Diskussionsbeitrag
zu Strategien gegen sexistische Strukturen und Verhaltensweisen in der radikalen Linken
In der Berliner Zeitung "Interim" vom 01.09.2005 (nr. 621) veröffentlichten Frauen aus verschiedenen Berliner Antifa-Gruppen einen Artikel zum Thema Sexismus. Daraufhin hat auch die A.L.I. einen Beitrag verfasst, der sich mit dem theoretischen und praktischen Ansatz der Gruppe zu diesem Thema auseinandersetzt. Der Artikel wurde in der Interim vom 13.10.2005 (nr. 224) abgedruckt. Zur Dokumentation erschien der Artikel ebenfalls in der Göttinger Szene-Zeitung "göDru" vom 30.09.2005 (nr. 523).---
Sehr gefreut hat uns der Interim-Artikel in der Nr. 621 über Sexismus, bzw. sexistische Strukturen in der Linken. Wir sind ebenfalls der Meinung, dass es auch außerhalb von konkreten „Vorfällen" eine Auseinandersetzung zu diesem Thema geben muss, da zum einen sexistische Verhaltensweisen immer Teil unserer Kommunikation sind und zum anderen nicht „angemessen" auf einen sexistischen Übergriff reagiert werden kann, wenn erst dann angefangen wird, darüber zu diskutieren.
Unsere Gruppe gibt es seit 1 ½ Jahren. Die erste inhaltliche Diskussion, die wir in unserer neuen Gruppe geführt haben, war über Patriarchat, sexistische Grenzüberschreitungen und unser Umgang damit als Gruppe. Wir sind in einer gemischtgeschlechtlichen Gruppe organisiert, um u.a. gegen das Patriarchat zu kämpfen. Sexistische Strukturen sind natürlich auch in unserer Gruppe vorhanden, schließlich können wir uns nicht vollständig unserer Sozialisation entziehen. Wir selbst sind also sowohl die „AdressatInnen" (Die Menschen mit verinnerlichten, sexistischen Strukturen, gegen die wir zu kämpfen versuchen), als auch die „AuftraggeberInnen" (die, die den Sexismus zu bekämpfen versuchen).
In unserer Gruppe sind sowohl junge Menschen organisiert, die die Diskussion über Sexismus das erste Mal geführt haben, als auch ältere, die solch eine Art der Diskussion schon öfter geführt haben. Wir sehen es als äußerst wichtig an, dass es einen immer wiederkehrenden Austausch über dieses Thema gibt. Auch deshalb begrüßen wir sehr den Anfang der Auseinandersetzung zu diesem Thema in der Interim.
Sexism Sucks!
Um sexistischen Verhaltensweisen in unserer Gruppe einigermaßen paroli zu bieten, haben wir Strukturen entwickelt, um bspw. den Frauen einen potentiellen Machtüberschuss zuzusichern: Frauen wird in der Regel weniger Raum und Einflussmöglichkeit zugesprochen, was sich z.B. im Redeverhalten ausdrückt. Damit nicht immer Männer ihren Mund aufreißen, gibt es bei uns eine quotierte Redeliste, d.h. nach jedem Redebeitrag von einem Mann kommt eine Frau dran, wenn sich eine meldet.
Personell gesehen sind mehr Männer als Frauen in unserer Gruppe. Als „Gegenmaßnahme" übernimmt immer mind. auch eine Frau alle möglichen Aufgaben (Veranstaltungen leiten, Flugis verteilen usw.), um eine Vorbildfunktion zu übernehmen. Außerdem beschäftigen wir uns bewusst mit Frauen- und Gender-Themen, um die Gruppe für Frauen attraktiver zu machen.
Die Antifa-Symbolik in der Öffentlichkeit ist besonders von Anti-Nazi-Arbeit geprägt, wobei meist das Bild der mackernden Antifas transportiert wird, das in der Regel auf Männer bezogen wird. Um aus diesen Genderstereotypen raus zu kommen, haben wir den Anspruch, Menschen auf öffentlichem Material geschlechtslos darzustellen. Dies ist eine weitergehende Praxis, um die Geschlechterkonstruktionen an sich zu kritisieren.
Durch diese geschlechtsspezifischen Ausführungen reproduzieren wir das zweigeschlechtliche System weiter, was definitiv ein Problem darstellt. Da wir aber in einem Zweigeschlechtlichen System leben, gibt es nicht viele Möglichkeiten, die machtbedingten Gegebenheiten anders auszudrücken.
Was tun? Was tun!
Uns ist es wichtig, bei einer sexuellen Grenzüberschreitung sofort handeln zu können. Wir haben uns eine „Skala" von Missbrauchsstufen und den dazugehörigen möglichen Konsequenzen erarbeitet, anhand der die betroffene Frau oder eine von ihr gewählte Person deutlich machen kann, um was für einen Vorfall es sich ungefähr handelt. Somit braucht die Frau nicht die „Geschichte" erzählen und sich dabei schämen, unwohl fühlen o.ä. und wir wissen trotzdem, in welchem Rahmen wir zu handeln haben. Das absolute Definitionsrecht finden wir grundsätzlich richtig, macht es aber schwierig, den konkreten Fall diskutierbar zu machen. Auch deshalb unsere „Skala". Wir sehen es als eine Notwendigkeit an, differenzierte Begebenheiten und Begriffe zu schaffen, um überhaupt Situationen diskutierbar zu machen.
Im Vorfeld aber war es uns deshalb wichtig, Begriffe wie Aufdringlichkeit, Penetranz, Ignoranz, Absicht, Schuld, Nötigung, Vergewaltigung usw. einigermaßen zu klären, um solch diskutierbare Begriffe zu schaffen. Das subjektive Erleben der betroffenen Frau(en) darf dabei nicht wegdiskutiert werden!
Im Fall eines sexistischen Übergriffs muss als erstes das Opfer gestärkt werden. Zum Vorgehen soll es getrennte Frauen- und Männerplena mit einheitlichem Informationsstand geben. Das Frauenplenum hat dabei die letzte Entscheidungsgewalt.
Bei den verschiedensten Formen von sexistischen Grenzüberschreitungen sind die Fragen nach bewusstem oder unbewusstem Verhalten, nach Absicht und Schuld, nach der Häufigkeit des Fehlverhaltens, nach dem Grad der erkennbaren Auseinandersetzung wichtig.
Bei Kritik und Einsicht, einhergehend mit Verhaltensänderungen ist eine weitere Zusammenarbeit bei den beiden folgenden Bereichen prinzipiell möglich: Sexistische Grenzüberschreitung im Bereich der alltäglichen Reproduktion von zweigeschlechtlichen, heteronormativen Klischees und bei „akzeptablen" Missverständnissen. Dabei ist eine Auseinandersetzung nötig, sowohl Kritik und Selbstkritik, als auch eine persönliche und politische Weiterentwicklung müssen gegeben sein.
Bei Missverständnissen, die noch im „grünen Bereich" liegen, ist es wichtig, die Kommunikation anzupacken, um das Bewusstsein zu schärfen und die eigenen Bedürfnisse klären zu können. Diese fehlende Kommunikation bezieht sich hier besonders auf Sexualität und Beziehungen, die häufig auf Grund von unreflektierten Ängsten, Mythen, Gewohnheiten usw. nicht stattfindet.
Der Bereich der „Aufdringlichkeit" stellt eine Grauzone für die weitere Zusammenarbeit dar, hier kommt es auf die Art und Weise und die schon genannten Kriterien zur Art der Auseinandersetzung des Täters an. In diesen Bereich fallen „flotte", dumme Sprüche (von Autoritäten), bis zu körperlichen Grenzüberschreitungen (väterliches Hand auf die Schulter legen usw.). Wichtig hierbei: Thematisieren, dagegen vorgehen!
Für uns ist keine weitere Zusammenarbeit mehr möglich, wenn Macht beabsichtigt ausgenutzt wird. Belästigungen (penetrantes Auftreten, Öffentliches Onanieren usw.) und Erniedrigungen/Demütigungen (verbale Attacken, Anspielungen auf sexuelle Handlungen, Reduzierung auf Objektstatus usw.) sind ebenso Beispiele für diesen Bereich wie Übergriffe (Bedrohung/Zwangssituation, Psychoterror, Anpacken mit sexuellem Charakter) und Vergewaltigung.
Bei all diesen Möglichkeiten von sexuellen Grenzüberschreitungen gibt es je nach „Stufe" verschiedene Vorgehensweisen dagegen, wie klärende Gespräche von Einzelpersonen, privat oder vom Plenum autorisiert, offene Thematisierung auf dem Plenum, Ausschluss aus der Gruppe, Fall öffentlich machen oder nicht usw.
Unsere diskutierten Ansätze sind natürlich weder eine endgültige Lösung für diesen komplexen Problembereich noch allumfassend. Durch unsere intensive Auseinandersetzung mit dem Thema Sexismus ist das Bewusstsein dazu jedoch wesentlich verbessert worden.
In diesem Sinne: Gemeinsam kämpfen gegen Patriarchat, Rassismus und Kapitalismus!
Antifaschistische Linke International A.L.I.