gefolter. geflüchtet. verboten. erschossen. - Weg mit dem PKK-Verbot!
Vor 20 Jahren wurde Halim Dener von einem deutschen Polizisten in Hannover erschossen.
Wir erinnern an die Ereignisse der Jahre 1993/94 und stellen sie in einen Kontext mit der heutigen Situation in Kurdistan und der BRD.
Aufruf | Medienberichte | Bericht von der Demonstration
Aufruf der Kampagne "Halim Dener":
gefoltert.
Der 16-jährige Kurde Halim Dener musste 1994 vor der Verfolgung durch den Staat Türkei aus seiner Heimat fliehen. Damals zerstörte das türkische Militär 4.000 Dörfer – so auch Halims Dorf in der Nähe von Çewlik (türk.: Bingöl). 17.000 „Morde unbekannter Täter“, Verschwundene und Folter waren die gängige Praxis von Polizei, Geheimdienst und Paramilitärs. Halim selbst wurde nach einer Festnahme von der türkischen Polizei eine Woche lang verhört und gefoltert.
Aktuell wird über einen Friedensprozess debattiert, doch hat sich die Situation kurdischer Jugendlicher in türkischen Gefängnissen nicht grundlegend geändert: Gewalt, Folter und sexuelle Übergriffe stehen nach wie vor auf der Tagesordnung. Und auch auf der Straße werden weiterhin Jugendliche in Auseinandersetzungen mit der Polizei getötet.
In den deutschen Medien wird der Kurdistan-Konflikt weitgehend verschwiegen. Die BRD ist jedoch durch die Bekämpfung der kurdischen Bewegung sowie Waffenlieferungen und militärische Zusammenarbeit im Rahmen der NATO-Partnerschaft selbst aktiver Teil des Kurdistan-Konflikts.
geflüchtet.
Halim flüchtete vor Krieg und Verfolgung unter falschem Namen, um seine Familie in der Heimat nicht zu gefährden. Als minderjähriger, unbegleiteter Flüchtling kam er in die BRD. Hier war nach öffentlicher rassistischer Hetze und Pogromen an Flüchtlingen und Migrant*innen 1993 das Grundrecht auf Asyl durch Änderung des Grundgesetzes faktisch abgeschafft worden. Infolgedessen sank die Quote der Anerkennung auf Asyl von damals bereits geringen 4,3% auf 0,8% im Jahr 2006.
Heute fliehen Menschen aus den Konfliktzonen, wie z.B. Syrien oder Libyen, um in Europa ihr Leben in Sicherheit weiterführen zu können. Darunter sind viele Minderjährige, die teilweise Familienanschluss die gefährliche Flucht auf sich nehmen. Flüchtlingen und Migrant*innen schlägt immer wieder, auch von Seiten der Behörden, blanker Rassismus entgegen.
verboten.
Im November 1993 wurde nach einer beispiellosen Hetzkampagne gegen die kurdische Bevölkerung in der BRD die Arbeiterpartei Kurdistans (PKK) und alle ihr nahestehenden Organisationen als „Terrororganisation“ verboten. Es folgte eine Welle von Durchsuchungen und Verhaftungen. Durch öffentliche Hetze gegen Kurd*innen wurde ein Klima von Hass und Angst geschaffen, das von einer simplen Gleichung bestimmt war: „Kurd*innen = PKK = Terrorist*innen“.
Das Verbot hat nach wie vor Bestand und findet rege Anwendung. So trifft die Repression kurdische Kulturvereine und öffentliche Strukturen der kurdischen Bewegung, insbesondere aber kurdische Jugendliche und Aktivist*innen, die sie sich mit der Bewegung identifizieren und politisch engagieren.
erschossen.
Auch in der BRD setzte sich Halim für die kurdische Bewegung ein. So plakatierte er wenige Wochen nach seiner Flucht in Hannover Plakate mit dem Emblem der ERNK, des (damaligen) politischen Arms der PKK. Dabei wurde Halim in der Nacht vom 30.06.1994 von SEK-Polizisten in Zivil überrascht und ihm bei der Festnahme aus kürzester Entfernung in den Rücken geschossen. An dieser Schussverletzung starb Halim wenig später. Der Polizist wurde von seinen Kolleg*innen gedeckt, sodass die Tat nie angemessen aufgeklärt werden konnte. In einem drei Jahre dauernden, zweifelhaften Prozess wurde er schließlich freigesprochen.
Diese Tötung durch Polizist*innen ist kein Einzelfall; Christy Schwundeck, Oury Jalloh oder Achidi John sind weitere bekannte Opfer. Auch Polizeigewalt, die gedeckt und vertuscht wird, sowie Kontrollen nach dem sogenannten “Racial Profiling” sind an der Tagesordnung.
Halim Dener repräsentiert in seiner Person viele verschiedene Kämpfe, die hier in der BRD und auf der Welt geführt werden – der Kurdistan-Konflikt, die Frage von Krieg und Flucht, Repression linker Ideen und Organisationen sowie (rassistische) Polizeigewalt.
Halims Geschichte und Tod sind kein Einzelfall!
Deshalb fordern wir:
Schluss der militärischen Zusammenarbeit der BRD mit der Türkei!
Ende des Exports deutscher Waffen!
Bleiberecht für Alle!
Weg mit dem PKK-Verbot!
Lückenlose Aufklärung rassistischer Polizeigewalt!
Kampagne Halim Dener
YXK – Verband der Studierenden aus Kurdistan e.V.
Ciwanên Azad
Rote Hilfe e.V., Bundesvorstand
Rote Hilfe e.V., Ortsgruppe Hannover
Rote Hilfe e.V., Ortsgruppe Hamburg
Interventionistische Linke Hannover (iL Hannover)
see red! Interventionistische Linke Düsseldorf
Antifaschistische Linke International (A.L.I.), Göttingen
ATES.H – für eine sozialrevolutionäre Perspektive, Hamburg
Kampagne TATORT Kurdistan
Antifaschistische Offensive Leipzig (AOLe)
Gruppe Subvertere, Kiel
Freundeskreis “Ernst-Thälmann-Gedenkstätte” e. V., Ziegenhals
Antifaschistische Aktion Lüneburg/Uelzen
Siempre * Antifa Frankfurt
Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes
Bund der Antifaschistinnen und Antifaschisten (VVN/BdA) Kreisvereinigung Hannover
Freie Arbeiterinnen- und Arbeiter-Union (FAU) Hannover
Grüne Jugend Göttingen
Medienberichte
HAZ, 21.06.2014
Gedenkdemo endet friedlich
Etwa 750 Demonstranten haben am Sonnabend unter dem Namen „Kampagne Halim Dener“ in der Innenstadt an den 1994 getöteten Kurden Halim Dener erinnert. Bis auf Provokationen aus dem Schwarzen Block und einem zeitweiligen Verkehrschaos am Steintor verlief die Demonstration friedlich.
Hannover. Etwa 750 Menschen haben am Sonnabend mit einem größtenteils friedlichen Marsch durch die Innenstadt an die Tötung von Halim Dener vor 20 Jahren erinnert. Nur bei einer Zwischenkundgebung am Steintor nutzten etwa 200 Autonome die Gedenkveranstaltung für den kurdischen Flüchtling, um die Polizei mit verbotenen Flaggen der Untergrundorganisation PKK zu provozieren. Die Behörde leitete daraufhin fünf Strafverfahren wegen des Verstoßes gegen das Vereinsgesetz ein und ahndete zehn Ordnungswidrigkeiten. „Nach der Auswertung des Videomaterials, das bei der Demo aufgezeichnet wurde, wird es sicher noch weitere Anzeigen geben“, sagte eine Polizeisprecherin.
Schon im Vorfeld der Veranstaltung hatte sich die Einsatzleitung auf Provokationen dieser Art eingestellt. Bei den Demonstrationen, bei denen vor 20 Jahren mehr als 16 000 Menschen auf die Straßen gingen, war es in der Landeshauptstadt zu Ausschreitungen gekommen. Ein Polizist hatte am 30. Juni 1994 den 16 Jahre alten Halim Dener beim Plakatieren am Steintor erschossen. Ein Gericht sprach den Beamten jedoch frei. Man war der Überzeugung, dass sich der tödliche Schuss versehentlich gelöst hatte, als der Polizist den kurdischen Flüchtling festnehmen wollte.
„Da wir in diesem Jahr mit deutlich mehr als den 1000 angemeldeten Teilnehmern rechneten, haben wir entsprechende Kapazitäten für die Kundgebung bereitgestellt“, sagte Polizeivizepräsident Thomas Rochell am Rande der Veranstaltung. Mit mehreren Hundertschaften, Einheiten der berittenen Polizei sowie einer am Steintor wartenden Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit der Bundespolizei zeigte die Behörde Präsenz. Die große Menge der Demonstranten erschien jedoch nicht. Ganz im Gegenteil: Die Veranstalter, die am Abend ihrerseits von 1500 Teilnehmer sprachen, verschoben sogar ihren Zeitplan, nachdem sich um 14 Uhr lediglich knapp 550 Personen auf dem Klagesmarkt eingefunden hatten. „Viele Teilnehmer, die nicht aus Hannover kommen, wurden von der Polizei bei Kontrollen aufgehalten“, sagte einer der Veranstalter.
Tatsächlich stellte die Polizei bereits vor der Veranstaltung die Identität von 43 Personen fest, beschlagnahmte zwei gefährliche Gegenstände sowie Schals und Hauben, mit denen sich die Demonstranten offenbar während der Kundgebung vermummen wollten. Als die etwa 200 Autonomen dies dennoch gegen 16.45 Uhr am Steintor taten und die Flaggen der kurdischen Untergrundorganisation PKK zeigten, verzichtete die Einsatzleitung darauf einzugreifen. Der sogenannte Schwarze Block ließ die verbotenen Symbole kurz darauf weder verschwinden. Der Zug setzte seinen Weg zum Klagesmarkt fort, wo sich die Demonstration gegen 17.45 Uhr auflöste.
Bericht der Kampagne "Halim Dener":
Solidarität muss Praxis werden…
Demonstration „Halim Dener: gefoltert. geflüchtet. verboten. erschossen.“ in Gedenken an den kurdischen Jugendlichen am 21.06.14 in Hannover
20 Jahre nach dem Tod Halim Deners, haben etwa 1.500 Menschen mit einer Gedenkdemonstration in Hannover an den kurdischen Jugendlichen und seine Geschichte erinnert. Damit hat die Kampagne Halim Dener ihren vorläufigen Höhepunkt erreicht. Sie hatte mit der Unterstützung von 53 Organisationen aus verschiedensten linken Spektren zu der Demonstration am 21.06.14 aufgerufen.
Die Kampagne hat damit ihr Ziel erreicht, keinen reinen Trauermarsch zu veranstalten, sondern vor allem die Aktualität der Konflikte, welche zum Tod Halim Deners geführt haben, aufzuzeigen. Der andauernden Krieg in Kurdistan, das undemokratische PKK-Verbot, die unmenschliche Lage nach Europa flüchtender Menschen sowie die andauernde Polizeigewalt gegen Migrant*innen wurden anhand der Geschichte Halim Deners als thematische Inhalte der Kampagne verknüpft. Halim Dener selbst war 1994 vor dem Krieg in Kurdistan nach Europa geflohen, um Asyl in der BRD zu suchen, wo er beim Plakatieren des Symbols einer PKK-nahen Organisation von einem Polizisten erschossen wurde.Gerade diese Verknüpfung verschiedener Aspekte führte zu einer Unterstützung des Demonstrationsaufruf unter anderem durch kurdische Organisationen, antifaschistische und antirassistische Gruppen vor allem der autonomen Bewegung, Vereinigungen der deutschen und türkischen Linken sowie Flüchtlingsselbstorganisationen. So wurde das zweite Ziel der Kampagne, Gruppen aus verschiedenen linken Spektren zusammenzubringen, ebenfalls erreicht.
Im Vorfeld der Demonstration fanden 17 Informations- und Diskussionsveranstaltungen in verschiedenen Städten zu den Inhalten der Kampagne statt, in Mainz sogar eine Demonstration zur Mobilisierung mit 150 Teilnehmer*innen.
Die Kampagne war von vornherein offen und transparent mit ihren Forderungen sowie ihrem Konzept für die Demonstration aufgetreten. Sie wollte ein angemessenes Gedenken an Halim Dener und ihren Protest gegen den Tod und dessen Ursachen auf die Straße tragen und sich dabei nicht von der Polizei gängeln lassen. Dabei war ihr durchaus bewusst, dass sich die Demonstration im Spannungsfeld der Gegensätze von der Legitimität der kurdischen Freiheitsbewegung und dem Zeigen ihrer Symbole auf der einen und dem PKK-Verbot mit seinen repressiven Konsequenzen auf der anderen Seite bewegen würde.
Die Polizei war in Hannover mit einem total überzogenen Aufgebot an Personal, Material und Maßnahmen aufgetreten: mindestens fünf Wasserwerfer und zwei Räumpanzer belagerten mit zahlreichen Beamt*innen und einer Reiter*innenstaffel die Innenstadt. Bei massiven Vorkontrollen waren etwa 120 Demonstrationsteilnehmer*innen in einem Polizeikessel festgesetzt und einzeln durchsucht worden. Offenbar trieb die Suche nach verbotenen Symbolen die Ordnungshüter*innen an.
Die Demonstration hat sich von diesem Vorgehen nicht provozieren lassen. Stattdessen zog die bunt zusammengesetzte und laut Parolen skandierende Demonstration über ihre geplante Route vom Klagesmarkt am türkischen Konsulat vorbei zu einer Zwischenkundgebung am Steintor, dem Ort an dem Halim Dener in der Nacht vom 30.06.94 erschossen wurde. Die zahlreichen Redebeiträge spiegelten die vielfältige Zusammensetzung der Demonstration wieder; so wurden u.a. Beiträge gehalten von: der Kampagne TATORT Kurdistan, der Roten Hilfe, der Interventionistischen Linken Hannover, der Yeni Demokratik Genclik, einem Flüchtlingsaktivisten des Camps am Weißekreuzplatz in Hannover, der Gruppe Lampedusa in Hamburg, der Antifa Burg.
Bei der Zwischenkundgebung am Steintor wurden zahlreiche Fahnen der PKK und der Gemeinschaft der Gesellschaften Kurdistans (KCK) geschwenkt. Die Kampagne Halim Dener hatte immer erklärt, dass sie das Zeigen der Symbole des kurdischen Befreiungskampfes für legitim hält, dabei aber an dem Ziel festhält die Demonstration geschlossen zu beenden. Die Demonstrant*innen holten nach einer Schweigeminute in Gedenken an Alle von der Polizei ermordeten und im Kampf um Freiheit getöteten die Fahnen ein, woraufhin sich der Demonstrationszug weitere Vorkommnisse bis zum Klagesmarkt fortsetzte und auflöste.
Der Verlauf Auseinandersetzungen hielt die Polizei allerdings nicht davon ab, im Anschluss an die Demonstration mehrere Personalienfeststellungen wegen angeblichen Verstoßens gegen das Vereinsgesetz und das Versammlungsgesetz durchzuführen, was von der Kampagne scharf kritisiert wird. Dass die Demonstration von so vielen Menschen geschlossen durchgeführt wurde, die ihre Haltung zum PKK-Verbot und dem Mord an Halim Dener ausdrückten, sieht die Kampagne hingegen als großen Erfolg an.
Am 30.06.14, dem eigentlichen Jahrestag der Tötung wird eine kleine Aktion zum Gedenken an Halim Dener in Hannover die Kampagne abrunden. Ob sich die Stadt Hannover in Zukunft zu diesem Teil ihrer Geschichte verhalten wird, indem sie z.B. eine Straße nach Halim Dener benennt, ist noch ungewiss. Doch jetzt schon ist die Kampagne Halim Dener ein Erfolg, wenn sie als weiterer Schritt zur notwendigen praktischen Solidarität linker und fortschrittlicher Kräfte verschiedenster Hintergründe verstanden wird.