und in Russland seine Ehrendoktorwürde zu entziehen, sollten wir sie am Schlafittchen packen. Wir sollten sie am Schlafittchen packen und sehr laut danach fragen, welche Forschungen an ihrer eigenen Uni denn noch in Kriegsgeschehen involviert sind? Die Waffen und Rüstungsgüter, die hier produziert werden, werden jetzt schon in der Türkei, in Jemen, in Mali und auch in Russland eingesetzt. Weitere Waffen, weitere Forschungsergebnisse werden die Kriege von morgen füttern. Stoppen wir die Kriege von morgen, in dem wir Rüstungsindustrie und Rüstungsforschung hier vor Ort boykottieren.
Dabei sind wir uns aber eines gewiss: Es wird nicht besser, wenn irgendwas in weitere Leitbilder der Uni geschrieben wird. Es liegt an uns, an der Zivilgesellschaft, an den Studierenden und Wissenschaftler*innen an der Universität ganz genau hinzusehen: Woher kommt das Geld für unsere Forschung, wer profitiert davon? Was machen die Kolleg*innen am Institut nebenan? Was passiert mit meiner Forschung?
Deutsche Waffen und deutsches Geld, morden mit in aller Welt. Und diese Waffen werden in Deutschland produziert.
Lasst uns zusammen hingucken - jeden Tag hier in Göttingen!
Und im Sommer schauen wir zusammen nach Kassel zu Rheinmetall einem der größten deutschen Rüstungskonzerne. Zusammen wollen
wir Rheinmetall entwaffnen!
Kriege beginnen hier – und hier ist auch unser Widerstand!
Redebeitrag der Antifaschistischen Linken International A.L.I.
während der Demonstration „Nie wieder Krieg!“ am 7. Mai 2022 in Göttingen
Abschlusskundgebung im Rosengarten am militaristischen „Ehrenmal des Infanterie-Regiments Nr. 82“#
Liebe Mitstreiter*innen,
wir freuen uns, dass ihr mit uns Ausdauer bewiesen habt auf dem Weg, den unsere kleine
Demonstration durch die Göttinger Innenstadt genommen hat. Hier im Rosengarten wollen
wir nun enden und uns abschließend den Kontinuitäten von Militarismus und Revanchismus in Deutschland zuwenden. Denn, dass das Hier und Heute etwas mit der deutschen Vergangenheit zu tun hat, das zwitschern die Spatzen von den Dächern.
Wir laden euch ein zum zu hören, zur Aneignung des städtischen Raumes und nach Ende der Abschlusskundgebung zum Verweilen.
Wir stehen hier vor dem sogenannten „Ehrenmal des Infanterie-Regiments Nr. 82“. Ein brachialer Erster Weltkriegs-Gedenkort eben jener Kriegerkameradschaft. Ursprünglich erhob sich im Zentrum der Anlage, an der heute das etwas hilflos und deplatziert wirkende Christenkreuz steht, ein überlebensgroßer Weltkriegssoldat mit Gewehr und Stahlhelm aus Granit. Auf den großen
Sandsteintafeln im inneren der Umrundung wird Teilverbänden des Infanterie-Regiments Nr. 82 sowie ab 1952 sogenannter heimatlos gewordener ostpreußischer Wehrmachtsverbände und ihrer Einsatzorte in West- wie Osteuropa gedacht. 1925 errichtet, wurde das „Ehrenmal“ auch von den Nazis in den Dienst ihres verbrecherischen Angriffskrieges gestellt. In den 1950er Jahren rettete der Göttinger General außer Dienst Friedrich Hoßbach die Anlage in die neue Zeit und begründete das
Bündnis mit den Vertriebenen-Verbänden der gerade verlorenen Ostgebiete. Hoßbach selber
stellte jene personelle Kontinuität dar, wie sie auch in Göttingen das gesellschaftspolitische
Klima lange Zeit dominierten: 1914 bis 1918 militärische Karriere im Ersten Weltkrieg,
1919 Freikorps gegen die Münchner Räterepublik, ab 1934 Adjudant Hitlers und dessen Verbindungsmann zur Wehrmacht. Seit 1953 fanden auf Initiative Hoßbachs genau hier im Rosengarten jährliche Treffen von Soldaten- und Vertrieben-verbänden an deren sogenannten „Tag der Heimat“ jeweils Anfang September statt. General Hoßbach sprach von „Pflichttreue bis in den Tod“ als hohem Wert; der Sprecher und Bundesvorsitzende der Landsmannschaft Ostpreußen Hans-Georg Bock sah in den Kriegstoten „eine Mahnung zu Opferbereitschaft auch bei der Gestaltung
unserer Zukunft“. Ab den 1980er Jahren sorgten US-amerikanische, belgische, britische
und französische Delegationen der NATO- Armeen für die militärische Umrahmung.
Göttingen lag damals im Zonenrandgebiet, nur 30 Kilometer weiter, hinter Bremke, hörte das
Staatsgebiet der BRD auf und der Zugriff des westlichen Kapitals war beendet. Was hier
alljährlich im Rosengarten inszeniert wurde war also ein deutlicher Aufmarsch von
Kampfbereitschaft und Opferwille im Kalten Krieg. Unter die Honorationen der Stadt
Göttingen mischten sich auch Neonazis der FAP wie Karl Polacek und Thorsten Heise.
Während diese Art Weltkriegs- und Kriegerdenkmäler vordergründig immer „unserer gefallenen Kameraden“ gedenken sollen, sind sie doch tatsächlich Orte der Sinnstiftung des Kriegstodes und damit eine Legitimation des Krieges. Sie verklären den Krieg und seine Ursachen nostalgisch. Sie sind für Militarist*innen Orte der Identifikation, des Zusammenhalts, der Selbstvergewisserung und
der Verkündung der Bereitschaft zu neuen Aufgaben. VERBRECHEN sagen wir!
Die gesamte Kriegsführung Deutschlands gegen die Sowjetunion zielte auf die Vernichtung der jüdischen Bevölkerung, die Tötung von vermeintlichen Bolschewist*innen, die Versklavung der Bevölkerung in deutscher Zwangsarbeit und die Ausplünderung des Landes. Rassenwahn, Antikommunismus und die Osteuropa-Strategien des Kapitals gingen hier ein enthemmtes und grauenhaftes Bündnis ein.
Auch die Wehrmachtseinheiten des 82er Infanterie-Regiments aus Göttingen waren hoch ideologisiert: die Soldaten wurden hier in Göttingen über den Kampf gegen den Bolschewismus unterrichtet, Fotos von der Ostfront zeigen fröhlich grölende und saufende Männer unter Hakenkreuzfahnen am Hitlergeburtstag. In den Tätigkeitsberichten der 31. Infanteriegarnison, zu der die Göttinger Verbände gehörten, wird aus Polen für den 11.6.1941 selbstverständlich festgestellt: „Am Abend wird eine Razzia im Judenviertel in Janow (…) durchgeführt“. Und nach dem Überfall auf die Sowjetunion heißt es im Kriegstagebuch des Korps am 15.9.1941: „Bei
der Partisanenbekämpfung wurden zahlreiche einzelstehende Gehöfte und Scheunen sowie
Schlupfwinkel der Partisanen ausgebrannt (…) 63 Partisanen erledigt und 145 Wehrpflichtige
festgenommen“.
Etwas abseits gelegen zwischen Innenstadtparkplätzen, Stadtwall und Cheltenhampark täuscht die marode Atmosphäre dieses Ortes heute darüber hinweg, dass es sich um ein Schulgelände handelt. Die katholische Bonifatiusschule hat in dem Gebäude gegenüber ihre Verwaltung. Generationen von Schüler*innen sind hier zur Schule gegangen, ihre Pausenbrote aßen sie unter dem Granitsoldaten. Normal, oder?
Ich frage mich: was war das für ein Bildungsinhalt? Im Klassenzimmer Geschichte, Geografie und Religion als Frontalunterricht. Auf dem Pausenhof militärische Heldenverehrung und das Gejammer der Vertriebenen. Was ist von diesem unausgesprochenen Subtext, unbewusst bei den Schüler*innen hängen geblieben? Göttingen – Stadt, die Wissen schafft?
Für lange Zeit dachte ich: dieses Problem wird sich biologisch erledigen. Der Aufmarsch von Militärverbänden, die Nationalhymnen, das Trompetengeschmetter, das Fahne hissen wirkten auf mich so aus der Zeit gefallen – das konnte sich im Friedensbewegten 1980er-Jahre Westdeutschland kulturell nicht mehr durchsetzen. Und die Unversöhnlichkeit der Vertriebenenverbände, ihr Beharren auf Großdeutschland und eine Revanche gegen Russland, der Hass auf Willy Brand und seine Ost-Politik - die tatterigen Alten würden einfach sterben und dann wäre Ruhe. Dachte
ich.
Tatsächlich sind die alten Nazis unter der Erde, ist die Weltkriegsgeneration gescheitert. Gruseliger Weise erstehen ihre Wiedergänger aber seit 1999 auf. Der Schoß ist fruchtbar noch aus dem das kroch. Den ersten Angriffskrieg Deutschlands nach dem Zweiten Weltkrieg gegen die serbische Bevölkerung, die bereits von der deutschen Wehrmacht terrorisiert wurde, konnte NUR von einer rot- grünen Bundesregierung legitimiert und ausgeführt werden. Und kaum ist Blutrot-Olivgrün wieder an der Macht, setzen sie in Europa heute WIEDER auf Eskalation statt auf Ausgleich.
In der taz, der Hauszeitung der Grünen, wird seit Wochen unermüdlich der Endsieg über Russland gefordert, wird wieder über den Heldentod nachgedacht. General Hoßbach würde sich lachend auf die Schenkel klopfen, ob dieser Waffenbrüder und Schwestern in seinem Geiste.
Wie aber sollen wir uns das vorstellen? Plötzlich sollen sich die sanftmütigen Männer aus dem bildungsbürgerlichen urbanen Milieus den Bart bürsten, das Kind aus dem Wickeltuch weglegen, die Brust straffen und in den Heldentod gen Osten marschieren? Nein – das sollen selbstverständlich die Anderen für sie erledigen. Freiwillige in der Bundeswehr kommen überwiegend aus Infrastruktur-schwachen und abgehängten ostdeutschen Bundesländern. Und Standhaft gegen Russland, durchhalten, kämpfen für uns, verstümmelt werden, verrecken – das sollen die ukrainischen Männer im wehrfähigen Alter.
Wer aus der Geschichte nicht lernen will, ist verdammt sie immer wieder zu erleben. Es steht alles aufgeschrieben: die 82er wurden von der Roten Armee aufgerieben, Deutschland war heute vor 77 Jahren kaputt. Die Osteuropa-Strategien des deutschen Kapitals, auch das Weißbuch der Bundeswehr nehmen kein Blatt vor den Mund wo der Hase heute langlaufen soll.
Und WIR? Sind wenige, sind verunsichert, sind machtlos. Zugleich sind wir die Vielen, können uns gegenseitig ermutigen, haben Analysen und einen historisch-moralischen Kompass, haben das Potential mehr zu werden und die neuerliche Mobilmachung aus dem Gleichschritt zu bringen
Schaut hin, der Granitsoldat steht nicht mehr. In der Nacht zum 3. August 1988 riss das autonome Kommando „Hut ab, Kopf ab, haut ab!“ den Soldaten vom Sockel und versenkte den Stahlhelm-Granitkopf in einem Fischteich. Der Kopf steht heute im Städtischen Museum, der Granitsoldat musste sich in die Bundeswehrkaserne in Osterode retten, die unsäglichen Ehrenmalfeiern finden nicht mehr statt.
Wenn heute die Panzer unablässig aus Fabriken rollen, wenn die Kasernen-Tore wieder weit aufgerissen werden, wenn Helden wieder auf den Sockel gehoben werden sollen - dann hängt es auch von uns ab. Seien wir der Misston, wenn die Marschmusik ertönt, seien wir Sand im Getriebe, seien wir Zucker im Tank.
Antifaschismus ist in Göttingen eine starke gesellschaftliche Kraft, weil immer wieder Menschen einfach zur Tat schreiten und das Naheliegende tun. Das Transparent der Antifa-Aktionen von 1988 gegen das militaristische und revanchistische Heldengedenken dokumentiert den Fall des Granitsoldaten. Heute kehrt das Banner nach 36 Jahren an seinen Ausgangsort zurück.
Die Sandsteinplatten zur Verherrlichung der Weltkriegsverbrechen überdauern hier wie an
vielen Orten die Dekaden. Es wäre das Mindeste, diese Geschichtserzählung nicht unkommentiert stehen zu lassen.
Stellen wir uns dem Kampf um die Geschichte.
Holen wir uns die Schulhöfe zurück!
Eignen wir uns den städtischen Raum an!
Auf geht´s!
Redebeitrag des Göttinger Friedensforums
während der Demonstration „Nie wieder Krieg!“ am 7. Mai 2022 in Göttingen
Zwischenkundgebung am Amtshaus | Gedenktafel für Deserteure
Am 1. September 1990, dem Antikriegstag, wurde auf Initiative der Göttinger Gruppe „Reservisten verweigern den Kriegsdienst“ an diesem (!) heute sog. Amtshaus die Gedenktafel für Deserteure angebracht.
Ich war damals aktiv in dieser Gruppe von ehemaligen Bundeswehr-Soldaten, die den Kriegsdienst überwiegend aus politischen Gründen nachträglich verweigerten. Als Teil einer bundesweiten Kampagne wollten wir mit der Würdigung von Deserteuren ein Signal setzen gegen Aufrüstung und Krieg.
Zum „82er Platz“
Dieses Amtshaus war in der Zeit zwischen 1835 und 1945 Kaserne, des 82er Infanterieregiments, dessen Nachfolger am 1. September 1939 am Überfall der Deutschen Wehrmacht auf Polen beteiligt war. Zu Ehren dieses Regiments stand dort drüben im Rosengarten ein Kriegerdenkmal, an dem
alljährlich unter heftigem Gegenprotest Gedenkfeiern stattfanden. Der Platz, auf dem wir hier stehen, hieß in der Zeit zwischen 1934 und 1947 offiziell „82er Platz“. Im Volksmund wurde dieser Name weiter benutzt, bis im August 1992 eine Umbenennung in „Hiroshimaplatz“ erfolgte.
Zur Vorgeschichte der Deserteur-Gedenktafel
Der Enthüllung dieses Deserteur-Denkmals im September 1990 – sieben Jahre vor dem Ende
der Feierlichkeiten am Kriegerdenkmal im Rosengarten – gingen drei Jahre intensiver politischer Auseinandersetzungen in Göttingen voraus – beginnend im November 1987 mit dem plakativen Appell „Denk mal am Volkstrauertag“. Nach intensiver Öffentlichkeitsarbeit in Göttingen – u.a. durch einen Diskussionsabend mit dem Wehrmachtsdeserteur Ludwig Baumann – nahm die Idee einer Gedenktafel für Deserteure ein Jahr später konkrete Formen an: Im November 1988 wurde das Modell des vom Göttinger Künstler Joachim Nitsch entworfenen Reliefs in einer Aktion vor dem
Alten Rathaus vorgestellt.
Von da an setzte eine breite öffentliche Diskussion ein, womit ein wesentliches Ziel der Initiative erreicht war: die Auseinandersetzung mit dem Schicksal und den Motiven von Deserteuren. In Leserbriefen von Göttinger Bürger*innen und in Zeitungsartikeln u.a. von Militärs der
ansässigen Panzergrenadierbrigade 4 wurde die sog. „Flucht von der Fahne“ überwiegend als
Feigheit und Verrat diffamiert. Aber auch zustimmende Reaktionen hielten dagegen.
Als am 8. September 1988 ein erster Ratsantrag für die Errichtung einer Deserteur-Denkmals gestellt wurde, war die politische Situation in Göttingen gekennzeichnet von strikter Ablehnung durch CDU und FDP, heftigen Auseinandersetzungen innerhalb der SPD und Unterstützung durch die Grün-Alternative Liste/GAL. Trotz einer Mehrheit von SPD und GAL scheiterte der Antrag der
SPD im Stadtrat, weil man sich nicht auf den von ihr vorgesehenen Text der Widmung einigen konnte. Während nämlich die SPD eine historische Einschränkung des Textes auf die nationalsozialistische Gewaltherrschaft wollte, ging es den Aktivist*innen der Initiative um eine antimilitaristische Sichtweise: sie wollten ein Denkmal für alle Deserteure. Eine öffentliche Ausstellung des inzwischen vom Künstler fertiggestellten Steinreliefs mit dem Titel „Die Kirschen der Freiheit“ zusammen mit 20 Informationstafeln zum Thema Desertion im Neuen Rathaus im
Dezember 1989 sollte die sehr kontrovers geführte Debatte um den Text der Widmung versachlichen.
Letztlich ließ sich die Gruppe „Reservisten verweigern den Kriegsdienst“ auf den Textvorschlag der SPD ein, den wir hier (!) vorfinden: „Den Deserteuren, die sich aus Gewissensgründen dem Kriegsdienst für die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verweigert haben und dafür verfolgt, getötet und verleumdet wurden.“
Dagegen konnte sich die Friedensgruppe mit ihren Vorschlägen durchsetzen, die Deserteur-
Tafel an dieser ehemaligen Kaserne anzubringen und deren Enthüllung am symbolträchtigen Antikriegstag vorzunehmen.
Der Gesamtantrag für dieses Denkmal in Göttingen wurde am 4. Mai 1990 mit den Stimmen von SPD und GAL verabschiedet.
Die Einweihung der Deserteur-Gedenktafel am 1. September 1990 fand in zwei voneinander
unabhängigen Teilen statt, weil die Stadt Göttingen, vertreten durch den Oberbürgermeister Levi, nicht mit den Initiator*innen in einer gemeinsamen Veranstaltung zum Antikriegstag auftreten wollte. Im Anschluss an die offizielle Enthüllung der Tafel durch den OB, gab es im zweiten Teil vor ca. 300 Teilnehmer*innen eine Kundgebung mit Redebeiträgen u.a. des Historikers Prof. Jörg
Kammler aus Kassel sowie von Ludwig Baumann als betroffenem und inzwischen politisch engagiertem Wehrmachtsdeserteur. Das Ereignis in Göttingen bekam bundesweit große Aufmerksamkeit in den Medien; denn Göttingen war die erste Stadt, die offiziell ein Denkmal beschlossen und errichtet hatte, das sich zu den überwiegend diskriminierten Deserteuren bekannte.
Zur Symbolik der Deserteur-Gedenktafel
Das Relief der Steintafel aus Granit zeigt oben links einen Kirschenzweig, rechts davon – bruchstückhaft angedeutet – eine Hakenkreuzfahne und Fußtritte, die diese Fahne in den weichen Boden treten. Die Fußtritte auf der zerstörten Fahne symbolisieren die Fahnenflucht des Deserteurs.
Das Relief enthält den Schriftzug „Nicht aus der Furcht vor dem Tode, sondern aus dem Willen zu leben.“ Der Schriftzug und die Symbolik des Kirschzweiges beziehen sich auf den literarischen Bericht „Die Kirschen der Freiheit“, in dem der deutsche Schriftsteller Alfred Andersch über sein eigenes Desertieren aus der Wehrmacht im Juni 1944 in Italien erzählt.
Zu den Motiven der Initiative
Es ging bei der Enthüllung eines Denkmals für Deserteure an einer ehemaligen Kaserne nicht
darum, die gefallenen Soldaten zu verhöhnen. Es war auch nicht das Ziel der Initiator*innen, einen neuen Heldenkult für Deserteure zu schaffen, wie einer der Vorwürfe damals lautete. Stattdessen sollte und soll das Denkmal ein „Stein des Anstoßes“ sein: Ein Anstoß zum Nachdenken über den Sinn überkommener Werte von Heldentum, Treue zum Vaterland und Opferbereitschaft.
Diese symbolische Würdigung durch ein Denkmal war ein erster Schritt auf dem Weg
zu einer sozialen und juristischen Rehabilitierung von Wehrmachtsdeserteuren. Eine offizielle Anerkennung erfolgte erst über 10 Jahre später durch einen Beschluss des Bundestages im Mai 2002.
Ob im Zweiten Weltkrieg, dem Krieg im ehemaligen Jugoslawien der 90er Jahre oder jetzt im Krieg in der Ukraine: die aus den unterschiedlichsten persönlichen Motiven begangene sog. „Fahnenflucht“ war und ist immer auch eine Form des Widerstands gegen Nationalismus und Krieg. Der Wehrmachtsdeserteur Alfred Andersch bezieht sich auf das Hitler-Attentat vom 20. Juli 1944, wenn er in seinem oben genannten Roman schreibt: “Mein ganz kleiner 20. Juli fand bereits am 6.
Juni statt.“ Andersch will zeigen, dass er zu einer (Zitat) „von niemandem gelenkten und stillschweigenden Sabotage“ fähig ist.
Deserteure und Kriegsdienstverweigerer in Russland und der Ukraine
Damit komme ich zur Situation derjenigen Männer und Frauen, die sich als Soldaten auf Seiten Russlands und der Ukraine nicht weiter an diesem verheerenden Krieg beteiligen wollen. Die „Nein!“ sagen zu sinnlosem Morden, Militarismus und Nationalismus auf beiden Seiten.
Seit dem Angriff des russischen Militärs vor mehr als zwei Monaten dürfen männliche Staatsbürger zwischen 18 und 60 Jahren die Ukraine nicht mehr verlassen, weil sie für die Verteidigung herangezogen werden. Wer es dennoch versucht, dem droht die Festnahme.
Der ukrainische Grenzschutz meldete wiederholt, dass Mobilisierungsverweigerer an der Grenze festgenommen und den Militärbehörden überstellt wurden. Wer im Krieg „Nein!“ sagt, ist ein Deserteur und wird drastisch bestraft.
Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht, wie der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte 2011 in einem Grundsatzurteil festgestellt hat.
Wenn dieses Grundrecht verletzt wird, bleibt nur noch die Möglichkeit, Schutz durch politisches Asyl zu suchen. Was aber passiert, wenn Kriegsdienstverweigerer z. B. in Deutschland politisches
Asyl beantragen? Als allgemeiner Grundsatz der Rechtsprechung gilt: Verfolgung und Bestrafung für die Verweigerung des Kriegsdienstes wird als legitimes staatliches Handeln eingestuft – sind dem Staat also erlaubt. Wer wegen seiner Kriegsdienstverweigerung Strafverfolgung zu befürchten hat, erhält im Allgemeinen also kein politisches Asyl. Anders ist es derzeit bei russischen
Soldatinnen und Soldaten, die sich dem Krieg in der Ukraine verweigern. Sie können sich auf
den Schutz durch die sog. „Qualifikationsrichtlinie“ der EU berufen, weil dieser Krieg völkerrechtswidrig ist. Demgegenüber haben ukrainische Kriegsdienstverweigerer es schwerer. Denn die Ukraine führt einen offiziell durch die Charta der UNO legitimierten Krieg zur Verteidigung ihres Territoriums. Ukrainischen Deserteuren wird der Flüchtlingsschutz bislang verwehrt.
Nach der ukrainischen Mobilmachung von 2014 im Krieg um den Donbass in der Ostukraine flohen laut der international vernetzten Organisation Connection e.V. viele Kriegsdienstverweigerer aus der Ukraine nach Deutschland – erhielten aber kein politisches Asyl.
Deshalb fordern wir:
Deutschland und alle anderen EU-Länder müssen Menschen, die vor dem Kriegseinsatz in der Ukraine desertieren, unbürokratisch aufnehmen und ihnen ein dauerhaftes Bleiberecht ermöglichen!
Unsere Redebeiträge auf den Friedensdemonstrationen seit März 2022
Redebeitrag der Osterkundgebung 2022 in Göttingen
Liebe Passant*innen, liebe Genoss*innen,
Nie Wieder Krieg! Riefen die Arbeiter*innen in Deutschland, die den Schützengräben des ersten Weltkrieges entkommen sind. Ach wie schnell hatten so viele das „Arbeiter aller Länder vereinigt euch“ auf die Seite geschoben und sind frohen Mutes in den Krieg gezogen. Dort lernten sie schmerzvoll, dass es nicht ehrenvoll ist für das Vaterland zu sterben. Nie Wieder Krieg, lautete ihre Lehre des ersten Weltkrieges.
Nie Wieder Krieg! Schworen die Überlebenden des Deutschen Faschismus in Buchenwald 26 Jahre später erneut. Wieder waren die Deutschen Massen frohen Mutes in den Rassenkrieg, in den deutschen Vernichtungskrieg gezogen. Nie Wieder Krieg, nie wieder Faschismus! Lautete der Schwur der Überlebenden. Sie verpflichteten sich selbst nach ihrer Selbstbefreiung aus dem Konzentrationslager Buchenwald dem Aufbau einer neuen Welt des Friedens und der Freiheit.
Nie Wieder Krieg! Rief die Antikriegsbewegung der 70er und 80er Jahre gegen das atomare Wettrüsten zwischen der Nato und Russland. Bereits Ende der 50er erklärten 18 Wissenschaftler in Göttingen, dass die Bundeswehr nicht mit Atomwaffen ausgestattet werden dürfe. Zahlreiche Demonstrationen gegen den Vietnam Krieg, gegen den Irak Krieg, gegen Atomenergie und gegen atomares Wettrüsten.
Nie Wieder Krieg! Eine leiser werdende Parole seit den 90ern. Leiser während der Bombardierung Serbiens durch die NATO. Leiser geworden während der geschichtsrevisionistischen Umdeutung der damaligen rot-grünen Bundesregierung nicht trotz, sondern wegen Auschwitz Bomben zu schmeißen.
Nie Wieder Krieg! Eine Parole, die seit dem jüngsten Angriffskrieg durch Russland in der Ukraine nur noch von einer kleinen Minderheit offen ausgesprochen wird.
Wir wissen wie schwierig es ist, im Ernstfall bei seinen Prinzipien zu bleiben, den Durchblick zu bewahren. Sich nicht angesichts der grausamen Bilder einlullen zu lassen. Genau deswegen rufen wir auch heute wieder Nie wieder Krieg! Wir rufen Nie Wieder Krieg und richten uns damit gegen die neue Welle der Militarisierung in Deutschland.
In Berlin gehen am 27. Februar 2022 eine halbe Million Menschen gegen den Krieg auf die Straße – so viele wie seit 20 Jahren nicht mehr. Zeitgleich beschließt die Bundesregierung das größte Aufrüstungsvorhaben seit 1945. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) spricht von einer „Zeitenwende“: Eine Zeitenwende hin zu Aufrüstung, zu neuen Feindbildern. Eine Zeitenwende hin zu Krieg als neues Zentrum bundesdeutscher Außenpolitik:
100 Milliarden für die Bundeswehr, 2% des Bruttoinlandprodukts fürs Militär, Drohnenbewaffnung, Tarnkappenbomber, Atombomben. Mir wird schlecht!
Die bereits bestehende militärische Überlegenheit der NATO hat den Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine nicht verhindert. Die beschlossene Aufrüstungs-Eskalation wird den Menschen in der Ukraine jetzt keine Sicherheit bringen!
Wir fragen also wer aber profitiert stattdessen davon? Oder anders, wer werden eigentlich die heutigen Verlierer sein?
Die Heizung kälter stellen, den Gürtel enger stellen, Beziehungen nach Russland abbrechen. Wir werden auf Krieg eingeschworen. Die Folgen sind schwer absehbar, aber fatal.
Die Corona Pandemie hat uns aber in den letzten zwei Jahren vor Augen geführt, was gesellschaftlich relevante Lebensbereiche sind: Die Aufrechterhaltung einer grundlegenden Infrastruktur der Reproduktion und Sorge. Dazu gehört, die Versorgung von alten und kranken Menschen. Die gemeinsame Betreuung und Erziehung unserer Kinder. Unserer Versorgung mit Essen. Das Wegräumen unseres Mülls. All die unsichtbaren Sorgearbeiten im Hintergrund. All das was lebensnotwendig zur Organisation eines gesellschaftlichen und solidarischen Miteinanders gehört!
Für all diese Bereiche war in den letzten Jahren kein Geld da. Die Arbeitsbedingungen sind in diesen Bereichen miserabel. Auch die Bezahlung sollte teilweise in diesen Bereichen während der Pandemie sogar noch verringert werden. Unterversorgt, aber Applaus!
Von Applaus, Atombomben und Tarnkappenjets kann sich aber niemand ernähren, die Miete oder Bildung bezahlen und gesund bleiben. Forderungen nach Lohnerhöhungen, Entlastung und besserer personeller Ausstattung in der Pflege, in der medizinischen Versorgung und in Kitas werden höhnisch verlacht – ganz aktuell in der Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst. Wir brauchen keine Militarisierung, wir brauchen die feministische, solidarische Umgestaltung von Sorgearbeiten und der ganzen Gesellschaft.
100te Millarden für Tarnkappenflugjets, Atombomben, die deutsche Bundeswehr werden die aktuellen Probleme unserer Zeit nicht lösen. Im Gegenteil, sie werden diese verschärfen. Und ganz sicher keinen Frieden in die Ukraine bringen. Der Aufbau einer Welt des Friedens und der Freiheit sieht anders aus! Wir sagen und meinen weiterhin Nie Wieder Krieg!
Also, noch einmal: Wer profitiert von dieser in Deutschland angekündigten militaristischen Zeitenwende?
Die Deutsche Bundeswehr. Die Deutsche Bundeswehr, die durchsetzt ist von Neonazis. Die Bundeswehr, die durchsetzt ist von Anschläge planenden Neonazis: Tag X, Franco Albrecht, Hannibal. Militarisierung und Aufrüstung, das heißt zwangsläufig, dass auch Neonazis mit ihren militärischen Ausbildungen, Waffen und Infrastruktur-Ressourcen wieder gestärkt werden. Gruselig, findet ihr nicht?
Die Rüstungsindustrie wird davon profitieren. Dazu gehören:
US-amerikanische Rüstungskonzerne wie Lockheed Martin, die die F35-Tarnkappenjets bauen und liefern. Europäische Hersteller wie Airbus und der Lenkwaffenkonzern MBDA werden davon profitieren. Vor allem deutsche Rüstungsunternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffei Wegmann, Hensoldt, Diehl und Heckler&Koch werden davon profitieren.
Als größter Rüstungskonzern Deutschlands verdient Rheinmetall an blutigen Waffengeschäften bereits seit Jahrzehnten. Schon lange liefert Rheinmetall über ausgelagerte Töchter- und Gemeinschaftsunternehmen im Ausland Munition und Waffen in Kriegsgebiete wie im Jemen, an Kriegsparteien wie Saudi Arabien oder oder die Vereinigten Arabischen Emirate.
Rheinmetall hat sogleich nach der Aufrüstungszusage ein Angebot an die Bundesregierung für Munition und Militärfahrzeuge in Höhe von 42 Milliarden Euro unterbreitet. Rheinmetall Aktien schießen in die Höhe. An ihren Gewinnen lassen sie auch ihre Aktionär*innen teilhaben: Zur Hauptversammlung am 10. Mai wird eine Rekordsumme von knapp 150 Millionen Euro als Dividende ausgeschüttet.
Dieser Konzern Rheinmetall, der am Krieg sein Geld verdient, liegt direkt vor unserer Haustür: in Kassel. In Kassel werden Panzer gebaut, die anderswo Lebensgrundlagen zerstören. Es ist an uns, aktiv zu werden und Rheinmetall gemeinsam zu entwaffnen! Zum Beispiel bei der antimilitaristischen Aktionswoche in Kassel vom 30. August bis 4. September 2022 inklusive Camp, Blockaden und Großdemo.
Kommt mit uns am 1. Mai in den Lila Block der All Care Workers Unite mit dem Motto Care Revolution statt militaristischer Zeitenwende.
Kommt mit uns am 7. Mai, Zum Jahrestag der Befreiung vom Deutschen Faschismus, auf unsere Demo und sagt laut Nie wieder Krieg! Frieden schaffen wir nur selber.
In ganz Deutschland werden am 10. Mai Aktionen gegen die Rheinmetall Aktionärskonferenz stattfinden.
Kommt mit uns im Sommer, vom 30. August bis zum 4. September nach Kasel: Rheinmetall entwaffnen! Mit Camp, Demo, Aktionen und mehr…
Kriege beginnen hier – genauso auch unser Widerstand dagegen!!
Redebeitrag während der Mahnwache des Göttinger Friedensforums am 26.03.22 in Göttingen
Liebe Mitstreiter*innen für eine zivile und gerechte Welt,
sehr geehrte Passant*innen,
ich grüße Sie und Euch im Namen der Antifaschistischen Linken International A.L.I.
Wir sind eine Antifa-Gruppe aus Göttingen, heute haben sich mehrere meiner Genoss*innen auf den Weg nach Kassel gemacht. Kassel, nur 50 Kilometer südlich von Göttingen, ist in einer Stunde mit der Regionalbahn zu erreichen. Es liegt sozusagen vor unserer Haustür. Warum das wichtig ist, darauf komme ich gleich zurück.
Im Angesicht des destruktiven Zustandes unserer Welt, konfrontiert mit dem Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine, überrannt von den gesellschaftlichen Folgen dieser Eskalation in Deutschland, stehen viele von uns fassungslos dar: mit offenen Mündern lesen wir die Schlagzeilen, mit Tränen in den Augen verfolgen wir die Zerstörungen. Ich könnte schreien vor Wut und Verzweiflung, mit dem Kopf gegen die Wand rennen. Aber wem wäre damit geholfen? Die Wände in der neoliberalen Welt sind aus grauem Beton. An ihnen prallt jedes Mitgefühl, jedes Argument, jede Vernunft ab.
Obwohl sich in diesen Tagen und Wochen viele empören, ihre Stimme erheben, auf die Straße gehen, müssen wir feststellen, dass die Motivation und die Absichten unterschiedlich zu seien scheinen. Viele verleihen ihrer Empörung Ausdruck, wollen helfen, geben geflüchteten Menschen Unterkunft. Wenige sind wirkliche Pazifist*innen, mahnen für eine internationale Politik des Ausgleichs. Und viele – so ist unser Eindruck – machen sich Fahnen und Farben-schwenkend selber zur Konfliktpartei. Sie befeuern damit innerhalb der deutschen Gesellschaft die Aufrüstung und Militarisierung zur Vorbereitung künftiger Kriege.
Und wir stellen fest, dass nicht alle unser „Nie wieder Krieg“ teilen. Manche lehnen sich in diesen Tagen lächelnd in ihrem Bürostuhl zurück, schenken den Sekt ein und wählen die Telefonnummer ihres Lobbyisten in den Regierungsparteien: Dirk Niebel von der FDP sitzt beispielsweise am heißen Draht.
Während auf der einen Seite Menschen verängstigt sind, um ihre Angehörigen fürchten, verletzt werden, zur Flucht gezwungen sind, ins Gefängnis verschleppt werden, sterben – denken sich Andere immer bösartigere Waffen aus, Entwickeln deren Tödlichkeit, kalkulieren ihren Gewinn: Leopard-Panzer, Puma-Schützenpanzer, Militär-LKW, Munition für schwere Artillerie.
Ein Sondervermögen von 100 Mrd. Euro? Der Rüstungskonzern Rheinmetall will ein großes Stück vom Kuchen abhaben und hat bereits ein Angebot für 42 Milliarden Euro an die Bundesregierung gemacht.
Wer profitiert vom Krieg? Ist eine Frage, die wir uns stellen müssen, wenn wir diesen Wahnsinn beenden wollen.
Bei Rheinmetall gehen die Aktienkurse durch die Decke. Seit Jahresbeginn stieg die Rheinmetall Aktie um 80 %. Triumphal verkündete der Boss des deutschen Rüstungskonzerns Armin Papperger für das zurückliegende Geschäftsjahr: „Ein Rekordergebnis!“. Ein Gewinn von einer halbe Milliarde Euro in 2021.
Also bereits im letzten Jahr, also vor dem 24. Februar 2022, also auch ohne 100 Milliarden Sondervermögen durch die Bundesregierung. Denn anders als von vielen Menschen in Deutschland heute angenommen, profitieren deutsche Konzerne schon immer von Mord und Totschlag auf der Welt. Exportweltmeister – auch für Kriegswaffen. Und anders als von vielen Menschen in Deutschland heute angenommen, ist ständig Krieg: die Türkei führt Krieg gegen die kurdische Bevölkerung im Norden Syriens, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien führen Krieg gegen die schiitische Bevölkerung im Jemen. Um nur zwei aktuelle Beispiele zu nennen. Und alleine diese verdeutlichen: Deutschland ist NICHT unbeteiligt, friedlich, freiheitsliebend, zivilisiert. Die Türkei, die Vereinigten Arabischen Emirate und Saudi-Arabien sind Verbündet und Geschäftspartner. Die Türkei ist NATO-Mitglied, Türsteher zur Abwehr von Geflüchteten, Lieferanten für fossile Energieträger, Waffenkäufer. Die Demokratie-Rhetorik und das Geschäft mit dem Tod sind zwei Seiten derselben Medaille. Pfui – mir ist schlecht bei so viel Verlogenheit!
Wer profitiert vom Krieg? Ist die eine Frage, die wir uns stellen. Was können wir hier und jetzt tun? Ist die andere Frage.
Der Kriegswaffenkonzern Rheinmetall hat seine Standorte in Unterlüß in der Südheide und in Oberndorf am Schwarzwald. Viele mittlere und größere Unternehmen liefern dem größten Waffenproduzenten Teile zu: beispielsweise das Unternehmen Kraus-Maffei-Wegmann (KMW) in Kassel.
Und jetzt komme ich zurück zu meinem anfänglichen Hinweis „Es liegt vor unserer Haustür“ und verbinde die beiden Fragen Wer profitiert vom Krieg? Was können wir hier und jetzt tun?
Die bundesweite Kampagne Rheinmetall entwaffnen arbeitet seit Jahren daran, dem Geschäft mit Krieg und Tod einen Strich durch die Rechnung zu machen. In den vergangenen Jahren fanden antimilitaristische Camps in Unterlüß und Oberndorf statt. Kriegsgegner*innen aus der alten Friedensbewegung und junge Aktivist*innen kamen zusammen, um an einer neuen Antikriegsbewegung zu arbeiten. Die Werkszufahrten von Rheinmetall wurden blockiert, die Aktionärsversammlungen des Unternehmens wurden gestört.
In Kassel beraten Klimaaktivist*innen, Feminist*innen, Antirassist*innen und Antifaschist*innen jetzt heute, am 26.03.22, wie wir im Sommer gegen die Profiteur*innen der Kriege aktiv werden können. In Kassel findet in diesem Jahr die Documenta statt. Es wird also ein großes Publikum in der Stadt sein, zugleich bieten sich gesellschaftskritische Künstler*innen als Verbündete gegen Rheinmetall an.
Wir ermutigen Euch: verzagt nicht angesichts der Schockstrategie, der wir gesellschaftlich ausgesetzt sind. Wir sind heute wenige und in der Defensive das kann sich aber morgen oder übermorgen ändern.
Wir bitten Euch: lasst Euch angesichts des militaristischen Geschreis in Deutschland nicht verrückt machen und vor den Karren zukünftiger Kriegsmobilisierungen spannen.
Wir laden Euch ein: werdet gemeinsam mit uns aktiv. Wir werden euch hier in den kommenden Wochen von den Ergebnissen der Kasseler Aktionskonferenz berichten und Beteiligungsmöglichkeiten anbieten.
Kriege beginnen hier, beenden wir sie auch hier.