Die SoKo 161 nimmt die Ermittlungen auf
Die Beschuldigten: Die Polizei Göttingen - namentlich das 4. Fachkommissariat (FK4) und die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit"(BFE) -, sowie die Göttinger Staatsanwaltschaft.
Der Tatbestand: Politische Verfolgung
Das 4. Fachkommissariat (FK4) der Polizei Göttingen hat massiv und illegal die linke Szene in Göttingen überwacht und umfangreiche Datensätze auf Papier erstellt. Sie führt damit die über 35 jährige Tradition polizeilicher Überwachung in Göttingen fort. Und nicht nur das FK4 hat eine klare politische Ausrichtung in seiner Arbeit. Auch die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit"(BFE) beweist immer wieder ihre politische Ausrichtung gegen Linke. So wird keine Gelegenheit ausgelassen um AntifaschistInnen anzugreifen, zu schikanieren und zu kriminalisieren, wie sich an über 80 Strafverfahren im vergangenen Jahr gezeigt hat. Gleichzeitig werden Neonazis geschützt und niemand will etwas gesehen haben, wenn diese wiederholt AntifaschistInnen bedrohen oder angreifen.
Doch nicht nur im Kampf gegen Neonazis positioniert sich die politische Polizei Göttingen eindeutig. Auch im Prozess gegen die AntiRa-AktivistInnen der verhinderte Abschiebung im Neuen Weg (2014) geben Beamte der BFE zu, dass sie mit Schlägen und Schmerzgriffen gegen AbschiebungsgegnerInnen vorgegangen sind - illegal, wie ein Gericht inzwischen festgestellt hat.
Die Göttinger Staatsanwaltschaft unterstützt dieses Vorgehen: Prozesse gegen Linke und AntifaschistInnen werden mit der Begründung des "öffentlichen Interesses" geführt, Verfahren gegen gewalttätige Neonazis werden aus "Mangel öffentlichen Interesses" fallen gelassen. Ganz nach dem Motto "der Feind steht Links" werden Nazis gedeckt, während AntifaschistInnen kriminalisiert werden. Dieses politische Vorgehen und das Vertuschen der Beweise lässt die Sonderkommission 161 nicht zu. Sie nimmt die Ermittlungen auf.
Gesammelte Pressemappe zur Datensammlung (02.07.2017, pdf) | PM zur Datensammelwut vom Staatsschutz Göttingen | Medienberichte
Ermittlungen im Trenchcoat gegen die Polizei Göttingen
Am 29.06.2017, dem dritten Prozesstag der Verhandlung zur verhinderten Abschiebung im Neuen Weg 2014, stellte vor dem Amtsgericht Göttingen die "Sonderkommission 161" ihre ersten Ermittlungsergebnisse vor. Auch unsere ErmittlerInnen verbanden - in guter FK4 Manier - handfeste Informationen professionell per Bindfaden. So zeigen sich die Verstrickungen von Staatsanwaltschaft und Polizei in ihren kriminellen Machenschaften: Falschaussage, Strafvereitlung, Beweismittelvernichtung, illegale Überwachung und auch Verschleppung und Mord.
Bilder:
Presseinformationen
Presseinformation vom 16.06.2016
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie heute bekannt wurde, hat das Göttinger 4.Fachkommissariat mit illegalen Methoden hunderte Personen überwacht. Wie aus mehreren Medienberichten hervorgeht, betreibt das FK4 das Ordnersystem "LIMO", in dem Personen erfasst werden, die den Staatsschützern als "links" gelten. Für einen Eintrag reichte offensichtlich bereits die Teilnahme an einer Demonstration gegen Neonazis. Aufgedeckt wurde dieses Vorgehen durch einen ehemaligen Polizeibeamten, den die Göttinger Polizei im Gegenzug mit einer Hausdurchsuchung und einer Klage wegen angeblicher Erpressung überzogen hat.
Eine Sprecherin der Göttinger Antifa-Gruppe Antifaschistische Linken International (A.L.I.) bemerkt dazu: "Als Gruppe zu deren politischen Aktivitäten auch das Durchführen von Demonstrationen zählt, verurteilen wir die antidemokratischen Polizeistaatsmethoden der Göttinger Polizei aufs Schärfste. Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten ist eine Lehre aus dem deutschen Faschismus. Der Versuch der Polizei Geheimdienstbefugnisse zu beschaffen, erinnert unweigerlich an die GeStaPo."
Die Göttinger Polizei war in der jüngeren Vergangenheit immer wieder durch ihr Hofieren von gewalttätigen Neonazis und die brutalen Einsätze der "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" (BFE) in die Kritik geraten. Neonazis scheinen für das FK 4 jedoch kein Problem zu sein; allem Anschein nach konzentriert sich die Datenjagd einzig und allein auf Linke. Durch das Auffliegen von "LIMO" wird deutlich: Die Polizei nutzte unter anderem die zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen gegen Rechts, um GegendemonstrantInnen systematisch zu erfassen und anschließend zu überwachen.
Die Sprecherin der A.L.I. erklärt: "Für uns ist das illegale Vorgehen der Göttinger Polizei gegen die politische Linke keine Überraschung. Es reiht sich ein in die systematische Hilfestellung der Polizei gegenüber Neonazistrukturen in den letzten Jahren. Diese sollten als Rammbock gegen die linke und weltoffene Grundstimmung in Göttingen eingesetzt werden."
Die Bezeichnung der Ordnersammlung "LIMO" lässt eindeutig auf die Zielgruppe der illegalen polizeilichen Überwachung schließen. Die Abkürzung "LIMO" steht im Polizeijargon für "linksmotivierter Straftäter". Diese Bezeichnung legt das Feindbild der Göttinger Staatsschützer offen. Offensichtlich gelten TeilnehmerInnen linker Veranstaltungen und Versammlungen pauschal als "Straftäter". Tatsächlich sind die in der Sammlung erfassten Personen in der Mehrzahl jedoch straffrei. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Staatsschützer diese Personen in ihrer rechtswidrig angelegten Datensammlung als "Straftäter" diffamieren.
Die A.L.I.-Sprecherin dazu: "Die Existenz von "LIMO" ist der konkrete Beweis für die politische Ausrichtung der deutschen Sicherheitsbehörden. Der"NSU"-Skandal offenbarte die Komplizenschaft des Verfassungsschutzes mit mordenden Neonazis. "LIMO" offenbart den Verfolgungseifer der politischen Polizei, wenn es in die andere Richtung geht. Für sie gilt: Der Feind steht links!"
Der Einsatz rechtswidriger Mittel durch die Polizei ist in Göttingen nichts Neues. Der aktuelle Skandal erinnert an Vorgänge aus den Achtzigerjahren. Damals sammelte die Polizei im "SPUDOK" ("Spurendokumentationssystem") Information über linke AktivistInnen. Die rechtswidrige Sammlung wurde damals nach einer Thematisierung im Landtag vermeintlich gelöscht. Im Jahr 1998 tauchten jedoch "SPUDOK"-Daten in Ermittlungsverfahren wieder auf. Die A.L.I.-Sprecherin bemerkt dazu: "Es gibt eine Tradition illegaler Methoden bei der Göttinger Polizei. Wer diese Tradition beenden will muss nicht nur ein Ende von "LIMO", sondern wirkliche Konsequenzen fordern. Das FK4 muss aufgelöst werden."
Die Antifaschistische Linke International geht davon aus, dass das illegale Agieren des Göttinger Staatsschutzes auch geografisch kein Einzelfall ist, sondern auch in anderen Städten zur normalen Praxis der Polizei gehört. Im Zuge des für die Behörden unglücklichen Auffliegens des "NSU" und in Erwartung des anstehenden G20-Gipfels in Hamburg, werden die Mittel und Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten derzeit massiv ausgebaut.
"Der deutsche Staat konzentriert immer mehr Befugnisse und Machtmittel in den Händen von Behörden, die sich wiederholt als Terrorunterstützer und Demokratiefeinde erwiesen haben. Dieses Vorgehen ist kein Fehler, sondern die konsequente Vorbereitung, um Kritik am krisengebäutelten Kapitalismus notfalls mit aller Gewalt und durch massive Einschränkung von Freiheitsrechten zu unterdrücken.", die A.L.I.-Sprecherin weiter. Diese offiziellen Maßnahmen und die illegale "LIMO"-Sammlung wirken zusammen und verfolgen das gleiche Ziel. Politisch engagierte Menschen sollen eingeschüchtert und verunsichert werden.
"Es ist Aufgabe aller DemokratInnen die lückenlose Aufklärung des Vorgehens der Göttinger Polizei durchzusetzen und den Ausbau des Überwachungsstaates zu stoppen.", schloss die Sprecherin.
Für Rückfragen und weitere Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Antifaschistische Linke International A.L.I.
Medienberichte
spiegel-online.de, 16.06.2017
Göttinger Staatsschutz soll illegal Daten erhoben haben
Im Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte und politisch motivierte Straftaten der Polizeiinspektion Göttingen sollen nach SPIEGEL-Informationen über ein Jahrzehnt illegal Daten erhoben worden sein. Bis mindestens 2015 sollen Beamte von mutmaßlichen Angehörigen der linken Szene in der Studentenstadt unzulässige Fotos angefertigt sowie Informationen über Arbeitgeber, Konfession, Gruppenzugehörigkeit und Social-Media-Profile in Papierakten zusammengetragen und archiviert haben. Die Informationen sollen in mindestens fünf Aktenordnern zusammengefasst sein.
Die genaue Zahl der Betroffenen ist noch nicht ermittelt, die Gesamtzahl der Einzelprofile soll sich im dreistelligen Bereich bewegen. Offenbar konnte es schon ausreichen, an Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche teilzunehmen, um in den Fokus des Staatsschutzes zu geraten. Unter den Betroffenen sind auch Mitglieder und Aktive demokratischer Parteiorganisationen wie der Grünen Jugend.
Am Mittwoch haben die ersten acht Betroffenen beim Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben. Sie fordern die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung und umfängliche Akteneinsicht. Die Polizei darf nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nur bei Vorliegen einer Gefahr Daten erheben. Die präventive Datensammlung ohne Anlass ist ihr nicht erlaubt.
Der zuständigen Polizeidirektion lag die Klage am Donnerstag noch nicht vor, das Verwaltungsgericht bestätigte dem SPIEGEL den Eingang.
Im Zusammenhang mit den Vorgängen steht derzeit ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen. Gegen einen pensionierten Staatsschutzbeamten laufen Ermittlungen wegen versuchter Erpressung. Ihm wird vorgeworfen, vor seiner Pensionierung Unterlagen aus der Polizei mitgenommen zu haben, um diese "als Druckmittel gegenüber der Polizeibehörde bzw. dem Niedersächsischen Innenministerium für eine ihm an sich nicht zustehende Beförderung zu verwenden".
Der Vorwurf der Erpressung sei laut Aktenlage "blanker Unsinn", sagt Rechtsanwalt Sven Adam, der den Beamten und die Kläger vor dem Verwaltungsgericht vertritt. Sein Mandant habe jahrelang intern erfolglos gegen die Datensammlung protestiert. "Dieses Ermittlungsverfahren wird nach einem genaueren Blick der Staatsanwaltschaft sehr schnell eingestellt werden. Dem Verfahren ist es aber zu verdanken, dass die Datensammlung überhaupt bekannt wurde."
In Göttingen gab es bereits in der Vergangenheit widerrechtliche Datenerhebungen. In den Achtzigerjahren sammelte die Polizei in sogenannten Spurendokumentationsdateien Informationen über die linke Szene der Stadt. Nach Bekanntwerden der Vorgänge und Auseinandersetzungen im Landtag wurden die Daten damals gelöscht.
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ndr.de, 16.06
Staatsschutz soll illegal Daten gesammelt haben
Der Staatsschutz der Polizeiinspektion Göttingen soll über ein Jahrzehnt illegal Daten über die linke Szene in der Stadt gesammelt haben. Diesen Vorwurf erhebt der Anwalt Sven Adam, der einige der mutmaßlich Ausgespähten vertritt. Demnach sollen die Beamten bis mindestens 2015 Daten von mutmaßlichen Mitgliedern der linken Szene aus Göttingen zusammengetragen und in Papierakten archiviert haben, darunter Fotos, E-Mails, Namen und Adressen sowie Informationen über Arbeitgeber, Konfession, Gruppenzugehörigkeit und Social-Media-Profile.
Acht Betroffene haben Klage erhoben
Am Mittwoch hätten die ersten acht Personen Klage beim Verwaltungsgericht Göttingen erhoben, teilte Sven Adam am Freitag mit. Wie viele Personen von der illegalen Datensammlung des Staatsschutzes betroffen seien, sei noch nicht ermittelt. Fünf Aktenordner mit personenbezogenen Daten seien bislang gefunden worden, so der Rechtsanwalt. Die Zahl der Gesamtprofile soll sich im dreistelligen Bereich befinden. Offenbar habe es bereits ausgereicht, an Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche teilzunehmen, um für den Staatsschutz interessant zu sein.
Präventive Datensammlung nicht erlaubt
Für eine Datensammlung dieses Ausmaßes gebe es im Niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht keine Rechtsgrundlage, so der Rechtsanwalt. Nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung dürfen personenbezogene Daten nur bei Vorliegen einer Gefahr erhoben werden. Die präventive Datensammlung ist nicht erlaubt.
Ermittlungen gegen pensionierten Polizisten
Bekannt geworden war die Existenz der Akten im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren gegen einen pensionierten Staatsschutzbeamten. Diesem wird vorgeworfen, einige der Unterlagen als Druckmittel eingesetzt zu haben, um eine Beförderung durchzusetzen, die ihm nicht zustand. Bei einer Hausdurchsuchung in den Privaträumen des Mannes fanden die Ermittler einen Teil der betreffenden Unterlagen.
Dass der ehemalige Beamte die Unterlagen für eigene Zwecken habe einsetzen wollen, hält der Hamburger Strafverteidiger Christian Woldmann für unwahrscheinlich. Der Mann habe bisher "lediglich gegen eine offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert", so Woldmann. Der ehemalige Beamte habe Kopien und Fotos zur Beweissicherung erstellt, was keinen Straftatbestand darstelle. Woldmann und Adam haben die Verteidigung des pensionierten Beamten übernommen.
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buzzfeed.com , 16.06.2017
Die Polizei in Göttingen spähte jahrelang vermeintliche Linksaktivisten aus
Der Staatsschutz sammelte Bilder von Demos, Informationen über Arbeitsplätze und Facebook-Profile – wohl ohne rechtliche Grundlage
Polizisten in Göttingen haben offenbar jahrelang Hunderte politisch linksorientierte Menschen überwacht. Sie sammelten Informationen über persönliche Eigenschaften und Jobs, sogar private Fotos – obwohl bei den meisten gar keine Straftaten vorlagen. Jetzt wehren sich acht Betroffene und verklagen die Polizei. Möglich wurde das nach Informationen von BuzzFeed News, weil ein ehemaliger Polizist nicht länger schweigen wollte.
„LIMO“ klingt harmlos, nach einem Erfrischungsgetränk, nach Sommer. Bei der Göttinger Polizei steht das Kürzel für „linksmotiviert“ – und dieses Etikett vergaben die Beamten der für politische Straftaten zuständigen Staatsschutzabteilung offenbar äußerst freigiebig: Nicht weniger als fünf prallgefüllte Ordner mit der Aufschrift „LIMO“ hat ein Kriminaloberkommissar des Göttinger Staatsschutzes fotografiert, ehe er vor zwei Jahren pensioniert wurde.
Hausdurchsuchung bei einem internen Hinweisgeber
Der pensionierte Polizeibeamte wirft seinen ehemaligen Kollegen rechtswidriges Handeln vor – in großem Stil. Als er sich mit seinen Beweisen an hochrangige Beamte in Innenministerium und Landeskriminalamt wendet, leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Nicht gegen die Datensammler, sondern gegen den Ex-Polizisten. Sogar das Haus des 63-Jährigen wird durchsucht.
Denn der Inhalt der Ordner ist brisant: persönliche Daten von Menschen, die die Staatsschützer der traditionell starken linken Szene der niedersächsischen Universitätsstadt zurechnen. Darunter sind sogar Mitglieder der nicht unbedingt als linksradikal bekannten Grünen Jugend. Wie viele Männer und Frauen erfasst wurden, lässt sich nur schätzen. Es müssen Hunderte sein. Und nur gegen einen Bruchteil von ihnen liefen polizeiliche Ermittlungen.
Wie groß die Neugier des Staatsschutzes war, lässt sich den Ermittlungsakten entnehmen, die BuzzFeed News teilweise einsehen konnte. Darin enthalten sind nicht nur die Fotos der Aktenordner – drei blau beklebte für Männer, zwei mit rosa Rückenschildern für Frauen. Der langjährige Polizeibeamte hat auch einige Seiten ihres Inhalts kopiert, um sich bei seinen Vorgesetzten über das seiner Ansicht nach ungesetzliche Vorgehen beschweren zu können. Was er mehrfach – doch stets vergeblich – getan haben will.
Bilder von Demos, Arbeitsplätze, Facebook-Profile
Es sind zumeist Auskünfte des Einwohnermeldeamts, inklusive Foto, welche die Staatsschützer nach Kräften ergänzten: mit Bildern von Demonstrationen, mit Informationen über die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, über die mutmaßliche Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung, den Arbeitsplatz, das Vorhandenseins eines Facebook-Profils.
Sogar dass jemand als Jugendlicher auffiel, weil er Erwachsene Alkohol für sich kaufen ließ, ist notiert. Obwohl das aus der offiziellen Datenbank der Polizei bereits gelöscht war, wie ebenfalls akribisch vermerkt wurde.
Und damit nicht genug: Wie aus kopierten E-Mail-Berichten hervorgeht, wurden Menschen, die den Staatsschützern bekannt wurden, regelrecht observiert. Und von denen, die sie noch nicht kannten, sammelten die Beamten Fotos an einer Magnetwand. Auch Privatbilder sind darunter.
Acht Betroffene klagen nun
„Es gibt keine rechtliche Grundlage, die eine Datenerfassung in dieser Größenordnung rechtfertigen könnte“, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam. Er hat deshalb für zunächst acht Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Die Akten seien nicht nur illegal, sondern offenbar auch im Geheimen geführt worden: „Für einen der erfassten Menschen habe ich unlängst ein Auskunftsersuchen gestellt, weil er wissen wollte, was bei der Polizei über ihn gespeichert ist“, berichtet der Anwalt. „In der Antwort wurden diese Unterlagen mit keiner Silbe erwähnt.“
Die Göttinger Polizei gibt zu den Vorgängen keinerlei Stellungnahme ab. In der Ermittlungsakte aber findet sich die Aussage des Chefs der Staatsschutzabteilung. Es habe diese ausufernde Schnüffelei nie gegeben, behauptet der Kommissariatsleiter. Das war allerdings, bevor das Haus seines ehemaligen Mitarbeiters durchsucht und die Belege sichergestellt worden waren.
Ermittler werfen dem Hinweisgeber Erpressung vor
Nun werfen die Ermittler dem pensionierten Polizisten versuchte Nötigung oder gar Erpressung vor – in dem Ermittlungsverfahren, das eingeleitet wurde, nachdem der Polizist sich vertrauensvoll unter anderem an einen Beamten des niedersächsischen Innenministeriums und an den Präsidenten des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA) gewandt hatte.
Der pensionierte Polizist soll, teilt die Göttinger Staatsanwaltschaft auf Anfrage schriftlich mit, „angedroht haben, dass er vertrauliche Unterlagen des Staatsschutzkommissariats veröffentlichen werde, wenn er nicht rückwirkend auf den Dienstposten eines Kriminalhauptkommissars befördert werde“. Außerdem bestehe der Verdacht des „Verwahrungsbruchs“: Der Beschuldigte habe dienstliche Unterlagen „an sich genommen und damit der dienstlichen Verfügung entzogen“, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
Rechtsanwalt Christian Woldmann aus Hamburg, der den Ex-Polizisten zusammen mit seinem Göttinger Kollegen Adam vertritt, hält diese Vorwürfe für haarsträubend. Sein Mandant habe bis heute immer nur intern gegen das Datensammeln protestiert. Dass er nun zwei Jahre nach seiner Pensionierung den unterstellten Erpressungsversuch gestartet haben soll, sei barer Unsinn. Und wie man Akten der polizeilichen Verfügung entziehen könne, indem man sie fotografiert oder kopiert, das bleibe das Geheimnis der Staatsanwaltschaft.
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taz.de , 16.06.2017
Die Schnüffler vom Kommissariat 4
In Göttingen legte die Polizei offenbar über Jahre hinweg rechtswidrig eine Datensammlung über Linke an. Nun schaltet sich die Justiz ein.
Es waren fünf prall gefüllte Ordner, die im Kommissariat 4 der Göttinger Polizei, dem Staatsschutz, standen. Dutzende Namen waren darin abgeheftet, daneben Fotos, die Wohnanschrift, Religionszugehörigkeit, der Familienstand. Das Vergehen der Gelisteten: Sie erschienen den Polizisten offenbar als Linke.
Die Akten wurden über Jahre befüllt. Über eine Person heißt es, er habe an einem Informationsstand gegen die Bundeswehr teilgenommen, ein anderer habe sich auf einer Demonstration im Block der Sozialistischen Arbeiterjugend befunden. Zu einer Frau wird ihr Engagement für die Grüne Jugend vermerkt. Bei einer Person fanden die Beamten auch bemerkenswert, dass sie bei Rewe arbeitet.
Auch eine Pinnwand hing im Kommissariat, mit Fotos und Namen einiger der Personen. In internen Emails des Kommissariats wurde auch schon mal notiert, wer zu welcher Uhrzeit mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, im Bus saß oder das Fitnessstudio aufsuchte. Ihre Ordner hatte der Staatsschutz mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links orientiert“. Dass den Aufgeführten Straftaten vorgeworfen wurden, ist aus den Papieren jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr scheint es, dass die Göttinger Staatsschützer schlicht Personen notierten, die sie für weit links hielten.
Das Vorgehen wird nun ein Fall für die Justiz. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Göttingen bestätigte am Freitag der taz, dass acht der geführten Personen diese Woche Klage gegen die Datenerhebung einreichten. Das Gericht solle feststellen, dass die Sammlung rechtswidrig war. Zudem verlangen die Betroffenen Akteneinsicht. Von einem „Skandal“ spricht Sven Adam, Anwalt der Betroffenen. „Das ist eine verdeckte Datenerhebung ohne jede gesetzliche Grundlage. Diese Datei hätte es nie geben dürfen.“
Die Göttinger Polizeidirektion wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Man sei über die Klage informiert, sagte eine Sprecherin. Zugestellt sei diese aber bisher nicht, deshalb mache man vorerst keine Angaben.
Ermittlung gegen Ex-Beamten
Zusätzlich pikant: Nach taz-Informationen behauptet ein seit anderthalb Jahren pensionierter Kriminaloberkommissar aus dem Göttinger Staatsschutz, Vorgesetzte wiederholt auf das rechtswidrige Vorgehen hingewiesen zu haben – ohne dass sich etwas geändert habe. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen: allerdings gegen den Mann. Die Göttinger Polizei hatte zu Jahresbeginn Anzeige gegen den Ex-Beamten wegen Verwahrungsbruch und versuchter Erpressung gestellt. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft habe er eine Beförderung erzwingen oder andernfalls die Datei öffentlich machen wollen. Im April wurde die Wohnung des 63-Jährigen durchsucht.
Rechtsanwalt Adam spricht von einem „grotesken“ Vorgehen. „Statt den Mann anzuzeigen, wäre es die Pflicht der Polizei gewesen, seinen Hinweisen nachzugehen und die illegale Praxis umgehend zu stoppen.“
Erst Ende 2016 war bekanntgeworden, dass niedersächsische Polizeibehörden in mehr als 500 Fällen persönliche Daten von Demonstrationsteilnehmern gespeichert hatten. Nach Kritik der Landesdatenschutzbehörde sollen die Einträge wieder gelöscht worden sein. Das niedersächsische Innenministerium hatte 2012 die Polizeidirektionen angewiesen, schon bei Anmeldern von Demonstrationen keine personenbezogenen Daten zu speichern, solange die Aufzüge friedlich blieben. Für Demonstrationsteilnehmer oder sonstig gewaltlos politisch Aktive gilt umso mehr das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
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goest.de, 16.06.2016
Illegale Datensammlung über Linke bei der Göttinger Polizei
„Staatsschutz“ der Polizeiinspektion Göttingen unterhält offenbar Datensammlung über hunderte Linke in Göttingen – Betroffene erheben Verwaltungsklagen Damit bestätgt sich voll und ganz die Einschätzung, die wir im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren des Staatsschutzes gegen goest formuliert haben.(siehe weiter unten)
Göttingen, den 16.06.2017
Das 4. Fachkommissariat (Staatsschutz) der Polizeiinspektion (PI) Göttingen verfügt(e) mindestens bis ins Jahr 2015 über fünf offensichtlich ungesetzlich angelegte Aktenordner mit personenbezogenen Daten über Linke in Göttingen. In der verdeckt angelegten Datensammlung sind Namen, Adressen, körperliche Merkmale, Religionszugehörigkeit, Arbeitsplätze, Informationen über SocialMedia-Profile, Gruppenzugehörigkeiten und Fotos von hunderten Betroffenen enthalten. Ein Zusammenhang der Daten zu laufenden Ermittlungen gegen die Betroffenen oder bestimmten Ereignissen bestand offenbar nicht. Die Nachweise über die Existenz dieser Datensammlung sind Gegenstand der Akte eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Göttingen. Diese ermittelt allerdings nicht gegen die Beamten des 4. FK wegen der rechtswidrig erhobenen Daten, sondern gegen einen indes pensionierten Beamten des 4. FK, der seit Jahren gegen die Datenerhebung behördenintern protestierte und Fotos der Aktenordner sowie Kopien einiger Inhalte zu Beweiszwecken angefertigt hat. Dem 63-jährigen Ex-Polizisten wird versuchte Erpressung, versuchte Nötigung und Verwahrbruch vorgeworfen, weil er die Beweise zu eigenen Zwecken nutzen und die Polizeiinspektion damit habe unter Druck setzen wollen. Der Hamburger Strafverteidiger Christian Woldmann, der zusammen mit dem Göttinger Kollegen Sven Adam die Verteidigung des pensionierten Beamten übernommen hat, hält die Vorwürfe für absurd. „Das Anfertigen von Kopien und Fotos zur Beweissicherung erfüllt keinen Straftatbestand“ so Woldmann. Dass der Polizeibeamte zwei Jahre nach seiner Pensionierung einen Erpressungsversuch gestartet haben soll, ist schon nach Aktenlage blanker Unsinn. Er hat stets und bis heute lediglich intern gegen eine offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert.“ Es liegt daher nahe, dass das Ermittlungsverfahren den Beamten diskreditieren und von den massenweise rechtswidrig erhobenen Daten ablenken sollte. Denn die Größe der Datensammlung übertrifft sogar diejenige der in der 80ern rechtswidrig erhobenen, angeblich vernichteten und in den 90ern wieder aufgetauchten sog. Spudok-Dateien. „Für eine Datensammlung in dieser Größe und Tiefe gibt es im Niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht keine Rechtsgrundlage und kann es auch nicht geben. Diese Datenerfassung ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung schlicht nicht vereinbar“, stellt RA Sven Adam fest. Er hat deshalb für zunächst acht Betroffene am vergangenen Mittwoch auch Klagen gegen die Polizeidirektion Göttingen beim Verwaltungsgericht Göttingen (z.B. Az.: 1 A 169/17, 1 A 17017, 1 A 171/17 etc.) eingereicht, die Beschlagnahme der Aktenordner beantragt und volle Akteneinsicht verlangt.
Die Polizeidirektion Göttingen ist zwar verfahrensrechtlich zuständig, dürfte von der Datensammlung des 4. FK der Polizeiinspektion Göttingen selbst aber keine Kenntnis gehabt haben. „In Antworten der Polizeidirektion auf Auskunftsersuchen werden diese Daten nicht erwähnt. Dass die Datensammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt wird, belegt, dass diese Datenerfassung für den Rest der Polizei unbekannt bleiben sollte. Das 4. FK scheint insoweit ein Eigenleben entwickelt zu haben“ vermutet Adam zunächst abschließend und vorbehaltlich anderer Erkenntnisse aus der zu erwartenden Akteneinsicht.
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Göttinger Tageblatt, 16.06.2017
Staatsschutz als Datensammler
Hat das vierte Fachkommissariat (FK) der Polizeiinspektion Göttingen über Jahre ohne rechtliche Grundlage Daten über mutmaßliche Mitglieder der linken Szene gesammelt? Acht Göttinger klagen dagegen, nachdem das Vorgehen durch Ermittlungen gegen einen Ex-Polizisten bekannt wurde.
Göttingen. Der 63-Jährige ist auch eineinhalb Jahre nach seiner Pensionierung noch spürbar Stolz auf seine Arbeit. Auf 44 Dienstjahre hat er es als Polizist gebracht. Er erzählt von einer schönen Zeit, netten Kollegen, einem Dankesschreiben der damaligen First Lady Niedersachsens Heidi Adele Albrecht, das er noch immer zuhause aufbewahrt. Dort hatte er bis vor kurzem auch noch Kopien einer Akte versteckt, gegen deren Existenz er zu seiner aktiven Zeit immer protestiert hatte.
Mindestens bis 2015 sollen beim Göttinger Staatsschutz Fotos, Namen, Adressen, Religionszugehörigkeit, Arbeitsstellen, körperliche Merkmale, Social-Media-Profile und mehr von hunderten Göttingern in Papierakten zusammengetragen worden sein. Außerdem seien in Mails Bewegungsprofile von Personen zwischen den Ermittlern ausgetauscht worden. Über die genaue Anzahl der Überwachten gibt es keine Angaben. Die Mehrheit ist nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Es soll vielmehr schon ausgereicht haben, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, um als Eintrag in einem der Aktenordner zu landen. Nach Einschätzung der Polizei habe es sich bei den Registrierten um einen „Personenkreis linksmotivierter Straftäter“ gehandelt. So formulierte es am Donnerstag die Staatsanwaltschaft.
Die ersten Betroffenen, darunter auch Mitglieder von demokratischen Parteien und deren Jugendorganisationen haben am Mittwoch Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Dessen Sprecher Dieter Wenderoth bestätigte den Eingang von acht Klagen, bei der offiziell beschuldigten Polizeidirektion Göttingen lagen diese am Freitag noch nicht vor.
Dazu betont Rechtsanwalt Sven Adam, die PD sei zwar verfahrensrechtlich zuständig, dürfte aber seiner Einschätzung nach von der Sammelleidenschaft des vierten FK selbst keine Ahnung gehabt haben. „Dass die Datensammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt wird, belegt, dass sie für den Rest der Polizei unbekannt bleiben sollte“, so Adam. Das FK habe hier anscheinend ein Eigenleben entwickelt.
Plötzlich standen die Kollegen vor der Tür
Als vor einigen Wochen Kollegen vor der Tür des pensionierten Polizisten standen, händigte er ihnen seine Kopien und eine Fotospeicherkarte aus. Er erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen versuchter Nötigung beziehungsweise versuchter Erpressung und sogenannten Verwahrungsbruchs ermittelt. Er soll sich die Beweise angeeignet haben, um die Polizeiinspektion und das Innenministerium unter Druck zu setzen und sich nachträglich eine ihm nicht zustehende Beförderung zu verschaffen.
Der Pensionär und sein Strafverteidiger Christian Woldmann halten diese Vorwürfe für absurd. Das Anfertigen von Kopien zur Beweissicherung erfülle keinen Straftatbestand. Sein Mandant habe zudem bis heute lediglich intern gegen die offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert.
Noch im Februar 2017 habe er in einem Brief an einen befreundeten LKA-Mitarbeiter darauf gedrängt, die Vorgänge sollten intern geklärt werden. Dass er zwei Jahre nach seiner Pensionierung einen Erpressungsversuch gestartet haben soll, sei schon nach Aktenlage „blanker Unsinn“, sagt Woldmann.
Die Anwälte rechnen mit einer schnellen Verfahrenseinstellung. Die Anzahl der Verfahren vor dem Verwaltungsgericht könnte sich hingegen noch vervielfachen. Adam hat die Beschlagnahme der fünf Aktenordner beantragt.
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hna.de, 15.06.2017
Wollte Ex-Polizist mit vertraulichen Dokumenten die Polizei erpressen?
Hat ein pensionierter Staatsschützer versucht, die Polizei mit vertraulichen Dokumenten zu erpressen? Dieser Frage geht die Staatsanwaltschaft Göttingen nach.
Die Strafverfolgungsbehörde führe gegen den 63-jährigen früheren Kriminaloberkommissar der Polizeiinspektion Göttingen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Nötigung und der versuchten Erpressung sowie Verwahrungsbruchs, teilte Behördensprecher Andreas Buick am Donnerstag mit.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Polizist vor eineinhalb Jahren regulär pensioniert worden. Im April dieses Jahres standen dann Polizeibeamte mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen vor seiner Tür.
Die Ermittler hätten bei der Durchsuchung der Privaträume des Ruheständlers einschlägige Dokumente sichergestellt, teilte Staatsanwaltschaft-Sprecher Buick mit. Unter anderem hätten sie Karteikarten, Ausdrucke von E-Mails und Lichtbilder gefunden.
Die sichergestellten dienstlichen Unterlagen bezögen sich auf Personen, die nach Einschätzung der Polizei dem linksextremen Spektrum angehören oder als linksmotivierte Straftäter in Erscheinung getreten sein sollen.
Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge soll der 63-Jährige bereits während seiner aktiven Dienstzeit wiederholt seinen Unmut und Frust darüber geäußert haben, dass er nicht befördert wurde und mit dem schlechter bezahlten Dienstrang eines Kriminaloberkommissars in Pension gehen musste. Nachdem er bereits einige Zeit im Ruhestand verbracht hatte, soll er sowohl gegenüber der Polizeiinspektion Göttingen als auch gegenüber dem Niedersächsischen Innenministerium telefonisch damit gedroht haben, dass er vertrauliche Unterlagen des Staatsschutzkommissariats veröffentlichen werde, falls er nicht rückwirkend doch noch auf den Dienstposten eines Kriminalhauptkommissars befördert werde.
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Göttinger Tageblatt, 08.06.2017
Viele Anklagen, wenig Erinnerung
Vier Abschiebegegner und Antifaschisten müssen sich aktuell vor dem Amtsgericht wegen diverser Vergehen verantworten. Die Anklagen reichen von Körperverletzung über Beleidigung, Widerstand gegen Polizeibeamte bis hin zu Sachbeschädigung. Es ist nicht der erste Versuch, dieses Verfahren zu einem juristischen Ende zu bringen.
Göttingen. Es ist ein wiederkehrendes Bild: Wenn vor dem Göttinger Amtsgericht politisch motivierte Taten verhandelt werden, stehen vor der Tür Polizeifahrzeuge, Demonstranten entrollen Transparente, an den Einlasskontrollen bilden sich Schlangen. So auch am Donnerstagmorgen. Man war aus Kapazitätsgründen in einen der großen Sitzungssäle des Landgerichts umgezogen. Und selbst dieser bot gerade ausreichend Platz auf der Anklagebank. Auch der Zuschauerraum war über den gesamten Tag meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Und auch der Vorhof des Gerichts sollte im Laufe des Tages noch voll werden.
Voll auf allen PlätzenBevor der Staatsanwalt die lange Liste der Straftaten verlesen konnte, musste das Gericht über die Befangenheit des Richters und die Bestellung eines weiteren Verteidigers entscheiden. Mit dem selben Richter und weiterhin nur drei Verteidigern ging es in die Beweisaufnahme. Zeuge eins, ein Polizist, schilderte folgenden Fall: Er war auf dem Weg zur Fußball-WM-Liveübertragung in der Lokhalle, als er zwei Personen dabei beobachtete, wie sie ein Bundeswehrplakat mit Zetteln übertapezierten. "Kein Werben für Sterben", stand da jetzt. Man habe sich vor Ort darauf verständigt, dass der Spruch nach einem Foto wieder entfernt würde. Nach dem Spiel (Deutschland spielte gegen Brasilien) hingen die Zettel immer noch, es kam zur Anzeige.
Die gab es im folgenden Fall nicht. Auch Zeuge zwei ist Polizist. Und auch er war eigentlich in Sachen Fußball im Einsatz, als er nachts am Gänseliesel auf eine der Angeklagten traf. Sie bemalte die dort während der Umbauarbeiten provisorisch aufgebrachte Asphaltschicht: Refugees welcome. "Das sind Verschönerungsarbeiten für die Stadt", habe sie gesagt. Weder er noch seine Kollegen sahen damals einen Grund einzugreifen. "Es hat die Nacht geregnet und die Farbe floss schon wieder ab." Trotzdem liegen dem Gericht zwei Rechnungen für die Reinigung des Platzes von jeweils über 1100 Euro vor.
Nur 'ne PlaneFall drei, Polizist Nummer drei: Auf dem Bahnhofsvorplatz stand der Göttinger Klotz kurz vor seiner Enthüllung. Zuvor jedoch soll eine der Angeklagten die verhüllende Plane besprüht haben. "Für uns war das keine Beschädigung", erinnerte sich der Zeuge am Donnerstag. "War ja nur 'ne Plane, und die sollte ja sowieso bald runter."
Um farbliche Umgestaltung ging es dann auch im folgenden Anklagepunkt. Zwei Zeugen, darunter das Opfer, berichteten über eine Glitzerpuder-Attacke und einen möglichen Schlag während der Sitzung des Kreiswahlausschusses. Der damalige NPD-Kandidat Jens Wilke war angegriffen worden. "Eine Frau kam auf uns zu und dann habe ich ein Patschgeräusch gehört. Und dann hatte Herr Wilke ein rotes Gesicht", schilderte dessen Begleiter eindrucksvoll. Das sei alles sehr schnell gegangen, einen Schlag habe er nicht gesehen. Aber: "Jens war total aufgeregt, weil er aussah wie 'ne Schwuchtel."
Diese und andere Anklagepunkte werden das Gericht weiter beschäftigen. Der Prozess wird fortgesetzt.