Politische Verfolgung gegen Links
Wie der Staat gegen Linke vorgeht
Die Beschuldigten: Die Polizei Göttingen - namentlich das 4. Fachkommissariat (FK4) und die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" (BFE) -, sowie die Göttinger Staatsanwaltschaft.
Der Tatbestand: Politische Verfolgung
Das 4. Fachkommissariat (FK4) der Polizei Göttingen hat massiv und illegal die linke Szene in Göttingen überwacht und umfangreiche Datensätze auf Papier erstellt. Sie führt damit die über 35 jährige Tradition polizeilicher Überwachung in Göttingen fort. Und nicht nur das FK4 hat eine klare politische Ausrichtung in seiner Arbeit. Auch die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit"(BFE) beweist immer wieder ihre politische Ausrichtung gegen Linke. So wird keine Gelegenheit ausgelassen um AntifaschistInnen anzugreifen, zu schikanieren und zu kriminalisieren, wie sich an über 80 Strafverfahren im vergangenen Jahr gezeigt hat. Gleichzeitig werden Neonazis geschützt und niemand will etwas gesehen haben, wenn diese wiederholt AntifaschistInnen bedrohen oder angreifen.
Eine Zusammenstellung der Berichterstattung zu dem Thema hier (pdf).
Unsere Pressemitteilung zu der Überwachung und der Datensammelwut findet ihr hier.
Broschüre "Politische Verfolgung gegen Links" | Termine | Mobimaterial | Demo-Aufruf | Bündnis-Aufruf | Presseinformation Demo | Bilder Demo "Jetzt erst recht! Gegen Überwachung und Kriminalisierung!"
+++ 250 Menschen auf Demo gegen Überwachung, Fotos findet ihr hierfindet ihr hier +++ Neue Broschüre "Tatvorwurf: gemeinschaftliche begangene Politische Verfolgung gegen Links" +++ Gänseliesel ruft zur Demo auf und wird sofort vom FK4 überwacht +++ 130 Menschen bei erster Veranstaltung "Politische Verfolgung gegen Links mit den Anwälten Sven Adam und Rasmus Kahlen" Fotos findet ihr hier +++
Bilder Demonstration "Jetzt erst recht! Gegen Überwachung und Kriminalisierung!"
Termine
14.11.2017 | 19 Uhr | Apex, Burgstraße 52 | Vortrag | Politische Verfolgung gegen Links mit den Anwälten Sven Adam und Rasmus Kahlen
22.11.2017 | 18 Uhr | Juzi, Bürgerstraße 41 | Vortrag & Diskussion | Weiter so?! Wie reagiert die radikale Linke auf die zunehmende Überwachung und Kriminalisierung?
25.11.2017 | 12 Uhr | Bahnhofsvorplatz Göttingen | Demonstration | Jetzt erst recht! Gegen Überwachung und Kriminalisierung
Mobimaterial
Das Plakat zur Kampagne, den Aufruf zur Demo am 25.11 und die Broschüre findet ihr bei linksunten Göttingen (Link zu Facebook) im Keller vom Buchladen Rote Strasse (Nikolaikirchhof 7, Göttingen).
Außerdem könnt ihr hier den Aufruf (PDF 2.5mb) downloaden.
Aufruf 25.11.2017 | 12 Uhr | Bahnhofsvorplatz Göttingen | Demonstration |
Jetzt erst recht! Gegen Überwachung und Kriminalisierung
Es wird ungemütlicher für die Herrschenden, der soziale Kitt, der die Gesellschaft zusammenhält beginnt mehr und mehr zu bröckeln. Die zyklischen Krisen des Kapitals produzieren immer mehr Abgehängte, Ausgeschlossene und Erniedrigte. Wie lange wird es dauern, bis sie sich auch in den kapitalistischen Kernstaaten erheben und einfordern, was ihnen zusteht und ihnen durch die herrschende Klasse verwehrt, aber tagtäglich vor Augen geführt wird?
Für den bürgerlichen Staat sind Linke eine Bedrohung – auch wenn es in der BRD gerade keine starke linke Bewegung gibt – denn es sind Linke, die immer wieder auf die Brutalität des globalen Kapitalismus hinweisen, es sind Radikale und Militante, die eine grundsätzlich antagonistische Haltung gegenüber dem bürgerlichen Staat einnehmen und auf die Straße tragen. Wir sind es, die aufzeigen, dass eine Alternative zu Ausbeutung, Kriegen und Krisen möglich ist und wir sind es, die entschlossen sind die Welt zu verändern.
Ziel staatlicher Repression ist es, uns zu entmutigen, einzuschüchtern, niederzuschlagen und einzusperren. Dazu bietet der Staat einiges an Technik, Maschinerie, Ressourcen und Personal auf. Er will immer ein wachsames Auge auf alle antagonistischen Gruppen und Personen haben, alles über unsere Strukturen wissen, keine Aktion darf unüberwacht und unkontrolliert.
In Göttingen sagt man „LiMo“
Was gemeinhin als „LiMo“ bekannt wurde, ist nur das neuste Label der politischen Verfolgung von Linken durch die Polizei in Göttingen. Mindestens von 1999 bis 2015 ist das vierte Fachkommissariat, verantwortlich für Staatsschutz, seinen schmutzigen Machenschaften unbehelligt nachgegangen und hat linke Personen und deren Umfeld in großem Stile ausgespäht und eine umfangreiche Datensammlung über sogenannte „linksmotivierte Straftäter“ angelegt. Treffender müssen wir sie als „Verbrecherkartei“ oder „Feindlisten“ bezeichnen. Mehr als tausend Personen wurden schätzungsweise zum Ziel der Überwachung durch die Staatsschützer. Vor „LiMo“ wurden die Feindlisten unter dem Label „Spudok“ („Spurendokumenationsdatei“) geführt, von 1981 bis 1983, dann wurden sie angeblich gelöscht, tauchten aber 1997 wieder auf.
Auch die „LiMo“-Akten seien gelöscht worden und das schon „Mitte 2016“, weil sie nicht mehr benötigt worden seien. Polizeipräsident Uwe Lührig wäscht seine Hände in Unschuld, will mit dem Handeln seiner Beamten nichts zu tun gehabt haben und schiebt die Verantwortung auf seine Vorgänger Wargel und Kruse. Angeordnet hat die Überwachung der Leiter des FK 4 Uwe Thomßen. Damit hat er zu verantworten, dass seine Abteilung ihre polizeilichen Befugnisse weit überschritten und das Trennungsgebot polizeilicher und geheimdienstlicher Arbeit missachtet hat. Gedeckt wird die Polizei Göttingen außerdem durch die Staatsanwaltschaft, die keinen großen Willen an der Untersuchung der Angelegenheit an den Tag legt. Sie sieht trotz der Schredderaktion, die die „LiMo“-Akten rechtzeitig zu ihrer Aufdeckung beseitigte, keinen Anfangsverdacht „wegen Vernichtung von Beweismitteln“.
Die Staatsschutzschnüffler der Polizei haben da ein liberaleres Verhältnis zum Anfangsverdacht. Für einen solchen reichte es für sie offensichtlich aus, an einer linken Demonstration teilgenommen zu haben. „Verdächtig“ war also die politische Gesinnung der Verfolgten. Während für die Polizei ein Angriff auf MigrantInnen oder ein Anschlag auf eine Unterkunft für Geflüchtete oft nicht ausreicht, um von einem rassistischen Motiv auszugehen, ganz davon zu schweigen, dass es sich bei den Tätern um Neonazis handeln könnte, reichte es für die Staatsschützer als Verfolgungsgrund aus, gegen Neonazis und Rassismus auf die Straße zu gehen. Gerechtfertigt wird die Überwachung im Nachhinein durch die Behauptung, dass von den Überwachten eine Gefahr für die „öffentliche Ordnung“ ausgehe. Was für eine Ordnung hier geschützt werden soll wurde unter anderem am 12. November 2016 deutlich. Neonazis des sogenannten „Freundeskreis Thüringen/Niedersachsen“ griffen bewaffnet und unter den Augen der Polizei AntifaschistInnen an.
Die Mär von der „Linken Gefahr“…
Seit dem G20-Gipfel läuft auch bundesweit eine Hetzkampagne gegen Linke, mit dem Ziel die Kritik an der schreienden Ungerechtigkeit der Klassengesellschaft mundtot zu machen und progressive Gesellschaftsentwürfe zu diskreditieren. Ganz vorne mit dabei die Bundesregierung, konservative und rechte Politiker, die unterstützt durch bürgerliche Medien die Mär von „linken Terroristen“ und „bürgerkriegsähnlichen Zuständen“ verbreiten und selbsternannte Experten, die behaupten, die Gefahr, die von Linken ausginge, sei lange unterschätzt worden. So spricht niemand von der Brutalität des globalen Kapitalismus, neokolonialer Ausbeutung, politischer Verfolgung und imperialistischen Kriegen für die die G20 verantwortlich sind.
Was in den Tagen von Hamburg im Juli 2017 tatsächlich an „bürgerkriegsähnliche Zustände“ erinnerte, waren nicht die Proteste gegen die G20, sondern die paramilitärische Taktik der Polizei, der Einsatz von schwer bewaffneten Spezialeinheiten im Schanzenviertel und ein enormes Aufgebot von Mitteln zur Aufstandsbekämpfung, das vom deutschen Staat aufgefahren wurde. Das brutale Vorgehen der Polizei, das Tote billigend in Kauf nahm, wurde kurzerhand umgedeutet in eine „heldenhaften“ Einsatz der Beamten.
Trotz des martialischen Aufgebots konnte der reibungslose Ablauf des Gipfels nicht gewährleistet werden und die Inszenierung der Mächtigen in der Hansestadt nicht wie geplant ablaufen. Die staatliche Ordnung wurde für kurze Zeit durch Autonome, Jugendliche und MigrantInnen aufgehoben, die das staatliche Gewaltmonopol nicht anerkannten, ihre Wut gegenüber der Ordnungsmacht zum Ausdruck brachten und die Polizei aus der Schanze drängten.
Durch politische Prozesse und drakonische Strafen gegen diejenigen, die ihre Kritik am globalen Kapitalismus und Imperialismus auf die Straße trugen, soll diese Ordnung nun wiederhergestellt werden. Das erste Urteil wurde gegen den Niederländer Peike S. gefällt, der zu zwei Jahren und sieben Monaten Haft ohne Bewährung verurteilt wurde, weil er angeblich zwei Flaschen geworfen haben soll, ohne dass dabeo jemand verletzt wurde. Im November begann der Prozess gegen Fabio V. aus Italien, dem wegen seiner Teilnahme an einer Demonstration „Schwerer Landfriedensbruch“, „versuchte schwere Körperverletzung“ und „tätlicher Angriff auf Vollstreckungsbeamte“ angelastet werden sollen. Letzter Anklagepunkt wurde erst in diesem Jahr als Straftatbestand geschaffen und bietet ein weiteres Instrument zur Kriminalisierung von Protesten, denn auch kleine Schubsereien mit der Polizei können nun mit Knast bestraft werden.
… und die Wahrheit über bewaffnete Neonazis
Während das bedrohliche Gespenst von „linken Terroristen“ beschworen wird, sind es die Rechten, die sich bewaffnen und Terroranschläge planen, vorbereiten und durchführen. Wie die Gruppe von sechs Bundeswehreservisten aus Mecklenburg-Vorpommern, die Todeslisten mit Namen von linken AktivistInnen und PolitikerInnen geführt und auch schon die Waffen dafür bereitgelegt hatten. Einer dieser Reservisten ist AfD-Mitglied und Polizist. Er hat sein Amt dazu benutzt, um Informationen über politische Gegner zu erhalten. Vermutlich sind er und seine „Kameraden“ Teil eines neonazistischen Netzwerkes, zu denen auch der Bundeswehrsoldat Franco A. gehört, der Anschläge geplant hatte, um diese Flüchtlingen anzulasten.
Wie tief der Staat verstrickt ist in Neonazinetzwerke hat sich zuletzt am deutlichsten im Komplex um den sogenannten NSU gezeigt. Über zehn Jahr hinweg ließ der Staat diese neonazistischen Mörder gewähren oder leistete Beistand. Nachdem dies bekannt wurde, wurden Informationen zurückgehalten oder vernichtet, um die Komplizenschaft des Staates mit den Neonazimördern zu vertuschen. Mittlerweile ist es beinahe ein trauriger Running Gag, dass immer wieder dann Akten „gelöscht“ oder „geschreddert“ werden, Beweismittel verschwinden, und ZeugInnen auf mysteriöse Weise versterben, wenn sie die Verstrickungen des deutschen Staates offenbaren könnten.
Neonazis und Neofaschisten sind für den bürgerlichen Staat deshalb nicht der Feind, weil diese den Nationalstaat, die Herrschaft der bürgerlichen Klasse und ihr Gewaltmonopol nicht infrage stellen. Der Staat will zwar genauso wissen, was die Rechten im Schilde führen, sie kommen ihm allerdings auch immer dann gelegen, wenn er sie benutzen kann. Seit der Gründung der BRD richtet sich die politische Verfolgung vor allem gegen Linke und folgt einer Tradition des Antikommunismus. Auch nach der Niederlage des deutschen Faschismus, haben Naziverbrecher beim Aufbau der Bundesrepublik eine wichtige Rolle gespielt und ihre Karrieren in den Geheimdiensten, Streitkräften, Polizeibehörden und in der Justiz fortgesetzt.
"Lassen wir uns nicht schrecken durch die Ungunst äußerer Umstände, haben wir für alle Schwierigkeiten nur eine Antwort: Erst recht!"
Jetzt erst recht!
Repression ist nur dann erfolgreich, wenn wir uns durch sie einschüchtern lassen. Deshalb werden wir immer wieder auf die Straße gehen, um zu zeigen, dass wir uns Überwachung und politischer Verfolgung nicht beugen werden. Wir werden auch in Zukunft für das Ziel einer befreiten Gesellschaft demonstrieren, arbeiten und kämpfen. Inspiriert von den Erfolgen, die von Genossinnen weltweit errungen werden, werden wir auch hier eine linke Bewegung aufbauen, die machtvoll ins gesellschaftliche Geschehen eingreifen kann. Davon werden wir uns weder vom organisierten Denunziantentum des FK 4, noch von staatlich geförderten Neonazis abhalten lassen.
Wir rufen euch dazu auf am 25.11.2017 mit uns auf die Straße zu gehen. Wir werden der Polizei und den Staatsschützern des FK 4 unsere Entschlossenheit demonstrieren, die Verantwortlichen der politischen Verfolgung in Göttingen aus der Deckung holen und unsere Solidarität mit allen politisch Verfolgten und Gefangenen in die Stadt tragen. Da wir davon ausgehen müssen, dass Polizei und Staatsschützer uns auch bei dieser Gelegenheit beobachten werden, werden wir uns kollektiv ihrer Überwachung entziehen. Das heißt: Warm anziehen mit Schal, Maske oder Hassi. Ob klassisch oder kreativ entscheidet ihr. Um sicherzustellen, dass sie kein verwertbares Fotomaterial bekommen, das in weitere illegale Ordner wandern kann, sind uns viele Mittel recht.
Jetzt erst recht! - Gegen politische Verfolgung, Kriminalisierung und autoritären Überwachungsstaat!
Für eine neue Welt des Friedens und der Freiheit!
Kommt vermummt.
Gegen Überwachung und Kriminalisierung
Wir rufen auf zur Demonstration gegen Überwachung und Kriminalisierung. Anlass dazu gibt uns die im Juni bekannt gewordene illegale Überwachung von linken oder auch nur vermeintlich linken politisch aktiven Personen durch den Staatsschutz des vierten Fachkommissariats der Polizeiinspektion Göttingen. Unter dem Label "LiMo", was schlicht und einfach für "linksmotiviert steht", wurde mindestens von 1999 bis 2015 eine umfangreiche Datensammlung angelegt. Allem Anschein nach genügte es, an einer Demonstration oder einer politischen Veranstaltung teilzunehmen. Damit wurden alle, die ihr Recht wahrnahmen ihre Meinung frei und öffentlich zu äußern, pauschal kriminalisiert.
Als Bündnis gegen Rechts verurteilen wir diese Kriminalisierung und das demokratiefeindliche Agieren der Polizei. Nicht nur, dass sie mit der grundlosen Verfolgung von schätzungsweise über tausend Personen, ihre Befugnisse weit überschritten hat, sondern auch und vor allem den Eingriff in die Privatsphären der Betroffenen, die Einschränkung der Meinungs- und Versammlungsfreiheit und die Missachtung des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung.
Wir sehen in dieser Praxis eine Bedrohung für die Demokratie, wenn wir befürchten müssen, von der Polizei erfasst und überwacht zu werden, wenn wir bspw. gegen Neonazis und Rassismus demonstrieren. In Zeiten eines erstarkenden Rechtspopulismus in Deutschland und Europa und einer beunruhigenden Zunahme an rassistischen Angriffen ist es mehr denn je notwendig, sichtbar eine klare Kante gegen Neonazis und rechte Demagogen zu zeigen. Der Fall LiMoerinnert auf beunruhigende Weise an das Vorgehen autoritärer Regime. Die deutsche NS-Geschichte hat gezeigt, was es bedeutet, wenn ein Apparat aus Polizei, Geheimdiensten und Geheimpolizei beinah allmächtige Befugnisse zur Verfolgung besitzt. Das Trennungsgebot von geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit ist deshalb eine so wichtige Lehre aus dieser Geschichte. Wir sehen diese Linie durch das vierte Fachkommissariat überschritten.
Es darf nicht sein, dass Menschen, die an einer öffentlichen Versammlung teilnehmen und ihre Meinung auf diese Weise kundtun, zum Ziel staatlicher Überwachung werden! Die Observationen durch den Staatsschutz des Fachkommissariats Vier sowie die Bild- und Tonaufzeichnungen von öffentlichen Versammlungen durch die Polizei müssen ein Ende haben.
Um gegen die illegale Überwachung und den Generalverdacht gegen DemonstrationsteilnehmerInnen zu demonstrieren und um unserem Misstrauen Ausdruck zu geben, nicht doch überwacht, gefilmt und fotografiert zu werden, werden wir uns auf kreative Weise unkenntlich machen Mit Schals, Mützen, Tüchern, Sonnenbrillen, Masken oder was Euch sonst einfallen mag. Wir werden uns nicht verstecken, wie es die Verantwortlichen bei der Polizei allem Anschein nach gerade tun, aber wir werden auch sicherstellen, nicht zum Ziel staatlicher Überwachung zu werden.
Wir fordern eine lückenlose Aufklärung der Aktivitäten des Vierten Fachkommissariats durch eine unabhängige Instanz und erwarten, dass Polizeipräsident Uwe Lührig seine Versprechung einhält. Wir erwarten auch zu erfahren, wer von der Polizei überwacht wurde. Außerdem verlangen wir Konsequenzen für die Verantwortlichen des vierten Fachkommissariats unter der Leitung des Ersten Kriminalhauptkommissars Thomßen.
Kommt am 25.11.2017 um 12 Uhr zum Bahnhofsvorplatz in Göttingen und demonstriert mit uns zusammen gegen Überwachung und Kriminalisierung und für ein Ende der Beobachtung von Bürgerinnen und Bürgern durch Polizei und Justiz!
Bündnis gegen Rechts Göttingen
Fotos Veranstaltung "Politische Verfolgung gegen Links mit den Anwälten Sven Adam und Rasmus Kahlen"
Gänseliesel ruft zur Demo am 25.11.2017 auf und wird deshalb von FK4 überwacht
Broschüre "Politische Verfolgung gegen Links"
Die Broschüre könnt Ihr bei uns bestellen oder bei Links Unten Göttingen (Link zu Facebook) im Roten Buchladen (Nikolaikirchhof 7) abholen.
Hier könnt Ihr die Broschüre als pdf runterladen (2 MB).
Inhalt:
Kontinuität von Überwachung in Göttingen
Neues aus der Wissenschaft: Neutrale Expertinnen und Experten für Linke Militanz?
BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit)
Anklageschrift
Der Polizeidirektion Göttingen und im Besonderen dem vierten Fachkommissariat (FK 4) wird folgendes zur Last gelegt: Systematische politische Verfolgung und Kriminalisierung von Linken, umfangreiche Überwachung von vermeintlich linken Personen sowie wiederholtes Eindringen in deren Privatsphäre, Verschleierung dieser Aktivitäten, Vernichtung von Beweismaterialien und Behinderung der Aufklärung dieser Angelegenheit. Darüber hinaus wird ihnen Verleumdung und Üble Nachrede, wiederholte Täuschung und Bildung einer kriminellen Vereinigung vorgeworfen. Der Mittäterschaft in allen genannten Fällen machte sich die Staatsanwaltschaft (StA) Göttingen schuldig. Eine besondere Schwere der Taten liegt vor, da es sich bei den Angeklagten um Wiederholungstäter handelt.
So würde sich eine Anklage gegen die Polizeidirektion Göttingen und das FK 4 im Rahmen der rechtsstaatlichen Ordnung lesen, jener Ordnung mit ihren Rechten und Gesetzen, die von der Polizei eigentlich geschützt werden soll. Zu deren Aufrechterhaltung sie zur Anwendung von (Waffen-)Gewalt vom Staat befugt und mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet ist. Die im Juni 2017 bekannt gewordene „LiMo“-Affäre in Göttingen ist das jüngste Beispiel dafür, dass die Polizei systematisch Rechtsbrüche begeht. Sie schafft sich selbst immer wieder rechtsfreie Räume, um Linke auszuforschen, einzuschüchtern, zu verfolgen und zu kriminalisieren. Dabei versucht sie, durch Hetze und Verleumdung, linke Kritik an gesellschaftlichen Missständen zu delegitimieren, progressive Gesellschaftsentwürfe zu diskreditieren und das Einstehen für eine bessere Gesellschaft zu unterbinden.
Diese politische Verfolgung und Kriminalisierung von Linken ist bei Weitem kein Göttingen spezifisches Phänomen oder die Tat von Linke-hassenden-Überzeugungstätern - auch wenn es diese zweifellos gibt - sondern sie hat System. Mit daran beteiligt sind ebenso das Bundeskriminalamt, die Landeskriminalämter, das Bundesamt für Verfassungsschutz und die Landesämter für Verfassungsschutz. Sie alle bilden eine kriminelle Vereinigung, deren Zielen die Verleumdung, Kriminalisierung und Überwachung politisch aktiver linker Personen, Gruppen und Strukturen zählen.
Nicht Bestandteil der Anklage ist die bundesweite Hetzkampagne dieser kriminellen Vereinigung, die nach dem G20-Gipfel in Hamburg 2017 gegen Linke losgetreten wurde, auch wenn diese mit deren Machenschaften in Göttingen in einem Zusammenhang gesehen werden muss. So werden Lügen über angebliche „linke Terroristen“ verbreitet, die für „bürgerkriegsähnliche Zustände“ in der Hansestadt verantwortlich gewesen sein sollen. Dabei ist in dem Zusammenhang der Kriegsvergleich im Hinblick auf die paramilitärische Taktik der Polizei, den Einsatz von schwerbewaffneten Sondereinheiten im Schanzenviertel und der Polizei-Militär-Kooperation wohl wesentlich zutreffender.
„LiMo“, „SpuDok“, „AufKDo“ und „ZSK“ sind Chiffren dafür, dass die staatlichen Behörden nicht, wie behauptet, die neutralen Garanten demokratischer Grundrechte sind, sondern politische Akteure, die diese Rechte immer wieder einschränken und sich der Kontrolle und der Verantwortung ihres Handelns entziehen. Beispiele für ihre Parteilichkeit sind über 80 Strafverfahren gegen AntifaschistInnen in Göttingen 2016, die brutale Gewalt durch Polizeikräfte gegen NeonazigegnerInnen und die Behauptung, die Gewalt ginge vor allem von Linken aus, während gleichzeitig Neonazis geschützt und hofiert und ihre Taten verschwiegen oder heruntergespielt werden.
Die „LiMo“-Affäre
Die Abkürzung „LiMo“ steht für „Linksmotivierte Straftäter“. Wie im Juni 2017 ans Licht der Öffentlichkeit kam, hat das vierte Fachkommissariat der Polizeidirektion Göttingen, verantwortlich für Staatsschutz, unter dieser Bezeichnung mindestens fünf Jahre lang im großen Stil Daten über politisch aktive Menschen gesammelt, die als Linke eingestuft wurden. In den Jahren 2010 bis 2015 entstand so eine umfangreiche Datensammlung von Namen, Adressen, Fotos, Informationen über Beziehungen, Arbeitsplatz und körperliche Merkmale, Social Media Profile, sowie Zuordnungen zu sogenannten „Gefährder- und Störergruppen“. Diese füllte fünf Aktenordner in den Räumen des Staatsschutzes, drei blaue Ordner für männliche Personen, zwei rosafarbene für weibliche.
Der Begriff Datensammlung ist eigentlich verharmlosend, schließlich handelt es sich dabei nicht etwa um eine Sammlung Pokémonkarten, sondern unter anderem um massive Eingriffe in die Privatsphären der betroffenen Personen und deren Observation durch die Staatsschützer. Verlassen der Wohnung, Gang zum Supermarkt, mit wem sich die überwachte Person wann traf, mit wem sie eine intime Beziehung führte. Um Ziel dieser Totalüberwachung zu werden, reichte es offenbar aus, an einer Demonstration oder einer anderen politischen Veranstaltung teilzunehmen. Die vermeintlich politische Gesinnung allein war also der Anlass für die Überwachung, womit auch offensichtlich ist, dass es sich beim Agieren des FK 4 um die politisch motivierte Verfolgung von Linken handelt. Der Begriff Feindlisten ist also weitaus zutreffender für die „LiMo“-Daten.
„Lückenlose Aufklärung des Sachverhalts“
Die „LiMo“-Affäre wurde im Juni bekannt nachdem die Polizei, beunruhigt die Geschichte könnte ans Licht der Öffentlichkeit gelangen, die Wohnung eines pensionierten Polizeibeamten durchsuchte. Dieser hatte in seiner aktiven Dienstzeit beim FK 4 Beschwerde gegen die illegale „Datensammlung“ eingelegt und Beweise für deren Existenz gesichert. Die Polizei beschuldigt ihn nun im Gegenzug – ebenfalls illegal – Material zur Seite geschafft zu haben, um damit die Polizeidirektion zu erpressen. Augenscheinlich soll der Pensionär damit öffentlich diskreditiert werden.
Umgehend versicherte Polizeipräsident Uwe Lührig, man arbeite „intensiv an der lückenlosen Aufklärung des Sachverhalts“ und versprach „größtmögliche Transparenz“, außerdem sei ihm persönlich „eine lückenlose Aufklärung des Sachverhaltes und der näheren Umstände von besonderer Bedeutung“. Während die Ermittlungen wegen illegaler „Datensammlung“ an die Behörde in Hildesheim übertragen wurden, wird die interne Untersuchung von Dr. Martina Oelkers, zuständig für das Rechtsdezernat und datenschutzrechtliche Belange der Behörde, geführt. Aber egal ob nun in Göttingen oder Hildesheim, in beiden Fällen ermitteln Kollegen gegen Kollegen, was sich in jedem Fall auf die Untersuchungen auswirken dürfte.
Erheblich erschwert werden dürfte die „lückenlose Aufklärung“ durch die angebliche Löschung der Feindlisten, womit sich dann auch nicht mehr nachvollziehen ließe, wer alles vom Eifer der Staatsschützer erfasst wurde. Die Polizeidirektion Göttingen behauptete kurz nach dem Bekanntwerden der jahrelangen Aktivitäten des FK 4, dass die Daten bereits Mitte 2016 gelöscht und dies angeblich, weil sie seit 2015 nicht mehr aktualisiert worden seien. Irgendwie erinnert diese Geschichte, die uns hier aufgetischt wird, an das Schreddern von Akten, im Zusammenhang mit dem NSU, durch den Verfassungsschutz.
Bisher ist mehr als zwanzig Personen bekannt, dass sie auf den Feindlisten der Staatsschützer stehen. Zusammen mit ihren RechtsanwältInnen klagen sie gegen ihre Überwachung. Die reichten darüber hinaus Strafanzeige wegen Verdachts auf Strafvereitelung und Beweismittelunterdrückung beim FK 4 ein, nachdem die Vernichtung der Daten bekannt wurde. Sie gehen im Übrigen davon aus, dass die Überwachung der linken Szene bis in das Jahr 1999 zurückgeht. Seitdem wurde eine Karteikartensammlung geführt, deren Umfang nicht näher bekannt ist.
Die Polizei vertuscht, die Staatsanwaltschaft macht mit
Indes erklärte die Staatsanwaltschaft Göttingen, dass sie keinen Anfangsverdacht wegen Strafvereitelung und Beweismittelunterdrückung gegen die Polizeidirektion sehe und deshalb in dieser Hinsicht auch keine Ermittlungen eingeleitet würden. Diese Entscheidung überrascht nicht: Die Komplizenschaft zwischen Polizei und Staatsanwaltschaft in der „LiMo“-Affäre beginnt nicht erst mit ihrem Unwillen Ermittlungen gegen die Beamten des FK 4 einzuleiten, sondern bereits mit dem Diskreditierungs- und Einschüchterungsversuch durch die von ihr angeordnete Durchsuchung der Wohnung des pensionierten Polizeibeamten. Die Begründung für den fehlenden Anfangsverdacht stützt sie übrigens wiederum auf eine Stellungnahme der Polizeidirektion Göttingen und demonstriert damit eine sehr opportunistische Auslegung der Unschuldsvermutung.
Auch der Wert von Lührigs Versicherung einer „lückenlosen Aufklärung“ kann somit gar nicht gering genug geschätzt werden. Vielmehr scheint, dass durch die wiederholte Betonung der „lückenlosen Aufklärung“ gerade eine Lücke kaschiert werden soll. Der Rückendeckung durch die Staatsanwaltschaft gewiss, zeigte sich der Polizeipräsident erleichtert, dass gegen seine Beamten nicht wegen Vertuschung ermittelt werde. Was ihn wohl vor allem persönlich erleichtert haben wird, ist, dass die illegalen Aktivitäten des FK 4 offiziell in die Amtszeiten seiner Vorgänger Kruse und Wargel fallen .
Nachdem sich der zunächst große mediale Trubel um die Machenschaften der Polizei gelegt hat, behauptet diese nun, dass die Anlegung der Feindlisten rechtmäßig gewesen sei und spielt deren Umfang herunter: Es handele sich in den meisten Fällen lediglich um Ausdrucke der Meldedaten und ein oder zwei Fotos, dass mehr Informationen in die Akten aufgenommen wurden, sei die Ausnahme gewesen.
Neben der Frage nach dem Umfang der „LiMo“-Affäre, bleibt bisher ungeklärt, wer eigentlich zu welchem Zeitpunkt von den Aktivitäten des 4. Fachkommissariats wusste. Inzwischen hat die Polizei bekannt gegeben, dass die „Datensammlung“ vom Ersten Kriminalhauptkommissar Uwe Thomßen, dem Leiter des FK 4 angeordnet wurde. Geht dies auf Eigeninitiative von Thomßen zurück, oder hatte er Anweisungen von oben? Wurden die Akten (und Karteikarten) zu dem Zweck nur in Papierform und nicht digital geführt, um ihre Existenz vor anderen Kollegen zu verbergen? Erfuhr Uwe Lührig wirklich erst Anfang 2016 von der Existenz der Feindlisten?
Wer ist verdächtig, wer wird ausgespäht?
Auch wenn angeblich nicht mehr geklärt werden kann, wer alles ins Visier der Staatsschützer geriet, lässt ein kleines Rechenexempel erahnen, welches Ausmaß diese Ausspähung gehabt haben muss: Wir wissen, dass die Listen in fünf Aktenordnern untergebracht waren. Ein Standard Ordner 1080 fasst in etwa 600 Blatt DIN A4. Wenn wir von einem Blatt pro Person ausgehen, wenn wir der Polizei glauben, dass die Daten hauptsächlich aus einem Ausdruck der Meldedaten und einem Foto bestanden, und annehmen, dass mindestens drei dieser Aktenordner voll waren – zwei blaue und ein rosa Ordner – dann kommen wir auf eine Gesamtzahl von 1.800 Personen. Wenn wir darüber hinaus davon ausgehen, dass auch die anderen beiden Ordner maximal gefüllt waren, dann macht das schon 3.000 Personen.
Zum Vergleich: Die Einwohnerzahl von Göttingen belief sich im Jahr 2015 auf 118.914. Der Verfassungsschutz Niedersachsen geht in seinem Bericht für dieses Jahr davon aus, dass es in ganz Niedersachsen etwa 1.060 „Linksextremisten“ gibt. Wer also wurde in Göttingen alles von den Staatsschützern beobachtet? Unserem kleinen Rechenexempel nach wurden zwischen 1,5 und 2,5 % der EinwohnerInnen Göttingens überwacht. Diese Zahlen übersteigen außerdem die vom VS geschätzten „Linksextremisten“ in Niedersachsen um ein Vielfaches – demnach leben in Göttingen zwischen 169,8 und 283,0 % der niedersächsischen „Linksextremisten“.
Staatsschutzpolizeigeheimdienst
Eine der wenigen Lehren, die in der Bundesrepublik Deutschland aus dem deutschen Faschismus und seinen Verbrechen gezogen wurde, ist die Trennung von Polizeibehörden und Geheimdiensten. Diese Trennung wurde seit dem Ende der 1960er immer weiter aufgelöst. Alles, was bisher in der „LiMo“-Affäre bekannt ist, legt nahe, dass die Staatsschützer des Fachkommissariats 4 wie ein Geheimdienst nach eigenem Gutdünken alle Personen erfasst haben, von denen sie vermuteten, dass es sich um Linke handeln könne. Ausreichend verdächtig war man anscheinend durch die Teilnahme an einer Demonstration oder politischen Veranstaltung, oder durch die bloße Bekanntschaft zu einer anderen überwachten Person. Diese Polizeipraxis ist eine eindeutige Missachtung des Trennungsgebots. Die staatlichen Behörden offenbaren ihre Haltung gegenüber Linken und AntifaschistInnen und ihren unbedingten Willen, diese zu überwachen und zu bekämpfen.
Auch führen die bisherigen Erkenntnisse unweigerlich zu dem Schluss, dass die „Datensammlung“ weit über die bloße Erfassung von Meldedaten hinausgeht, wie es uns die Polizei weismachen will. Die AnwältInnen der Betroffenen gehen davon aus, dass auf deren Grundlage etwa umfangreiche Bewegungsprofile erstellt werden könnten. Es wurde akribisch dokumentiert, an welcher Demonstration sich eine Person beteiligt hatte – auch außerhalb Göttingens – und an welcher Stelle sie mitlief. Andere Fälle legen nahe, dass es Observationen von Personen und Gebäuden gegeben haben muss, Verlassen und Betreten von Häusern wurden dokumentiert und Menschen weiter durch die Stadt verfolgt. In „Verdacht“ gerieten ebenso Bekannte und PartnerInnen von verfolgten Personen und landeten damit mit in den „LiMo“-Akten.
Das Beispiel eines Mitglieds der Grünen Jugend und des erweiterten Kreisvorstands der Grünen verdeutlicht, wie unverfroren die Polizei ihren Ausspähungsaktivitäten nachging: Nachdem die Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) nach ihrem brutalen Vorgehen gegen AktivistInnen, die im April 2014 erfolgreich eine Abschiebung im Neuen-Weg verhinderten, in die Kritik geriet, inszenierte die Polizeidirektion Göttingen „Bürgergespräche“. Zusammen mit der Polizei an einem Tisch saß auch die Grüne Jugend mit besagtem Mitglied. Gleichzeitig wurde er von den Staatsschützern observiert und als „linksmotivierter Straftäter“ geführt. Wer die Polizei kritisiert, wird politisch verfolgt.
Die „LiMo“-Affäre 2017 in Göttingen ist nur eines von vielen Beispielen für die politische Verfolgung von Linken in Deutschland. Bekannt wurde im selben Jahr z.B., dass das Bundeskriminalamt in der Fallgruppe zur Inneren Sicherheit 109.625 Personen und mehr als eine Millionen Datensätze zu einzelnen „politisch motivierten Straftaten“ gespeichert hat, was etwa dem 27-fachen der offiziellen Kriminalstatistik 2016 entspricht. 2012 wurde festgestellt, dass in der Datenbank „PMK-links Z“ (Politisch Motivierte Kriminalität-links Zentralstelle) 90 % von den 3.819 erfassten Personen unrechtmäßig geführt wurden.
Wiederholungstäter Polizei
Seit 1999 wurde eine große Zahl Personen von der Polizei verfolgt, die verdächtigt wurden Linke zu sein, und es wurden umfangreiche Informationen über deren politische Betätigungen und Privatleben gesammelt. Wer in dieser Zeit politisch aktiv war und auf die Straße gegangen ist, um sich Neonazis in den Weg zu stellen, gegen kapitalistische Ausbeutung und Krisen, oder gegen Rassismus und Sexismus zu demonstrieren, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit auf den „LiMo“-Feindlisten der Staatsschützer gelandet.
Wie die folgenden Dokumente dieser Akte zeigen werden, gibt es auffallend viele Parallelen zwischen der aktuellen „LiMo“-Affäre und der Verfolgung und Erfassung in der „SpuDok“ in den 1980er Jahren. Damals wie heute hat es ganz den Anschein, als würde die Aufklärung auf Grund des Korpsgeistes unter den Kollegen und Kolleginnen und der Komplizenschaft der Staatsanwaltschaft im Sande verlaufen. Und wie auch die angeblich „sehr gewissenhaft“ gelöschten „SpuDok“-Daten später wiederauftauchten, stellt sich die Frage, ob die blau- und rosafarbenen Ordner nicht doch noch in irgendeinem anderen Schrank der Polizeidirektion stehen.
In der Öffentlichkeit ist die Polizei darum bemüht, den Anschein der Rechtsstaatlichkeit zu wahren. Deshalb geriet sie zunächst unter erheblichen Druck, als die umfangreichen Schnüffeleien des FK 4, unter dem Leiter Thomßen, bekannt wurden und es von allen Seiten Kritik hagelte. Mittlerweile tut sie nicht einmal mehr so, als wolle sie diese Angelegenheit „lückenlos“ aufklären. Stattdessen behauptet sie, dass ihre Machenschaften rechtens gewesen seien und geht mit der Behauptung, von denjenigen die zum Ziel des Staatsschutzes wurden, würde eine Gefahr für die Allgemeinheit ausgehen, noch einen Schritt weiter und setzt die Kriminalisierung und Verfolgung von Linken unverhohlen fort.
Kontinuität von Überwachung in Göttingen
Während im jüngsten Fall der „LiMo“-Affäre davon auszugehen ist, dass die Überwachung von Linken bis ins Jahr 1999 zurückreicht, zeigen wir im Folgenden, dass „LiMo“ nur die Fortführung einer fast 40 Jahre langen Tradition ist. Mindestens seit den 1980er Jahren werden vermeintlich linke Personen durch die Polizei verfolgt und kriminalisiert. Dadurch wird ganz deutlich, dass diese politische Verfolgung nicht auf die individuelle Motivation einiger Linkenhasser bei der Polizei zurückgeht – wie etwa dem ehemaligen Polizeipräsidenten und Ex-Verfassungsschützer Robert Kruse – sondern System hat.
Zwar gibt es diese Überzeugungstäter zweifelsfrei auch und die folgende Geschichte zeigt, dass diese immer wieder ganz vorne mit dabei waren, wenn es darum ging Linke zu schikanieren, einzuschüchtern, zu bedrohen, auszuspähen oder einzusperren. Wir können aber davon ausgehen, dass es seit den 80er Jahren keine Zeit gab, in der Linke nicht von der Polizei überwacht wurden. Um die ungebrochene Überwachung zu gewährleisten, wurden immer wieder spezielle Einheiten innerhalb der Polizei geschaffen, die außerhalb rechtlicher Zuständigkeiten und Befugnisse und ohne öffentliche Kontrolle agierten. Wenn die verdeckten Machenschaften der Beamten und Beamtinnen dann doch an die Öffentlichkeit kamen, wurde vertuscht, heruntergespielt, gelogen und Besserung gelobt, aber, wie sich immer wieder zeigte, unverhohlen weitergemacht wie bisher.
1981: AuFKdo
Einen Vorläufer des 4. Fachkommissariats, welches heute verantwortlich für die Überwachung ist, bildete das Aufklärungs- und Festnahmekommando (AuFKdo). Gegründet wurde dieses Kommando vermutlich 1981 als Reaktion auf eine starke radikale Linke in Göttingen, die z.B. durch Hausbesetzungen die Forderung nach bezahlbarem Wohnraum für alle auf die politische Tagesordnung setzte. Mit dieser neuen Einheit sollte ein Handlungsrahmen geschaffen werden, welcher es ermöglichen sollte, linke Politik im Keim zu ersticken und nicht wie zuvor nur auf Aktionen zu reagieren. Das Resultat: Eine politische Polizei, welche fern von gesetzlichen Grundlagen, ungestört und nach eigenen Regeln agieren konnte.
Die Geisteshaltung der Beamten des AuFKdo gegenüber Linken offenbart sich im Funkverkehr durch Sprüche wie: „Im Kerstlingeröder Feld, da werden sie rausgeschmissen.“, oder: „Kleines Loch hacken, reinschmeißen...“. Dass es hier zu einem Ermittlungsverfahren gegen die Personen gekommen ist, welche den Funkverkehr veröffentlicht haben, anstatt gegen die Beamten und Beamtinnen, zeigt bereits, wie verschiedene Bereiche der Polizei und Staatsanwaltschaft sich gegenseitig deckten.
Die bewiesene Praxis des AuFKdo war es, eine „Spurendokumentationsdatei“ („SpuDok“) anzulegen. In dieser wurden etwa 1.300 Personen ohne konkreten Verdacht registriert – die einzige Bedingung, ob zutreffend oder nicht: Eine linke Gesinnung. Diese illegale „Datensammlung“, in unserer Geschichte auch der erste Akt der Missachtung des Trennungsgebots geheimdienstlicher und polizeilicher Arbeit, wurde ein öffentlicher Skandal, als sie bekannt wurde.
Als Reaktion ließ der damalige Polizeipräsident im Jahr 1983 verlauten, die Akten seien „sehr gewissenhaft“ gelöscht worden.
Heute müssen wir im Rückblick feststellen, dass – sehr gewissenhaft – die polizeiliche Praxis von 1981 beibehalten wurde, nicht jedoch Daten gelöscht oder „Fehlverhalten“ geahndet wurden. Keine 15 Jahre später nämlich wurde „SpuDok“ gleich zum zweiten Mal zum Skandal. Im Verlauf der Ermittlungen zu einem Brandanschlag auf das Göttinger Arbeitsamt suchte die Göttinger Polizei händeringend nach Verdächtigen. Fündig wollten sie mit einer Liste mit 164 Namen von Linken werden. Das Brisante an der Liste: Einige Namen waren auf dieselbe Art und Weise falsch geschrieben wie schon in den „SpuDok“-Datenbanken aus den 1980er Jahren. Somit lieferte die Polizei 1997 letztlich den Beweis, dass es die behauptete Löschung der früheren „Datensammlung“ nie gegeben hat.
Dieser konkrete Fall zeigt zudem noch etwas Anderes: Nämlich, dass es für die Betroffenen, die irgendwann einmal nach Gutdünken der Polizeibeamten und -beamtinnen in irgendeiner „Datensammlung“ gelandet sind, weitreichende Konsequenzen haben kann. Je nach Opportunität oder politischer Motivation der Polizei kann schnell jeder zum Ziel werden. Im Fall des Anschlags auf das Arbeitsamt konstruierte die Polizei gleich eine ganze Anschlagsserie einer angeblichen terroristischen Vereinigung. Die Absurdität dieser Konstruktion wird am deutlichsten an dem Umstand, dass einige der Personen, die angeblich dieser „Terrorgruppe“ angehörten, zu Beginn der „Anschlagsserie“ erst zehn Jahre alt waren.
1986: ZSK
Im Jahr 1986 wurde nach dem Ende des AuFKdo in Göttingen bereits die nächste politische Polizeieinheit geschaffen, das Zivile Streifenkommando (ZSK). Anlass für die Gründung des ZSK war, dass linke Aktionen im Stadtgebiet nicht mehr ohne das Wissen und die Gegenwart der Polizei von statten gehen sollten. Durch Ausspähungen und die ständige Präsenz von verdeckt arbeitenden Beamten und Beamtinnen, sollte ein Zustand der permanenten Überwachung von Linken geschaffen werden.
Das ZSK intensivierte die massenhafte, anlasslose Datenerhebung über vermeintlich linke Akteure im Gegensatz zum AuFKdo noch einmal erheblich. Buchläden, Kneipen und Treffpunkte der linken Szene wurden rund um die Uhr überwacht und Bewegungsprofile einzelner Personen wurden angelegt. Die Überwachung fand nicht nur im Geheimen statt, sondern sollte einschüchtern und für die Überwachten ständig spürbar sein.
Kontinuität zwischen AuFKdo und ZSK gab es zum einen auf personeller Ebene, zum Teil waren es die gleichen Beamten, die sich wieder für die Verfolgung von Linken meldeten. Alte Feindbilder konnten so gepflegt und erneuert werden. Die strukturelle Kontinuität bestand in der erneuten Schaffung einer Einheit, die verdeckt und außerhalb polizeilicher Befugnisse agierte und agieren sollte – der Geschichte zweiter Akt. Letztlich war auch das Ziel des ZSK dasselbe wie schon beim AuFKdo: Ausspähen, Einschüchtern, Einmachen.
Größere Beachtung bekam eine Razzia im Jugendzentrum Innenstadt im Jahr 1986, bei der anschließend alle 408 BesucherInnen erkennungsdienstlich behandelt wurden. Spätestens ab dem Zeitpunkt waren der Öffentlichkeit und ebenso der Justiz das Vorgehen der Göttinger Polizei bekannt. In einem Spiegel-Artikel desselben Jahres, gestand der damalige Göttinger Polizeichef, Lothar Will: „Wir wollten die Masse, die potentiell hier solche Straftaten begeht, mal aus der Anonymität herausreißen.“ Die Maßnahme wurde zwei Jahre später vom Gericht für illegal erklärt und eine Löschung der Daten veranlasst.
Wie geringschätzig die Polizisten und Polizistinnen mit der Gesundheit Linker umgingen, lässt sich nach den zuvor aufgeführten Funksprüchen schon erahnen. Doch das ZSK setzte noch eins drauf. In der Zeit seines Bestehens häuften sich Berichte von Personenkontrollen bei denen die Zivilstreifenbeamten Widerstandshandlungen bewusst provozierten, um ihr brutales Vorgehen gegen die kontrollierten Personen zu rechtfertigen. Die im Rahmen dieser Praxis misshandelten Personen mussten darüber hinaus in der Regel auch noch mit Strafanzeigen rechnen.
Den Höhepunkt fand die Gewalt in der Ermordung der Antifaschistin Conny Wessmann. In den 80er Jahren kam es in Göttingen immer wieder zu Auseinandersetzungen zwischen Neonazis aus dem Göttinger Umland, die eigens für diese Konfrontationen angereist waren, und autonomen
AntifaschistInnen. Durch deren Engagement war es den Neonazis letztendlich nicht möglich in Göttingen Fuß zu fassen. Am 17. November 1989 war eine Gruppe Neofaschisten in der Stadt; schnell formierten sich Gruppen von AntifaschistInnen, die sich ihnen entgegenstellten. Nachdem die Neonazis, wie so oft, von der Polizei wieder aus der Stadt chauffiert wurden, machte das ZSK Jagd auf die AntifaschistInnen.
Der Funkspruch „Sollen wir sie jetzt plattmachen?“ aus einem Einsatzfahrzeug des ZSK leitete die Hetzjagd ein, in deren Verlauf Conny in den fließenden Verkehr der dicht befahrenen Weender Landstraße getrieben wurde. Sie wurde von einem Auto erfasst und blieb schwer verletzt auf der Straße liegen. Die Polizeibeamten und Polizeibeamtinnen hinderten die anderen AntifaschistInnen daran, ihr zu helfen. Conny starb noch vor Ort. Konsequenzen seitens des Staates gab es weder politischer, noch juristischer Art.
Heute: LiMo
Im Jahr 2012, also unserer Zeitrechnung nach schon in der „LiMo“-Ära, wurde bekannt, dass die Polizei „Lichtbildgruppen Straftäter links motiviert“ führte. Diese wurden unter anderem Mitgliedern studentischer Verbindungen vorgelegt, nachdem diese angeblich von Linken angegriffen worden waren. Aus den vorgelegten Bildern sollten sie die vermeintlichen TäterInnen aussuchen. Nicht nur kam es so zu einer Kollaboration zwischen Polizei und Verbindern bei der politischen Verfolgung von Linken, sondern auf diese Weise wurden letztere auch mit Informationen über Linke versorgt. Das dürfte insbesondere für rechte Verbinder interessant gewesen sein, bei denen es sich entweder selbst um Neonazis handelt, oder die mitunter gute Kontakte zu gewaltbereiten Neonazis pflegen.
Es gibt keinerlei Hinweis darauf, dass die Lichtbildgruppen je gänzlich gelöscht wurden. Viel eher können wir davon ausgehen, dass die Feindlisten, angefangen bei „SpuDok“, über die Überwachung durch das ZSK, bis heute weiter fortgeführt werden.
Eine unendliche Geschichte der politischen Verfolgung?
Ob „SpuDok“ oder „LiMo“, AuFKdo, ZSK oder FK 4, dahinter verbirgt sich in Göttingen in allen Fällen die systematische Verfolgung von Linken aufgrund ihrer politischen Gesinnung. Die Überwachungspraxis der einzelnen Einheiten wurde immer von Polizeiführung und Staatsanwaltschaft im Mindesten gedeckt, wenn nicht sogar von höchster Stelle angeordnet. Damit ist sie auch nicht auf das Fehlverhalten Einzelner zurückzuführen, sondern hat einen eindeutig strukturellen Charakter. Da die verantwortlichen Beamten offensichtlich keine personellen Konsequenzen zu befürchten hatten, muss die Reaktion der Polizeiführung als ein „gut gemacht aber lasst euch das nächste Mal nicht erwischen!“ verstanden werden.
Neues aus der Wissenschaft: Neutrale Expertinnen und Experten für Linke Militanz?
Wer in diesem Staat gut (=demokratisch) oder böse (=undemokratisch) ist, definiert üblicherweise der Verfassungsschutz (VS). Dieser soll die bestehende Ordnung sichern und definiert welche Kritik an der Gesellschaft und dem Staat zugelassen ist und welche nicht. Neonazis sind für den VS deshalb nicht der Feind, da diese den Nationalstaat, die bürgerliche Gesellschaft und ihr Gewaltmonopol nicht grundsätzlich infrage stellen. Dass sie deshalb nicht überwacht, sondern vielmehr durch den VS gedeckt werden, wurde der breiten Öffentlichkeit im Jahr 2011 offenbart. Nach der Selbstenttarnung des „NSU“ kam die Verstrickung und Mitwisserschaft der „Verfassungsschützer“ selbst in die Öffentlichkeit. Eine Mordserie wurde von VS und anderen Behörden über mehr als 10 Jahre nicht als faschistische Tat benannt, sondern vielfach noch durch die Bezahlung von „V-Leuten“ unterstützt. Gleichzeitig wurde antifaschistisches Engagement vielerorts als „linksextremistisch“ verleumdet und kriminalisiert.
„Analyse von Demokratiefeindlichkeit“
Diese skandalöse Praxis ließ selbst in bürgerlichen Parteien den Ruf nach Reform oder Abschaffung des Inlandsgeheimdienstes laut werden. So auch 2012 als Wahlkampfforderung der Grünen in Niedersachsen. Als jedoch die mediale Aufregung verflogen war, wurde die Wahlkampfforderung nach einer Auflösung des Verfassungsschutzes zu einem „Neustart“ mit der Einrichtung „einer wissenschaftlich arbeitenden Dokumentationsstelle“ durch die rot-grüne Landesregierung. Durch die wissenschaftliche Analyse des bisher vom VS gesammelten, öffentlich zugänglichen Materials sollten Forscherinnen und Forscher die Definition von Überwachungsobjekten auf „wissenschaftlich-objektive“ Beine stellen.
Die „Forschungsphänomene“ sind politisch vorgegeben: „Rechtsextremismus“, „Salafismus“ und „Linke Militanz“. Ebenso die Wertung: Demokratie- und somit verfassungsfeindlich. Es liegt der Verdacht nahe, dass die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler durch ihre „objektiven“ Erkenntnisse über Demokratiefeindlichkeit lediglich den VS neu legitimieren und sein Image retten sollen. Praktischerweise hat der VS die Einrichtung der Forschungsstelle laut öffentlicher Meldung „begleitet“ und ist „Partner in dem Projekt“.
Angenommen hat diese zweifelhafte Ehre das Göttinger Institut für Demokratieforschung (IfD), an dem Ende 2016 die „Dokumentationsstelle zur Analyse und Bewertung von Demokratiefeindlichkeit in Niedersachsen“ eingerichtete wurde. Diese Stelle, als bundesweit einzige ihrer Art, soll die verschiedenen, scheinbar in einer Reihe stehenden, zuvor genannten Formen von „Demokratiefeindlichkeit“ gleichermaßen würdigen.
Tatsächlich hat sich das Institut für Demokratieforschung aber 2017 erfolgreich für ein weiteres Förderprogramm beworben: Die im Bundesprogramm „Demokratie leben!“ ausgeschriebene „Bundesfachstelle Linke Militanz“. „Bundesfachstellen“ sind im Allgemeinen zentrale Ansprechstellen, die zu einem Thema Wissen zusammentragen sollen, um Behörden oder andere staatliche Stellen zuberaten. Von der Stelle für „Linke Militanz“ werden sich von der Regierung Impulse für die „Präventionsarbeit“ erhofft. Diese zusätzliche, bundesweit gedachte „ExpertInnen“-Stelle bedeutet eine faktische Schwerpunktsetzung auf die Erforschung „Linker Militanz“. Der Versuch der rot-grünen Landesregierung, eine Lehre aus dem „NSU“ zu ziehen, ist spätestens damit komplett verdreht worden.
Abschied von der Extremismustheorie?
Auffallend ist die Bezeichnung des Bereichs als „Linke Militanz“, anstelle des jahrelang genutzten Begriffs des „Linksextremismus“. Letzterer suggeriert, dass sich politische Positionen in einem hufeisenförmigen Spektrum zwischen rechts und links verteilen: In der „Mitte“ die demokratischen Positionen. Dem gegenüber seien die „Extremen“ gleichermaßen demokratie- und menschenfeindlich. Die Verwendung des Begriffs „Linksextremismus“ läuft somit auf die Gleichsetzung der linken Visionen einer Welt des Friedens und der Freiheit, mit faschistischen Ideologien hinaus. Mit dem Begriff der „Linken Militanz“ fallen scheinbar nichtmilitante Organisationen aus der Erforschung durch das IfD raus. Tatsächlich finden sich jedoch bereits in der ersten hauseigenen Publikation des Demokratieforschungszentrums („Demokratie Dialog“) Beiträge über linke Radikalität im Allgemeinen und ein Bericht über den thematisch vielfältigen „Selber machen“-Kongress in Berlin, Ende April 2017. Für die praktische Arbeit des Instituts scheinen die Begriffe Linksradikalität, -extremismus oder Militanz soweit keinen Unterschied zu machen.
Kann die Benennung des Forschungsfelds trotzdem bedeuten, dass der Extremismusbegriff und die dahinterstehende ideologische Perspektive damit ein Ende gefunden haben? Ist dies der Beginn einer objektiven Erforschung der radikalen Linken, die letztlich zu dem Schluss kommen muss, dass radikaldemokratischen Linken keine „Demokratiefeindlichkeit“ zugeschrieben werden kann?
Weniger als ein Jahr nach Beginn der Arbeit der Dokumentationsstelle kann diese Frage bereits eindeutig verneint werden.
Der bisher öffentlich in Erscheinung tretende Wissenschaftler für den Bereich „Linke Militanz“, Dr. Micus, zeichnet sich praktisch ausschließlich mit Forschung zu Parteien aus. Der Nachweis der wissenschaftlichen Tätigkeit zu irgendwelchen Aspekten radikal linker Politik findet sich nicht. Trotzdem lässt er sich nach den Protesten gegen G20 (Focus, 10.7.2017) als „Extremismusforscher“ zitieren und somit seine Aussagen als wissenschaftlich, neutral und objektiv erscheinen. Inhaltlich bleiben seine Aussagen altbekanntes. Nach den Protesten gegen G20 kocht die Debatte über „Linksterrorismus“ in der ganzen Gesellschaft hoch und Springer-Presse und Regierungspolitikerinnen und –politiker fordern einhellig drakonische Strafen für die GegnerInnen des G20-Gipfels. Trotzdem sieht Dr. Micus das Problem bei „einer falschen Akzeptanz linker Gewalt in unserer Gesellschaft“. Die benannten Ursachen, wie mangelnde Thematisierung in der Schule und „Akzeptanz linker Ideologien“, sind dabei jedoch keine neuen Forschungsergebnisse aus Göttingen, sondern finden sich so inhaltlich in jedem VS-Bericht wieder.
Wissenschaftliche Neutralität?
Dr. Micus vom IfD benennt als praktische Forschungstätigkeit seines Projektes im gleichen Artikel das Führen von Interviews und Besuchen von Demos (hna.de, 8.11.2016). Das verdeckte Besuchen linker Veranstaltungen ist somit bestätigte Praxis. Ziel der zuvor benannten Bundesfachstelle Linke Militanz ist, laut der Internetseite von „Demokratie leben!“, die „Erforschung von Attraktivitätsmomenten, Identitätsangeboten und der sozialen Zusammensetzung militant linker Zusammenhänge. Zudem sollen die organisatorischen Strukturen und binnenkulturelle Praktiken untersucht werden.“ Beobachtungsobjekte sind bei diesen Anlässen mit dem Blick auf soziale Zusammenhänge somit nicht nur die VeranstalterInnen, sondern alle Teilnehmenden.
Gleichzeitig sind im Ethik-Kodex für SoziologInnen eindeutige Richtlinien festgelegt, wie soziologische Forschung stattzufinden hat. §2 legt das Prinzip der informierten Einwilligung der ProbandInnen fest. Es ist offenkundig, dass dieses Prinzip beim Besuch von linken Veranstaltungen, und insbesondere beim Besuch von Demos, durch die MitarbeiterInnen des IfD missachtet wird. Die „Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler“ des IfD sehen sich offensichtlich nicht einmal an die ethischen Grundsätze ihres Berufsstandes gebunden und versuchen sich trotzdem als VertreterInnen einer „neutralen und objektiven“ Forschung zu inszenieren.
Forschung ist jedoch nicht neutral. Bereits die Art, wie eine Forschungsfrage gestellt wird, legt letztlich fest zu welchen Ergebnissen am Ende gekommen werden kann. Sozialwissenschaftliche Arbeit bezieht somit selbst Position zu gesellschaftlichen Themen.
Die Position ist durch die Übernahme der Logiken des VS und die Wertung der Forschungsbereiche als „demokratiefeindlich“ in diesem Fall politisch vorgegeben. Letztlich handelt es sich um Auftragsforschung für das Image des niedersächsischen Landesamtes für Verfassungsschutz.
Beteiligung an der politischen Verfolgung gegen Links
Das Institut gebärt sich, ohne bislang nennenswerte Forschungsergebnisse nachweisen zu können, als „ExpertInnen“ und zitiert dabei doch nur den Verfassungsschutz. Trotz der Neubenennung der Forschungsfelder bleibt es bei rein ideologischen, inhaltlich absurden Vergleichen zwischen Faschisten und Personen der radikalen Linken. Somit ist eine neue Perspektive nach einem Jahr Tätigkeit des „Forschungszentrums für Demokratiefeindlichkeit“ nicht mehr zu erwarten.
WissenschaftlerInnen, die dem VS zuarbeiten sind kritisch zu sehen. WissenschaftlerInnen, die dem VS zuarbeiten, gegenüber den „ProbandInnen“ nicht ihre wahren Absichten mitteilen und sich nicht an die Forschungsethik ihres Berufsstandes halten, sind keine WissenschaftlerInnen. Sie sind Komplizinnen und Komplizen der politischen Verfolgung gegen Links.
BFE (Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit)
Zum Themenkomplex der politischen Polizei gehört auch die für ihre Brutalität berüchtigte Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE), eine Einsatzhundertschaft der Bereitschaftspolizei. Seit ihrer Gründung steht diese Einheit regelmäßig so scharf in der Kritik, dass sich sogar der niedersächsische Innenminister einschaltete, um das Image der Einheit wieder grade zu rücken. Dieser stellte sich immer demonstrativ hinter die Einheit und gab ihnen damit politischen Rückhalt.
An dieser Stelle soll lediglich dokumentiert werden, dass in einem Gerichtsverfahren im Sommer 2017 bekannt wurde, dass die Beamten systematisch ihre Einsatzberichte fälschen, angleichen und von Vorgesetzten kontrollieren lassen.
Berichte fälschen und Linke kriminalisieren
Eingeführt wurde die Göttinger BFE 2012 von Innenminister Schünemann, angeblich aufgrund der geografisch praktischen Lage Göttingens. Zur Einführungsfeier der Einheit, betonte der für seine Law-and-Order-Politik bekannte Schünemann dann allerdings, die Gründung der Göttinger BFE sei „ein klares Zeichen für eine konsequente Sicherheitspolitik“, „gerade in Hinblick auf das Konfliktpotenzial gewaltbereiter Störer bei Demonstrationen“. Von Anfang an wurde von Seiten der Polizei und des Innenministeriums also kein Geheimnis daraus gemacht, dass die starke radikale Linke in Göttingen der Grund für die Einführung der BFE ist.
2014 kam diese Einheit zum Einsatz, als ca. 60 AntirassistInnen im Neuen Weg in Göttingen die Durchführung einer Abschiebung blockierten. Die Beamten gingen so brutal und rabiat vor, dass es zu mehreren Verletzten, unter anderem durch Schläge, Hundebisse und Pfefferspray, kam. Seit der heftigen Kritik aus der Öffentlichkeit an dem Einsatz und der Einheit selbst werden immer wieder Prozesse gegen die beteiligten AktivistInnen geführt, um diesen eskalierten Einsatz im Nachhinein legitimieren zu können. So auch wieder am 08.06.2017. Die Beschuldigten wurden alle freigesprochen, bzw. in einem Fall das Verfahren eingestellt. Besonders interessant war jedoch, dass im Zuge des Prozesses, im Sommer 2017, Beamte der Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit (BFE) zugaben, dass es gängige Praxis ist, Einsatzberichte den Vorgesetzten zum „Korrekturlesen“ vorzulegen. Dies gestand zunächst der erste geladene BFE-Zeuge in seiner über drei Stunden andauernden Befragung. So werden die eigentlich individuellen Einsatzberichte der einzelnen BFE-Beamten durch die Eindrücke von Kollegen und Kolleginnen und Vorgesetzten ergänzt und angeglichen. Die Preisgabe dieser sensiblen Information sollten seine Kollegen am folgenden Prozesstag (am 19.6.17) wohl herunterspielen. Konfrontiert mit der Aussage des ersten Zeugen behaupteten sie, anscheinend schon vorgewarnt, die Korrektur sei eine reine Rechtsschreibprüfung. Sie konnten jedoch nicht erklären, warum diese ausschließlich von Vorgesetzten vorgenommen wird. Im weiteren Verlauf gaben sie zu, dass die Berichte auch auf ‚Plausibilität‘ überprüft und, auf Anweisung der Vorgesetzten, nachträglich ergänzt würden.
Die ursprünglichen Berichte werden digital überschrieben und die Druckversionen geschreddert. Erst die endgültige Version kommt in die Akten. Es kann so nicht mehr nachvollzogen werden, wie viele Berichte es vor der endgültigen Version gegeben hat, also was tatsächlich eigene Beobachtungen sind und was von den Vorgesetzten hinzugefügt worden ist.
Diese Einsatzberichte sind die Ausgangpunkte von Zeugenaussagen der BFE-Beamten und außerdem Grundlage von zahlreichen Strafprozessen gegen Linke in den vergangenen Jahren. Aber wie soll eine andere Person, als der Verfasser der Einsatzberichte selbst, eigene Wahrnehmungen und selbst Erlebtes aufschreiben? Es wird also deutlich, dass Vorgesetzte die einzelnen Einsatzberichte lesen, um sicherzugehen, dass vermeintlich begangene Straftaten auch in allen Berichten einheitlich auftauchen und so bezeugt werden können. Anders ist kaum zu erklären, wie es vor Gericht zu einheitlichen Anschuldigungen von BFE-Beamten und Beamtinnen gegen Linke kommen kann, die dann durch das polizeieigenen Videomaterial widerlegt werden können.
BFE - Beweisfälschungseinheit
Der Name der Einheit suggeriert, die BFE solle Beweise sichern, der beschriebene Fall zeigt aber, dass es der Einheit darüber hinaus darum geht, Beweise – Einsatzberichte und schließlich Zeugenaussagen der Beamten – zu generieren. Aus Sicht der BFE ist ein Einsatz erst dann erfolgreich, wenn am Ende auch Verurteilungen stehen. Die besagte verhinderte Abschiebung 2014 macht zudem deutlich, dass brutale Einsätze über die Kriminalisierung von Betroffenen nachträglich legitimiert werden sollen. Um dieses Ziel zu erreichen scheut die Einheit offensichtlich nicht davor zurück, Einsatzberichte so anzupassen, dass daraus juristisch verwertbare Strafanzeigen gestrickt werden können. Auch hier zeigt sich der systematische Charakter daran, dass es wiederum die Vorgesetzten sind, die diese Praxis anordnen.
Der bittere Beigeschmack
Was es bedeuten kann, wenn der Staat Feindlisten über Linke führt, hat der Fall der aus den „SpuDok“-Listen konstruierten „terroristischen Vereinigung“ Ende der 90er gezeigt. Was aber geschieht, wenn Informationen an Neonazis weitergegeben werden? Wie im Fall der im Jahr 2017 aufgeflogenen Gruppe von Bundeswehreservisten aus Mecklenburg-Vorpommern, die Todeslisten mit Namen von linken AktivistInnen und PolitikerInnen geführt haben. Einer dieser Reservisten ist AfD-Mitglied und Polizist und hat seine Befugnisse dazu benutzt, Informationen über politische Gegner zu erhalten. Sollte die AfD in Zukunft an einer Landesregierung beteiligt sein, kann ihnen das weitgehenden Zugriff auf Informationen der Polizei und der Geheimdienste einbringen.
Ein weiteres Beispiel aus Berlin: Am 1.7.2016 wurde bekannt, dass Meldedaten vom Landeskriminalamt Berlin an den Neonaziblog „halle-leaks“ gelangt sind. Die nur spärlich geschwärzten Daten von 73 Personen stammten aus einer polizeilichen Ermittlungsakte, die bei einer Polizeirazzia gegen Linke aus dem Umfeld des Wohnprojekts Rigaer 94 im Januar 2016 angelegt wurde.
Wir sind alle Staatsfeinde!
Die hier angeklagte kriminelle Vereinigung hat sich der systematischen politischen Verfolgung gegen Linke schuldig gemacht. Die Kontinuität in der BRD beginnt personell mit dem Aufbau der Geheimdienste und Polizei durch Naziverbrecher, geht auf der politischen Ebene über Radikalenerlasse, Berufsverbote und Notstandsverordnungen weiter und setzt sich heute in der Praxis bis zur Totalüberwachung von linken Personen und Strukturen fort.
In der Praxis sind Recht und Gesetzt oft nicht viel wert, wenn Polizei und Geheimdienste sich herausnehmen selbst zu bestimmen, wozu sie befugt sind, anschließend alles abstreiten, vertuschen oder behaupten, dass alles rechtmäßig gewesen sei – und dann weitermachen wie gehabt.
Im hier dargestellten „LiMo“-Fall aus Göttingen zeigt sich auf lokaler Ebene der unbedingte Wille des bürgerlichen Staates gegen Linke vorzugehen, sie auszuspähen, einzuschüchtern, zu bedrohen, anzugreifen und einzusperren. Linke Ideen und progressive Gesellschaftsentwürfe sollen durch Verleumdung und Hetzkampagnen diskreditiert werden, politisches Engagement und das Einstehen für eine befreite Gesellschaft sollen im Keim erstickt werden.
Einmal mehr wird deutlich, dass für diesen Staat alle verdächtig sind, die sich Neonazis entschlossen entgegenstellen und die Wurzeln des Faschismus bekämpfen wollen.
Wer auf die Straße geht, um solidarisch zusammen mit Geflüchteten für ein uneingeschränktes Bleiberecht für Alle zu streiten, wird mitsamt seinem SocialMedia-Profil von der Polizei abgeheftet.
Wer die G20-Täter und -Täterinnen anprangert und auf den Zusammenhang von Flucht, imperialer Kriege und Ausbeutung hinweist, ist mit hoher Wahrscheinlichkeit von den Staatsschützern erfasst worden.
Wer gegen Gewalt gegen Frauen demonstriert und die Notwendigkeit feministischer Kämpfe aufzeigt, wird observiert.
Wer für eine solidarische, demokratische und freie Gesellschaft einsteht, wird ProbandIn für die „Demokratieforscher und -forscherinnen“ .
In den Augen des bürgerlichen Staates sind wir alle Staatsfeinde.
Antifaschistische Linke International >A.L.I.<
im November 2017
Die SoKo 161 nimmt die Ermittlungen auf
Unsere Pressemitteilung zu der Überwachung und der Datensammelwut findet ihr hier.
Eine Zusammenstellung der Berichterstattung zu dem Thema hier (pdf).
Die Beschuldigten: Die Polizei Göttingen - namentlich das 4. Fachkommissariat (FK4) und die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit"(BFE) -, sowie die Göttinger Staatsanwaltschaft.
Der Tatbestand: Politische Verfolgung
Das 4. Fachkommissariat (FK4) der Polizei Göttingen hat massiv und illegal die linke Szene in Göttingen überwacht und umfangreiche Datensätze auf Papier erstellt. Sie führt damit die über 35 jährige Tradition polizeilicher Überwachung in Göttingen fort. Und nicht nur das FK4 hat eine klare politische Ausrichtung in seiner Arbeit. Auch die "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit"(BFE) beweist immer wieder ihre politische Ausrichtung gegen Linke. So wird keine Gelegenheit ausgelassen um AntifaschistInnen anzugreifen, zu schikanieren und zu kriminalisieren, wie sich an über 80 Strafverfahren im vergangenen Jahr gezeigt hat. Gleichzeitig werden Neonazis geschützt und niemand will etwas gesehen haben, wenn diese wiederholt AntifaschistInnen bedrohen oder angreifen.
Doch nicht nur im Kampf gegen Neonazis positioniert sich die politische Polizei Göttingen eindeutig. Auch im Prozess gegen die AntiRa-AktivistInnen der verhinderte Abschiebung im Neuen Weg (2014) geben Beamte der BFE zu, dass sie mit Schlägen und Schmerzgriffen gegen AbschiebungsgegnerInnen vorgegangen sind - illegal, wie ein Gericht inzwischen festgestellt hat.
Die Göttinger Staatsanwaltschaft unterstützt dieses Vorgehen: Prozesse gegen Linke und AntifaschistInnen werden mit der Begründung des "öffentlichen Interesses" geführt, Verfahren gegen gewalttätige Neonazis werden aus "Mangel öffentlichen Interesses" fallen gelassen. Ganz nach dem Motto "der Feind steht Links" werden Nazis gedeckt, während AntifaschistInnen kriminalisiert werden. Dieses politische Vorgehen und das Vertuschen der Beweise lässt die Sonderkommission 161 nicht zu. Sie nimmt die Ermittlungen auf.
Gesammelte Pressemappe zur Datensammlung (02.07.2017, pdf) | PM zur Datensammelwut vom Staatsschutz Göttingen | Medienberichte
Ermittlungen im Trenchcoat gegen die Polizei Göttingen
Am 29.06.2017, dem dritten Prozesstag der Verhandlung zur verhinderten Abschiebung im Neuen Weg 2014, stellte vor dem Amtsgericht Göttingen die "Sonderkommission 161" ihre ersten Ermittlungsergebnisse vor. Auch unsere ErmittlerInnen verbanden - in guter FK4 Manier - handfeste Informationen professionell per Bindfaden. So zeigen sich die Verstrickungen von Staatsanwaltschaft und Polizei in ihren kriminellen Machenschaften: Falschaussage, Strafvereitlung, Beweismittelvernichtung, illegale Überwachung und auch Verschleppung und Mord.
Bilder:
Presseinformationen
Presseinformation vom 25.11.2017
Sehr geehrte Damen und Herren,
zu der heutigen Demonstration "Jetzt erst recht! Gegen Kriminalisierung, politische Verfolgung und autoritären Überwachungsstaat" wurde durch das Bündnis gegen Rechts Göttingen und die Antifaschistische Linke International >A.L.I.< aufgerufen. Etwa 250 Menschen demonstrierten gegen die Überwachung von Linken durch das 4. Fachkommissariat der Polizeiinspektion Göttingen. Im Juni 2017 wurde bekannt, dass der Staatsschutz hunderte Personen systematisch observiert hatte und über mindestens 20 Jahre hinweg illegale Datensammlungen über vermeintlich linke Personen und politische AktivistInnen angelegt hatte (links motiviert kurz LiMo).
Konsequenzen daraus wollen weder Polizeipräsident Uwe Lührig, noch der Leiter des 4.FK Uwe Thomßen ziehen. Im Gegenteil, es wird aktiv versucht, den LiMo-Skandal unter den Teppich zu kehren. Die A.L.I. sagte dazu: "Gegen den Ausbau der Totalüberwachung und den autoritären Sicherheitsstaat, gegen Drohungen und Einschüchterungen setzen wir unseren Mut, unsere Solidarität und unseren Kampf für eine Welt des Friedens und der Freiheit!"
Zur Forschungsstelle Demokratiefeindlichkeit am Institut für Demokratieforschung stellte die A.L.I. fest: "Hier wird versucht durch vermeintlich objektive Wissenschaft die Machenschaften der Schnüffler und Neonazis des Verfassungsschutzes mit einem neuen Image zu kaschieren. " Während die Demonstration den Marktplatz passierte, gab es eine Kunstaktion. Eine überlebensgroße laufende Kamera wurde fachgerecht ausgeschaltet, nachdem sie versucht hatte den Demonstrationszug zu filmen. Am Weender Tor wurde ein großes Transparent über den Demonstrationszug gespannt. Zu lesen war: "United we stand", als Ausdruck der Solidarität mit den noch immer gefangenen AktivistInnen in Hamburg, die sich an den Protesten gegen die G20 beteiligten.
Unsere aktuelle Broschüre zu dem Thema ("Politische Verfolgung gegen Links") finden Sie online unter www.inventati.org/ali/LiMo
Mit freundlichen Grüßen,
Antifaschistische Linke International >A.L.I.<
Presseinformation vom 16.06.2017
Sehr geehrte Damen und Herren,
wie heute bekannt wurde, hat das Göttinger 4.Fachkommissariat mit illegalen Methoden hunderte Personen überwacht. Wie aus mehreren Medienberichten hervorgeht, betreibt das FK4 das Ordnersystem "LIMO", in dem Personen erfasst werden, die den Staatsschützern als "links" gelten. Für einen Eintrag reichte offensichtlich bereits die Teilnahme an einer Demonstration gegen Neonazis. Aufgedeckt wurde dieses Vorgehen durch einen ehemaligen Polizeibeamten, den die Göttinger Polizei im Gegenzug mit einer Hausdurchsuchung und einer Klage wegen angeblicher Erpressung überzogen hat.
Eine Sprecherin der Göttinger Antifa-Gruppe Antifaschistische Linken International (A.L.I.) bemerkt dazu: "Als Gruppe zu deren politischen Aktivitäten auch das Durchführen von Demonstrationen zählt, verurteilen wir die antidemokratischen Polizeistaatsmethoden der Göttinger Polizei aufs Schärfste. Das Trennungsgebot von Polizei und Geheimdiensten ist eine Lehre aus dem deutschen Faschismus. Der Versuch der Polizei Geheimdienstbefugnisse zu beschaffen, erinnert unweigerlich an die GeStaPo."
Die Göttinger Polizei war in der jüngeren Vergangenheit immer wieder durch ihr Hofieren von gewalttätigen Neonazis und die brutalen Einsätze der "Beweissicherungs- und Festnahmeeinheit" (BFE) in die Kritik geraten. Neonazis scheinen für das FK 4 jedoch kein Problem zu sein; allem Anschein nach konzentriert sich die Datenjagd einzig und allein auf Linke. Durch das Auffliegen von "LIMO" wird deutlich: Die Polizei nutzte unter anderem die zahlreichen Kundgebungen und Demonstrationen gegen Rechts, um GegendemonstrantInnen systematisch zu erfassen und anschließend zu überwachen.
Die Sprecherin der A.L.I. erklärt: "Für uns ist das illegale Vorgehen der Göttinger Polizei gegen die politische Linke keine Überraschung. Es reiht sich ein in die systematische Hilfestellung der Polizei gegenüber Neonazistrukturen in den letzten Jahren. Diese sollten als Rammbock gegen die linke und weltoffene Grundstimmung in Göttingen eingesetzt werden."
Die Bezeichnung der Ordnersammlung "LIMO" lässt eindeutig auf die Zielgruppe der illegalen polizeilichen Überwachung schließen. Die Abkürzung "LIMO" steht im Polizeijargon für "linksmotivierter Straftäter". Diese Bezeichnung legt das Feindbild der Göttinger Staatsschützer offen. Offensichtlich gelten TeilnehmerInnen linker Veranstaltungen und Versammlungen pauschal als "Straftäter". Tatsächlich sind die in der Sammlung erfassten Personen in der Mehrzahl jedoch straffrei. Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass die Staatsschützer diese Personen in ihrer rechtswidrig angelegten Datensammlung als "Straftäter" diffamieren.
Die A.L.I.-Sprecherin dazu: "Die Existenz von "LIMO" ist der konkrete Beweis für die politische Ausrichtung der deutschen Sicherheitsbehörden. Der"NSU"-Skandal offenbarte die Komplizenschaft des Verfassungsschutzes mit mordenden Neonazis. "LIMO" offenbart den Verfolgungseifer der politischen Polizei, wenn es in die andere Richtung geht. Für sie gilt: Der Feind steht links!"
Der Einsatz rechtswidriger Mittel durch die Polizei ist in Göttingen nichts Neues. Der aktuelle Skandal erinnert an Vorgänge aus den Achtzigerjahren. Damals sammelte die Polizei im "SPUDOK" ("Spurendokumentationssystem") Information über linke AktivistInnen. Die rechtswidrige Sammlung wurde damals nach einer Thematisierung im Landtag vermeintlich gelöscht. Im Jahr 1998 tauchten jedoch "SPUDOK"-Daten in Ermittlungsverfahren wieder auf. Die A.L.I.-Sprecherin bemerkt dazu: "Es gibt eine Tradition illegaler Methoden bei der Göttinger Polizei. Wer diese Tradition beenden will muss nicht nur ein Ende von "LIMO", sondern wirkliche Konsequenzen fordern. Das FK4 muss aufgelöst werden."
Die Antifaschistische Linke International geht davon aus, dass das illegale Agieren des Göttinger Staatsschutzes auch geografisch kein Einzelfall ist, sondern auch in anderen Städten zur normalen Praxis der Polizei gehört. Im Zuge des für die Behörden unglücklichen Auffliegens des "NSU" und in Erwartung des anstehenden G20-Gipfels in Hamburg, werden die Mittel und Befugnisse von Polizei und Geheimdiensten derzeit massiv ausgebaut.
"Der deutsche Staat konzentriert immer mehr Befugnisse und Machtmittel in den Händen von Behörden, die sich wiederholt als Terrorunterstützer und Demokratiefeinde erwiesen haben. Dieses Vorgehen ist kein Fehler, sondern die konsequente Vorbereitung, um Kritik am krisengebäutelten Kapitalismus notfalls mit aller Gewalt und durch massive Einschränkung von Freiheitsrechten zu unterdrücken.", die A.L.I.-Sprecherin weiter. Diese offiziellen Maßnahmen und die illegale "LIMO"-Sammlung wirken zusammen und verfolgen das gleiche Ziel. Politisch engagierte Menschen sollen eingeschüchtert und verunsichert werden.
"Es ist Aufgabe aller DemokratInnen die lückenlose Aufklärung des Vorgehens der Göttinger Polizei durchzusetzen und den Ausbau des Überwachungsstaates zu stoppen.", schloss die Sprecherin.
Für Rückfragen und weitere Informationen stehen wir gerne zur Verfügung.
Mit freundlichen Grüßen
Antifaschistische Linke International A.L.I.
Medienberichte
spiegel-online.de, 16.06.2017
Göttinger Staatsschutz soll illegal Daten erhoben haben
Im Fachkommissariat für Staatsschutzdelikte und politisch motivierte Straftaten der Polizeiinspektion Göttingen sollen nach SPIEGEL-Informationen über ein Jahrzehnt illegal Daten erhoben worden sein. Bis mindestens 2015 sollen Beamte von mutmaßlichen Angehörigen der linken Szene in der Studentenstadt unzulässige Fotos angefertigt sowie Informationen über Arbeitgeber, Konfession, Gruppenzugehörigkeit und Social-Media-Profile in Papierakten zusammengetragen und archiviert haben. Die Informationen sollen in mindestens fünf Aktenordnern zusammengefasst sein.
Die genaue Zahl der Betroffenen ist noch nicht ermittelt, die Gesamtzahl der Einzelprofile soll sich im dreistelligen Bereich bewegen. Offenbar konnte es schon ausreichen, an Demonstrationen gegen Neonazi-Aufmärsche teilzunehmen, um in den Fokus des Staatsschutzes zu geraten. Unter den Betroffenen sind auch Mitglieder und Aktive demokratischer Parteiorganisationen wie der Grünen Jugend.
Am Mittwoch haben die ersten acht Betroffenen beim Verwaltungsgericht Göttingen Klage erhoben. Sie fordern die Feststellung der Rechtswidrigkeit der Datenerhebung und umfängliche Akteneinsicht. Die Polizei darf nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung nur bei Vorliegen einer Gefahr Daten erheben. Die präventive Datensammlung ohne Anlass ist ihr nicht erlaubt.
Der zuständigen Polizeidirektion lag die Klage am Donnerstag noch nicht vor, das Verwaltungsgericht bestätigte dem SPIEGEL den Eingang.
Im Zusammenhang mit den Vorgängen steht derzeit ein Ermittlungsverfahren der Staatsanwaltschaft Göttingen. Gegen einen pensionierten Staatsschutzbeamten laufen Ermittlungen wegen versuchter Erpressung. Ihm wird vorgeworfen, vor seiner Pensionierung Unterlagen aus der Polizei mitgenommen zu haben, um diese "als Druckmittel gegenüber der Polizeibehörde bzw. dem Niedersächsischen Innenministerium für eine ihm an sich nicht zustehende Beförderung zu verwenden".
Der Vorwurf der Erpressung sei laut Aktenlage "blanker Unsinn", sagt Rechtsanwalt Sven Adam, der den Beamten und die Kläger vor dem Verwaltungsgericht vertritt. Sein Mandant habe jahrelang intern erfolglos gegen die Datensammlung protestiert. "Dieses Ermittlungsverfahren wird nach einem genaueren Blick der Staatsanwaltschaft sehr schnell eingestellt werden. Dem Verfahren ist es aber zu verdanken, dass die Datensammlung überhaupt bekannt wurde."
In Göttingen gab es bereits in der Vergangenheit widerrechtliche Datenerhebungen. In den Achtzigerjahren sammelte die Polizei in sogenannten Spurendokumentationsdateien Informationen über die linke Szene der Stadt. Nach Bekanntwerden der Vorgänge und Auseinandersetzungen im Landtag wurden die Daten damals gelöscht.
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ndr.de, 16.06
Staatsschutz soll illegal Daten gesammelt haben
Der Staatsschutz der Polizeiinspektion Göttingen soll über ein Jahrzehnt illegal Daten über die linke Szene in der Stadt gesammelt haben. Diesen Vorwurf erhebt der Anwalt Sven Adam, der einige der mutmaßlich Ausgespähten vertritt. Demnach sollen die Beamten bis mindestens 2015 Daten von mutmaßlichen Mitgliedern der linken Szene aus Göttingen zusammengetragen und in Papierakten archiviert haben, darunter Fotos, E-Mails, Namen und Adressen sowie Informationen über Arbeitgeber, Konfession, Gruppenzugehörigkeit und Social-Media-Profile.
Acht Betroffene haben Klage erhoben
Am Mittwoch hätten die ersten acht Personen Klage beim Verwaltungsgericht Göttingen erhoben, teilte Sven Adam am Freitag mit. Wie viele Personen von der illegalen Datensammlung des Staatsschutzes betroffen seien, sei noch nicht ermittelt. Fünf Aktenordner mit personenbezogenen Daten seien bislang gefunden worden, so der Rechtsanwalt. Die Zahl der Gesamtprofile soll sich im dreistelligen Bereich befinden. Offenbar habe es bereits ausgereicht, an Demonstrationen gegen Nazi-Aufmärsche teilzunehmen, um für den Staatsschutz interessant zu sein.
Präventive Datensammlung nicht erlaubt
Für eine Datensammlung dieses Ausmaßes gebe es im Niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht keine Rechtsgrundlage, so der Rechtsanwalt. Nach dem Niedersächsischen Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung dürfen personenbezogene Daten nur bei Vorliegen einer Gefahr erhoben werden. Die präventive Datensammlung ist nicht erlaubt.
Ermittlungen gegen pensionierten Polizisten
Bekannt geworden war die Existenz der Akten im Zusammenhang mit einem Ermittlungsverfahren gegen einen pensionierten Staatsschutzbeamten. Diesem wird vorgeworfen, einige der Unterlagen als Druckmittel eingesetzt zu haben, um eine Beförderung durchzusetzen, die ihm nicht zustand. Bei einer Hausdurchsuchung in den Privaträumen des Mannes fanden die Ermittler einen Teil der betreffenden Unterlagen.
Dass der ehemalige Beamte die Unterlagen für eigene Zwecken habe einsetzen wollen, hält der Hamburger Strafverteidiger Christian Woldmann für unwahrscheinlich. Der Mann habe bisher "lediglich gegen eine offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert", so Woldmann. Der ehemalige Beamte habe Kopien und Fotos zur Beweissicherung erstellt, was keinen Straftatbestand darstelle. Woldmann und Adam haben die Verteidigung des pensionierten Beamten übernommen.
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buzzfeed.com , 16.06.2017
Die Polizei in Göttingen spähte jahrelang vermeintliche Linksaktivisten aus
Der Staatsschutz sammelte Bilder von Demos, Informationen über Arbeitsplätze und Facebook-Profile – wohl ohne rechtliche Grundlage
Polizisten in Göttingen haben offenbar jahrelang Hunderte politisch linksorientierte Menschen überwacht. Sie sammelten Informationen über persönliche Eigenschaften und Jobs, sogar private Fotos – obwohl bei den meisten gar keine Straftaten vorlagen. Jetzt wehren sich acht Betroffene und verklagen die Polizei. Möglich wurde das nach Informationen von BuzzFeed News, weil ein ehemaliger Polizist nicht länger schweigen wollte.
„LIMO“ klingt harmlos, nach einem Erfrischungsgetränk, nach Sommer. Bei der Göttinger Polizei steht das Kürzel für „linksmotiviert“ – und dieses Etikett vergaben die Beamten der für politische Straftaten zuständigen Staatsschutzabteilung offenbar äußerst freigiebig: Nicht weniger als fünf prallgefüllte Ordner mit der Aufschrift „LIMO“ hat ein Kriminaloberkommissar des Göttinger Staatsschutzes fotografiert, ehe er vor zwei Jahren pensioniert wurde.
Hausdurchsuchung bei einem internen Hinweisgeber
Der pensionierte Polizeibeamte wirft seinen ehemaligen Kollegen rechtswidriges Handeln vor – in großem Stil. Als er sich mit seinen Beweisen an hochrangige Beamte in Innenministerium und Landeskriminalamt wendet, leitet die Staatsanwaltschaft ein Ermittlungsverfahren ein. Nicht gegen die Datensammler, sondern gegen den Ex-Polizisten. Sogar das Haus des 63-Jährigen wird durchsucht.
Denn der Inhalt der Ordner ist brisant: persönliche Daten von Menschen, die die Staatsschützer der traditionell starken linken Szene der niedersächsischen Universitätsstadt zurechnen. Darunter sind sogar Mitglieder der nicht unbedingt als linksradikal bekannten Grünen Jugend. Wie viele Männer und Frauen erfasst wurden, lässt sich nur schätzen. Es müssen Hunderte sein. Und nur gegen einen Bruchteil von ihnen liefen polizeiliche Ermittlungen.
Wie groß die Neugier des Staatsschutzes war, lässt sich den Ermittlungsakten entnehmen, die BuzzFeed News teilweise einsehen konnte. Darin enthalten sind nicht nur die Fotos der Aktenordner – drei blau beklebte für Männer, zwei mit rosa Rückenschildern für Frauen. Der langjährige Polizeibeamte hat auch einige Seiten ihres Inhalts kopiert, um sich bei seinen Vorgesetzten über das seiner Ansicht nach ungesetzliche Vorgehen beschweren zu können. Was er mehrfach – doch stets vergeblich – getan haben will.
Bilder von Demos, Arbeitsplätze, Facebook-Profile
Es sind zumeist Auskünfte des Einwohnermeldeamts, inklusive Foto, welche die Staatsschützer nach Kräften ergänzten: mit Bildern von Demonstrationen, mit Informationen über die Teilnahme an öffentlichen Veranstaltungen, über die mutmaßliche Zugehörigkeit zu einer politischen Gruppierung, den Arbeitsplatz, das Vorhandenseins eines Facebook-Profils.
Sogar dass jemand als Jugendlicher auffiel, weil er Erwachsene Alkohol für sich kaufen ließ, ist notiert. Obwohl das aus der offiziellen Datenbank der Polizei bereits gelöscht war, wie ebenfalls akribisch vermerkt wurde.
Und damit nicht genug: Wie aus kopierten E-Mail-Berichten hervorgeht, wurden Menschen, die den Staatsschützern bekannt wurden, regelrecht observiert. Und von denen, die sie noch nicht kannten, sammelten die Beamten Fotos an einer Magnetwand. Auch Privatbilder sind darunter.
Acht Betroffene klagen nun
„Es gibt keine rechtliche Grundlage, die eine Datenerfassung in dieser Größenordnung rechtfertigen könnte“, sagt der Göttinger Rechtsanwalt Sven Adam. Er hat deshalb für zunächst acht Betroffene Klage beim Verwaltungsgericht eingereicht.
Die Akten seien nicht nur illegal, sondern offenbar auch im Geheimen geführt worden: „Für einen der erfassten Menschen habe ich unlängst ein Auskunftsersuchen gestellt, weil er wissen wollte, was bei der Polizei über ihn gespeichert ist“, berichtet der Anwalt. „In der Antwort wurden diese Unterlagen mit keiner Silbe erwähnt.“
Die Göttinger Polizei gibt zu den Vorgängen keinerlei Stellungnahme ab. In der Ermittlungsakte aber findet sich die Aussage des Chefs der Staatsschutzabteilung. Es habe diese ausufernde Schnüffelei nie gegeben, behauptet der Kommissariatsleiter. Das war allerdings, bevor das Haus seines ehemaligen Mitarbeiters durchsucht und die Belege sichergestellt worden waren.
Ermittler werfen dem Hinweisgeber Erpressung vor
Nun werfen die Ermittler dem pensionierten Polizisten versuchte Nötigung oder gar Erpressung vor – in dem Ermittlungsverfahren, das eingeleitet wurde, nachdem der Polizist sich vertrauensvoll unter anderem an einen Beamten des niedersächsischen Innenministeriums und an den Präsidenten des niedersächsischen Landeskriminalamts (LKA) gewandt hatte.
Der pensionierte Polizist soll, teilt die Göttinger Staatsanwaltschaft auf Anfrage schriftlich mit, „angedroht haben, dass er vertrauliche Unterlagen des Staatsschutzkommissariats veröffentlichen werde, wenn er nicht rückwirkend auf den Dienstposten eines Kriminalhauptkommissars befördert werde“. Außerdem bestehe der Verdacht des „Verwahrungsbruchs“: Der Beschuldigte habe dienstliche Unterlagen „an sich genommen und damit der dienstlichen Verfügung entzogen“, heißt es in der Mitteilung der Staatsanwaltschaft.
Rechtsanwalt Christian Woldmann aus Hamburg, der den Ex-Polizisten zusammen mit seinem Göttinger Kollegen Adam vertritt, hält diese Vorwürfe für haarsträubend. Sein Mandant habe bis heute immer nur intern gegen das Datensammeln protestiert. Dass er nun zwei Jahre nach seiner Pensionierung den unterstellten Erpressungsversuch gestartet haben soll, sei barer Unsinn. Und wie man Akten der polizeilichen Verfügung entziehen könne, indem man sie fotografiert oder kopiert, das bleibe das Geheimnis der Staatsanwaltschaft.
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taz.de , 16.06.2017
Die Schnüffler vom Kommissariat 4
In Göttingen legte die Polizei offenbar über Jahre hinweg rechtswidrig eine Datensammlung über Linke an. Nun schaltet sich die Justiz ein.
Es waren fünf prall gefüllte Ordner, die im Kommissariat 4 der Göttinger Polizei, dem Staatsschutz, standen. Dutzende Namen waren darin abgeheftet, daneben Fotos, die Wohnanschrift, Religionszugehörigkeit, der Familienstand. Das Vergehen der Gelisteten: Sie erschienen den Polizisten offenbar als Linke.
Die Akten wurden über Jahre befüllt. Über eine Person heißt es, er habe an einem Informationsstand gegen die Bundeswehr teilgenommen, ein anderer habe sich auf einer Demonstration im Block der Sozialistischen Arbeiterjugend befunden. Zu einer Frau wird ihr Engagement für die Grüne Jugend vermerkt. Bei einer Person fanden die Beamten auch bemerkenswert, dass sie bei Rewe arbeitet.
Auch eine Pinnwand hing im Kommissariat, mit Fotos und Namen einiger der Personen. In internen Emails des Kommissariats wurde auch schon mal notiert, wer zu welcher Uhrzeit mit dem Fahrrad nach Hause fuhr, im Bus saß oder das Fitnessstudio aufsuchte. Ihre Ordner hatte der Staatsschutz mit „Limo“ beschriftet, ein Polizeibegriff für „Straftäter, politisch links orientiert“. Dass den Aufgeführten Straftaten vorgeworfen wurden, ist aus den Papieren jedoch nicht ersichtlich. Vielmehr scheint es, dass die Göttinger Staatsschützer schlicht Personen notierten, die sie für weit links hielten.
Das Vorgehen wird nun ein Fall für die Justiz. Ein Sprecher des Verwaltungsgerichts Göttingen bestätigte am Freitag der taz, dass acht der geführten Personen diese Woche Klage gegen die Datenerhebung einreichten. Das Gericht solle feststellen, dass die Sammlung rechtswidrig war. Zudem verlangen die Betroffenen Akteneinsicht. Von einem „Skandal“ spricht Sven Adam, Anwalt der Betroffenen. „Das ist eine verdeckte Datenerhebung ohne jede gesetzliche Grundlage. Diese Datei hätte es nie geben dürfen.“
Die Göttinger Polizeidirektion wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Man sei über die Klage informiert, sagte eine Sprecherin. Zugestellt sei diese aber bisher nicht, deshalb mache man vorerst keine Angaben.
Ermittlung gegen Ex-Beamten
Zusätzlich pikant: Nach taz-Informationen behauptet ein seit anderthalb Jahren pensionierter Kriminaloberkommissar aus dem Göttinger Staatsschutz, Vorgesetzte wiederholt auf das rechtswidrige Vorgehen hingewiesen zu haben – ohne dass sich etwas geändert habe. Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Göttingen: allerdings gegen den Mann. Die Göttinger Polizei hatte zu Jahresbeginn Anzeige gegen den Ex-Beamten wegen Verwahrungsbruch und versuchter Erpressung gestellt. Laut einem Sprecher der Staatsanwaltschaft habe er eine Beförderung erzwingen oder andernfalls die Datei öffentlich machen wollen. Im April wurde die Wohnung des 63-Jährigen durchsucht.
Rechtsanwalt Adam spricht von einem „grotesken“ Vorgehen. „Statt den Mann anzuzeigen, wäre es die Pflicht der Polizei gewesen, seinen Hinweisen nachzugehen und die illegale Praxis umgehend zu stoppen.“
Erst Ende 2016 war bekanntgeworden, dass niedersächsische Polizeibehörden in mehr als 500 Fällen persönliche Daten von Demonstrationsteilnehmern gespeichert hatten. Nach Kritik der Landesdatenschutzbehörde sollen die Einträge wieder gelöscht worden sein. Das niedersächsische Innenministerium hatte 2012 die Polizeidirektionen angewiesen, schon bei Anmeldern von Demonstrationen keine personenbezogenen Daten zu speichern, solange die Aufzüge friedlich blieben. Für Demonstrationsteilnehmer oder sonstig gewaltlos politisch Aktive gilt umso mehr das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit.
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goest.de, 16.06.2016
Illegale Datensammlung über Linke bei der Göttinger Polizei
„Staatsschutz“ der Polizeiinspektion Göttingen unterhält offenbar Datensammlung über hunderte Linke in Göttingen – Betroffene erheben Verwaltungsklagen Damit bestätgt sich voll und ganz die Einschätzung, die wir im Zusammenhang mit dem Ermittlungsverfahren des Staatsschutzes gegen goest formuliert haben.(siehe weiter unten)
Göttingen, den 16.06.2017
Das 4. Fachkommissariat (Staatsschutz) der Polizeiinspektion (PI) Göttingen verfügt(e) mindestens bis ins Jahr 2015 über fünf offensichtlich ungesetzlich angelegte Aktenordner mit personenbezogenen Daten über Linke in Göttingen. In der verdeckt angelegten Datensammlung sind Namen, Adressen, körperliche Merkmale, Religionszugehörigkeit, Arbeitsplätze, Informationen über SocialMedia-Profile, Gruppenzugehörigkeiten und Fotos von hunderten Betroffenen enthalten. Ein Zusammenhang der Daten zu laufenden Ermittlungen gegen die Betroffenen oder bestimmten Ereignissen bestand offenbar nicht. Die Nachweise über die Existenz dieser Datensammlung sind Gegenstand der Akte eines Ermittlungsverfahrens der Staatsanwaltschaft Göttingen. Diese ermittelt allerdings nicht gegen die Beamten des 4. FK wegen der rechtswidrig erhobenen Daten, sondern gegen einen indes pensionierten Beamten des 4. FK, der seit Jahren gegen die Datenerhebung behördenintern protestierte und Fotos der Aktenordner sowie Kopien einiger Inhalte zu Beweiszwecken angefertigt hat. Dem 63-jährigen Ex-Polizisten wird versuchte Erpressung, versuchte Nötigung und Verwahrbruch vorgeworfen, weil er die Beweise zu eigenen Zwecken nutzen und die Polizeiinspektion damit habe unter Druck setzen wollen. Der Hamburger Strafverteidiger Christian Woldmann, der zusammen mit dem Göttinger Kollegen Sven Adam die Verteidigung des pensionierten Beamten übernommen hat, hält die Vorwürfe für absurd. „Das Anfertigen von Kopien und Fotos zur Beweissicherung erfüllt keinen Straftatbestand“ so Woldmann. Dass der Polizeibeamte zwei Jahre nach seiner Pensionierung einen Erpressungsversuch gestartet haben soll, ist schon nach Aktenlage blanker Unsinn. Er hat stets und bis heute lediglich intern gegen eine offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert.“ Es liegt daher nahe, dass das Ermittlungsverfahren den Beamten diskreditieren und von den massenweise rechtswidrig erhobenen Daten ablenken sollte. Denn die Größe der Datensammlung übertrifft sogar diejenige der in der 80ern rechtswidrig erhobenen, angeblich vernichteten und in den 90ern wieder aufgetauchten sog. Spudok-Dateien. „Für eine Datensammlung in dieser Größe und Tiefe gibt es im Niedersächsischen Gefahrenabwehrrecht keine Rechtsgrundlage und kann es auch nicht geben. Diese Datenerfassung ist mit dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung schlicht nicht vereinbar“, stellt RA Sven Adam fest. Er hat deshalb für zunächst acht Betroffene am vergangenen Mittwoch auch Klagen gegen die Polizeidirektion Göttingen beim Verwaltungsgericht Göttingen (z.B. Az.: 1 A 169/17, 1 A 17017, 1 A 171/17 etc.) eingereicht, die Beschlagnahme der Aktenordner beantragt und volle Akteneinsicht verlangt.
Die Polizeidirektion Göttingen ist zwar verfahrensrechtlich zuständig, dürfte von der Datensammlung des 4. FK der Polizeiinspektion Göttingen selbst aber keine Kenntnis gehabt haben. „In Antworten der Polizeidirektion auf Auskunftsersuchen werden diese Daten nicht erwähnt. Dass die Datensammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt wird, belegt, dass diese Datenerfassung für den Rest der Polizei unbekannt bleiben sollte. Das 4. FK scheint insoweit ein Eigenleben entwickelt zu haben“ vermutet Adam zunächst abschließend und vorbehaltlich anderer Erkenntnisse aus der zu erwartenden Akteneinsicht.
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Göttinger Tageblatt, 16.06.2017
Staatsschutz als Datensammler
Hat das vierte Fachkommissariat (FK) der Polizeiinspektion Göttingen über Jahre ohne rechtliche Grundlage Daten über mutmaßliche Mitglieder der linken Szene gesammelt? Acht Göttinger klagen dagegen, nachdem das Vorgehen durch Ermittlungen gegen einen Ex-Polizisten bekannt wurde.
Göttingen. Der 63-Jährige ist auch eineinhalb Jahre nach seiner Pensionierung noch spürbar Stolz auf seine Arbeit. Auf 44 Dienstjahre hat er es als Polizist gebracht. Er erzählt von einer schönen Zeit, netten Kollegen, einem Dankesschreiben der damaligen First Lady Niedersachsens Heidi Adele Albrecht, das er noch immer zuhause aufbewahrt. Dort hatte er bis vor kurzem auch noch Kopien einer Akte versteckt, gegen deren Existenz er zu seiner aktiven Zeit immer protestiert hatte.
Mindestens bis 2015 sollen beim Göttinger Staatsschutz Fotos, Namen, Adressen, Religionszugehörigkeit, Arbeitsstellen, körperliche Merkmale, Social-Media-Profile und mehr von hunderten Göttingern in Papierakten zusammengetragen worden sein. Außerdem seien in Mails Bewegungsprofile von Personen zwischen den Ermittlern ausgetauscht worden. Über die genaue Anzahl der Überwachten gibt es keine Angaben. Die Mehrheit ist nicht mit dem Gesetz in Konflikt gekommen.
Es soll vielmehr schon ausgereicht haben, an Demonstrationen teilgenommen zu haben, um als Eintrag in einem der Aktenordner zu landen. Nach Einschätzung der Polizei habe es sich bei den Registrierten um einen „Personenkreis linksmotivierter Straftäter“ gehandelt. So formulierte es am Donnerstag die Staatsanwaltschaft.
Die ersten Betroffenen, darunter auch Mitglieder von demokratischen Parteien und deren Jugendorganisationen haben am Mittwoch Klage vor dem Verwaltungsgericht erhoben. Dessen Sprecher Dieter Wenderoth bestätigte den Eingang von acht Klagen, bei der offiziell beschuldigten Polizeidirektion Göttingen lagen diese am Freitag noch nicht vor.
Dazu betont Rechtsanwalt Sven Adam, die PD sei zwar verfahrensrechtlich zuständig, dürfte aber seiner Einschätzung nach von der Sammelleidenschaft des vierten FK selbst keine Ahnung gehabt haben. „Dass die Datensammlung entgegen der sonstigen Praxis nicht digital geführt wird, belegt, dass sie für den Rest der Polizei unbekannt bleiben sollte“, so Adam. Das FK habe hier anscheinend ein Eigenleben entwickelt.
Plötzlich standen die Kollegen vor der Tür
Als vor einigen Wochen Kollegen vor der Tür des pensionierten Polizisten standen, händigte er ihnen seine Kopien und eine Fotospeicherkarte aus. Er erfuhr, dass die Staatsanwaltschaft gegen ihn wegen versuchter Nötigung beziehungsweise versuchter Erpressung und sogenannten Verwahrungsbruchs ermittelt. Er soll sich die Beweise angeeignet haben, um die Polizeiinspektion und das Innenministerium unter Druck zu setzen und sich nachträglich eine ihm nicht zustehende Beförderung zu verschaffen.
Der Pensionär und sein Strafverteidiger Christian Woldmann halten diese Vorwürfe für absurd. Das Anfertigen von Kopien zur Beweissicherung erfülle keinen Straftatbestand. Sein Mandant habe zudem bis heute lediglich intern gegen die offenkundig rechtswidrige Praxis der Datensammlung protestiert.
Noch im Februar 2017 habe er in einem Brief an einen befreundeten LKA-Mitarbeiter darauf gedrängt, die Vorgänge sollten intern geklärt werden. Dass er zwei Jahre nach seiner Pensionierung einen Erpressungsversuch gestartet haben soll, sei schon nach Aktenlage „blanker Unsinn“, sagt Woldmann.
Die Anwälte rechnen mit einer schnellen Verfahrenseinstellung. Die Anzahl der Verfahren vor dem Verwaltungsgericht könnte sich hingegen noch vervielfachen. Adam hat die Beschlagnahme der fünf Aktenordner beantragt.
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hna.de, 15.06.2017
Wollte Ex-Polizist mit vertraulichen Dokumenten die Polizei erpressen?
Hat ein pensionierter Staatsschützer versucht, die Polizei mit vertraulichen Dokumenten zu erpressen? Dieser Frage geht die Staatsanwaltschaft Göttingen nach.
Die Strafverfolgungsbehörde führe gegen den 63-jährigen früheren Kriminaloberkommissar der Polizeiinspektion Göttingen ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der versuchten Nötigung und der versuchten Erpressung sowie Verwahrungsbruchs, teilte Behördensprecher Andreas Buick am Donnerstag mit.
Nach Angaben der Staatsanwaltschaft war der Polizist vor eineinhalb Jahren regulär pensioniert worden. Im April dieses Jahres standen dann Polizeibeamte mit einem Durchsuchungsbeschluss des Amtsgerichts Göttingen vor seiner Tür.
Die Ermittler hätten bei der Durchsuchung der Privaträume des Ruheständlers einschlägige Dokumente sichergestellt, teilte Staatsanwaltschaft-Sprecher Buick mit. Unter anderem hätten sie Karteikarten, Ausdrucke von E-Mails und Lichtbilder gefunden.
Die sichergestellten dienstlichen Unterlagen bezögen sich auf Personen, die nach Einschätzung der Polizei dem linksextremen Spektrum angehören oder als linksmotivierte Straftäter in Erscheinung getreten sein sollen.
Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge soll der 63-Jährige bereits während seiner aktiven Dienstzeit wiederholt seinen Unmut und Frust darüber geäußert haben, dass er nicht befördert wurde und mit dem schlechter bezahlten Dienstrang eines Kriminaloberkommissars in Pension gehen musste. Nachdem er bereits einige Zeit im Ruhestand verbracht hatte, soll er sowohl gegenüber der Polizeiinspektion Göttingen als auch gegenüber dem Niedersächsischen Innenministerium telefonisch damit gedroht haben, dass er vertrauliche Unterlagen des Staatsschutzkommissariats veröffentlichen werde, falls er nicht rückwirkend doch noch auf den Dienstposten eines Kriminalhauptkommissars befördert werde.
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Göttinger Tageblatt, 08.06.2017
Viele Anklagen, wenig Erinnerung
Vier Abschiebegegner und Antifaschisten müssen sich aktuell vor dem Amtsgericht wegen diverser Vergehen verantworten. Die Anklagen reichen von Körperverletzung über Beleidigung, Widerstand gegen Polizeibeamte bis hin zu Sachbeschädigung. Es ist nicht der erste Versuch, dieses Verfahren zu einem juristischen Ende zu bringen.
Göttingen. Es ist ein wiederkehrendes Bild: Wenn vor dem Göttinger Amtsgericht politisch motivierte Taten verhandelt werden, stehen vor der Tür Polizeifahrzeuge, Demonstranten entrollen Transparente, an den Einlasskontrollen bilden sich Schlangen. So auch am Donnerstagmorgen. Man war aus Kapazitätsgründen in einen der großen Sitzungssäle des Landgerichts umgezogen. Und selbst dieser bot gerade ausreichend Platz auf der Anklagebank. Auch der Zuschauerraum war über den gesamten Tag meist bis auf den letzten Platz gefüllt. Und auch der Vorhof des Gerichts sollte im Laufe des Tages noch voll werden.
Voll auf allen PlätzenBevor der Staatsanwalt die lange Liste der Straftaten verlesen konnte, musste das Gericht über die Befangenheit des Richters und die Bestellung eines weiteren Verteidigers entscheiden. Mit dem selben Richter und weiterhin nur drei Verteidigern ging es in die Beweisaufnahme. Zeuge eins, ein Polizist, schilderte folgenden Fall: Er war auf dem Weg zur Fußball-WM-Liveübertragung in der Lokhalle, als er zwei Personen dabei beobachtete, wie sie ein Bundeswehrplakat mit Zetteln übertapezierten. "Kein Werben für Sterben", stand da jetzt. Man habe sich vor Ort darauf verständigt, dass der Spruch nach einem Foto wieder entfernt würde. Nach dem Spiel (Deutschland spielte gegen Brasilien) hingen die Zettel immer noch, es kam zur Anzeige.
Die gab es im folgenden Fall nicht. Auch Zeuge zwei ist Polizist. Und auch er war eigentlich in Sachen Fußball im Einsatz, als er nachts am Gänseliesel auf eine der Angeklagten traf. Sie bemalte die dort während der Umbauarbeiten provisorisch aufgebrachte Asphaltschicht: Refugees welcome. "Das sind Verschönerungsarbeiten für die Stadt", habe sie gesagt. Weder er noch seine Kollegen sahen damals einen Grund einzugreifen. "Es hat die Nacht geregnet und die Farbe floss schon wieder ab." Trotzdem liegen dem Gericht zwei Rechnungen für die Reinigung des Platzes von jeweils über 1100 Euro vor.
Nur 'ne PlaneFall drei, Polizist Nummer drei: Auf dem Bahnhofsvorplatz stand der Göttinger Klotz kurz vor seiner Enthüllung. Zuvor jedoch soll eine der Angeklagten die verhüllende Plane besprüht haben. "Für uns war das keine Beschädigung", erinnerte sich der Zeuge am Donnerstag. "War ja nur 'ne Plane, und die sollte ja sowieso bald runter."
Um farbliche Umgestaltung ging es dann auch im folgenden Anklagepunkt. Zwei Zeugen, darunter das Opfer, berichteten über eine Glitzerpuder-Attacke und einen möglichen Schlag während der Sitzung des Kreiswahlausschusses. Der damalige NPD-Kandidat Jens Wilke war angegriffen worden. "Eine Frau kam auf uns zu und dann habe ich ein Patschgeräusch gehört. Und dann hatte Herr Wilke ein rotes Gesicht", schilderte dessen Begleiter eindrucksvoll. Das sei alles sehr schnell gegangen, einen Schlag habe er nicht gesehen. Aber: "Jens war total aufgeregt, weil er aussah wie 'ne Schwuchtel."
Diese und andere Anklagepunkte werden das Gericht weiter beschäftigen. Der Prozess wird fortgesetzt